THE GIFT

„Kids are mean.“ – „Kids are honest.“

The Gift ~ USA 2015
Directed By: Joel Edgerton

Das Ehepaar Simon (Jason Bateman) und Robyn Callem (Rebecca Hall) zieht von Chicago nach Los Angeles, wo Simon einen aufstiegsversprechenden Posten angetreten hat. Während die beiden dabei sind, das neue Haus einzurichten, treffen sie in der Mall auf Gordon Moseley (Joel Edgerton), einen alten Schulkameraden von Simon, an den dieser sich jedoch nicht unmittelbar erinnert. Von diesem Moment an heftet sich Gordon, genannt „Gordo“, immer dichter an das Ehepaar, hinterlässt Geschenke und besucht Robyn häufiger, wenn Simon auf der Arbeit ist. Diesem werden Gordos Aufdringlichkeiten bald zuviel und im Zuge eines etwas seltsam verlaufenden Besuch in dessen Haus macht Simon Gordo klar, dass er ihn und Robyn künftig in Ruhe lassen soll. Obschon Gordo in einem Brief versichert, dass er sich dieem Wunsch fügen wird, kommt es zu immer bedrohlicheren Ereignissen im Haus der Callems: Der Hund verschwindet für ein paar Tage spurlos, Robyn, die meint, einen Fremden im Haus zu sehen, erleidet einen mehrstündigen Blackout. Als sie schließlich schwanger wird – zum zweiten Mal, nachdem sie einst eine stressbedingte Fehlgeburt hatte -, und Simon befördert wird, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Eine Monate später stattfindende, zufällige Begegnung mit Gordo führt dazu, dass Robyn schließlich ihre eigenen Nachforschungen über dessen und Simons gemeinsame Vergangenheit anstellt. Diese offenbaren ihr vor allem eine Erkenntnis: Ihr Gatte ist nicht der Mann, den sie seit Jahren zu kennen glaubt…

Sein Langfilmdebüt als Autor und Regisseur konnte Joel Edgerton bei Blumhouse unterbringen, wobei „The Gift“ sich zumindest auf den ersten Blick durchaus konform in das genregeprägte Portfolio von Jason Blums Company eingliedert. In rein dramaturgischer Hinsicht arbeitet der Film nämlich zuvorderst mit zweierlei durchaus gängigen Suspense-Elementen: Der Evozierung einer von zunehmender Bedrohung geprägten Stalking-Atmosphäre sowie dem sorgsam vorbereiteten twist, der die vormals als halbwegs zuverlässig eingestufte Wahrnehmung der Rezipientenschaft mit der genüsslichen Weisheit der sich allmählich anbahnenden, eigentlich doch längst offensichtlichen Erkenntnis auf den Kopf stellt. Während mit Simon Callem und Gordo Moseley zwei männliche Antagonisten mit gemeinsamer, trüber Vergangenheit, die ganz genau um die sie unweigerlich aneinander schweißenden, lange zurückliegenden Ereignisse wissen, ihr heimliches Katz-und-Maus-Spiel entfesseln, ist man als ZuschauerIn auf die Perspektive der Protagonistin Robyn Callem angewiesen, einer von Rebecca Hall wie gewohnt als selbstbewusste, kluge und sympathische Person gespielten „Frau „woman with issues“. Denn auch diese gibt es, wie sich bald zeigt – Robyn litt vormals unter anscheinend paranoiden Episoden, die die Nutzung starker Beruhigungsmittel erforderten und wohl auch mitverantwortlich waren für den unfreiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Der Umzug nach Kalifornien soll demnach auch für sie eine biographische Zäsur mit sich führen – zumindest dürfte dies dem Traum ihres Ehemannes von einem makellosen Familienleben zupass kommen. Doch ist Simon eben nur vorgeblich selbst frei von charakterlichem Dunst. Ob er am Ende, als er, schicksalsbedingter wie moralisch ausgebooteter Verlierer und finale Projektionsfläche seiner Ränkespiele, alles verloren hat, zur große Selbsterkenntnis befähigt sein wird, bleibt fraglich. Wenn jedoch in jüngeren psychologisch gefärbten Medienessays von Narzissten, Sozio- oder Psychopathen und Gaslightern die Rede ist, dann ist zumindest die Publikums-„Analyse“ schnell bei der Hand: Um so einen (oder vielleicht alles auf einmal) handelt es sich auch bei Simon Callem, der zeitlebens rücksichtslos verbrannte Erde hinterlässt, weil er es eben kann.
Simons Demaskierung nun geht, mit Ausnahme des Verlusts von ein paar Koi-Karpfen, stets in halbwegs zivilisierten Bahnen vonstatten; selbst der putzige Haushund Mister Bojangles baumelt nicht wie zunächst befürchtet am Apfelbaum im Garten, sondern kommt einfach zurück. Moseley erweist sich als geschickt genug, seine frühere Nemesis mit den eigenen Waffen zu schlagen, ohne dabei selbst zum Kapitalverbrecher zu werden. Timing und suggestive Verunsicherung genügen. Damit ist „The Gift“ womöglich der cleanste Rachethriller der letzten zehn Jahre.

7/10

FRESH

„I just don’t eat animals.“

Fresh ~ USA 2022
Directed By: Mimi Cave

Von Dating-App-Treffen hat Noa (Daisy Edgar-Jones) fürs Erste die Nase voll, nachdem der zuletzt frequentierte Typ (Brett Dier) sich abermals als die befürchtete Vollniete erwiesen hat. Als sie – ganz klassisch – den attraktiven Steve (Sebastian Stan) wie beiläufig im Supermarkt kennenlernt, ist sie daher umso begeisterter, zumal dieser das große Los abzugeben scheint. Nach ein paar romantischen Dates lädt Steve Noa dann zu einem Cottage-Wochenende ein. Entgegen allen Warnungen ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) sagt sie zu – und landet betäubt und angekettet im Keller eines schnieken Bungalows im Nirgendwo, wo ihr Steve seine wahren Beweggründe offenbart: Er verkauft Frauenfleisch an einen Zirkel höchst wohlhabender Kunden und delektiert sich allenthalben auch selbst gern an seiner exklusiven Ware. Noa wittert ihre einzige Chance zu überleben darin, den Kannibalen weiterhin zu becircen…

Als deftige #MeToo-Satire, die übergriffiges Männerverhalten bis ins wahrscheinlich letztmögliche Extrem treibt, passt „Fresh“ sich der noch recht jungen Wokeness-Genre-Kultur an. In seinen besten Momenten erinnert er an die Filme von Jordan Peele, verbeißt sich aber dann doch immer wieder sehr grantig in seine alles umreißende „Männer sind Schweine“-Agenda und lässt es an der Innovation intrinsischer Verrücktheiten mangeln. Die aburteilende Mittzwanziger-Realität von Noa und Mollie wirkt dabei auf den sich unschuldig wähnenden, heterosexuellen Penisträger wenig einladend – wer keinen Insta- oder Twitter-Account hat, ist automatisch ein Verdachtsfall und jedwedes Ressentiment an männliche Adressaten bestätigt sich irgendwann im Laufe des Films. Das formulieren Cave und die Scriptautorin Lauryn Kahn allerdings so hübsch konsequent-kiebig und mit ausschließlichen maskulinen Widerlingen auf der Antagonistenseite, dass es dann doch wieder mancher Sympathien wert ist, zumal Daisy Edgar-Jones das Ganze mit einiger Chuzpe zu tragen vermag. Als ausgewiesener Horrorfilm wäre „Fresh“ indes weniger bemerkenswert; das terrorisierende Psychopathen-Keller-Kidnapping-Szenario wurde nicht erst justament („Alone“, „The Black Phone“ et. al.) dann doch allzu häufig durchexerziert und ermüdet den Nicht-Gelegenheitsgucker demzufolge geflissentlich. Bleiben die netten Fleischverarbeitungs- (und -konsumierungs) -Momente, ein paar lang nicht gehörte Achtziger-Heuler (Steve tanzt gern zu seichter Popmusik jener Ära), der alles in allem als gelungen zu wähnende metaphorische Ansatz sowie die rekordverdächtig späte Einarbeitung der Titelsequenz in der 33. (!) Filmminute.

7/10

ROMEO IS BLEEDING

„You don’t own love. Love owns you.“

Romeo Is Bleeding ~ USA/UK 1993
Directed By: Peter Medak

Der im Zeugenschutzprogramm tätige Jack Grimaldi (Gary Oldman) gehört zur schlimmsten Sorte korrupter Cops. Gegen saftiges Entgelt verrät er die Aufenthaltsorte brisanter Kronzeugen an die Mafia und nimmt dafür auch in Kauf, dass bei den anschließenden Exekutionsaktionen seine eigenen Kollegen dran glauben müssen. Seine Ehefrau Natalie (Annabella Sciorra) betrügt er derweil mit der naiven Kellnerin Sheri (Juliette Lewis). Als Grimaldi von Berufs wegen die russische Profikillerin Mona Demarkov (Lena Olin) kennenlernt, gerät er zwischen alle Fronten. Während Mafiaboss Falcone (Roy Scheider) die Demarkov, mit der er früher ein Techtelmechtel hatte, tot sehen will und Grimaldi erpresserisch nötigt, den Auftrag auszuführen, verführt diese den irrlichternden Beamten und bringt ihn dazu, ihr dabei zu helfen, ihren eigenen Tod zu fingieren. Doch nicht nur, dass sie sich hernach weigert, Grimaldi zu bezahlen, wird die psychotische Mörderin für ihn selbst zur tödlichen Gefahr…

„Romeo Is Bleeding“ entstand im Zuge der Neo-Noir-Welle in den frühen bis mittleren Neunzigern, während derer eine ganze Reihe in Aficionadokreisen beleumundeter Filmemacher der allmählich aufziehenden Ratlosigkeit des zusehends blasierter werdenden Blockbuster-Kinos entsprechende Werke entgegensetzten. Loner und Drifter waren deren Antihelden, betrügerische Femmes fatales und korrupte Bullen, mutige Kleinstadtsheriffs, unbeirrbare Killer, obercoole Gangster und Pärchen auf der Flucht. Die gezeigte und suggerierte Gewalt nahm sich häufig übermäßig aus und selten kam es zu glücklichen Abschlüssen für die ProtagonistInnen. Quentin Tarantino profitierte bekanntermaßen ganz besonders von dieser Strömung, avancierte zu everybody’s darling und hernach zu deren vorderstem Leitwolf und Stichtwortgeber, indem er die zuvor noch bierernst durchgespielte Nostalgie der relativ dicht an die klassischen hardboiled stories angelehnten Krimis ironisch aufbrach und seinem ausgesprochen kalifornischen Märchengauneruniversum einverleibte. Zuvor jedoch gab es Filme wie den vorliegenden von Peter Medak, in dem der ungebremste, tiefe Fall der Hauptfigur im Zentrum steht, gänzlich unkomisch und ergänzend mit dem diegetischen Pathos des Off-Kommentars versehen.
Jack Grimaldi wird von Gary Oldman wie eine Art Vorstudie zu seinem kurz darauf interpretierten, noch hundertmal toxischeren Polizisten Stansfield aus Luc Bessons „Léon“ angelegt. Dessen endgültige Gewissenlosigkeit und haltlose Diabolik muss sich Grimaldi erst noch aneignen, vielleicht wird er später unter anderem Namen bei den New Yorker Narcs anfangen. Dabei ist sein abwärts gerichtetes Schicksal rundheraus selbst verschuldet: Dieser Polizist lügt, betrügt, übervorteilt und verkauft die eigene Seele, bis er allein in irgendeinem Kleinstadtkaff vergeblich auf die unter Garantie niemals eintretende Erlösung wartet. Dabei meint es auch das Fatum selbst alles andere als gut mit ihm; der sinistren Cleverness seiner Widersacherin etwa ist Grimaldi völlig unterlegen. Sie bringt ihn dazu, seine Frau aufzugeben, sein Betthäschen und später noch den hiesigen Paten umzubringen. Von seinen sorgsam angehäuften, im Garten verscharrten Müllsäcken mit schmutzigem Cash wird er nichts mehr haben. Der letzte Akt der Abrechnung schließlich kommt so verzweifelt wie persönlich daher, doch auch dieser kann Grimalds tote Träume nicht wieder zum Leben erwecken.

7/10

SAVAGE SALVATION

„Welcome to the family, Shelby John.“

Savage Salvation (Pfad der Vergeltung) ~ USA 2022
Directed By: Randall Emmett

Kriegsveteran Shelby John (Jack Huston) und seine Freundin Ruby Red (Willa Fitzgerald) sind Heroinjunkies. Ihren Stoff beziehen sie von dem rücksichtslosen Straßendealer Elvis (Swen Temmel), der recht ungehalten reagiert, als das Paar durchblicken lässt, nach einem kalten Entzug clean geworden zu sein und auf den Pfad der Tugend zurückkehren zu wollen. Shelby hat Ruby mittlerweile sogar einen Heiratsantrag gemacht und sie möchte sich darüberhinaus zur Feier der Entwöhnung baptistisch taufen lassen. Doch dazu kommt es nicht mehr; Elvis bringt Ruby auf dumme Gedanken, woraufhin diese sich den goldenen Schuss setzt. Für den wutschäumenden Shelby – ganz zum Unwillen von Sheriff Church (Robert De Niro) – Grund genug, seine kombattanten Fertigkeiten zu reaktivieren und sich mit deren Einsatz bis zum unerwarteten Kopf der hiesigen Drogenmafia vorzuarbeiten…

Als wahres Cringefest entpuppte sich dieser offenbar von der Baptistenkirche gesponsorte, erzreaktionäre Film aus dem Bodensatz einer spezifischen medialen Trübnis, in der ich künftig erst gar nicht weiter stochern möchte. Natürlich lockten die Namen De Niro und Malkovich, bis vor rund zwei Dekaden zwei der zuverlässigsten und besten Schauspieler im anglophonen Raum, von denen man nie und nimmer gedacht hätte, dass sie ihr Brot dereinst so sauer würden verdienen müssen. Es dürfte ihnen, wie ja offenbar recht vielen betagteren Darstellern, die ihr Altersauskommen in käsigem Genreschmodder für den DTV-Markt gefunden haben, mittlerweile recht mies gehen, um ihre Kunst für Müll wie „Savage Salvation“ korrumpieren lassen zu müssen. Der Regisseur Randall Emmett entpuppt sich nach kurzer Recherche als bedauernswerter Produzent zahlloser Bruce-Willis-Vehikel, den der dem Vernehmen nach recht lädierte Akteur einzig und allein durch Mini-Auftritte seinen Stempel aufdrückte und die recht unansehnlich sein sollen. Für seine zweite eigene Inszenierung standen Emmett dann zumindest drei renommierte Namen zur Verfügung, doch was helfen die im Angesicht einer dezidiert biblisch-konservativ konnotierten Rachegeschichte, die letztlich nur für regelmäßige Kirchgänger und Sonntagsspaziergänger genießbar sein kann?
„Savage Salvation“ bedient ausnahmslos jedes zur Verfügung stehende dulle figurale Klischee; der PTBS-versehrte Veteran und seine schöne Maid ziehen sich gegenseitig am Schopf aus dem Sumpf der Drogenhölle, nur um dann doch wieder zu Opfern der unnachgiebigen Pusher zu werden, jene natürlich vornehmlich unkaukasischer Ethnie zugehörig. Dem trauernden Verlustierer bleibt nurmehr blutige Vigilanz, irgendwann sogar mit dem zähneknirschenden Segen des treusorgenden Sheriffs, der den eigenen Sohnemann einst ebenfalls ans Rauschgift verlor. Am auch noch die allerletzten Sympathien kapernden Ende lässt sich dann auch Shelby John nach getanem Werk kopfüber in den Fluss tunken – ein Schäfchen mehr für Gottes wackre, weiße amerikanische Reihen. Dass dabei selbst die versprenkelt eingestreuten Actionszenen lahm und unbeholfen daherkommen – geschenkt. Ernsthaft: schon lange nicht mehr so im Strahl gekotzt.

2/10

INEXORABLE

Zitat entfällt.

Inexorable (Eiskalter Engel) ~ B/F 2021
Directed By: Fabrice du Welz

Just als die reiche Verlegerin Jeanne (Mélanie Doutey) mit ihrem Gatten, dem einst von ihr berühmt gemachten Autoren Marcel Bellmer (Benoît Poelvoorde) und der gemeinsamen kleinen Tochter Lucie (Janaina Halloy) auf das stattliche Familienanwesen in der Provinz zurückzieht, macht die Familie die Bekanntschaft der verloren erscheinenden Gloria (Alba Gaïa Bellugi). Gloria gewinnt rasch Lucies Sympathien. Auch Jeanne und Marcel schenken ihr bald Vertrauen und stellen die junge Frau als Hausmädchen ein. Doch pflegt Gloria ihre ganz persönliche Agenda, die in einer dunklen, gemeinsamen Vergangenheit mit Marcel fußt und die das familiäre Idyll geradewegs in den Abgrund führt.

Seinen steten Hang zur Erkundung menschlicher Abseitigkeiten pflegt der Belgier Fabrice du Welz auch in seiner jüngsten Regiearbeit wieder aufs Neue. Obschon die durchaus klassisch anmutende Grundkonstellation, in der es um die umfassende Vergeltung einer um ihre Existenz geprellten und verratenen Frauen-, respektive Tochterfigur geht, vergleichsweise tradierte Tropen bedient, gelingt es du Welz dennoch, seiner Inszenierung eine tiefe Abgründigkeit zu verleihen, die andere Filmemacher in dieser Konsequenz möglicherweise gescheut hätten. Jener böse Fatalismus resultiert nicht zuletzt aus dem „Inexorable“ inhärenten Welt- und Menschenbild, in dem es im Prinzip nur zwei rundheraus unschuldige Figuren gibt: das noch im Grundschulalter befindliche Mädchen Lucie und den schneeweißen, zu Beginn des Films aus dem Tierheim adoptierten Schäferhund Odysseus. Dieser symbolisiert gewissermaßen den Dreh- und Angelpunkt für Glorias zunächst noch diffusen Plan. Indem sie sich das Vertrauen von Hund und Kind erschleicht, öffnen sich Gloria Tür und Tor zu ihrem eigenen Vorhaben, das bei aller Perfidie auf einer tief gestörten, autoaggressiv geprägten Borderline-Persönlichkeit gründet. Doch auch das Ehepaar krankt an Lügen und Trugbildern. Weder ist Marcel in Wahrheit der als genialisch gefeierte Literat, den alle Welt in ihm wähnt, noch vermag Jeanne seine vermeintlich mittelfristig stagnierende Kreativität durch ihre offenen, sexuellen Avancen zu befördern. Lucie legt auf ihrer eigentlich als soziale Initiation geplanten Geburtstagsparty ein empörliches Black-Metal-Playback hin; auf den armen, braven Odysseus wartet die Todesspritze. Der höhlende Wurm steckt da längst im Apfel; Gloria muss ihn nurmehr um ein paar wenige Häppchen nähren und ans Tageslicht locken. Am Ende ihrer destruktiven Bemühungen steht dann tatsächlich die Auflösung der Bastion Familie; die Karten liegen auf dem Tisch, das blutige Duell zweier reziprok entkernter Seelen endet mit einem Remis. Die Überlebenden werden diese sinistren Ereignisse noch lange beschäftigen.

8/10

BARBARIAN

„You make a copy of a copy of a copy, you get that.“

Barbarian ~ USA 2022
Directed By: Zack Cregger

Tess Marshall (Georgina Campbell) kommt zu einem Vorstellungsgespräch bei der lokal tätigen Dokumentarfilmerin Catherine James (Kate Nichols) nach Detroit. Vor Ort hat sie zu diesem Zweck ein Vorstadthäuschen auf der Barbary Street inmitten des ansonsten großflächig verlassenen Vororts Brightmoor gemietet. Umso unwohler ist Tess zunächst, als sie feststellt, dass vor ihr bereits ein anderer Mieter das Haus bezogen hat. Der junge Keith Toshko (Bill Skarsgård) erweist sich jedoch als durchaus zuvorkommend und sympathischer als zunächst befürchtet. So arrangiert man sich und es bleibt ungeachtet einer kurzen nächtlichen Störung alles ruhig. Als Catherine Tess am nächsten Tag vor der Nachbarschaft warnt und ein seltsamer Obdachloser (Jaymes Butler) ihr zusätzlich Angst einjagt, entdeckt sie, das unter der kleinen Immobilie gewaltige Kellerschächte nebst überaus sonderbaren Räumlichkeiten ausgebaut wurden…

„Barbarian“ erweist sich nach dem zuvorderst enttäuschend konventionellen „Smile“ wieder als ein Horrorfilm mit Hirn und Herz, der seine Vorbilderpalette beseelt aufgreift, bedient und zugleich variiert. Wie schon Fede Alvarez‘ „Don’t Breathe“ sucht sich auch „Barbarian“ die dem Strukturwandel und den entsprechenden demografischen Veränderungen anheim gefallenen Detroiter Vorstädte als kongenialen Schauplatz aus für einen gallig-sarkastischen Kommentar zur Gesamtlage der Nation. Die desolaten suburbs mit ihren noch gut sichtbaren Spuren dereinst florierender Mittelklasseexistenzen lösen dabei mehr und mehr die noch vor kurzem gewohnheitsmäßig bemühten Hinterwäldlerbrachen der Südstaaten mit ihren Rednecks, Hillbillys und Moonshinern ab und zeigen den postmodernen Zivilisationszerfall als Spiegel urbaner Krisen. Wie einst das (zweifelsohne) große Vorbild „Psycho“ führt uns Regisseur und Autor Zach Cregger dabei zunächst auf eine gleich doppelt chiffrierte, falsche Fährte: Dass der etwas zu sympathisch anmutende Keith ein multipel gestörter Norman Bates sein könnte und Tess „seine“ in regnerischer Nacht in der Einöde ankommende Marion Crane, liegt da doch mehr denn nahe. Tatsächlich ist es jedoch Bill Skarsgård, der unerwartet rasch aus dem Spiel genommen wird und eine zu Beginn noch gänzlich unauslotbare Gefahr, die für den bals losbrechenden Terror sorgen wird. Die Flexion von Konventionen und rezeptorischen Erwartungshaltungen beherrscht Cregger dabei annähernd gut wie ein Jordan Peele, obschon das Monster (Matthew Patrick Davis) im buchstäblichen Wortsinne aus hauseigener Produktion stammt. Die Konfrontation mit der Wahrheit und auch deren nachfolgende Auflösung erweisen sich dabei wiederum als so geschickt wie bissig: Justin Long, der im Prinzip nochmal seine Rolle als irrlichterndes Verrücktenopfer aus „Tusk“ repetiert, symbolisiert als Hollywood-Seriendarsteller AJ Gilbride auf dem selbst angesägten Ast gleich mehrerlei an schieflaufendem humanen US-Müll. Nicht nur, dass er von der #MeToo-Debatte offensichtlich gar nichts mitbekommen hat, ist seine Figur auch noch schindludernden Immobilienspekulationen auf den Leim gegangen und zudem ein misogyner Feigling. Doch selbst er ist nur ein kleines Schwarzlicht im Vergleich zu den inzestuösen Monstrositäten, die die Unterwelt von Brightmoor bereithält.
Auch Danny Steinmanns „The Unseen“ und natürlich Stuart Gordons „Castle Freak“ mitsamt dessen von Lovecraft adaptierter Katakombenmythologie spendeten somit einiges an Quellmaterial für „Barbarian“, der schlussendlich jedoch immer noch hinreichend intelligent, vielschichtig, mitreißend sowie witzig erzählt und inszeniert ist, um seine Eigenständigkeit von grundauf zu wahren.

8/10

DON’T WORRY DARLING

„Keep calm and carry on!“

Don’t Worry Darling ~ USA 2022
Directed By: Olivia Wilde

Dass irgendetwas nicht stimmt in der hermetisch abgeschotteten Firmenkommune Victory mit ihrer pastellfarbenen Fünfzigerjahre-Bonbonidylle nebst überkandidelter Werbeästhetik scheint die an der Oberfläche glücklich anmutende Alice (Florence Pugh) insgeheim längst registriert zu haben. Als ihre Freundin Margaret (KiKi Layne) sich im Sinne der wohlfeil organisierten Gemeinschaft zudem plötzlich höchst seltsam benimmt, diverse ortsgebundene Regeln übertritt und nach einem Selbstmordversuch spurlos verschwindet, manifestieren sich schließlich auch Alices Bedenken. Analog dazu als sie beginnt, die gleichförmige Alltagskulisse von Victory zu hinterfragen, im Trüben zu stochern und ihr nach dem Company-Patriarchen Frank (Chris Pine) und dessen Frau Shelley (Gemma Chan) auch noch ihr eigener, geliebter Mann Jack (Harry Styles) die Gunst entzieht, bricht sich ihr Unterbewusstsein Bahn…

Olivia Wildes zweiter Film „Don’t Worry Darling“ möchte leider wesentlich cleverer sein als er es letzten Endes zu sein bewerkstelligt. Seine dezidiert twistorientierte Ausrichtung, auf die mit aller Gewalt hingearbeitet wird, erweist sich als Konglomerat diverser mental anverwandter (Genre-)Vorläufer und/oder Archetypen, die vermutlich nur dann halbwegs effektiv funktioniert, wenn sie auf ein entsprechend unbeflissenes Publikum trifft. Andernfalls schießen einem geradezu unwillkürlich rasch etliche, mögliche Inspirationsquellen durch den Kopf, mit denen Script und Regie ausgiebig Schlitten fahren, um daraus ein immerhin mäßig launiges Feminismuspamphlet zu stricken. Man stelle sich vor, die urhebenden Damen haben ein großes Süppchen angerührt aus: „The Stepford Wives“, „Skeletons“, „Dark City“, „Pleasantville“, „The Truman Show“, „The 13th Floor“, „The Matrix“ bis hin zu „Antebellum“ sowie natürlich David Lynchs albtraumhaften Vorstadt-Zerrbildern nebst Artverwandtem und das Ganze hernach in eine zeitgemäß aufgebrezelte, zumindest ambitioniert und kompetent inszenierte Form gegossen.
Die plotinterne VR, die Victory-Realität nämlich, entpuppt sich also als durch und durch misogyn und patriarchalisch geprägte virtual reality im technischen Wortsinne (und nicht etwa in ihrer plastisch konstruierten Form wie etwa bei Levin/Forbes, DeCoteau oder Weir), innerhalb der mit ganz wenigen Ausnahmen nur die Männer wissen, dass ihre Körper im abgeschalteten Ruhezustand schlummern, während „ihre“ dauersedierten Frauen unfreiwillig einem obsoleten, archaischen Rollenverständnis zum Opfer gefallen sind. Dabei inszeniert sich der ominöse, grauenhaft ölige Frank (eine ironische, nominelle Reminsizenz an Dennis Hoppers gleichnamige Figur in „Blue Velvet“ möglicherweise…?) als eine Art gönnerhafter Sektenguru, der im Zuge pompöser Auftritte predigt, was seine fehlgeleiteten Testsosteronfollower von ihm erwarten, bis ihm irgendwann, als die ganze Geschichte implodiert, die eigene Gattin schließlich enerviert den Versagerstöpsel zieht.
„Don’t Worry Darling“ ist kein schlechter Film und beinhaltet sogar eine amtliche Regieleistung. Er vermag seine RezipientInnenschaft abzuholen und über die gesamte Distanz mitzunehmen, trägt schlussendlich jedoch die nicht zu unterschätzende Bürde der kompromisslosen Durchschaubarkeit, die nach einigem Abstand zur Betrachtung doch recht viel heiße Luft hinterlässt.

6/10

THE NIGHT HOUSE

„You were right. Here is nothing. You’re safe now.“

The Night House (The House At Night) ~ USA/UK 2020
Directed By: David Bruckner

Vom einen auf den anderen Tag ändert sich das Leben für die High-School-Lehrerin Beth (Rebecca Hall) radikal: ihr Mann Owen (Evan Jonigkeit) schießt sich nächtens gänzlich unerwartet in den Kopf – dabei galt doch sie selbst stets als der labile, depressive Part innerhalb ihrer Beziehung. Die nunmehr allein in dem von Owen in Eigenarbeit gebauten, pittoresken Seehaus in Upstate New York lebende Beth ist nach einigen paranormalen Erlebnissen schon bald der festen Überzeugung, dass Owens Geist noch präsent ist und ihr etwas mitteilen möchte, das über die kurzen drei Sätze in seiner schriftlich hinterlassenen Abschiedsnachricht hinausgeht. Ihre Recherchen fördern bald Vieles zutage, das sie nicht über Owen wusste, ihn respektive als noch mysteriöser erscheinen lässt. So findet Beth diverse Handyfotos, die Frauen zeigen, die ihr selbst physisch sehr ähnlich sind und entdeckt auf der gegenüberliegenden Seeseite ein leerstehendes, verlottertes Haus, dessen Grundriss dem ihren fast exakt gleicht – nur, dass dort alles spiegelverkehrt ist…

Das Jenseitige als Inversion des Diesseits mit dem Spiegel als Tor in die Zwischenwelt – dieses Bild wurde schon häufig als effektives Gimmick im Genrekino genutzt. Man denke an entsprechende Sequenzen aus Raimis „The Evil Dead“ oder Carpenters „Prince Of Darkness“, in denen Wandspiegel ihre physikalische Zuverlässigkeit einbüßen und in eine unergründliche, anderweltliche Chaosdimension münden. David Bruckners schöner „The Night House“ gründet auf diesem Topos gewissermaßen seine gesamte Geschichte – ein viele Jahre zurückliegendes Nahtoderlebnis der Protagonistin Beth erweist sich als keineswegs so substanz- und folgenlos, wie die gemeinhin als skeptische Atheistin bekannte Frau es sich selbst stets weiszumachen trachtete. Zumindest wurde sie bei ihrem Kurzausflug auf die andere Seite entdeckt und wahrgenommen, obschon ihre eigene Wahrnehmung ihr dies offenbar verschwieg. Mit welcher Vehemenz ebenjene Entität seither versucht, sich ihrer zu bemächtigen, das bekommt sie nach Owens überraschendem Suizid bald selbst zu spüren. Dass ihr Gatte zumindest über weite Phasen seines Privatlebens hinweg nicht der war, der er zu sein vorgab, gehört ebenso zur Entschlüsselung dieses Geheimnisses wie gleichermaßen zunehmend bedrohliche wie verwirrende Erlebnisse, die allmählich die Grenzen zwischen Traum und Realität aufzulösen beginnen. Bruckners gelassener, in entscheidenden Momenten allerdings gekonnt die Daumenschrauben anziehender Erzählduktus mit einigen glänzenden audiovisuellen Einfällen vertraut sich dabei ganz der Perspektive der von Rebecca Hall einnehmend gespielten Hauptfigur an. In diesem Zuge entspinnt sich ein hübscher Mysterythriller von angenehm ernster Gestalt, ein Horrorfilm zudem für ein ausgewiesen erwachsenes Publikum.
Dabei hat die eigentlich schönste Szene wenig mit der sich später herausschälenden Genreausprägung zu tun und liegt ziemlich am Anfang. BerufsgenossInnen werden wissen, welche ich meine…

8/10

LA HIJA

Zitat entfällt.

La Hija (Die geheime Tochter) ~ E 2021
Directed By: Manuel Martín Cuenca

Javier (Javier Gutiérrez) und Adela (Patricia López Arnaiz), ein kinderloses Paar, lebt fernab der Stadt in den andalusischen Bergen. Während Adela meist zu Haus bleibt, arbeitet Javier als Betreuer in einem Heim für straffällig gewordene Jugendliche. Dabei hat er auch die junge Irene (Irene Virgüez) kennengelernt, schwanger von dem im Gefängnis einsitzenden Kleinkriminellen Osman (Sofian El Ben). Javier und Adela bieten sich als heimliche Adoptiveltern für Irenes Baby an und fassen dafür einen höchst ominösen Plan: Irene soll sich bis zur Niederkunft in ihrem Haus versteckt halten, das Kind danach aufgeben und sich selbst absetzen, entgolten durch eine „angemessene“ finanzielle Entschädigung. Offiziell würde sie für den entsprechenden Zeitraum als spurlos verschwundene Ausreißerin gelten. Zunächst scheint alles in Javiers und Adelas Sinne zu funktionieren, doch als Osman einige Monate später entlassen wird, nach Irene sucht und Javier den beiden ein Treffen ermöglicht, wendet sich das Blatt: Die werdenden Eltern entschließen sich, ihr Baby zu behalten. Für Adela und Javier jedoch gibt es eine solche Option schön längst nicht mehr…

Schwangere Mütter und die aus multiplen Wahnideen geborene Gier nach der in ihren Körpern heranwachsenden Leibesfrucht beflügeln in schöner Regelmäßigkeit die Phantasie emsiger Genrefilmer. Während daraus in der Vergangenheit oftmals sehr intensive Beiträge entstanden, schickt sich der Spanier Manuel Martín Cuenca an, sein Sujet zumindest bis zu einem gewissen Punkt in vergleichsweise unspektakulärer, im Wortsinne dramatischer Weise zuzuspitzen. Ihn interessieren eher die brisante Dreierkonstellation des in der Hermetik der schroffen Gebirgswelt abgeschieden beherbergten Trios und die aus dieser Situation resultierenden, antizipierbaren Konflikte. Javier und Adela fühlen sich als unfruchtbares, bourgeoises Paar vom Schicksal betrogen und wähnen in Irenes Schwangerschaft einen letzten sich bietenden Ausweg. Die junge Frau betrachten sie, zunächst ingeheim und später zunehmend akut, als reines Mittel zum Zweck, als de facto asozialen outcast, der gewissermaßen naturgesetzmäßig nie im Stande wäre, dem Kind eine auch nur halbwegs adäquate Erziehung angedeihen zu lassen. Vor allem Adela, frustriert und offenbar depressiv infolge ihrer von ihr selbst als versagend wahrgenommenen Rolle, lässt ihren Neid auf Irene immer wieder durchschimmern, derweil in Javier zumindest noch Reste seines einstigen Idealismus als Sozialarbeiter aufblitzen. So weit könnte die Geschichte auch als moralethisch aufgeladener Dardenne-Topos durchgehen, bis Cuenca sich im letzten Erzähldrittel dann doch ganz den Genreformeln ergibt und einen amtlichen, durchaus spannenden Thriller-Showdown vorlegt. Damit straft er zwar eine ganze Menge zuvor entwickelter, diskursiver Ansätze Lügen, wirft im Gegenzug mit Ingredienzien wie einem Stahlnagel, einer Schrotflinte und ausgehungerten Schäferhunden allerdings eine ungeahnte Menge an Fahrt in die Waagschale. Eine dergestaltige dramaturgische Entscheidung wird verständlicherweise nicht jedermann und -frau zusagen, mir indes gefiel’s, zumal in der Kontrastierung der zuvor so gemächlich etablierten Narration.

7/10

THE COMFORT OF STRANGERS

„Good evening. You need help?“

The Comfort Of Strangers (Der Trost von Fremden) ~ USA/I/UK 1990
Directed By: Paul Schrader

Colin (Rupert Everett) und Mary (Natasha Richardson), ein unverheiratetes englisches Paar, reist nach Venedig, um seine im Abflauen begriffene Liebe zu retten. Während sich auch in der sommerlichen Lagunenstadt bei den beiden Routine und Gewohnheit spürbar macht, lernen sie den mysteriösen Robert (Christopher Walken) und seine Frau Caroline (Helen Mirren) kennen, zwei wohlsituierte und zugleich höchst seltsame Menschen. Der einer weinseligen Nacht folgende, verkaterte, halbverschlafene Tag in ihrem großzügig eingerichteten Appartment weckt bei Mary und Colin neue Leidenschaft und sogar Hoffnungen auf eine erfüllte Zukunft, bis ein neuerlicher Besuch bei Robert und Caroline deren wahre Natur offenbart.

Paul Schrader nennt „The Comfort Of Strangers“ in einem Interview in einem zumindest leicht abwertend scheinendem Tonfall „the Italian movie“, was möglicherweise damit zusammenhängen mag, dass er den Film als Auftragsarbeit mit nicht von ihm selbst verfasstem Script (jenes stammt, basierend auf einem Roman von Ian McEwan, von Harold Pinter) inszenierte, das Projekt Schraders ehern gepflegtem Auteur-Selbstverständnis also gewissermaßen widersprach. Dennoch waren außer Regisseur und Autor noch weitere Großmeister an Bord; Dante Spinotti als dp etwa oder Angelo Badalamenti als Komponist, von den vier großartigen HauptdarstellerInnen gar nicht zu reden.
Das in internationaler Wahrnehmung ja stets so romantisch konnotierte Venedig als morbider Schauplatz für Tod und Irrsinn bildet indes kein Kino-Novum, da waren ja schon Nicolas Roegs Daphne-du-Maurier-Verfilmung „Don’t Look Now“, ohnehin ein wesentlicher Vorfahr von „The Comfort Of Strangers“, oder einige Gialli, von denen mir vor allem Lucidis „La Vittima Designata“, Lados „Chi L’Ha Vista Morire?“ und Bidos „Solamente Nero“ im Gedächtnis wabern. Ob man Schraders Film nun im erweiterten Sinne als „global giallo“ bezeichnen möchte, wäre zu beratschlagen; die Conclusio-Elemente um den von sadomasochistischer Triebfeder gespeisten Stalker-Wahnsinn des Paares Robert/Caroline greifen in ihrer Umfänglichkeit ja erst in den letzten Minuten. Zuvor ahnt man nichts oder nur wenig von deren wahren Obsessionen und bewegt sich eher mit Mary und Colin durch ihr Beziehungs-Ab und -Auf, wobei letzteres sich ausgerechnet erst durch Roberts Intervenierung einstellt; der letzte, inbrünstige Koitus vor dem Tode gewissermaßen – ebenfalls eine klare Analogie zu Roeg/ du Maurier. Überhaupt scheint mir die Spiegelung von Rupert Everett – vermutlich der schönste Schauspieler jener Ära – und dem wie eh und je faszinierenden Christopher Walken, der als Robert jeder und jedem, ob sie/er es hören will, oder nicht, seine immergleich geschilderte Selbstanalyse aus Kindheitstagen vorträgt, besonders inspiriert. Licht und Schatten symbolisieren sie; bourgeoise, britische Spießigkeit und adelsgeprägten Wahn; Eros und Thanatos letzten Endes. Dazu passend insbesondere die von praller byzantinischer Gotik gekennzeichnete, von multipler Kunst vollgepfropfte Wohnung Roberts und Carolines als Widerpart zum blassen Touri-Hotelzimmer Colins und Marys, der Badalamenti seine arabisch anmutenden, verführerischen Klänge anheim stellt.
Gleichgültig insofern, ob „The Comfort Of Strangers“ für Schraders Gesamtwerkskorpus nun einen wesentlichen oder eher zu vernachlässigenden Beitrag darstellt – ein ziemlich toller, verschrobener Film ist er allemal.

9/10