THE WORLD ACCORDING TO GARP

„You know, everybody dies. The thing is, to have a life before we die. It can be a real adventure having a life.“

The World According To Garp (Garp und wie er die Welt sah) ~ USA 1982
Directed By: George Roy Hill

Für die eigenwillige Krankenschwester Jenny Fields (Glenn Close) ist ihr inniger Kinderwunsch absolut nicht mit dem Gedanken an eine Partnerschaft kompatibel. Also „benutzt“ sie kurzerhand einen bewusstlosen, im Sterben liegenden Air-Force-Piloten als Samenspender. Nach seinem Vater benannt, lebt T.S. Garp (Robin Williams) kein allzu langes, aber dafür von allerlei Glücksmomenten und Schicksalswogen umtostes Leben, das vom Anfang bis zum Ende stets unter dem übermächtigen Einfluss seiner gewissermaßen omnipräsenten Mutter steht.

„The World According To Garp“, der vierte Roman des neuenglischen Erfolgsautors John Irving, galt, wie so viele andere relevante literarische Marksteine des zwanzigsten Jahrhunderts, zunächst als unverfilmbar. Was zuvor jedoch bereits für Vonneguts „Slaughterhouse Five“ galt, erwies sich auch im Falle „Garp“ als recht und billig – George Roy Hill fand sich demzufolge mit der Regie auch der Adaption dieses ebenso lebensweisen wie teilgrotesken literarischen Mammutwerks anvertraut, der ersten von bis heute fünf Irving-Verfilmungen. Den Büchern des beliebten Romanciers und Essayisten gemein sind diverse, mittlerweile berühmte Leitmotive – New Hampshire als ewiger, vordringlicher Handlungsschauplatz; biographische Bestandaufnahmen seiner zumeist in komplexen Ehen und Familien beheimateten Figuren, Bären als stetes Symbol für Individualität und Kraft und natürlich die obligatorischen Abstecher in Irvings geliebtes Wien. All dies zeichnet auch im vorliegenden Fall die famose Vorlage aus – umso erstaunlicher, wann, wie und mit welchen Mitteln Hill und sein Scriptautor Steve Tesich dieses anrührende, schöne Kinowerk kreierten. Im Nachhall New Hollywoods ist „The World According To Garp“ dann doch eher ein typischer Film für die achtziger Jahre geworden. Er umfasst einen erzählten Zeitraum von etwa 38 Jahren und berichtet darin mit durchaus epischem Anspruch die ereignisreiche, bisweilen bizarre, im Grunde jedoch von Liebe und Zuwendung geprägte Biographie seines Ttelhelden, dessen Existenz sich stets im übergroßen Schatten seiner Mutter abspielt. Jenny Fields entwickelt sich im Laufe ihrer Tage zu einer emanzipierten Vorreiterin für alle Frauen, die unter den Repressalien einer erklärt patriarchalischen Gesellschaft zu leiden haben – bewundert, geliebt, belächelt und verabscheut, bleibt sie ihren nicht immer gänzlich nachvollziehbaren Maximen stets treu. Als Junge und später Mann mit all seinen überaus menschlichen Bedürfnissen, deren libidinöse und thanatische Ausprägungen nicht selten in kleine und große Katastrophen münden, entwickelt sich Garp zwar zu einem vollwertigen Individuum, das irgendwann eine eigene Familie gründet, die Prägung seiner Mutter jedoch wesentlich internalisiert hat. Nebenfiguren wie die transsexuelle Ex-Footballspielerin Roberta Muldoon (John Lithgow) oder die als Kind vergewaltigte, verstummte Ellen James (Amanda Plummer) werden, nachdem Jenny Fields sich ihrer stiefmütterlich angenommen hat, auch für Garp zu wesentlichen Leitcharakteren. Doch wie jeder soziale Mikro- und Makrokosmos leidet auch der der Fields-Dynastie unter Missinterpretation, fehlgeleiteter Radikalität und der daraus resultierenden Gewalt, die sowohl Jenny als später auch Garp das Leben kosten werden. Irvings Brillanz liegt, ebenso wie die des Films, der jenes Bestreben nahtlos akkumuliert, darin, das Schicksal als permanente Kausalitätskette zu begreifen, als ewigen Kreislauf von Ursache und Effekt, von Klammern und Rahmen (musikalisch verbildlicht durch den Beatles-Klassiker „When I’m Sixty-Four“). Dem Film gelingt es mittels scheinbar behender Leichtigkeit und Lakonie, die daraus resultierende, narrative Komplexität zu transponieren und seine mitunter schwer verdaulichen Wendungen nie zugunsten falsch verstandener Larmoyanz zu denunzieren.

9/10

HAWAII

„Too much law make people mad.“

Hawaii ~ USA 1966
Directed By: George Roy Hill

Ein Vortrag des hawaiianischen Prinzen Keoki (Manu Topou) vor dem christlichen Sozius von Yale im Jahre 1819 trägt dazu bei, dass Missionare zu der pazifischen Inselgruppe entsandt werden, um die dort lebenden Heiden zu christianisieren. Darunter findet sich auch der verschrobene Calvinist Abner Hale (Max von Sydow), der eigens zu diesem Zwecke eine Ehe mit der jungen Jerusha Bromley (Julie Andrews) begeht, aus der dann bald aber doch echte Zuneigung erwächst. Nach einer harten Seereise um Kap Hoorn auf Maui angekommen, macht sich Reverend Hale sogleich mit Feuereifer daran, den Polytheismus der Insulaner zu bekämpfen und ihnen seine erzchristlichen Regularien aufzuzwängen. Einstmalige Traditionen der Einheimischen, darunter permanente Nacktheit, inzestuöse Beziehungen, die Tötung deformierter Kinder oder die bereitwillige Kuppelei zwischen den jungen Inselschönheiten und den Seeleuten der regelmäßig vorbeikommenden Handelsfregatten, werden nach und nach verboten und Hale gewinnt mithilfe Jerushas sogar das Vertrauen der Inselkönigin (Jocelyne LaGarde). Doch es gibt bald auch Probleme: Infektionskrankheiten, die die Weißen eingeschleppt haben und rebellische Matrosen machen den Hales das Leben schwer, insbesondere Jerushas einstige Jugendliebe, der Walfänger Rafer Hoxworth (Richard Harris)…

Obgleich Hills epischer Film den Titel des ihm zugrunde liegenden, sieben Jahre zuvor erschienenen Roman von James A. Michener trägt, bildet er keine Komplettadaption des beinahe tausendseitigen Mammutwerks. Vielmehr behandelt er lediglich das dritte von fünf Kapiteln jenes Buches, das in seiner Gesamtheit den kompletten „Werdegang“ der Inseln von ihrer Entstehung über ihre erste Besiedlung bis hin zur Staatenwerdung hin erzählt. Der Film wurde ein enormer Kinoerfolg, obwohl seine Entstehungsgeschichte nicht frei von Turbulenzen ist. Walter Mirisch verfügte bereits seit Jahren über die Verfilmungsrechte und plante zunächst, das Werk von Fred Zinnemann inszenieren zu lassen und die Hauptrollen mit Alec Guinness, Audrey Hepburn und Rock Hudson zu besetzen. Auch Charlton Heston wurdie die Rolle des Abner Hale angetragen. Durch diverse Uneinigkeiten, Terminverschiebungen und Wetterkapriolen kam alles ganz anders und „Hawaii“ erhielt seine definitive Form.
Der Film flankiert ein sehr wohltuendes Statement wider religiöse Eiferer, Christianisierungsbestreben und die ewige Zwangsvorstellung der Kirche, der ganzen Welt ihren Stempel aufzwängen zu müssen. Wer nicht für den christlichen Gott ist, der, so die zwingende Logik Reverend Hales, muss gegen ihn sein und wer seine Gebote nicht befolge, der müsse dereinst in der Hölle schmoren. Es ist vor allem jene diffuse Angst vor dem Zorn übernatürlicher Allmacht, die die Eingeborenen auf Hales Seite treibt und weniger der unbedingte Wille zur urplötzlichen Reformierung ihrer seit vielen Jahrhunderten bestehenden Traditionen. Die Hawaiianer sind ein wenig wie erwachsene Kinder; lustgesteuert und völlig sorglos im Umgang mit geschlechtlichen Beziehungen, dabei jedoch freundlich und aufgeschlossen. Dennoch müssen die Leidtragenden ihrer oftmals inzestuösen Kontakte, nämlich die behindert geborenen Kinder, diese Losgelöstheit mit dem Leben bezahlen: Missgebildete Babys gelten als lebensunwert und werden umgehend „entsorgt“. Hales Wirken hat also auch eine positive Seite, wenngleich „Hawaii“ insgesamt betrachtet die Frage nach dem Wert und vor allem nach der ethischen Rechtmäßigkeit von religiöser Oktroyierung sehr entschieden beantwortet. Hales Missionsarbeit kostet ihn über die Jahrzehnte hinweg viele Entbehrungen, bis hin zu seiner Zwangsexkommunizierung als er sich weigert, zurück nach Neuengland zu gehen. Immerhin steht am Ende eine solide, steinerne Kirche auf jener Anhöhe, auf der Hale ehedem seine erstes Gotteshaus aus Holz und Stroh errichtet hatte. Feuer und selbst die stürmischen Orkanböen der alten Götter werden sie nicht mehr hinwegzufegen vermögen.

9/10