THE UNBEARABLE WEIGHT OF MASSIVE TALENT

„Nick… . FUCKIIIIIIIIING Cage!“

The Unbearable Weight Of Massive Talent (Massive Talent) ~ USA 2022
Directed By: Tom Gormican

Um seiner geflissentlich darbenden Karriere und dem damit einhergehend darbenden Bankkonto zu begegnen, nimmt Hollywood-Schauspieler Nicolas Cage (Nicolas Cage) leicht widerwillig ein außergewöhnliches Engagement an: Er soll gegen eine Million Dollar als prominenter Geburtstagsgast des auf Mallorca lebenden Unternehmenschefs Javi Gutierrez (Pedro Pascal) erscheinen. Javi, ein glühender Verehrer von Cage und seinem Gesamtwerk, der jenen außerdem gern als Hauptdarsteller für sein erstes, eigenes Drehbuch gewönne, lockt den zunächst distanzierten Star mit Drinks und anderen Lustigmachern, woraufhin sich rasch tatsächliche Sympathien zwischen den beiden Männern entwickeln. Doch die putzige Harmonie trübt alsbald ein: Die CIA hat Javi im Visier als Kidnapper der Tochter (Katrin Vankova) des katalinischen Präsidenten und setzt ausgerechnet den überrannten Cage als Maulwurf gegen seinen Gastgeber ein. Tatsächlich jedoch ist ohne dessen Wissen Javis Cousin, der Mafioso Lucas (Paco Léon) für die Entführung verantwortlich. Dies rettet zwar die Freundschaft der beiden männer, macht ihre Gesamtsituation jedoch nicht weniger lebensgefährlich…

Dass Hollywood-Schaffende sich immer wieder selbst spielen, bildet zwar keine Seltenheit; dass sie sich höchstselbst als Protagonisten eines fiktiven Abenteuers um ihre eigene Person zur Verfügung stellen, darf man jedoch nach wie vor als kleine Rarität erachten. Vor diesem Hintergrund stellen sich dann auch mehr oder weniger unweigerliche Assoziationen zu einer anderen, noch sehr viel grotesker aufgezogenen Selbstdemontage eines amerikanischen Weltstars ein, nämlich zu Spike Jonzes „Being John Malkovich“. Gegen den Wahnwitz von Jonzes und Charlie Kaufmans wahnwitziger Dramödie, die einst Malkovich himself zum Endgefäß für einen bizarren, mentalen Geburtskanal modelte, kommt „The Unbearable Lightness Of Massive Talent“ zwar nicht an, findet aber dennoch hübsche Wege, das Buddy-Duo Cage und Pascal vor der lichtdurchfluteten, mallorquinischen Kulisse in ein paar lustige, später auch actionreiche Episoden zu verstricken. Dabei gibt der Leinwand-Cage, ebenso wie damals der Leinwand-Malkovich freilich, eine Alternativversion seines tatsächlichen Selbst; so werden ihm etwa eine fiktive Ex-Frau (Sharon Horgan) und Teenagertochter (Lily Mo Sheen) herbeigedichtet, die er durch seine arrogante Selbstherrlichkeit verprellt.
Im weiteren Hergang outet sich der Film schließlich als ähnlich versiert in punkto Cage-Facts wie seine zweite Hauptfigur Javi Gutierrez; es kommt erwartungsgemäß zu diversen title drops und Reminiszenzen an frühere Beiträge aus dem umfangreichen Œuvre des Darstellers, der unterdessen allenthalben von seinem eigenen, jüngeren alter ego aus der Ära „Wild At Heart“ heimgesucht und traktiert wird. Das nimmt sich alles recht amüsant und tragfähig aus, verzichtet jedoch nicht auf die eine oder andere Redundanz. Am komischsten empfand ich dabei dabei jene Szenen, in denen Cage, intoxiniert durch diverse Rauschmittel von Alkohol bis Acid (einmal sogar durch ein hochpotentes Spionage-Sedativ), torkelnd oder sonstwie diffus durch die mediterrane Gegend laviert. Nicht, dass der Film unter späterem Verzicht auf derlei Sperenzchen gegen Ende hin geerdeter würde; es bleibt angenehm bescheuert. Trotzdem – auf den ganz großen Anarcho-Irrsinn, die totale Cage-Kirmes gewissermaßen, wird wohlweislich verzichtet. Schade.

7/10

BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER

„Only the most broken people can be great leaders.“

Black Panther: Wakanda Forever ~ USA 2022
Directed By: Ryan Coogler

Ein Jahr nach dem (natürlichen) Tod von König T’Challa führt dessen Mutter Ramonda (Angela Bassett) die monarchischen Regierungsgeschäfte von Wakanda. Das internationale Interesse an dessen exklusiver Ressource, dem Metall Vibranium, lässt derweil nicht nach. Just als die Dora-Milaje-Kriegerin Okoye (Danai Gurira) wieder ein paar umtriebige Spione hochnimmt, entdecken die Amerikaner im Atlantik eine unterseeische Vibranium-Quelle. Die maritime Expedition wird jedoch von unbekannten Wesen komplett aufgerieben. Als Urheber jener Aktion erweist sich Namor (Tenoch Huerta), Oberhaupt der mehrere Jahrhunderte alten, submarinen Zivilisation Talokan, die um jeden Preis unentdeckt bleiben soll. Namor zwingt Ramonda und T’Challas Schwester Shuri (Letitia Wright), ihm die Erfinderin des neuartigen Vibranium-Sensors zu bringen und auszuliefern, eine brillante amerikanische Studentin namens Riri Williams (Dominique Thorne), die nebenbei noch eine neue Iron-Man-Rüstung entwickelt hat. Nachdem Shuri und Okoye sie aufspüren können, gelangen Riri und Shuri in Namors Gewalt, können jedoch von T’Challas vormaliger Geliebter Nakia (Lupia Nyong’o) begreit werden, woraufhin ein Krieg zwischen Wakanda und Talocan entbrennt, der erst beendet werden kann, als Shuri als neuer Black Panther Namor im Duell in die Knie zwingt.

Prinz Namor oder auch der Submariner zählt zu den ältesten Marvel-Figuren. Vor nunmehr ganzen 83 Jahren debütierte er bei Timely Comics als elementarer Gegenpol zum feurigen Androiden Jim Hammond, der ersten „Human Torch“. Während Namor zunächst eher schurkische Züge innehatte – er pflegte einen unbezähmbaren Hass auf die Oberflächenbewohner und drohte unter anderem, Manhattan zu ertränken, zog er gemeinsam mit Hammond und Captain America Steve Rogers im Zuge jugendgerechter Kriegspropaganda gegen die Achsenmächte ins Feld. Mit Ausnahme ein paar spärlicher Auftritte wurde es dann ruhig um den Submariner, bevor er in den frühen Sechzigern Teil von Stan Lees großangelegtem Marvel-Launch wurde und in der Reihe „Fantastic Four“ (in der ja auch T’Challa debütierte) zu einem eminenten Charakter jenes Comic-Universums avancierte. Wiederum blieben Namors Motive wechselhaft und undurchschaubar; mal trieben ihn seine latenten Eroberungsgelüste in den Kampf gegen die anderen Superhelden, mal unterstützte er sie im Kampf gegen noch mächtigere Bedrohungen. Zeitweilig war er sogar ein Avenger. Dass Namor erst so spät Teil des MCU wurde, lässt sich wohl mit dem sich für ein diesbezüglich unbeflissenes Kinopublikum ohnehin bereits gewaltig ausnehmendem Überschwang an Haupt- und Nebenfiguren erklären. Zudem bleiben hinsichtlich seiner späten Einführung einige logi(sti)sche Fransen, so etwa die Fragen, warum er sich nicht bereits in den Konflikt gegen Thanos involvierte, der ja doch eine ungleich größere Bedrohung darstellte als die Vibranium-Gier der verhassten „surface dwellers“.
Nun denn, Namor ist also here to stay und mit ihm gleich noch eine gehörigst umgedichtete origin, die ihn als mutierten Maya-Abkömmling ausweist und zugleich seine mittelamerikanisch anmutende Physiognomie erklärt. Den albernen Nasenschmuck hätte man allerdings auch weglassen dürfen. Gewiss dient „Black Panter: Wakanda Forever“ demzufolge primär zu Namors Initiation – als Requiem auf Chadwick Boseman und Black Panther funktioniert der Film trotz gegenseitiger Beteuerungen seitens Kevin Feige und Konsorten eher bedingt. Auf der ästhetischen Ebene hat Cooglers Sequel indes Reichliches und Kostspieliges zu bieten; insbesondere Shuris Reise nach und durch Talokan gestaltet sich als ein visuelles, psychedelisch betuchtes Fest; die zwei Haupt-Actionsequenzen, in denen Wakandaner und Talokaner aufeinanderprallen und sich bekriegen, erweisen sich als gewohnt rasant und kinetisch inszeniert. Zudem tauchen die meisten Nebenfiguren aus „Black Panther“ abermals auf und das, auch eine Leistung, ohne den bloßen Wiedererkennungseffekt zu bedienen.
Insgesamt ein erfreulicher MCU-Beitrag, der es mit dem Erstling nicht ganz aufnehmen kann, für meinereiner aber immer noch hinreichend Glücksmomente bereithält.

7/10

THE DAY OF THE JACKAL

„What codename will you use?“

The Day Of The Jackal (Der Schakal) ~ UK/F 1973
Directed By: Fred Zinnemann

Im September 1962: Nachdem das Attentat von Petit-Calmart auf den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gescheitert ist und dessen Mitinitiator Bastien-Thiry (Jean Sorel) zum Tode verurteilt wird, weigern sich die entkommenen, führenden Köpfe der rechtsnationalen OAS, kleinbeizugeben. Sie engagieren einen englischen Profikiller (Edward Fox), der fortan unter dem Codenamen „Schakal“ solitär die gesamte Organisation eines weiteren Anschlages plant. Minutiös und ohne Rücksicht auf zwischenzeitliche Hürden, dabei stets verfolgt von dem als besonders geschickt bekannten Ermittler Claude Lebel (Michael Lonsdale) und einer ganzen Batterie internationaler Unterstützer, bahnt sich der Schakal seinen Weg immer näher zu de Gaulle, bis er, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem letzten Attentat, seine Mission zu erfüllen trachtet.

Der Killer als Held: Zur Entstehungszeit von „The Day Of The Jackal“, seiner drittletzten Regiearbeit, war der etwa 66-jährige Fred Zinnemann bereits ein recht spärlich arbeitender Filmemacher, der sich nurmehr noch vergleichsweise selten für ein Projekt einspannen ließ. Sieben Jahre zuvor hatte er für die Robert-Bolt-Adaption „A Man For All Seasons“ seinen zweiten Oscar gewonnen und war seither nicht mehr in Erscheinung getreten. Für diese Verfilmung eines Romans von Frederick Forsyth kehrte er auf den Inszenierungsstuhl zurück. „The Day Of The Jackal“ gliedert sich dabei passgenau in den umfangreicher werdenden Korpus zeitgenössischer, vornehmlich europäischer Thriller ein, die aus primär linker Perspektive mal mehr, mal weniger authentische Staatsstreiche, Verschwörungen und Politdystopien verhandelten. Nicht von ungefähr erinnert Zinnemanns hier befleißigter Stil häufig besonders an den von Costa-Gavras. Entgegen früherer, nicht selten von einer starken emotionalen Involvierung des Publikums geprägten Herangehensweisen ging Zinnemann diesmal nämlich höchst konzentriert und diszpliniert, mit fast asketischer Genauigkeit zu Werke. Eine beinahe dokumentarisch anmutende Akribie, eine allen Schmuckes entledigten Bildsprache nutzend und ohne Verwendung von extradiegetischer Filmmusik schildert er die sich über fast ein Jahr hinziehenden Vorbereitungen des Killers, der, trotz einer großen Menge ihn zentrierender Szenen für den Zuschauer ein biographisch und auch weitgehend psychologisch unbeschriebenes Blatt bleibt. Der damals noch unbekannte Edward Fox spielt die Titelrolle in einer ganz eigenen Mixtur aus Charisma, diabolischer Intelligenz und Zielstrebigkeit, die sein unnachgiebiges Vorwärtskommen glaubhaft werden lässt. Mehrfach einkalkulierte und durchgeführte Identitätswechsel zählen ebenso dazu wie die Fähigkeit, jeder noch so brisanten Situation zu entgehen. Dass er so schnell wie emotionslos tötet, wer ihm im Wege ist, lässt den Schluss zu, dass seine Skrupellosigkeit mindestens von soziopathischen Persönlichkeitszügen profitiert. Wer versucht, ihn zu übervorteilen, wie ein genuesischer Ausweisfälscher (Ronald Pickup), stirbt umgehend, zudem lotet der Schakal rigoros die Schwächen von WegeskreuzerInnen aus, um sie sich nutzbar zu machen. Eine nur oberflächlich kühle, ausgehungerte Strohwitwe (Delphine Seyrig), deren Landvilla der Killer als Unterschlupf ausersieht, muss daraufhin ebenso das Zeitliche segnen wie ein Homosexueller (Anton Rodgers), in dessen Pariser Wohnung er sich zwischenzeitlich versteckt hält. Sein Engagement wird ihm dabei irgendwann zur Privatsache, augenscheinlich sogar unabhängig von der Bezahlung seiner zweiten Auslobungshälfte: Zwischenzeitlich immer wieder eingekreist oder identifiziert, verzichtet der Schakal auf jede sich ihm bietende Option zur Flucht und behält die Erfüllung der Mission stoisch im Blick, was ihn letzten Endes das Leben kosten wird. Hernach wird er anonym in einem schmucklosen Grab beigesetzt, seinen erfolgreichen Widersacher Lebel als einzigen Beerdigungsgast.
Dabei liegt Zinnemanns paradoxestes Verdienst vielleicht darin, den villain, der so viel mehr sinistren Sex vorschützt als der schlaffe Lonsdale, zum dramaturgischen Helden zu deklarieren – vielleicht wünscht man dem Schakal nicht eben, dass es ihm gelingt, de Gaulle zu erschießen, dennoch tut es einem irgendwie leid um ihn, der sich doch über fast zweieinhalb Erzählstunden diese immense Mühe gemacht hat.

9/10

NO TIME TO DIE

„When her secret finds its way out – and it will – it’ll be the death of you.“

No Time To Die (Keine Zeit zu sterben) ~ UK/USA 2021
Directed By: Cary Joji Fukunaga

Nachdem er dem MI6 den Rücken gekehrt hat, um mit seiner Madeleine Swann (Léa Seydoux) glücklich zu werden, gilt es für den emotional gebeutelten James Bond (Daniel Craig), letzte offene Fäden zu vernähen. Dazu gehört auch der endgültige Abschied von seiner einstigen großen Liebe Vesper Lynd an deren Grabstätte. Doch dort fällt Bond beinahe einem Sprengstoffattentat zum Opfer, mit dem Madeleine zumindest in indirekter Verbindung zu stehen scheint. Kurzerhand setzt Bond sie in den Zug und verabschiedet sich endgültig von ihr, um danach auf Jamaika ins Exil zu gehen. Fünf Jahre später kommt es in London zu einem ernsten Zwischenfall: Der biologische Kampfstoff „Herakles“, der, aus Nanobots bestehend, gezielt mit der DNA seiner potenziellen Opfer programmiert werden kann, wird gestohlen und mit ihm dessen Entwickler Valdo Obruchev (David Dencik). Während M (Ralph Fiennes) längst eine neue 007 (Lashana Lynch) beschäftigt, lässt sich Bond von seinem alten CIA-Freund Felix Leiter (Jeffrey Wright) überreden, den Kopf hinter dem brisanten Diebstahl ausfindig zu machen. Dahinter steckt keinesfalls wie zunächst vermutet SPECTRE [dessen Kopf Blofeld (Christoph Waltz) selbst vom Sicherheitsgefängnis aus noch die Strippen zieht], sondern ein der Organisation ebenbürtiger Konkurrent, der größenwahnsinnige Lyutsifer Safin (Rami Malek)…

Nachdem Daniel Craig eigentlich beschlossen hatte, mit „Spectre“ seinen Bond-Schwanengesang zu begehen, ließ er sich gegen ein beträchtliches Entgelt doch noch zu einem weiteren, letzten Einsatz überreden; diesmal jedoch gewissermaßen mit eingeschriebener Anti-Rückkehr-Versicherung. Runde 58 Jahre nach dem ersten 007-Kino-Abenteuer „Dr. No“ wurden die Karten für den 25. offiziellen Film des Franchise abermals neu gemischt, bewusste Produktionsquerelen inbegriffen: Dass Craigs fünfteiliger Bond-Zyklus im Gegensatz zum vorherigen Konzept der Serie inhaltlich dicht zusammenhängen, was eine bis 2005 noch ungewohnte, dezidiertere (Film-)Typisierung des Superagenten gestattete, wäre hinlänglich bekannt, nunmehr geht es um eine noch privatere (und somit gleichermaßen noch intimere) Involvierung des Protagonisten in die ihn umtosenden Ereignisse. Eigentlich eklatantes Bond-Fremdvokabular wie „Wokeness“, „Familie“, „Vulnerabilität“ ploppt geradezu inflationär auf und findet sich verquirlt mit einer Vielzahl von Reminiszenzen an klassische Beiträge zur Reihe, die sich zu einem nicht immer allzu originellen Suchspiel für Aficionados und solche, die es werden wollen, verflechten. Viel Altes und viel Neues also, samt und sonders allerdings im probaten Rahmen und hinreichend dualistisch entgegenkommend, um weder eherne Kalte Krieger noch potenziellen Agentennachwuchs zu vergrätzen. Bond – oder wie auch immer sich sein zukünftiger Epigone nennen mag – findet sich auf sanfte Weise neuarrangiert und fitgemacht für die kommenden Dekaden. Dazu bedarf es andererseits freilich mancher Zäsur: M, distinguierter Gentleman hochenglischer Formvollendung, benutzt Vierbuchstaben-Wörter; Q (Ben Whishaw) entpuppt sich als homosexuell; 007s Nachfolgerin ist eine afrobritische Superfrau und der neue Endboss eher ein bemitleidenswerter, therapiebedürftiger Wirrkopf denn die bedrohliche, globale Nemesis von dereinst. Bond selbst wird, wenn schon nicht als Influencer, so doch in seiner bejahrten Maskulinität nachhaltig geschwächt – er bleibt weiterhin stockverliebt, demzufolge monogam und bekommt zu allem Überfluss eine bezaubernde, kleine Tochter (Lisa-Dorah Sonnet) – welcher erklärte Junggesellenmacho soll da einen klaren Kopf bewahren? Nicht zuletzt wird mit Felix Leiter, der einst selbst den heftigsten Anschlag auf seine Person überlebte, ein elementarer Charakter aus dem Spiel genommen, vom abschließenden Heldentod der Titelfigur einmal ganz abgesehen. Nichtsdestotrotz heißt es zum Abspannende wie eh und je „James Bond will return“, nicht jedoch die Figur, denn das ist diesmal wirklich unmöglich, sondern vielmehr das Konzept. Die Welt scheint noch nicht bereit, einer ihrer hartnäckigsten, vor allem aber gewinnträchtigsten Kino-Marken endgültig Adieu zu sagen.

7/10

THE NOVEMBER MAN

„Information is useless. We collect people.“

The November Man ~ USA/UK 2014
Directed By: Roger Donaldson

Fünf Jahre nach seiner offiziellen Pensionierung lässt sich der Ex-CIA-Agent Peter Deveraux (Pierce Brosnan) von einem alten Vorgesetzten Henley (Bill Smitrovich) für eine weitere Mission reaktivieren: Er soll seiner alten Bekannten Natalia Ulanova (Mediha Musliovic), die hochbrisante Informationen über den kommenden russischen Präsidenten Federov (Lazar Ristovski) besitzt, helfen, aus Moskau heraus und über die russische Grenze zu gelangen. Deveraux willigt ein, doch bereits vor Ort wird Natalia erschossen – ausagerechnet von Deveraux‘ früherem Auszubildenden David Mason (Luke Bracey). Deveraux kann jedoch noch rechtzeitig Natalias Handy sichern und stößt auf die Spur eines Mädchens namens Mira Filipova, das vor Jahren in engerem Kontakt zu Federov gestanden haben soll und um einige von dessen Geheimnissen weiß. In Belgrad trifft Deveraux auf die Flüchtlingshelferin Alice Fournier (Olga Kurylenko), die Mira vor Jahren zu einem Neuanfang verholfen hat, jedoch nicht um ihren Aufenthaltsort weiß. Gemeinsam begeben die beiden sich auf die Suche nach der verschwundenen Mira und müssen gleichzeitig vor CIA und FSB fliehen.

Mit „The November Man“ erhielt Pierce Brosnan die offensichtlich dankbar angenommene Option, seiner zwölf Jahre zuvor beendeten Bond-Karriere nochmal ein weiteres Agentenabenteuer nachsetzen zu können. Dass seine zweite Zusammenarbeit mit Roger Donaldson sich dabei wesentlich druckvoller und spannender ausnimmt als jeder von Brosnans immerhin vier Bond-Filmen, gerät dabei zum überaus angenehmen Nebeneffekt. Nun ist zwar auch „The November Man“ nicht eben das, was man als realitätsverhafteten Spionage-Thriller bezeichnen mag, – immerhin kreuzt er seinen wild fabulierenden, wiederum mit dem camp liebäugelnden Plot kurzerhand mit realen Begebenheiten (dem zweiten Tschetschenien-Krieg) -, gibt Brosnan dafür jedoch die Gelegenheit, einen deutlich kantigeren Spitzel abzugeben als ihm das seine stets ölig konnotierte Interpretation des vielbedienten Briten gestattete. Peter Deveraux arbeitet nämlich nicht für Ihre Majestät, sondern für die CIA und fällt damit schonmal in eine gänzlich andere Kategorie seiner Proefession, die in diesem Fall nichts mit Eleganz, Luxus und Martini-Lakonie zu tun hat, sondern mit dem schmutzigen Geschäft direkter politischer Einflussnahme der selbsternannten Weltpolizei. Deveraux ist bzw. war zwar ein Spitzenmann seines Fachs, diese Qualität äußerte sich jedoch darin, dass er sich besonders effektiv zeigte im Töten, Übervorteilen und Verraten, allesamt Aktivitäten, die nunmehr gegen ihn selbst eingesetzt werden, da er, wie sich herausstellen wird, unwissend als Lockvogel missbraucht und ausgerechnet von seinem eigenen ehemaligen Mündel (von dessen Übernahme Deveraux nach dem Tod eines kleinen Jungen einst abgeraten hatte) aufs Korn genommen wird. Gewissermaßen greift Donaldson damit auch die Antagonistenkonstellation von „The Recruit“ wieder auf, unter veränderten und weiterentwickelten Vorzeichen zwar, aber dennoch von diversen Beziehungsanalogien flankiert.
Rein auf seinen Plot bezogen ist „The November Man“ dabei weit weniger interessant denn in der Zeichnung und Konfrontation einerseits seiner Figuren und andererseits des internationalen Spionagegeschäfts. Agenten, Militärs und andere Regierungsfunktionäre kommen, ein festes Markenzeichen von Donaldson Œuvre bereits seit „Marie“ von 1985, bei ihm nie gut weg mit ihrer moralischen Verkommenheit, Korrumpierbarkeit und ihren Ränkespielchen, die stets und ausschließlich die persönliche Hybris sowie ein pervertiertes Machtideal befüttern.
„The November Man“ greift diese kleine Tradition wiederum auf und manifestiert sie zugleich; bisher letztmalig, da Donaldson seither leider keinen weiteren Spielfilm (sein letztes Engagement bildet eine Dokumentation über den Rennstallgründer Bruce McLaren von 2017) mehr betreute. Immerhin listet die imdb zwei derzeit in der Entwicklung befindliche Projekte.

7/10

THE RECRUIT

„Nothing is what it seems.“

The Recruit (Der Einsatz) ~ USA/CH 2003
Directed By: Roger Donaldson

Den junge Computer-Spezialisten James Douglas Clayton (Colin Farrell) treibt wenig um, mit Ausnahme des ungeklärten Todes seines Vaters vor dreizehn Jahren. Ansonsten lebt er in den Tag hinein und jobbt als Kellner, bis ihm eines Tages der mystrerlöse Walter Burke (Al Pacino) aus heiterem Himmel das Angebot unterbreitet, sich der CIA als Auszubildender anzufangen. Burke ködert den zunächst uninteressierten James mit der Eröffnung, dass möglicherweise auch sein Vater einst als Agent bei der Erfüllung seiner Dienstpflicht gestorben sei und diesbezügliche Geheiminformationen existierten. Also heuert James bei der „Firma“ an und wird gemeinsam mit seinen neuen Mit-Azubis auf die „Farm“ geschickt, eine Ausbildungsstätte für vielversprechenden Spionage-Nachwuchs unweit von Langley. Hier wird James, der sich rasch in seine Kommilitonin Layla (Bridget Moynahan) verguckt, von Burke an seine physischen und psychischen Obergrenzen getrieben, bevor dieser ihn offiziell aus dem Trainingsprogramm ausscheiden lässt und ihn statddessen als „NOC“, als verdeckt arbeitenden Sonderermittler, ins Feld schickt: Layla, so Burke, arbeite in Wahrheit für die Gegenseite und habe den Auftrag, ein Computervirus namens „ICE-9“ aus dem Hauptquartier zu stehlen…

„The Recruit“ erweist sich unversehens als eine relativ sichere Kiste für alle Beteiligten. Es gibt einen ordentlichen Thriller-Plot mit allerlei inhaltlichen Unwägbarkeiten und Twists, die der Zuschauer an der Seite des unsicheren Protagonisten James Clayton zu durchlaufen hat, diverse Inneneinblicke in die Ausbildungspraktiken und Arbeitsweise der nicht eben sympathisch dargestellten CIA, eine hübsche Romanze mitsamt einem intrigengespickten Katz-und-Maus-Spielchen, drei erstklassige HauptdarstellerInnen, und mit Donaldson einen Regisseur, der das Ganze so routiniert wie formal geschlossen in Szene setzt. Gewiss kommt man nicht umhin, das Ganze unter Voraussetzung entsprechender Kenntnis als eine irdische(re) Variation von Taylor Hackfords „The Devil’s Advocate“ wahrzunehmen, der Einfachheit halber wiederum mit Pacino als böser Spinne im Netz, die sich die Instabilität eines aufstrebenden Jünglings zunutze macht. Nun ist Pacino in diesem Fall bloß kein Höllenfürst, sondern ein ausgebrannter, abgelegter Scheinheld früherer Tage, bei dem sich, wie die Conclusio erweisen wird, infolge schlechter Bezahlung und ausbleibender Belobigung ein gewaltiger Frustrationsstau angesammelt hat und der sich deswegen vom Feind kaufen ließ. Sein als von ihm als Marionette herangezogenes Mündel erweist sich am Ende dann aber doch als allzu tefflicher Schüler und somit cleverer denn der falsche Mentor, woraufhin Pacino einen ähnlichen furiosen Abgang wie einst Tony Montana hinlegt. Im Alter, das muss man trotz der natürlich gewohnt exzellenten Leistung des großen Schauspielers sagen, ist auch ein Pacino nurmehr ein Opfer des type casting, was es ihm möglicherweise erleichtert, den traurigen Zynismus seiner Figur Walter Burke geradezu plastisch spürbar zu machen. „The Recruit“ ist auch ein Herbst-/Winter-Film; eine permanente Wolkendecke hängt grau und bleiern über Virginia und damit gleichermaßen den Machtzentren des Landes, was die Photographie (Stuart Dryburgh) zu monochromen, tristen Bildern hinreißt, die die von Misstrauen und Identitätssuche geprägte Atmosphäre des Ganzen nurmehr forciert. Dass am Ende dann doch noch aufrichtige Liebe und damit einhergehend der Keim eines stabilen Neuanfangs über das hinterhältige Ränkespiel der falschen Vaterfigur triumphieren, wirkt dann allerdings ein wenig zugestanden. Ein konsequent fataler Ausgang hätte da möglicherweise für mehr Nachhall gesorgt, aber die richtig große Packung Tristesse mutet Donaldson seinem Publikum ja eigentlich ohnehin nie zu.

7/10

BLACK WIDOW

„It still fits!“

Black Widow ~ USA 2021
Directed By: Cate Shortland

Während Black Widow Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) wegen ihrer Verstöße gegen das Sokovia-Abkommen weltweit von den US-Militärs gesucht wird und sich in Norwegen versteckt, spüt sie eine martialisch kostümierte, schwerbewaffnete Attentäterin namens „Taskmaster“ (Olga Kurylenko) auf, die ein unbewusst in Natashas Besitz befindliches Köfferchen sucht. Darin finden sich wiederum einige Phiolen mit einem roten Gas mysteriösen Ursprungs. Natasha kann Taskmaster mitsamt den Gasphiolen entkommen und reist nach Budapest, wo sie ihre vormalige „Pseudoschwester“ Yelena Belova (Florence Pugh) wiedertrifft, die von dem russischen General Dreykov (Ray Winstone) wie Natasha seit frühester Kindheit zu einer Superspionin ausgebildet wurde. Yelena klärt Natasha auf, dass der von ihr totgeglaubte Dreykov noch lebt und weiterhin rund um den Globus kleine Mädchen entführt, um sie in seinem geheimen „Red Room“ zu Widows der neuesten Generation heranzuzüchten. Dazu macht er sie mittels einer Suggestivchemikalie zunächst hörig und willenlos. Bei dem Gas in den Phiolen handelt es sich um ein Antidot, das den Mädchen, wie kurz zuvor auch Yelena, ihr eigentliches Bewusstsein zurückgibt. Gemeinsam mit zwei alten Bekannten, dem sowjetischen Captain-America-Gegenstück „Red Guardian“ Aleksej Shostakov (David Harbour) und der mit Dreykov zusammenarbeitenden Wissenschaftlerin und früheren Black Widow Melina Vostokoff (Rachel Weisz), infiltriert Natasha Dreykovs fliegende Festung.

Mit den Miniserienformaten erschließen sich die Marvel Studios unter Disney just ja ganz neue Vertriebswege. Zumindest die ersten beiden Serials, „WandaVision“ und „The Falcon And The Winter Soldier“ („Loki“ sehe ich mir erst an, wenn die Verfügbarkeit komplett ist), weisen im Prinzip sämtliche Qualitäten der gelungeneren Kinowerke auf und gefallen selbst mir als weitgehendem Serienignoranten ausnehmend gut. Als erster Filmbeitrag zur Phase 4 im MCU bildet „Black Widow“ ergänzend dazu zugleich eine ökonomische Reaktion Disneys auf das globale Pandemiegeschehen und die damit verbundene Kinoregression: Cate Shortlands Werk startet zeitgleich im Stream und auf der Leinwand. Da die Figur der Natasha Romanoff sich in „Avengers: Endgame“ so tapfer anstelle von „Hawkeye“ Clint Barton geopfert hatte, konnte sie nurmehr im Zuge eines Prequels wiederauftreten und damit zugleich den Weg für ihre potenzielle Nachfolgerin Yelena Belova bereiten. Scarlett Johannson verleiht ihrer Titelrolle trotz deren tödlichen Aktionismus‘ wiederum jene entspannte, klug dosierte Sanftmut, die man von ihr seit ihrem charismatischen Debüt in „Iron Man 2“ kennt. Innerhalb der Filme stellte Natasha Romanoff als erste und weitgehend einzige Frau im Bunde stets das moralisch integre Rückgrat der Avengers dar, das wesentliche Stabilitätsgarant und gewissermaßen zugleich Mutter- und Schwesterfigur. Ihr „eigenes“ Abenteuer fungiert insofern auch als verspätet nachgereichte, psychologische Blaupause, in der Biographie, Motivations- und Emotions-Motoren zumindest grob skizziert werden. Die originäre Comicfigur war ein mäßig interessant eingeführtes Produkt des Kalten Krieges, das irgendwann von den Sowjets zu den Amerikanern (nominell S.H.I.E.L.D.) überlief und dann diversen Heldenteams zugehörig, ebenso häufig jedoch in solitären Abenteuern umtriebig war. Anders als im MCU verbindet sie darin elementare Liebesbeziehungen mit Clint Barton und vor allem „Daredevil“ Matt Murdock, mit dem sich ihre Wege immer wieder kreuzten. Ihr Film-Alias musste aus naheliegenden Gründen ja gezwungenermaßen umstrukturiert werden; so ist der Red Guardian (der in vorhandener Ausprägung auch gut von Will Ferrell hätte gespielt werden können) hier nicht wie ehedem Natashas Ehegatte, sondern ihr auf die dreijährige Zeit einer längewierige Spionagemission begrenzter Quasi-Adoptivvater. Unter anderem diese ungewöhnliche Konstellation nutzt „Black Widow“, um gezielt dem der Widow-Historie wesentlich inhärenten Pfad immer wieder aufploppender Melodramatik zu entsagen und stattdessen jenem eigenwilligen, manchmal gar ins Groteske abschweifenden Humors zu folgen. So kerntragisch sich die Schicksale der von Dreykov gekidnappten, gewaltsam ihren eigenen Vitae entledigten und zu bloßen Marionetten verformten Mädchen ausnehmen – wenn sich die zersprengte, vierköpfige Spionfamilie von einst wiedervereint, hat das annähernden Sitcom-Charakter und greift damit die unberechenbare, humorige Leichtigkeit von „WandaVision“ auf. Die Plotstruktur indes gleicht auffallend der von „The Falcon And The Winter Soldier“ – zwei dickköpfige PartnerInnen wider Willen raufen sich zusammen, um weltweit einem handlungsspendenden Macguffin nebst verdeckt operierendem Overfiend nachzujagen und ihre eigentlich doch offensichtliche Freundschaft zu kultivieren. Die gebürtige Australierin Shortland macht daraus in ihrem vierten Film den ersten zumindest annähernd feministischen Beitrag zum MCU und koppelt daran scriptbedingt zugleich klassische Pulpphantasien um Finsterlinge mit tödlichen Mädchenarmeen, wie sie der geneigte Filmhistorienwühler noch aus Mottenkugeln wie „Deadlier Than The Male“, den „Dr. Goldfoot“- oder den „Sumuru“-Filmen in Erinnerung haben mag. Auch der deutlich jüngere „Red Sparrow“ liegt als Inspirationsquell freilich nicht fern. Ein diesbezüglich hübsches Bonmot leistet sich „Black Widow“ zudem und spannt damit zugleich den Bogen zum Fallschirm-Showdown: Bei Natasha Romanovs augenscheinlichem Lieblingsfilm, den sie sogar auswendig mitsprechen kann, handelt es sich um keinen geringeren als den stets gern belächelten Bond-Querschläger „Moonraker“.

7/10

J’ACCUSE

Zitat entfällt.

J’Accuse (Intrige) ~ F/I 2019
Directed By: Roman Polanski

Frankreich, 1894. Der jüdischstämmige Hauptmann Albert Dreyfus (Louis Garrel) wird unehrenhaft aus der Armee entlassen und zu einer lebenslangen Exilstrafe auf der Teufelsinsel verurteilt, weil er für die Deutschen spioniert haben soll. Fast zeitgleich findet sich der Offizier Picquart (Jean Dujardin) zum Leiter der militärischen Spionageabwehr befördert. Nach und nach wird der durchaus systemtreue Picquart sich nicht nur der extrem dünkelhaften Arbeitsmethoden des „deuxième bureau“ und seiner Mitarbeiter bewusst, sondern auch der Tatsache, dass Dreyfus zum unschuldigen Opfer eines Komplotts geworden ist. Als Picquart beginnt, in der Sache Nachforschungen anzustellen und den Fall wieder aufrollen zu wollen, schmiedet man auf höchster Ebene und trotz prominenter liberaler Unterstützung auch gegen ihn finstere Ränke.

Mit der Lässigkeit des Altmeisters, der weder sich noch der Welt irgendetwas zu beweisen hat, adaptiert Polanski in seinem 22. Spielfilm den sich mit der authentischen Dreyfus-Affäre befassenden Historienroman von Robert Harris. „J’Accuse“, der ein ebenso eminentes wie bewegendes Thema aufgreift, nämlich den bereits zum fin de siècle eklatant überbordernden Antisemitismus in Europa, scheint Polanski so leicht und behende von der Hand gegangen zu sein wie eine Fingerübung. Nach seinen drei letzten, weniger allgemeintaugliche Sujets verhandelnden Arbeiten, wirkt sein jüngstes Werk so straight, geradeheraus und luzid wie zuletzt vielleicht noch die brillante Dickens-Verfilmung „Oliver Twist“ – für die beiden sich unweigerlich ergänzenden Geschichten um den entehrten Mustersoldaten Dreyfus und seinen „Erlöser“ Picquart wählt Polanski weder Schnörkel noch formale Spielereien, sondern berichtet stattdessen mit der Engelsgeduld des engagierten Chronisten. Gewiss interessiert ihn nicht zuletzt die Ursachenforschung nach der brutalen Schassung Dreyfus‘, die eben zu gewichtigen Anteilen auch auf antisemitische Motive zurückzuführen ist, er hebt sie jedoch nie in den Vordergrund. Vielmehr verweigert sich Polanski der Verlockung zur Spekulation, nimmt eher die Warte des sich zur nüchterner Sachlichkeit verpflichtenden Gerichtsprotokollanten ein und liefert einen wohltemperierten, nichtsdestotrotz von gebührlicher Spannung getragenen Abriss der historischen Tatsachen.
Dass Polanski dabei abermals großes Erzählkino und noch dazu seinen besten Film seit vierzehn Jahren abliefert, ist erfreulich. Dass weiterhin mit ihm, zeitlebens einer meiner Lieblingsregisseure, zu rechnen ist, finde ich aber noch sehr viel erfreulicher.

9/10

TENET

„Lying is the Standard Operational Procedure.“

Tenet ~ USA/UK 2020
Directed By: Christopher Nolan

Nach einem vermeintlich gescheiterten Einsatz in Kiew erwacht ein CIA-Agent (John David Washington) auf einem Schiff vor der dänischen Küste, wo er für eine mysteriöse Geheimoperation namens „Tenet“ eingeschworen wird. Der Agent erfährt kurz darauf, dass eine brandgefährliche Technologie aus der Zukunft es ermöglicht, physikalische Kausalitäten zeitlich umzukehren, also zu invertieren. Dies funktioniert sowohl mit Gegenständen als auch mit lebenden Objekten. Einige vom Geheimdienst aufgefundene Pistolenkugeln etwa weisen eine invertierte Charakteristik auf; sie werden nicht abgefeuert, sondern fliegen, nachdem sie ihre tödliche Wirkung hinterlassen habe, zurück in die Waffe. Man befürchtet, dass die invertierten Funde auf nichts Geringeres denn die bald zu erwatende Vernichtung der Welt hindeuten. Die erste Spur führt den Agenten über Mumbai, von wo aus die mächtige Waffenhändlerin Priya (Dimple Kapadia) operiert, und dann zu dem russischen Oligarchen Sator (Kenneth Brannagh) respektive dessen unglücklicher Gattin, der Kunsthändlerin Kat (Elizabeth Debicki). Wie sich bald herausstellt, hat Sator das Geheimnis um die Invertierungen bereits gelöst und er führt nicht Gutes damit im Schilde. Der Agent erhält indes wertvolle Hilfe von dem Physiker Neil (Robert Pattinson)…

Mit jedem neuen Film empfinde ich das Phänomen Christopher Nolan als immer sonderbarer. Vermutlich kann Nolan sich als jener Filmemacher erachten, der von seinem Hausstudio Warner die größtmöglichen Budgets in Kombination mit absoluter kreativer Narrenfreiheit erhält, weil sich etliche Kinoliebhaber auf ihn einigen können. Einzig das Warum ist mir bislang schleierhaft geblieben. Was die Inhalte der meisten seiner Filme anbelangt, so fällt zunächst einmal überdeutlich ins Auge, wie sehr sie sich in ihrer umständlich ausgewalzten Narration und vermeintlichen Plot-Cleverness suhlen. Das macht sie mir nicht eben sympathisch und „Tenet“ bildet diesbezüglich alles andere als eine Ausnahme. Nolan sucht geradezu krampfhaft nach innovativen Konzepten und biedert sich zugleich in eklatanter Weise dem Zeitgeist an, indem er reaktionäre und somit bornierte wokeness platziert. Der Held ist a person of colour, seine love interest (die stets freilich bloße interest bleibt) nicht, dafür aber zwei Köpfe größer als er. Potenziellen Beschwerden aus diesen Ecken hat man also wohlweislich vorgebeugt. Und erneut wechselt Nolan auf ebenso willkürliche wie fragwürdige Art und Weise zwischen den Bildformaten und müht sich, neben Spannung auch Kinetik und Publikumsinvolvierung zu erzeugen – doch nichts davon gelingt ihm zur Gänze. Mit der sich gewiss brillant wähnenden Idee, Entropien umzukehren, erreicht die verwendete Bildsprache zugleich auf paradoxe Weise das Gegenteil ihrer eigenen Intention: Aktion, die umgekehrt abgespult wird, sich also der kausalitätsgeschulten Wahrnehmung des Rezipienten diametral zuwider entblättert, wirkt in der schlussendlichen Realisierung schlicht unbeholfen, stumpf, befremdlich, kaltlassend. Besonders der Showdown des Films, ein wildes Gepöhle aus invertierten und nichtinvertierten Schießereien und Explosionen, verliert sich hoffnungslos in der Unübersichtlichkeit und wirkt flugs nur noch drög und langweilig.
Der Film ist Ganzes bietet indes nicht mehr als eine aufgemotzte Bond-Variation mit SciFi-Content als eher mäßig positioniertem MacGuffin. Der namenlose, als „Protagonist“ seiner eigenen Geschichte (der „Clou“: er selbst wird die Rettung der Welt dereinst als künftiger Invertierungskünstler arrangieren) verkaufte Agentenheld jettet rund um die Welt und durch alle möglichen Gelegenheiten exotischen und luxuriösen Ambientes und schaukelt das Kind mithilfe seiner teilweise bereits in wohlfeiler Kenntnis befindlichen Partner. „Memento“ lässt grüßen, nur dass der wirklich noch interessant war.
„Tenet“ hat bereits jetzt den hochexklusiven Status inne als jener Film, der sich den Status als erster wider die Pandemie lancierter Blockbuster ans Revers heften kann. Der große Blender Nolan hat’s also – zumindest in dieser Hinsicht – mal wieder geschafft. Ich hätte eine solche Ehre zig anderen Werken gegönnt – diesem hier nicht.

5/10

KIM

„The sky is the same color wherever you go.“

Kim ~ USA 1950
Directed By: Victor Saville

Indien in den 1890ern. In den Slums von Lahore schlägt sich Kim (Dean Stockwell), ein irischstämmiger Waisenjunge, mit allerlei Keckheit und Finesse durchs Straßenleben. Stark angepasst an die landeseigene Kultur spielt sein Erbe als Sohn weißer Eltern nurmehr eine untergeordnete Rolle für ihn. Zwei besondere Freundschaften zu erwachsenen Männern bestimmen bald seine künftige Existenz: Die zu dem rotbärtigen, für die Briten arbeitenden Agent Mahbub Ali (Errol Flynn), der Kim als Spitzel anlernt und die zu einem alten tibetanischen Lama (Paul Lukas), der zu Kims spirituellem Ersatzvater wird. Nachdem Kim seine wahre Herkunft – sein verstorbener Vater stand als Soldat im Dienste der Armee – sowie seinen echten Namen Kimball O’Hara jr. entschlüsselt hat, kommt er an ein renommiertes Internat. Die Ferien jedoch verbringt er wieder mit seinen alten Freunden, wobei ein gefährliches Abenteuer mit zwei russischen Spionen (Roman Toporow, Ivan Triesault) auf ihn wartet…

Die nach Rudyard Kiplings berühmtem Roman entstandene Adaption ist einer der schönsten und prächtigsten Abenteuerfilme seiner Ära und wohl auch überhaupt. Das Verfilmungsprojekt schlummerte bereits Jahre zuvor in der development hell bei MGM, bis es dann schließlich unter der Regie des Engländers Victor Saville zum Leben erweckt werden konnte. Unter anderem sorgte der Zweite Weltkrieg nebst seiner politischen Ausgangssituation dafür, dass die antirussische Haltung von Roman und Film, deren Geschichte der stark imperialistisch geprägte Kipling zwischen dem zweiten und dritten afghanischen Krieg angesiedelt hatte, sich zuvor nicht komplikationslos hätte umsetzen lassen. Mit dem nunmehr beginnenden Kalten Krieg hatten sich die Verhältnisse bekanntermaßen gedreht. Freilich verzichtet Savilles Werk auf einige der episodisch angelegten Nebenmstränge des Buchs und setzt ganz auf Technicolor-Pracht und einen sehr romantisierenden, durch subjektive Kinderaugen eingefangenen sense of wonder in Anlehnung an Alexander Kordas Produktionen mit dem jungen Sabu. Dennoch bleibt er vornehmlich für erwachsene Betrachter interessant, indem er die durch seinen Autoren geprägte, kolonialistische Historizität präserviert. Darin verweben sich das vormalige Indien, die britische Vormacht, die exotischen Mysterien und die Multireligiosität Südasiens zu einem Abenteuerwundeland, das sich eben am Vortrefflichsten durch eine unschuldige Protagonistenperspektive examinieren lässt.
Seine vordringliche emotionale Spannkraft bezieht der Film zudem aus der Dreiecksgeschichte Kim – Mahbub Ali – Lama, dreier ja vollkommen unterschiedlicher Protagonisten, die sich spirituell immer weiter annähern. Vor allem die Beziehung zwischen dem Jungen und dem einerseits weltfremd erscheinenden und doch so weisen Alten rührt zu Tränen, zumal der Film letzterem kein so hoffnungsvolles (oder besser: ein endgültigeres) Finale gönnt wie der Roman.
Victor Saville, der bald darauf mit dem Großprojekt „The Silver Chalice“ dermaßen crashte, dass seine Karriere abrupt beendet war, erlangte niemals das Renommee vergleichbarer Regisseure seiner Ära, was man zumindest in Anbetracht der Formvollendung von „Kim“ nur als höchst bedauerlich bezeichnen kann.

9/10