FRESH

„I just don’t eat animals.“

Fresh ~ USA 2022
Directed By: Mimi Cave

Von Dating-App-Treffen hat Noa (Daisy Edgar-Jones) fürs Erste die Nase voll, nachdem der zuletzt frequentierte Typ (Brett Dier) sich abermals als die befürchtete Vollniete erwiesen hat. Als sie – ganz klassisch – den attraktiven Steve (Sebastian Stan) wie beiläufig im Supermarkt kennenlernt, ist sie daher umso begeisterter, zumal dieser das große Los abzugeben scheint. Nach ein paar romantischen Dates lädt Steve Noa dann zu einem Cottage-Wochenende ein. Entgegen allen Warnungen ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) sagt sie zu – und landet betäubt und angekettet im Keller eines schnieken Bungalows im Nirgendwo, wo ihr Steve seine wahren Beweggründe offenbart: Er verkauft Frauenfleisch an einen Zirkel höchst wohlhabender Kunden und delektiert sich allenthalben auch selbst gern an seiner exklusiven Ware. Noa wittert ihre einzige Chance zu überleben darin, den Kannibalen weiterhin zu becircen…

Als deftige #MeToo-Satire, die übergriffiges Männerverhalten bis ins wahrscheinlich letztmögliche Extrem treibt, passt „Fresh“ sich der noch recht jungen Wokeness-Genre-Kultur an. In seinen besten Momenten erinnert er an die Filme von Jordan Peele, verbeißt sich aber dann doch immer wieder sehr grantig in seine alles umreißende „Männer sind Schweine“-Agenda und lässt es an der Innovation intrinsischer Verrücktheiten mangeln. Die aburteilende Mittzwanziger-Realität von Noa und Mollie wirkt dabei auf den sich unschuldig wähnenden, heterosexuellen Penisträger wenig einladend – wer keinen Insta- oder Twitter-Account hat, ist automatisch ein Verdachtsfall und jedwedes Ressentiment an männliche Adressaten bestätigt sich irgendwann im Laufe des Films. Das formulieren Cave und die Scriptautorin Lauryn Kahn allerdings so hübsch konsequent-kiebig und mit ausschließlichen maskulinen Widerlingen auf der Antagonistenseite, dass es dann doch wieder mancher Sympathien wert ist, zumal Daisy Edgar-Jones das Ganze mit einiger Chuzpe zu tragen vermag. Als ausgewiesener Horrorfilm wäre „Fresh“ indes weniger bemerkenswert; das terrorisierende Psychopathen-Keller-Kidnapping-Szenario wurde nicht erst justament („Alone“, „The Black Phone“ et. al.) dann doch allzu häufig durchexerziert und ermüdet den Nicht-Gelegenheitsgucker demzufolge geflissentlich. Bleiben die netten Fleischverarbeitungs- (und -konsumierungs) -Momente, ein paar lang nicht gehörte Achtziger-Heuler (Steve tanzt gern zu seichter Popmusik jener Ära), der alles in allem als gelungen zu wähnende metaphorische Ansatz sowie die rekordverdächtig späte Einarbeitung der Titelsequenz in der 33. (!) Filmminute.

7/10

BECKY

„When she was bad, she was horrid.“

Becky ~ USA 2020
Directed By: Jonathan Milott/Cary Murnion

Die dreizehnjährige Rebecca „Becky“ Hooper (Lulu Wilson) hat es nicht leicht. Ihre Mutter ist vor einiger Zeit an Krebs gestorben und ihr Dad (Joel McHale) beabsichtigt, sich neu zu verheiraten. Bereits die Vorstellung Beckys und der Stiefmutter (Amanda Brugel) in spe nebst deren Filius (Isaiah Rockcliffe) gerät zur Kleinkatastrophe, der die renitente Becky aus dem Weg geht, indem sie sich mit ihrem treuen Hund Diego in ihrer Waldhütte verschanzt. Zeitgleich taucht in dem entlegenen Wochenendhaus ein Quartett Krimineller (Kevin James, Robert Maillet, Ryan McDonald, James McDougall) auf, das von dem entflohenen Häftling und Neonazi Dominick (James) angeführt wird, der einen ominösen, im Haus versteckten Schlüssel sucht. Als Becky erkennen muss, dass mit den Verbrechern nicht zu spaßen ist, lässt sie ihrer lange im Verborgen gehaltenen Wut freien Lauf.

„Children In Heat“ sang Glenn Danzig einst, aber das mit „no resistance“ trifft auf Becky Hooper alles andere als zu. „You can’t control them“ schon eher. Eine der schönsten Überraschungen der letzten Zeit war dieser doch schwer Staunen machende Knüppelausdemsack des mir bislang unbekannten Regieduos Milott/Murnion. Zunächst lag „Becky“ gar nicht innerhalb meines Planungsradius, aus naheliegenden Gründen. Der den Film umwabernde, virale Dunst schien etwas in der Art einer derberen „Home-Alone“-Variante zu versprechen und auf ein naseweises Kind, dass Kevin James als Obergangster Mausefallen an die Nase pappt, hatte ich nicht wirklich Bock. Glücklicherweise hat mich ein nachgehend kaum mehr verifizierbarer, urplötzlicher Jieper doch noch umgestimmt – „glücklicherweise“, weil ich ja nicht ahnen konnte, welch böse, bärbeißige Überraschung sich hinter diesem oberflächlich so trivial anmutenden Kleinod verbirgt.
Der unscheinbar betitelte „Becky“ entbietet sich als ein gar nicht mal komischer, herber Home-Invasion- respektive Revenge-Thriller, garniert mit höchst unüblichen, weil extrem unbequem eingewebten Coming-of-Age-Versatzstücken. Wir hätten hier also ein nachhaltig frustriertes, frühpubertäres Mädchen in der Postlatenz, das ohnehin eine heftige Identitätskrise durchleben muss. Die Mutter tot, der Vater auf der Suche nach dem Weiterleben, der eine der beiden (Familien-)Pitbulls (Dora) everybody’s cozy darling. Bleibt eigentlich nur Beckys herzenstreuer Liebling Diego, der ihr dann auch nach Kräften im adrenalinzehrenden Kampf gegen die vier Unholde beisteht. Bei selbigem entwickelt die junge Dame dann höchst unfeine Einfälle, die sie mit aller unterschätzten Willenskraft in die Tat umsetzt, was für die Gangster bedeutet, dass die spätere Identifikation ihrer Leichen sich teils extrem schwierig gestalten wird. Wie Milott und Murnion jenen kleinen Feldzug gestalten, das ist tatsächlich ganz wunderbar und meistert die schwierige Gratwanderung zwischen Groteske und ernstzunehmendem Splatter absolut behende.
Lulu Wilson, die den Wahnsinn ja bereits per se ein wenig im Blick trägt, kultiviert ihre Titelrolle mittels einer bravourösen Mischung aus Orientierungslosigkeit, Traurigkeit und sublimierter Aggression, die Becky trotz ihrer verlorenen Position zu Beginn des grausamen Spiels tatsächlich zu einem Faktor macht, mit dem zu rechnen ist. Kevin James derweil genießt mit dick in den Nacken tätowierter Swastika erwartbar ausgiebig den Bonus, ausnahmsweise auch mal den bad guy geben zu können, was wiederum mit höchstens ganz feinen, ironischen Spitzen geschieht, die seinen als Nazi sowieso von grundauf verachtenswerten Charakter dessen angestammten Antagonistenplatz stets zur Gänze zugewiesen lassen. Dass die (MacGuffin-)Funktion jenes seltsamen Schlüssels, in dessen Besitz sich Becky bis zum Abspann befindet, der Publikumsspekulation überlassen bleibt, finde ich derweil wenig ansprechend gelöst. Eine mögliche Fortsetzung, in der die Kurze im amerikanischen Nazi-Untergrund aufräumt, möge uns um Himmels Willen erspart bleiben, der sehr gute Eindruck des rotzigen „Becky“ wäre gewiss dahin.

8/10

UNHINGED

„All I have is violence and retribution… because that’s all I’ve got left.“

Unhinged ~ USA/UK 2020
Directed By: Derrick Borte

Als die in mehrerlei Hinsicht gestresste Rachel (Caren Pistorius) sich mit einem übellaunigen, voluminösen Pick-Up-Fahrer (Rusell Crowe) im morgendlichen Straßenverkehr anlegt, kann sie nicht ahnen, dass der Unbekannte nächtens zuvor seine geschiedene Frau sowie deren neuen Partner erschlagen und außerdem einen massiven Cocktail aus diversen Psychopharmaka intus hat. Der Fremde kürt Rachel zu seinem Opfer und macht ihr und ihrem Sozialumfeld die kommenden Stunden zur Hölle.

Und wieder eine terrorfilmische Variation von Altbekanntem, diesmal eine frisch aufgebrühte Melange aus „Cape Fear“ (neu und alt), Schumachers „Falling Down“ und – in Ansätzen – Roger Michells „Changing Lanes“. Dass es Derrick Borte gelingt, die zumindest den etwas älteren und „beseheneren“ Filmsemestern hinlänglich geläufigen Motive der erwähnten Werke aufs Neue schmackhaft zu machen und spannend aubzuliefern, würde ich vornehmlich seiner Gelassenheit zuschreiben. Borte versucht gar nicht erst, etwas bahnbrechend Neues vorzustellen, sondern konzentriert sich in aller Ruhe auf sein kleines, gemeines Straßenduell und dessen berserkernden Fortlauf. Ein absoluter Garant für dessen Funktionieren ist der um sein Dreifaches angewachsene Russell Crowe, dessen physische Ausmaße insbesondere im Vergleich zu früher an einen Marlon Brando erinnern. Mit seiner Körpermasse scheint auch eine ganze Menge schwitzendes Wutpotential Einzug gehalten zu haben, jedenfalls spielt er den namenlosen Entgleisten mit einer tatsächlich beängstigenden, bedrohlichen Wucht, die Crowes Darbietung zu einer seiner denkwürdigsten und besten macht. Gut, das gemeine Logiktierchen ist bei Szenarien wie dem vorliegenden niemals fern und man fragt sich schon, wieso der bullige rampage man, abgesehen davon, dass ihm ohnehin alles scheißegal ist und er sowieso frontal auf ein gewaltsames Ende seiner Ein-Mann-Stampede zusteuert, überhaupt soviel Unheil anrichten kann, ohne dass ihn jemand (z.B. die Polizei?) rechtzeitig ausbremst. Aber die moderne Kommunikastionstechnik mit Smartphones, Tablets, GPS und sonstigem Pipapo erlaubt diverse mehr oder weniger erwartbare Wendungen und Zufälle bis zum erwartbar bösen, freilich aber happyendenden Showdown.
Und letzten Endes will man ja auch gar nicht Drehbuchdetektiv spielen, sondern sich reichhaltig daran ergötzen, welche Kollateralschäden der mithin ungebremste Amoklauf eines irrlichternden Russell Crowe denn so mit sich bringt. Und in dieser Beziehung bekommt man bei „Unhinged“ einiges an Holz.

7/10

ALONE

„Just need to take care of something.“

Alone ~ USA 2020
Directed By: John Hyams

Nach dem Selbstmord ihres Mannes (Jonathan Rosenthal) zieht Jessica (Jules Willcox) aus der gemeinsamen Wohnung aus. Mit Sack und Pack im Anhänger begibt sie sich auf eine langwierige Autoreise zu ihrem neuen Heim, die sie durch die gebirgige Provinz Oregons führt. Unterwegs überholt sie einen sich seltsam verhaltenden Jeep-Fahrer (Mark Menchaka), nicht die letzte Begegnung mit dem Mann. Jener entpuppt sich nämlich schon bald als gefährlicher Psychopath, der offenbar bereits routiniert darin ist, Frauen zu kidnappen, in einer abgelegenen Waldhütte gefangenzuhalten und dann sonstwas mit ihnen anzustellen. Obgleich ihre Gegenwehr ziemlich aussichtslos ist, nutzt Jessica jede sich bietende Chance, dem Unbekannten zu entkommen.

Nach seinen sehr wohlwollend beleumundeten beiden „Universal Soldier“-Sequels schürt Peter Hyams‘ ebenfalls im Regiefach tätiger Sohn John die Erwartungen genreaffiner Cinephiler mit jedem neuen Projekt. Sein jüngstes Werk „Alone“, das Remake eines (mir unbekannten) schwedischen Films namens „Försvunnen“ (dessen Autor Mattias Olsson auch für das „Alone“-Script verantwortlich zeichnet), erweist sich als eine ausgereifte Fingerübung im Suspense-Fach, die ihre gute Schmierung vor allem Hyams‘ vortrefflicher Mise-en-scène verdankt. Während sowohl der Plot als auch dessen Dramaturgie auf hinlänglich bekannte Motive des Kidnapping-Thrillers und Terrorkinos zurückgreifen, man sich als Rezipient diesbezüglich also zwangsläufiger Schablonenhaftigkeit aussetzt, überzeugt Hyams mit formaler Rafinesse und dem allzeit spürbaren Ehrgeiz, Althergebrachtes gleichsam anregend zu recyceln. Wo ein Stoff, wie „Alone“ ihn zentriert, in den letzten zehn, fünfzehn Jahren üblicherweise als morastige Rape-&-Revenge-Story mit deftiger Effektarbeit verhandelt worden wäre, befleißigt sich Hyams mithin klassischer Formeln und bereitet diese durchaus erfolgreich wieder auf. Audiovisuell forcierte Sadismen, wie sie durch Vergewaltigung oder Erniedrigung des (vornehmlich weiblichen) Opfers innerhalb der Gattung jüngst reetabliert haben, finden in „Alone“ keinen Platz, ebensowenig wie ostentativ befleißigte Make-Up-Arbeit. Ganz nach hitchcock’scher Lehre setzen die Ereignisse uns von Anfang an in exakt dieselbe Wissens- und Wahrnehmungsspur der Protagonistin und lassen diese in all ihrer Verzweiflung gerade so rational agieren, wie das Gros des Publikums es an ihrer Stelle ebenso täte; weder erweist sich Jessica als so dumm, potenzielle, aber allzu riskante Offensiven zu ergreifen, noch sich während ihrer Flucht durch die plumpen Provokationen ihres angenehm „menschlich“ gezeichneten Widersachers beirren zu lassen. Der bloße Überlebensinstinkt setzt das Opfer hier ausnahmsweise wirklich mal in den naheliegenden psychologischen Vorteil der in die Ecke gedrängten Gejagten und mit einigem Genuss wohnt man dieser dann auch bei, wie sie im Showdown zunächst die verwundbarste Stelle des an sich biederen Wochenend-Gewalttäters sondiert und sich zunutze macht.
Ein sich auf angenehme Weise entrollender, konzentrierter Film somit, der es sich weitaus weniger leicht macht als es zunächst den Anschein hat.

7/10

WRONG TURN

„These people see me. I belong to them. They belong to me.“

Wrong Turn (Wrong Turn: The Foundation) ~ USA/D/UK 2021
Directed By: Mike P. Nelson

Scott Shaw (Matthew Modine) sucht seine spurlos verschwundene Tochter Jen (Charlotte Vega) , die sich vor einigen Wochen gemeinsam mit ihrem Freund Darius (Adain Bradley) und zwei weiteren Pärchen, Milla (Emma Dumont) und Adam (Dylan McTee) sowie Luis (Adrian Favela) und Gary (Vardaan Arona), auf eine Wandertour in den Appalachen Virginias begeben hat.
Scott stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens, offenbar sind die einheimischen Kleinstädter auf „Hipster“ aus dem urbanen Akademiker-Milieu per se nicht gut zu sprechen und begegnen ihnen offensiv. Als Scott mithilfe der Motelwirtin Aileen (Amy Warner) herausfindet, dass Jen und die anderen tatsächlich hier waren und spurlos in den Bergen verschwunden sind, begibt er sich auf eine blutige Spur der Nachforschung.

Alan B. McElroy, der Autor des vor 18 Jahren entstandenen, originalen „Wrong Turn“, zeichnet nun auch für das Script des Reboots verantwortlich, dass seinen Titel wohl nur allein deshalb trägt, weil die Constantin Film nach wie vor die Namensrechte an dem Franchise hält und die nominelle Kuh nochmal ein wenig zu melken gedachte. Bis auf den Schauplatz, die unwegsamen, gemeinhin als Kinosymbol für ein paralleles Amerika stehenden Appalachen nämlich, und die Tatsache, dass die titelgebende, falsche Abzweigung ins Verderben führt, gibt es so gut wie keinerlei motivische Gemeinsamkeiten. Der neue „Wrong Turn“ liegt vielmehr ganz auf der aktuellen Wokeness-Welle, die dem Horrorgenre bereits seit längerem eine strukturelle, rote Linie vorgibt. Die illustre, inzestuöse Kannibalen-Sippe aus Rob Schmidts damaligem Film und dessen fünf Sequels wird völlig beiseite geschoben zugunsten einer von der äußeren Gesellschaft losgelösten, in völliger Autarkie existierenden Subkultur namens „The Foundation“. Diese hat sich bereits vor dem Sezessionskrieg herausgebildet mit dem erklärten Ziel, bei Bedarf als wohlorganisierte Kernzelle eines neuen Amerika fungieren zu können, unabhängig von Hautfarbe, religiöser oder sexueller Ausprägung ihrer Mitglieder. Doch der vermeintlich utopische Sozialismusschein trügt: Die jedweder modernen Technik entsagenden, in vielerlei Hinsicht Archaismen zusprechenden Waldmenschen frönen nicht nur einer bizarren, paganistischen Dogmatik, die unter anderem eine eigene Sprache enthält, sondern pflegen zudem – nicht zuletzt aus Gründen der Geheimhaltung – eine drakonische Form der Rechtsprechung. Wer sich der Foundation ungebeten nähert oder sie entdeckt, wird in der Regel geblendet und hernach in einem Höhlensystem sich selbst überlassen; wer sich aktiv dagegen wehrt, den erwartet gar ungehend die Todesstrafe. Allerdings gibt es eine Ausnahme: die bedingungslose Adaption an das System sowie der aufrichtige Schwur, fortan als funktionaler Bestandteil der Gemeinschaft weiterleben zu wollen, erspart einem das barbarische Ende. Jens Überlebenswille reicht insoweit aus, dass sie dank ihres situativ forcierten Geschicks zumindest sich selbst und Darius retten kann, um dann schließlich von ihrem Vater gefunden zu werden und mit ihm fliehen zu können. Dass sie dabei selbst zur erbarmungslosen Kämpfernatur wird und gewisserrmaßen den Rückgriff auf ihr eigenes atavistisches Erbe antreten muss, erweist sich als unabdingbar für ihre lokale und auch psychische Selbstbefreiung.
So sehr „Wrong Turn“ 21 sich auch bereits jetzt als gattungsbezogenes Zeitdokument offenbart und sich zumindest für das Studium der Wandelbarkeit des Horrorgenres geradezu exemplarisch anbietet, so durchschnittlich scheint mir sein Timbre in Bezug auf Form und Mechanik. Wo etwa das ursprüngliche Serial, analog zu kleiner werdenden Budgets und demzufolge eingeschränkteren Produktionsbedingungen eine zunehmend grelle (mit Declan O’Briens „Wrong Turn 4: Bloody Beginnings“ ihre Klimax erreichende) Bildsprache kultiviert, deren ausufernd perfide Brutalität unverhohlen sensationalistisch daherkam, scheint mir Nelsons Reboot zwar nicht eben zahm, aber doch als recht eindeutige Absage gegen allzu ostentativ vorgetragene Exploitation-Mechanismen. Diesbezüglich führt sich allerdings eine der Reihe vormals fest inhärent Facette selbst ein Stück weit ad absurdum; Zurückhaltung und Pietät sind Merkmale, mit dem sich das Konzept „Wrong Turn“ zumindest in meiner Wahrnehmung kaum in derselben Schnittmenge befindet.

6/10

TURBULENCE

„Say your prayers.“

Turbulence ~ USA 1997
Directed By: Robert Butler

Just an Heiligabend werden zwei vermeintliche, arretierte Schwerverbrecher in einer ansonsten fast leeren Linienmaschine von New York nach Los Angeles überführt. Einer von ihnen, Ryan Weaver (Ray Liotta), der als Serienmörder bereits mehrere Frauen auf dem Gewissen haben soll, konnte nur deshalb verhaftet werden, weil der ermittelnde Polizist (Hector Elizondo) gezielt Beweise gefälscht hatte. Weaver beteuert derweil vehement seine Unschuld. Als der andere Kriminelle, Stubbs (Brendan Gleeson), an Bord der bereits in der Luft befindlichen Maschine Amok läuft, kann Weaver ihn aufhalten. Zu diesem Zeitpunkt ahnt die zunächst erleichterte Flugbegleiterin Teri Halloran (Lauren Holly) noch nicht, dass Weaver tatsächlich ein gemeingefährlicher Psychopath ist…

Das Szenario der mit einem wahnsinnigen Mordbuben auf engstem Raum eingepferchten, zunächst schutzlos erscheinenden Frau beschreibt im Psycho-Thriller ein bereits mehrfach variiertes Motiv. Die Hilflosigkeit der Heldin wird dabei oftmals noch durch ein zusätzliches körperliches oder räumliches Handicap unterstrichen beziehungsweise intensiviert: In Richard Fleischers „See No Evil“ beispielsweise bekam Mia Farrow es als Blinde in einem entlegenen Landhaus mit einem garstigen Mehrfachmörder zu tun; im erst letzthin noch von revisionierten „Dead Calm“ von Phillip Noyce hieß es für die schwersttraumatisierte Nicole Kidman, sich des Irren an Bord eines weitab segelnden Schoners erwehren muss. „Turbulence“ greift diese Grundprämisse erneut auf und versetzt sie in das kurz zuvor mit Bairds „Executive Decision“ und „Con Air“ reaktivierte Action-Flight-Setting, das seine Wurzeln wiederum im klassischen Katastrophenfilm hat. Besonders der zeitweilig irrlichternde Spaßfaktor des letztgenannten findet sich auch in Butlers Film wieder, der sich im Prinzip gleich von Beginn an und dann über die gesamte Spielzeit hinweg nie wirklich ernst nimmt. Allein die Plotbasis, zwei besonders schwere Jungs von vier mehr oder weniger überforderten Agents in eine Verkehrsmaschine zu setzen, darf man wohl als höchst hanebüchene Ausgangslage bezeichnen, die analog zu dem sich mehr und mehr exaltiert verhaltenden Liotta (der eine ganze Portion überkandidelter Spielfreude an den Tag legt) dann auch bald nochmal an Überzuckerung gewinnt. Das sich über den Wolken entspinnende Duell zwischen ihm und Lauren Holly als über sich hinauswachsende Stewardess geriert sich entsprechend spaßig und seine potenzielle Terrorgenealogie eifrig mit Füßen tretend. Nette Ideen wie die (im modernen Weihnachtsfilm offenbar ohnehin unvermeidliche) Reminiszenz an „It’s A Wonderful Life“ stützen den lustvoll ausgestellten Hyperrealismus des Ganzen. Eine allzu seriöse Begegnung mit „Turbulence“ gestaltet sich insofern als nahezu unmöglich, würde seinem Duktus als heimliche Komödie allerdings auch kaum gerecht.

6/10

DEATH WEEKEND

„You’ll get yours, baby!“

Death Weekend (Party des Grauens) ~ CA 1976
Directed By: William Fruet

Sein wie üblich routiniert vorgeplantes Wochenend-Schäferstündchen hat sich der narzisstische Zahnarzt Harry (Chuck Shamata) anders vorgestellt: Anders als die freigiebigen Damen, die er sonst mit in seine großzügig möblierte Provinzvilla nimmt, lässt sich Diane (Brenda Vaccaro) so gar nicht vom öligen Charme und all den ihr präsentierten Luxusdevotionalien einfangen, sondern zeigt Harry flugs die Rote Karte. Doch viel schlimmer: Vier brutale Rowdys (Don Stroud, Richard Ayres, Kyle Edwards, Don Granberry) die die am Steuer von Harrys Chevrolet sitzende Diane auf dem Weg im Zuge eines provozierten Rennens von der Straße gedrängt hat, verfolgen die beiden rachedürstig in die Abgeschiedenheit und nisten sich in Harrys Haus ein. Ihre fiesen Schikanen nehmen immer gewalttätigere Formen an, bis Diane sich unbarmherzig zur Wehr setzt.

Home Invasion, Rape & Revenge, Terrorfilm: Die zweite Regiearbeit des Kanadiers William Fruet lässt sich in umweglos all diesen Kategorien zuordnen und fügt jeder von ihnen einen leider viel zu übersehenen Höhepunkt zu. Dabei verzichtet er sogar weitgehend auf die dramaturgischen Ingredienzien, die das Subgenre so berüchtigt machen und seinen populärsten Vertretern in der Vergangenheit immer wieder zensorische Hürden, Beschlagnahmungen und Verbote eintrugen: Auf der rein visuellen Ebene hält sich Fruet erstaunlich zurück und lässt das obligatorisch-transgressive Moment sich nahezu ausschließlich durch die Schürung einer sich zunehmend hoffnungslos gestaltenden Atmosphäre erwachsen. Die tolle Brenda Vaccaro steht in ihrer Rolle als Diane exemplarisch dafür und nimmt als feministisch tragfähige Heldin den Zuschauer von Anfang an bei der Hand. Weder ausgesprochene Schönheit (dass das Script sie als „Model“ veräußert, scheint etwas weit hergeholt), noch fragiles Mauerblümchen wird sie gleich zu Beginn als selbstbewusste Frau eingeführt, die sich nicht in Geschlechterklischees fügt, sondern vielmehr geradeheraus und durchaus sendungsbewusst genau für deren Ausräumung steht. Der erste, der sich damit zu arrangieren hat, ist der selbstherrliche Zahnarzt, ein Angeber, der glaubt mit Position und Besitztümern stets genug Eindruck schinden zu können, um sich an jedem Wochenende ein anderes Betthupferl zu sichern. An klare Worte ist er offensichtlich nicht gewöhnt, umso nötiger hat er sie. Mit der Verbalräson ist es jedoch endgültig vorbei, als sich der psychopathische Lep (Stroud) und seine nicht minder bösartigen Vasallen Zutritt in Harrys mondänes Eigenheim verschaffen. Der reichhaltige Konsum von Alkohol und Gras lässt sie zunehmend jedwede Vernunft und Menschlichkeit mit Füßen treten und schließlich mit offenem Vandalismus und Gewalt agieren. In die Ecke der Verzweiflung gedrängt, bleibt Diane nur der eine Ausweg, sie mit noch abgefeimteren Methoden abzuservieren, um selbst überleben zu können. Als sie dann die existenziell notwendigen Akte der Selbstjustiz begeht, hat sie wiederum sämtliche Sympathien des Rezepienten auf ihrer Seite und damit natürlich auch alle Rechtfertigungen des wirkmächtigen Exploitationfilms – wer selbst alle Humanität mit Füßen tritt, muss das forcierte Echo in Kauf nehmen. Dass die vier Widerlinge farbenfroh ins Gras zu beißen haben, scheint da längst nurmehr obligatorische Kausalität.
Fruet kann sich auf ein hervorragendes Ensemble verlassen – neben Vaccaro sticht besonders der wie üblich verlässliche Don Stroud als ultragemeiner Hundsfott hervor – und lässt mit seiner Hilfe die Kneifzange zuschnappen. Und zwar da, wo’s wirklich wehtut!

8/10

3 FROM HELL

„All hail the man behind the grease paint!“

3 From Hell ~ USA 2019
Directed By: Rob Zombie

Entgegen allen Erwartungen haben Baby Firefly (Sheri Moon Zombie), Otis Driftwood (Bill Moseley) und Captain Spaulding (Sid Haig) ihre bleihaltige Konfrontation mit den Staatsbediensteten überlebt und harren nunmehr im Gefängnis ihrer Todesstrafen. Nachdem einige Zeit später der Captain bereits auf dem Schmorstuhl gelandet ist, gelingt dem Halbbruder der beiden Verbliebenen, Winslow Foxworth „Foxy“ Coltrane (Richard Brake), auch „Midnight Wolfman“ genannt, die Befreiung Otis‘, die dieser gleich noch zur spontanen Rache an einem alten Erzfeind, dem ebenfalls einsitzenden Kopfgeldjäger Rondo (Danny Trejo), nutzt. Später pressen Otis und Foxy noch Baby frei. Gemeinsam flieht das Trio über die mexikanische Grenze, wo just der Día de Muertos begangen wird. Ein schmieriger, lokal ansässiger Kneipenwirt namens Carlos Perro (Richard Edlund) verpfeift derweil die Drei an Rondos vergeltungsbedürftigen Sohn Aquarius (Emilio Rivera), der mit diversen henchmen in Catchermasken und schwerem Geschütz anrückt, um die „3 from Hell“ in ihre nominelle Heimat zurückzuschicken.

Manche Toten sollte man besser ruhen lassen. Das gilt auch für die Firefly-Sippe, der Rob Zombie nach ihrem und seinem wüsten Filmdebüt „House Of 1000 Corpses“ im kurz darauf folgenden, herrlich garstigen Sequel „The Devil’s Rejects“ einen der denkwürdigsten Abgänge der Filmgeschichte verehrt hatte. Doch kennt Zombie, dessen Budgets beständig schmaler sowie Zuschauerzahlen beständig geringer werden und dessen Filme auch qualitativ einem sukzessiven Abwärtstrend zu folgen scheinen („31“ wartet bislang noch ungesehen in meinem Regal), kein Erbarmen – weder mit seinem Publikum noch mit den Fireflys. Andererseits scheint deren buchstäbliche Reanimation im Rahmen seines höchsteigenen Fanboy-Werks dann doch wiederum eine folgerichtige Entwicklung. Erwartungsgemäß mangelt es dem dritten Part der Redneck-Rampage-„Saga“ (weitere dürften folgen, daran lässt das Finale wenig Zweifel) an den herausragenden Qualitäten des Vorgängers. „3 From Hell“ ergeht sich in wenig gelungenen Selbstzitaten, rekapituliert Elemente wie das Home-Invasion-Szenario des Vorgängers nebst dessen Racheelement durch verärgerte Familienmitglieder und orientiert sich abermals deutlich am großen Vorbild „Natural Born Killers“, der neben wildwüchsigen Formalia auch durch einen sich um die Fireflys entspinnenden Medienkult rezitiert findet. Dabei mangelt es dem Film vor allem an schlüssigen Kausalitätsschemata; den Figuren wird anders als noch in „The Devil’s Rejects“ kaum Weiterentwicklung gegönnt. Dass sie sich als Antihelden durch eine ekelerregende Welt zu metzeln haben und sich dabei eher als lustige Psychopathen denn als beängstigende Naturgewalt in die Umarmung einer gezielt antizipierten Rezipientenschaft schmiegen, wird als naturgegeben vorausgesetzt. So dürfen sich die Drei aus der Hölle spätestens nach ihrer Ankunft in Mexiko und der zweiten, ein wenig an „The Wild Bunch“ angelehnten Hälfte des Films der nachgeraden Sympathie des Zuschauers erfreuen, der nur allzu gern vergessen darf, kann und soll, dass er es doch eigentlich mit Massen- und Serienmörderabschaum aus der untersten Schublade zu tun hat. Auch diese Ambivalenz hat Zombie im Vorgänger noch ganz wunderbar auzulösen verstanden, während er sich in „3 From Hell“, einem Durchschnittswerk in jedweder Hinsicht, eher auf einem faulen, trägen Narrativ ausruht, dessen exaltiert ausgestellte grindhouse motherfucker attitude irgendwie nicht mehr die rechte Zugkraft entwickeln mag.

5/10

OPERAZIONE KAPPA: SPARATE A VISTA

Zitat entfällt.

Operazione Kappa: Sparate A Vista (Kidnapping …ein Tag der Gewalt) ~ I 1977
Directed By: Luigi Petrini

Paolo (Mario Cutini), ein junger römischer Tagedieb, der die Oberklasse vor allem dafür hasst, dass er selbst nichts im Portemonnaie hat, freundet sich am Morgen nach einer für beide frustrierenden Luxusparty mit dem irrlichternden Professorensohn Giovanni (Marco Marati) an. Ein brüderlich geteilter Joint – und Giovanni weicht Paolo nicht mehr von der Seite. Das Paar bildet eine explosive Mischung, wie sich umgehend zeigt. Infolge einer kurzerhand exerzierten, zweifachen Vergewaltigung, deren eines Opfer (Linda Sini) die Tat nicht überlebt, werden die beiden von der Polizei gesucht. Nachdem sie sich über Umwege Waffen besorgt haben, nehmen sie die Gäste eines Nobelrestaurants als Geiseln – eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Aktion.

Marodierende Kids oder gemeinhin jüngere Leute zwischen Gammlertum, psychischer Labilität und wütender Perspektivlosigkeit bildeten eine beliebte Zielscheibe der späteren, zunehmend reaktionärer werdenden Ausprägung des italienischen Genre- und Sleaze-Fachs. Ähnlich dem letzthin in Augenschein genommenen, allerdings wesentlich differenzierter zu Werke gehenden „Fango Bollente“ zentriert sich auch „Operazione Kappa: Sparate A Vista“ um zwei „gemischtschichtige“ Taugenichtse, die das Schicksal zusammenführt, um sie eine blutige Spur der Gewalt zeichnen zu lassen. Inhaltliches Herzstück ist die kopflose Kidnapping-Operation der beiden sich mit Drogen bei Laube haltenden Burschen, die sich, abseits von ihrer gemeinsamen Aggression wider das Establishment, dann doch ein wenig unterscheiden. Zumindest in seiner, wenngleich armseligen, Rebellion gegen die Gesellschaft bewahrt Paolo gewissermaßen ein authentisches Wesen; Giovanni derweil ist ein angesichts seines ewig fordernden Elternhauses deprimierter, zudem sexuell gehemmter Hänfling, der in Paolo ein lang herbeigesehntes Idol und somit eine personifizierte Sublimierungsoption für seine Minderwertigkeitskomplexe findet. Erst ihr fataler Schulterschluss ermöglicht die spätere Eskalation.
Luigi Petrini, der ansonsten eher im Komödien- und Romantik-Segment umtriebig war, hat sich mit „Operazione Kappa: Sparate A Vista“ offensichtlich selbst ein gehöriges Maß an Frust von der Seele geschrieben. Der Film entpuppt sich als ziemlich offensiver Exploiter mitsamt recht unappetitlichen Sexszenen und einem analog dazu wenig schmeichelhaften Frauenbild, das sogar in einen ziemlich wilden „Stockholm-Syndrom“-Strang mündet – eine der Geiseln (Maria Pia Conte) entdeckt Gefühle für den rüpelhaften Paolo (der im Laufe der Geiselaffäre natürlich doch noch manch weichen Zug offenbart). Ein veritabler italienischer Kidnapping-Reißer wäre ferner nichts ohne wackeren, natürlich immens coolen Ispettore, hier gegeben von keinem Geringeren als dem sonst vornehmlich höchstselbst als Regisseur tiefenschmieriger Sleaze- und Pornokost umtriebigen Mario Bianchi als ziemlich armseligem Maurizio-Merli-Substitut. Die offenbar Bianchi zu Gefallen ins Script gesetzten Sequenzen, in der der Inschpektor seiner höchst besorgten Freundin (Maria Francesca) erläutert, warum vor allem kernige Typen wie er diesen beschissenen Job auszuüben haben, sollten offenbar als kleine Atempausen von dem zerberstend spannenden Restaurant-Szenario fungieren, sind aber bloß völlig alberne Bremsklötze.
Absolut und unbedingt hervorzuheben wäre schließlich noch die exorbitante Berliner Synchronfassung um die zwei Stimmenstars Ulrich Gressieker und Michael Nowka, die nicht nur diese beiden mittels eines Gossensprechs parlieren lässt, der in jenen Tagen sonst nur im übelriechendsten Saal des Bahnhofskinos zu hören war.
Ergo ein ganz großer Lumpenfeudel allerbester, leuchtender filmischer Schimmelpilzkultur!

7/10

O ANIMAL CORDIAL

Zitat entfällt.

O Animal Cordial (The Friendly Beast) ~ BR 2017
Directed By: Gabriela Amaral

Das gehobene Restaurant „La Barca“ des Gastronomen Inácio (Murilo Benício), kurz vorm allabendlichen Schließen: Ein angetrunkenes, wohlbetuchtes Pärchen (Camila Morgado, Jiddu Pinheiro) will zu dieser späten Stunde unbedingt noch ein üppiges Mahl zu sich nehmen, ganz zum Unwillen des feierabendbedürftigen Küchenpersonals, allen voran des enervierten, bisexuellen Chefkochs Djair (Irandhir Santos). Neben dem Paar nimmt soeben noch ein älterer Herr (Ernani Moraes) seinen letzten Drink. Da versuchen zwei schlecht vorbereitete Straßenganoven (Ariclenes Barroso, Eduardo Gomes), den Laden zu überfallen und die Kasse zu leeren. Sie rechnen jedoch nicht mit Inácio, dem eine Sicherung durchbrennt, und der, mit der Unterstützung seiner ihm ergebenen Wirtin Sara (Luciana Paes), den Spieß kurzerhand umdreht…

Ein intensiver, augenzwinkernder Terrorfilm aus Brasilien – nicht unbedingt das, was dem gemeinen Mitteleuropäer zur regelmäßigen cinephilen Goutierung a priori zur Verfügung steht. Umso erfreulicher, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.
„O Animal Cordial“ („Das herzliche Tier“) markiert das wilde, triebaffine Langfilmdebüt der somit überaus vielversprechenden Regisseurin Gabriela Amaral. Für ihren deftigen Feature-Einstieg nahm sie sich, unter strikter inhaltlicher und inszenatorischer Beschränkung auf die Räume des Restaurants als singulären, hermetischen Spielort, gleich zwei miteinander verwobene, messerscharf ausgearbeitete Psychogramme vor – das des getriebenen Restaurantchefs Inácio und das seiner Oberkellnerin Sara, wobei insbesondere letzterer Amarals vordringliche Aufmerksamkeit gehört, von Frau zu Frau, sozusagen. In einer explosiven Nacht erleben die beiden sämtliche Höhen und Tiefen einer fatalistischen, toxischen Beziehung von A bis Z, das heißt, von Anfang bis Ende. Für Inácio nehmen die privaten Krisen in jüngster Zeit offenbar Überhand; schwelende Konflikte mit seiner Belegschaft, die Angst vor Kritikerbesuchen, Trubel mit der ihn telefonisch drangsalierenden Gattin – ansonsten gibt es keinerlei wirklich fassbare Erklärung für seine kurze, eskalative Reise in den anarchischen Atavismus. Der von vornherein kopflose, vergleichsweise pubertäre Überfall der beiden Kleingauner fungiert als finaler in einer vermutlich längeren Reihe psychischer Trigger, um ihn vom Sockel der Sozialisiertheit zu stoßen und in den kommenden Stunden ebenso lustvoll wie ausgiebig diverse zivilisatorische Tabus bis hin zum Kannibalismus genießen zu lassen. Dabei scheint von vornherein offensichtlich, dass jene barbarische, eben zum Scheitern verurteilte Reise durch die Nacht ebenso rasch beendet sein wird, wie sie beginnt. Sara, deren verzweifelter Ausbruch aus einer devoten Form patriarchalisch dominierter Weiblichkeit mit ebensolch fieberhafter Konsequenz abläuft, muss am Ende derweil erkennen, dass es ihr keinesfalls vergönnt ist, als Inácios vollwertiges feminines Pendant zu bestehen, obgleich es zwischenzeitlich kurz danach aussieht. Der zum maßlosen Morder gewordene Biedermann folgt schließlich doch nurmehr seinem chauvinistischen Naturell, die zwischenzeitlich gesponnen Pläne von einer gemeinsamen Existenz sind nicht mehr denn spannungslockernde Seifenblasen. Und die übrigen Beteiligten? Die sind kaum mehr denn Randfiguren, um Hass und Aggression zu kanalisieren und durchleiden umso furchtbarere Enden. Nur einer darf das buchstäbliche Schlachtfeld aufrecht und erhobenen Hauptes verlassen: Der um seine schönen, langen Haare erleichterte, aber nichtsdestotrotz durchweg stolz und integer gebliebene Djair. Allein für diese heroische Wahl gebührt „O Animal Cordial“ höchster Respekt.

8/10