PEARL

„I’m a star! Please, help me!“

Pearl ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1918. Für die Farmerstochter Pearl (Mia Goth) ist der ländliche Alltag ein veritabler Albtraum. Jung verheiratet, kämpft ihr Mann Howard (Alistair Sewell) an der Front in Europa, die Spanische Grippe hat die welt fest im Griff. Und dann sind da noch ihre Eltern. Pearls Vater (Matthew Sunderland) ist völlig paralysiert und pflegebedürftig, ihre Mutter Ruth (Tandi Wright) schwelgt in einer unablässigen Spießrute aus Ekel, Hass und Verbitterung. Pearl bleiben nurmehr ihre Tagträume, in denen sie als berühmte Tänzerin in den von ihr geliebten Hollywood-Kinofilmen auftritt. Dementsprechend tragen sämtliche Tiere auf der Farm die Namen ihrer Lieblingsstars, allen voran Theda, eine gefräßige Alligatorendame im Teich hinter dem Grundstück. Pearl ist nämlich auch eine Psychopathin, die nicht zulässt, dass ihr jemand ihre Illusionen abspenstig macht und deren unkontrollierbare Gewaltausbrüche bald einen blutigen Strudel entfachen…

Mit dem wunderbaren „Pearl“, seinem bisherigen Meisterwerk, gelingt Ti West das nonchalante Kunststück, der bereits sehr schönen 70s-Slasher-Hommage „X“ ein noch formvollendeteres, im selben Jahr entstandenes Prequel zuzusetzen, diverse zeitgenössisch tiefschlagende Covid-Seitenhiebe inbegriffen. Darin erfährt man einiges über die Hintergründe der im Vorwerk wütenden Seniorin Pearl, in deren Innerem kurz vorm Finale nochmal sämtliche Emotionen und Gelüste gegen das welke Fleisch der Vergänglichkeit rebellieren. Dass Pearl als junge Frau ein frappierend analoges Ebenbild des koksenden, aufstrebenden Pornostarlets Maxine abgab, respektive abgibt, hat man sich in Anbetracht von Mia Goths Doppelrolle bereits denken mögen – der endgültige Beweis dafür folgte dann quasi auf dem Fuße. Der große Benefit von „Pearl“ als zutiefst eigenständiges Werk trotz inhaltlicher Anbindung liegt insbesondere darin, dass er die Bürde, sich als Reminiszenz an ein beliebtes (Sub-)Genre zu verstehen, gänzlich abstreifen kann, bilden doch Zeit- und Milieukolorit in diesem Fall ein weitgehend unbeackertes Feld insbesondere im Horrorfilm. Pearl wirkt eher wie eine Art überreife Dorothy aus „The Wizard Of Oz“ in der 1939er-MGM-Musical- Adaption mit Judy Garland. Ihren ganz persönlichen sense of wonder fabuliert sie sich, gewissermaßen ebenso wie das berühmte Quasi-Vorbild, fahrradfahrend dem allseits frustrierenden Grau ihrer Sackgassenexistenz hinzu. Der gewaltige Orkan aus Kansas bleibt in Texas allerdings aus, zumindest gegenständlich, und ins zauberhafte Land trägt er Pearl erst recht nicht. Dennoch will sie alles, was ihr vorenthalten bleibt, und das so uneingeschränkt wie maßlos: bildschöne Bonbonfarben, ruchlosen Rausch, völlige Freiheit und lasterhafte Lust. Darum bendelt sie zunächst mit einer Vogelscheuche an, mit der sie einen explosiven Orgasmus erlebt und später mit dem sich smart gebenden Kino-Vorführer (David Corenswet) aus der Stadt, der ihr einen frühen Pornofilm zeigt und dann etwas von Europa und Berühmtheit vorfaselt. Als Pearl später mit Pauken und Trompeten bei einem Erfolg versprechenden Tanzwettbewerb durchfällt, den sie zum letzten Ticket aus der inneren und äußeren Einöde wähnt, ist es ohnehin längst zu spät für sie, denn da hat sie bereits drei Morde begangen (oder zumindest drei, von denen wir wissen können). Und auch der vierte lässt nicht lange auf sich warten nach einem der berückendsten Monologe, den das Kino der letzten Jahrzehnte bereithält und derweil ein madenzerfressendes Schwein auf der Veranda darbt als unwiderstehliches Bild für den rapiden Zerfall der letzten paar Fetzen von Pearls psychischer Stabilität. Dann kommt Howard aus dem Krieg zurück und trotz eines geflissentlich bizarren Empfangs daheim ist ja längst evident, dass er Verständnis aufbringen und alles tun wird, um sie zu schützen. Ein unwiderstehlich morbides happy end.

10/10

X

„You got that X-factor.“

X ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1979. Der als Unternehmer in der Horizontalbranche tätige Wayne Gilroy (Martin Henderson) plant, als Produzent im gerade im Aufziehen begriffenen Porno-Videobiz groß herauszukommen und mietet zu diesem Zwecke mit seiner kleinen Amateur-Crew eine Hütte auf einem abgelegenen Farmgrundstück für ein verlängertes Wochenende. Die beiden knarzigen alten Besitzer, beide offenbar schon jenseits der 80, geben sich wenig gehalten angesichts des bald eintreffenden, vorlauten Sextetts. Als man mit der Arbeit beginnt, scheint insbesondere die äußerlich welke Pearl (Mia Goth) seltsam getriggert. Kurz nachdem es zwischen Nachwuchsregisseur RJ (Owen Campbell) und seiner naiven Freundin Lorraine (Jenna Ortega) zum Streit kommt, gibt es den ersten Toten…

Wie eine garstige, nicht ganz zu Unrecht verwaiste „Boogie Nights“-Episode gibt sich Ti Wests erfreulich koketter „X“, der die Befürchtung, Ti West konzentriere sich nunmehr ausschließlich auf beliebige TV-Serienformate, in hübsch frecher Weise zerstreut. Dabei begreift sich „X“ vor allem als Hommage an die in ruralem Ambiente spielenden Horrorfilme und Slasher jener Ära, in der er sich selbst ansiedelt, allen voran offensichtlich die beiden von Tobe Hooper inszenierten „The Texas Chain Saw Massacre“ und „Eaten Alive“, doch auch Epigonen wie Schmoellers „Tourist Trap“ oder Connors „Motel Hell“ lugen mehr oder weniger okkult aus jedem Kamerawinkel hervor. Dabei begnügt sich West trotz mancher sehr offensichtlicher Reprise nicht mit bloßem Revisionismus, sondern es gelingt ihm tatsächlich, durch die Evozierung einer zutiefst sinistren und damit beunruhigenden Gesamtstimmung, den Einsatz von tiefschwarzem Humor und nicht zuletzt die exzellente Make-Up-Arbeit, einen den Klassikern absolut gleichrangige Reminszenz auf die Beine zu stellen. Insbesondere die Parallelisierung der zwei Hauptfiguren Pearl und Maxine, die von der grandiosen Mia Goth in einer Doppelperformance als sich reziprok reflektierende Antagonistinnen interpretiert werden, sorgen für eine schönes, keinesfalls einfältiges oder etwa manieristisches Metaelement, das sich rückblickend als philosophischer Überbau des gesamten Szenarios erweist. Dass Ti West, dessen Retro-Gags zum Glück nur sehr selten übers Ziel hinausschießen, zudem keinerlei ästhetische Kompromisse eingeht und für stets manch derbe Überraschung gut ist, macht „X“ umso sehenswerter.

8/10

HALLOWEEN ENDS

„You’re only a man.“

Halloween Ends ~ USA/UK 2022
Directed By: David Gordon Green

Oktober 2022: Vier Jahre nach Michael Myers‘ (James Jude Courtney) letztem Amoklauf, den damit verbundenen schrecklichen Ereignissen und seinem spurlosen Verschwinden leben Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) sowie ihre Enkelin Allyson (Andi Matichak) gemeinsam im neu hergerichteten Haus von Michaels früherer Familie. Laurie ist es gelungen, ihre Obsession um den „Schwarzen Mann“ mit therapeutischer Unterstützung weitestgehend beizulegen. Sie bemüht sich sogar, Allyson mit einem jungen Mann namens Corey Cunningham (Rohan Campbell) zu verkuppeln – erfolgreich, wie sich bald zeigen soll. Doch Corey schützt eine dunkle Vergangenheit vor: ein drei Jahre zurückliegender Babysitterjob endete mit dem Unfalltod des schutzbefohlenen Jungen (Jaxon Goldenberg). Seither gilt Corey als gemiedener Außenseiter in Haddonfield. Ein gemeinsamer Besuch mit Allyson bei einer Maskenparty endet für Corey katastrophal und beinahe tödlich als er schließlich Michael Myers begegnet. Der Wahnsinnige erkennt in dem unsicheren Sonderling eine verwandte Seele und lässt ihn zunächst ziehen. In den kommenden Tagen bekommt es die kleine Stadt mit zwei geisteskranken Mördern zu tun…

Wie bereits die beiden Vorgänger von David Gordon Greens höchst privater „Halloween“-Sequel-Trilogie, „Halloween“ und „Halloween Kills“, müht sich auch „Ends“ um eine diskursive Durchbrechung tradierter Slasher-Prinzipien und versucht, das klassische Subgenre um die Akzentuierung bislang weniger beachteter Topoi anzureichern. So spielen im Finale die seelischen Narben der abermals tiefversehrten Kleinstadt Haddonfield eine wesentliche Rolle, nebst den kollateralen Mitleidenschaften, die das Duell zwischen Laurie Strode und ihrer lebenslangen Nemesis Michael Myers in diesem Zuge hinterlassen haben. Ferner werden das Wesen und die Ausprägungen des menschlichen Bösen in reichlich vulgärphilosophischer Weise zu analysieren versucht. Der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen liegt darin, dass Myers ein kaum weniger sinistrer, in punkto Blutrunst gar gleichwertiger Geselle anheim gestellt wird, ein optionaler Erbe des haltlosen Irrsinns gewissermaßen. Offenbar genügt die frühere, elementare Bedrohung durch „The Shape“ (dessen Boogeyman-Nimbus nunmehr wieder auf ein relativ semirealistisches Maß zurechtgestutzt wird) nicht mehr in einer Welt, in der das wahre Grauen von unberechenbaren Regierungsspitzen und gierigen Autokraten ausgeht, deren medial-globale Omnipräsenz de facto keine Maske benötigt. Dieses bereits in seiner Blaupausenform fragwürdig anmutende Konzept geht allerdings nur bedingt und, wenn überhaupt, aus einer abstrakten Warte heraus betrachtet auf; als Spannungs- oder Suspense-Film ist „Halloween Ends“ gänzlich uninteressant. Ein paar illustre kills in der zweiten Hälfte können immerhin mit netten Makeup-Effekten glänzen; inwieweit die zentrale Vierecksbeziehung zwischen Laurie, Michael, Allyson und Corey sich im Zuge dessen entwickelt, bleibt jedoch belanglos. Stattdessen ergeht sich Green in einem Füllhorn mal mehr, mal weniger einfallsreicher Reminiszenzen an Carpenters ohnehin in jedweder Hinsicht unantastbares Original: Diverse Einstellungen daraus etwa finden sich in Konzentraten referenziert, exakt übernommen, variiert oder unerwartet aufgelöst, statt Nybys und Hawks‘ „The Thing From Another World“ gibt es Carpenters Remake im Halloween-TV-Programm und zum Abspann läuft sinnigerweise abermals der unverwüstliche Blue Öyster Cult – Klassiker „(Don’t Fear) The Reaper)“. Dass man es hier mit zu Staube kriechenden fanboys zu tun hat, wäre folglich minimal eklatant.
Eine weitere, eindimensionale Mordparade mochte man somit ergo nicht liefern, was ich als grundsätzlich respektabel erachte. Die Zeit wird zeigen, ob Greens kleinem Zyklus innerhalb der nunmehr elf Filme umfassenden Saga dereinst ein gewichtigerer Platz zuteil werden wird oder nicht.

5/10

OCCHIALI NERI

Zitat entfällt.

Occhiali Neri (Dark Glasses – Blinde Angst) ~ I/F 2022
Directed By: Dario Argento

Der Serienkiller Matteo (Andrea Gherpelli), dessen Beuteschema teure Luxusprostituierte vorsieht, der stets mit einem Van unterwegs ist und seine Opfer mit Vorliebe stranguliert, macht Rom unsicher. Schließlich gerät auch das Callgirl Diana (Ilenia Pastorelli) an den Wahnsinnigen, die versucht, ihm mit dem Auto zu entkommen. Dabei kommt es zu einem Unfall mit einer chinesischen Familie, den nur der kleine Chin (Andrea Zhang) überlebt. Diana selbst erblindet aufgrund einer schweren Kopfverletzung. Mithilfe der empathischen Trainerin Rita (Asia Argento) und der Blindenhündin Nerea fasst Diana ganz allmählich neues Selbstvertrauen. Als sie Kontakt zu dem im Heim untergebrachten Chin aufnimmt, flüchtet sich dieser aus Angst, in eine Pflegefamilie zu müssen, zu ihr in die Wohnung. Matteo bleibt jedoch nicht untätig und will zu Ende bringen, was er einmal angefangen hat. Gemeinsam versuchen die Blinde und das Kind verzweifelt zu überleben…

After the eclipse: Meine persönliche Argento-Lücke ist zu meiner Schande mittlerweile recht umfangreich und spart sämtliche Regiearbeiten der letzten 21 Jahre aus. Da es ohnehin längst an der Zeit ist, dem Abhilfe zu leisten, warum nicht gleich bei seinem aktuellen Werk „Occhiali Neri“ ansetzen? Vorwegzunehmen wäre, dass dessen Betrachtung insbesondere auch dem nicht berufsmäßigen Argento-Apologeten mancherlei abverlangt. Logik und inhaltliche Kohärenz zählten nie zu den vorrangigen Interessen des Maestro und daran hat sich auch jenseits seines achtzigsten Lebensjahres nichts geändert. Vielmehr begeistert er sich ungebrochen für Topoi, Chiffren und Kausalitäten, die andere stirnrunzelnd als redundant beiseite schieben würden. Was man gemeinhin als dramaturgische Fettnäpfchen erachtete, bildet bei Argento zudem und au contraire die Bedienung steter werkimmanenter Motive (Dunkelheit und Licht, Raumkonstruktion, An- und Abwesenheit von Farbspektren, körperliche und/ oder psychische Versehrtheit, Außenseitertum, Angstfacetten, brave und mörderische Tiere als Erfüllungsgehilfen etc.). Die Zeit bleibt seit eh und je stehen mit und bei ihm, was gleichfalls bedeutet, dass er auch anno 2022 keinerlei Zugeständnisse an Entwicklungsprozesse in Medium oder Genre vollzieht und ganz in sich selbst ruht, ungeachtet dessen, dass es damit nahezu ausgeschlossen ist, sich ein unerfahrenes Publikum außerhalb seiner getreuen Rezeptionshemisphären zu erschließen. Ein vergleichsweises mediales Novum wie ein Smartphone für Blinde wirkt da fast wie ein postfuturistisches Artefakt, das in Argentos Welt eigentlich keinen Platz hat und, seiner diegetischen Funktion einmal entledigt, auch keine weitere Rolle mehr spielt. Ferner befreit sich der Filmemacher von scheinbar obsolet gewordenem Ballast wie einer Mörder-Psychologisierung. Zählten früher noch ein gewisses (wenn auch selten luzides) Profiling oder gar Whodunit-Elemente zu seinen obligatorischen Script-Bestandteilen, bedarf es heuer auch dieser nicht mehr. Der Killer wird ohne große Umschweife oder Mysterien bereits im ersten Drittel nebst Gesicht und Namen vorgestellt; warum er tut, was er tut, erfährt man de facto nicht. Das Incel-Motiv Misogynie erscheint mir jedenfalls etwas weit hergeholt – Matteos Charakterisierung beschränkt sich darauf, dass er nämlich im Grunde durchaus nicht unattraktiv ist, körperhygienisch jedoch ziemlich verwahrlost, in einer Baracke außerhalb der Stadt haust, große Hunde entführt und illegal weiteverkauft und mit Vorliebe kokst. Ein nachgerade unsympathisches Individuum also, was soweit genügen muss. Wenn es überhaupt ein personelles Interesse gibt, dann liegt dies in der Beziehung zwischen Diana und Chin, die als zwei einsame, gehandycapte Seelen auf kognitiver Augenhöhe durch das Schicksal aneinandergekettet werden und damit klarzukommen haben. An dieser Stelle erklimmt der oberflächliche Kriminalplot bereits eindeutig die Schnittstelle zur Symbolhaftigkeit. Und natürlich gelingt Argentos dp Matteo Cocco in dessen erster Zusammenarbeit mit dem Altmeister noch eine oftmals poetische Bebilderung; man denke nur an die Laughton-Hommage, eine fabelhafte Sequenz, in der die hoffnungslos verirrte, auf sich gestellte Diana aus dem finsteren nächtlichen Wald auf eine sternenerleuchtete Lichtung hinausstolpert. Die MakeUp-F/X von Sergio Stivaletti geben sich betont old school und finden sich, auch das gewiss ein altehrwürdiges Kontinuum, genüsslich ausgekostet.
Summa summarum manifestiert sich in diesem Alterswerk das reduzierte, bald reaktionäre Ethos des arrivierten Künstlers, der keinerlei nachvollziehbare Gründe darin sieht, sich oder der Welt noch irgend etwas zu beweisen. „Occhiali Neri“ gleicht insofern eher dem alljährlichen, harmonischen Familientreffen, auf dem der liebenswerte, zunehmend gebrechlich werdende Uropa seine alten Geschichten auspackt. Man hört zwar weiterhin interessiert zu, lächelt insgeheim jedoch Jahr für Jahr ein bisschen milder in sich hinein – vielleicht auch bloß ein Signium barer Arroganz.

6/10

TOOLBOX MURDERS

„It’s not about what can get in – it’s about what’s already here.“

Toolbox Murders ~ USA 2004
Directed By: Tobe Hooper

Das „Lusman-Arms“-Appartmentgebäude in Hollywood hat seine besten Tage längst hinter sich. Als eines der Relikte einer altehrwürdigen Ära, in dem der Legende nach unter anderem Elizabeth Short gewohnt haben soll, präserviert es dennoch einen gewissen, morbiden Charme. Zudem ist es wegen der andauernden Baufälligkeiten nicht sonderlich teuer und bietet somit dem jungen Ehepaar Nell (Angela Bettis) und Steven Barrows (Brent Roam) eine brauchbare Übergangslösung. Als Nell jedoch registrieren muss, dass einige ihrer Nachbarn, darunter ihre neue Freundin Julia (Juliet Landau), urplötzlich verschwinden, beginnt sie zu ahnen, dass im Lusman Arms nicht nur das poröse Gebälk für Unbehagen sorgt und stellt Nachforschungen an. Ein mysteriöser Tipp des alternden Mieters Chas Rooker (Rance Howard) bringt sie schließlich auf eine ungeheuerliche Spur – offenbar befindet sich ein Haus im Haus…

Als nominelles Remake von Dennis Donnellys rüdem, sechsundzwanzig Jahre älterem Slasher „The Toolbox Murders“ hat Tobe Hoopers schönes, durchaus stilvolles Spätwerk mit dem Original bestenfalls den Titel gemein und ansonsten zwei, drei nachrangige inhaltliche Motive wie den Werkzeugkoffer als wesentliches Mordinstrument sowie das Mietshaus als Tatort. Ansonsten geht das Hoopers Film zugrunde liegende Script (Jace Anderson/Adam Gierasch) wesentlich geschickter und interessanter zu Werke. In Donnellys Film, einem Exploitationfest erster Garnitur, zerschnetzelte Cameron Mitchell als Hauseigentümer in einem Anfall aus Verlustwahn und später Misogynie die Einwohnerinnen seines Hauses, während bei Hooper gewisse okkultistische Einflüsse zu verzeichnen sind und zudem die Identität des monströs entstellten (und daher maskierten) Killers weitgehend unentschlüsselt bleibt. Doch selbst dieser scheint Hoopers Interesse eher in geteiltem Maße sowie als Mittel zum Zweck zu beanspruchen, vielmehr wirkt „The Toolbox Murders“ auf mich wie eine kleine, derbe Bastardfortsetzung von Polanskis klassischer Mietshaus-Trilogie, wobei vor allem deren Mittelteil „Rosemarys Baby“ als thematischer Spender fungiert haben könnte. Gewiss, das Bramford in Manhattan wirkt noch um Einiges unheimlicher als das topographisch diametral befindliche Lusman Arms an der Westküste, aber dessen buchstäbliche Eingeweide haben es nicht minder in sich. Wie das große Vorbild einst von einem in hohem Maße an schwarzmagischen Ritualen interessierten Bauherrn errichtet (anstelle von Adrian Marcato wäre das im vorliegenden Falle ein gewisser Jack Lusman) hat das Gebäude noch ganz andere Zwecke als die Beherbung illustrer MieterInnen und wie bei Polanski (bzw. Ira Levin) setzt sich der unheilvolle Einfluss des Erbauers bereits seit den lang zurückliegenden Tagen des Richtfests fort.
Und wie Rosemary Woodhouse ist die jungverheiratete, zierliche Nell Barrows häufig allein zu Hause, lernt Mitbewohner im Waschkeller kennen und scheint als einzige aufrichtigen Argwohn gegenüber dem zu empfinden, was sich doch vor aller Augen abspielt. Die aufschlüsselnde Idee, dass das Lusman Arms nichts anderes ist als ein um ein früheres Einparteinhaus „herumkonstruiertes“ Gebäude, dessen „Gekröse“ gleichermaßen das heimliche Refugium des Maskenkillers darstellt, finde ich doch ziemlich famos. „Toolbox Murders“ pflegt darüber hinaus auch einen schönen, subtilen Humor, etwa in der Skizzierung der im Lusman Arms arbeitenden und wohnenden Menschen, die, zumal in ihrer Konzentration, ein hübsch schräges Ensemble abgeben.
Ein beachtlicher Film eines noch immer allzu unterschätzten Genremeisters – und, wie er selbst, leider viel zu übersehen.

8/10

MODERN VAMPIRES

„With a good commercial lubricant we could go for hours…“

Modern Vampires (Revenant – Sie kommen in der Nacht) ~ USA 1998
Directed By: Richard Elfman

Im Hollywood der Gegenwart kreuzen sich die Wege von Graf Dracula (Robert Pastorelli), der hier mit seiner Vampir-Community dekadente Clubpartys feiert, dem letzten Van-Helsing-Spross Frederick (Rod Steiger), dem eigensinnigen Nachwuchsvampir Dallas (Casper Van Dien), mit dem Van Helsing eine private Rechnung offen hat, und Dallas‘ amnesischen Opfer Nico (Natasha Gregson Wagner), die seit einiger Zeit auf der Straße lebt und einsame Freier aussaugt. Da der Graf das entfesselte Treiben im Sinne einer geordneten Vampir-Subkultur nicht gut heißt, will er die mittlerweile zu Dallas‘ Schützling gewordene Nico aus dem Weg haben, was wiederum Dallas, Van Helsing und vier Crips-Mitglieder (Gabriel Casseus, Victor Togunde, Cedrick Terrell, Flex Alexander) zur Zweckallianz gegen den Obervampir zusammenführt.

Leider musste Richard Elfmans verrückte kleine Horrorkomödie im Status eines TV-Films produziert werden, dabei wäre ihr ein Kinoeinsatz so sehr vergönnt gewesen. Wobei sich die berechtigte Frage stellt, ob überhaupt – und wenn ja, wie – ein von lahmen Blockbustern eingenordetes Endneunziger-Mainstream-Publikum „Modern Vampires“ wohl rezepiert hätte. Auf Anbiederungen jedweder Art verzichtet das gute Stück nämlich überaus vorsätzlich. Danny Elfmans Bruder Richard, vornehmlich als exaltierter Musiker (Oingo Boingo), Journalist und im Bühnenfach tätig, hatte sich nach seinem bizarren Musical und Midnight Movie „Forbidden Zone“ erstmal lange Jahre aus dem Filmgeschäft ferngehalten und kam erst in den Neunzigern wieder dazu, einige Off-Studio-Projekte zu inszenieren, zuletzt das vorliegende.
Für den sich als ebenso eigensinnige wie geschmacklose Satire begreifenden „Modern Vampires“ konnte er eine überaus stattliche Besetzung vor der Kamera versammeln, die durchweg mit einigem Einsatz ans Werk geht und somit ihr Herz und Engagement für Elfman und sein Werk transparent werden lässt. Im zunehmenden Verlauf seiner Spielzeit spitzt sich die Absurdität des Geschehens immer weiter zu und spätestens, wenn der altehrwürdige Van Helsing mit den vier zugedopten Crips im Fond seines Vans über den Sunset Boulevard tuckert und von der Polizei angehalten wird, weiß man endgültig, in welchem Hause man hier zu Gast ist. Zudem erfährt der Zuschauer mancherlei Dinge betreffs des altehrwürdigen Vampirmythos, die er sich vorher nie zu erfragen wagte (oder wollte), so etwa, dass man sich durch koitalen Verkehr mit einer Vampirin selbst zum Blutsauger wird. Eine freidrehende Vergewaltigungsszene, in der sich das Gangmitgliederquartett über die hässlich mutierte Kim Cattrall hermacht und im Nachhinein erstmal das große Kotzen kriegt, dient zur diesbezüglichen Illustration. Überhaupt hat „Modern Vampires“ nicht nur ein großes Herz fürs erlesen Abjekte, sondern auch für seine zähnebleckenden GesellInnen, zumindest für jene, die auf verkrustete aristokratische Strukturen zu verzichten und sich stattdessen als lebensbejahende Libertins einzurichten pflegen.

7/10

HALLOWEEN KILLS

„Evil dies tonight!“

Halloween Kills ~ USA/UK 2021
Directed By: David Gordon Green

Dank der eilends eintreffenden Feuerwehr kann Michael Myers (Nick Castle/James Jude Courtney) seinem Kellergefängnis in Laurie Strodes (Jamie Lee Curtis) brennendem Haus entkommen, derweil Laurie, ihre Tochter Karen (Judy Greer) und ihre Enkelin Allyson (Andi Matichak) auf dem Weg ins Krankenhaus sind. Nachdem Michael sämtliche vor Ort befindlichen Feuerwehrleute massakriert hat, tritt er seinen leichengesäumten Rückweg nach Haddonfield an, wo alte Bekannte, darunter Tommy Doyle (Anthony Michael Hall), Lindsey Wallace (Kyle Richards) und Michaels frühere Krankenschwester Marion (Nancy Stephens) den vierzigsten Jahrestag von Michaels erstem Wiederauftauchen memorieren. Als sie von seinem neuerlichem Amoklauf erfahren, bildet man eilends eine Bürgerwehr, die sich im Krankenhaus zu einem blindwütigen Lynchmob formiert. Diesem fällt der zuvor mit Michael geflohene Psychiatrieinsasse Lance Tovoli (Ross Bacon) zum Opfer, derweil Myers, nachdem er seine Blutspur verlustreich fortsetzt, in sein altes Familienhaus zurückkehrt…

David Gordon Green setzt den mit seiner jüngsten Revitalisierung des „Halloween“-Franchise installierten Wiederbeginn fort und legt damit gleichfalls den Mittelteil seiner als Trilogie konzipierten Sequel-Reihe vor. Diese ignoriert bekanntermaßen sämtliche Fortsetzungen und Reboots, die nach Carpenters 78er-Original entstanden waren und knüpft inhaltlich unmittelbar an den monolithischen Klassiker an. Einige noch schuldige Rückblenden, die sich aus diesem Ansatz ergeben, legt „Halloween Kills“ nun nach; unter anderem erfahren wir, dass auch der damals noch als unangenehmer Bully gezeichnete Lonnie Elam (Robert Longstreet) auf Michael getroffen war, und dass Officer Hawkins (Will Patton) sich unmittelbar vor Michaels Festnahme in jener Nacht eine schwere Blutschuld aufgeladen hat. Das Script müht sich also nach Kräften, sowohl personelle wie inhaltliche Verknüpfungen zu arrangieren als auch verbliebene lose Fäden zu fixieren und legt sein Augenmerk auf ein multiples Ensemble, was wiederum die Gestaltung diverser, voneinander losgelöster Szenarien gestattet. Michael Myers‘ Motivation und Charakterisierung, um die sich frühere Beiträge der Serie immer wieder mehr oder weniger zielführende Gedanken gemacht haben, bleiben indes nebulös; einzig sein Status als mysteriöse, nicht aufzuhaltende Entität des ultimativ Bösen findet sich weiter zementiert, ebenso wie sein verzweifeltes Streben nach der unverzichtbaren, da identitätsspendenden Maske. Der effektaffine Horrorfreund wird in „Halloween Kills“ durch Myers‘ qualitativ wie quantitativ gesteigert-rabiates Vorgehen beschwichtigt, denn so blutrünstig wie hier hat sich „The Shape“ noch durch keines seiner vormaligen Abenteuer gemetzelt. Tatsächlich rahmen gleich zwei opferintensive Massenmorde, wie man sie in solch effektiver Ausprägung von dem eigentlich eher als träge bekannten Myers noch nicht gesehen hat, sein Treiben in diesem elften Derivat ein.
Mit dem mittelteils eingeschobenen, tragisch endenden Lynch-Subplot, der wohl irgendwie nachvollziehbar demonstrieren soll, wie die mit Michaels Rückkehr einhergehende Aura des Bösen die gesamte Kleinstadtbevölkerung von Haddonfield erfasst und zu mittelbaren Handlangern avancieren lässt, verhebt sich Greens Film allerdings tüchtig. Jene Episode – so sie denn überhaupt notwendig ist – hätte man auch deutlich pointierter unterbringen mögen. Ansonsten hält „Halloween Kills“, seinem eindeutigen Repetitierungsstatus gemäß, zumindest das leicht überdurchschnittliche Niveau seines Vorgängers, was ja auch schon mal was ist.

6/10

MALIGNANT

„It’s time to cut out the cancer.“

Malignant ~ USA/CH 2021
Directed By: James Wan

Die jüngste Attacke ihres gewalttätigen Ehemanns Derek (Jake Abel) endet für die schwangere Madison Mitchell (Annabelle Wallis) mit einer blutigen Wunde am Hinterkopf. In der darauffolgenden Nacht erscheint ein seltsam verformter Eindringling im Haus der Mitchells, schlachtet Derek förmlich und bedroht auch die panische Madison. Diese erwacht später im Krankenhaus, nachdem sie abermals eine Fehlgeburt erleiden musste. Kurz darauf sterben mehrere betagte MedizinerInnen in Seattle eines ähnlich bestialischen Todes wie Derek. Die beiden Detectives Kekoa Shaw (George Young) und Regina Moss (Michole Briana White) verdächtigen Madison, doch sie und ihre Schwester Sydney (Maddie Hasson) beteuern vehement ihre Unschuld. Sowohl Sydneys Nachforschungen als auch die der beiden Cops fördern schließlich Unfassbares zu Tage: Madison, die einst von Sydneys Eltern adoptiert wurde, war vor rund dreißig Jahren als Patientin in der mittlerweile geschlossenen „Simion-Klinik“. Sie selbst kann sich an diese Zeit nicht mehr erinnern, sehr wohl jedoch daran, dass ein merkwürdiger imaginärer Begleiter namens Gabriel sie zu bösartigen Taten anstiftete…

James Wans „Aquaman“-Nachfolger führt den Regisseur wieder zurück auf die wohlvertrauten Pfade des veritablen Genrefilms, wobei der ja auch vielfach als Produzent umtriebige Filmemacher in rein stilistischer Hinsicht eine große rückgewandte Klammer bis hin zu seiner frühen Arbeit „Saw“ vollzieht. Ansonsten referenziert der stets fesch frisierte Wan eine Vielzahl offenbar prägender Motive und Topoi der Gattung, die irgendwo bei William Castle beginnt und ihre turbulente Reise quer durch das Werk von De Palma, Argento, Henenlotter und Cronenberg fortsetzt, bis sie eben irgendwann wieder bei Wan selbst mündet. Die angebliche Originalität, die diverse Reviews, die ich mittlerweile gelesen habe, „Malignant“ bescheinigen, treffen somit de facto kein bisschen zu und fußen offenkundig auf mangelnder Auseinandersetzung der betreffenden AutorInnen mit der Horrorfilm-Historie. Der parasitäre Zwilling Gabriel, dessen letzte physische Relikte sich in Madisons auffallend dicht beschopfter Hinterkopfregion befinden, geriert sich zweifelsohne als Hommage an seine „siamesischen“ Ahnen Dominique Breton oder Belial Bradley, die ihren diabolischen Einfluss auf ihre öffentlich sichtbaren Zwillinge auszuspielen pflegten und mithilfe von deren fragilem Geist und Körpern ihr finsteres Werk vollzogen. Vor allem die (hier in Form dokumentarischer VHS-Aufnahmen), entschlüsselnden Rückblenden und Gabriels Rachefeldzug an den verantwortlichen ChirurgInnen erweisen sich als eindeutige „Basket Case“-Reverenz in natürlich tricktechnisch wesentlich modernerer und budgetintensiverer Form – wie es überhaupt ein wenig verwundert, dass Warner und New Line Wans eigentlich im Indiehorror der härteren Gangart verwurzelten Stoff offenbar durchwunken ohne ihn Federn lassen zu lassen. Eine Vielzahl chinesischer Koproduzenten und vor allem die Superhelden machten’s wohl möglich, wobei ja auch der irrwischende Gabriel nicht wenig von einer metawesenhaften Entität besitzt. Wan scheut sich zudem kaum, allerlei campige Elemente durchzudeklinieren, die besonders zum Ende hin akut werden. Die Szenen, in der Madison/Gabriel in einer Frauengefängniszelle voller asozialem, lesbischen Weibsvolk (Anführerin: Zoë Bell) landen und hernach, natürlich bis aufs Blut gereizt, zunächst darin aufräumen, um dann noch das ganze dazugehörige Polizeirevier zu entvölkern, muss den ehedem monetär eingeschränkten Exploitationfilmern der Siebziger wie ein wahr gewordener, feuchter Traum anmuten. Dennoch sollte man „Malignant“ nicht grenzenlos hochjubeln. Er fühlt sich en gros und trotz seiner ellenlangen Inspirationsketten frisch, wild und spaßig an, das unterschwellige Gefühl, dass er diesem ersten Eindruck auf Dauer nicht wird standhalten können, mischt sich allerdings schon jetzt merklich hinzu, ebenso wie die etwas schal anmutende Registrierung der Tatache, dass der geschäftstüchtige Wan quasi bereits die Sequeloption allzu eklatant ab Werk mit eingebaut hat. Es wird sich erweisen müssen, was dereinst von „Malignant“ übrigbleibt.

7/10

POSSESSOR

„Pull me out.“

Possessor ~ CAN/UK/USA/AU 2020
Directed By: Brandon Cronenberg

Die Kanadierin Tasya Vos (Andrea Riseborough) hat einen ganz besonderen Job: Sie arbeitet für einen geheimen Übernahmekonzern als Auftragskillerin. Doch betätigt sie persönlich nie den Abzug oder vielmehr die Klinge – mittels einer Gedankenübertragungsmaschine kann sie ihren Geist vorübergehend in den Körper eines potenziellen Wirts übertragen, wobei dessen eigene Persönlichkeit, zur Untätigkeit verdammt, nurmehr passiv und hilflos in ihm schlummert. Der Wirt erledigt sodann unter Tasyas Führung ihren schmutzigen Auftrag und nimmt sich hernach stets auch das eigene Leben. Doch geht jene blutige Tätigkeit an Tasya keineswegs spurlos vorüber; sie erlebt zunehmend häufig Momente der Transzendenz und Deprivatisierung, verliert sich in fremden, bluttriefenden Gedanken und Flashbacks. Ihren nichtsahnenden Mann Michael (Rossif Sutherland) und ihren kleinen Sohn Ira (Gage Graham-Arbuthnot) hat Tasya um des schmutzigen Geschäfts Willen bereits verlassen, tendiert jedoch immer wieder zur Rückkehr, ganz zum Unwohlsein ihrer Chefin Girder (Jennifer Jason Leigh). Tasyas jüngster Auftrag erweist sich schließlich als ebenso heikel wie destruktiv: Sie soll im Körper des Yuppies Colin Tate (Christopher Abbott) dessen künftigen Schwiergervater, den superreichen CEO John Parse (Sean Bean), und dessen Tochter Reeta (Kaniethiio Horn) töten. Bevor Tate sich nach erfüllter Mission jedoch selbst ausschalten kann, übernimmt er wieder phasenweise die Kontrolle über sein Selbst. Tasya und Tate kämpfen nun in dessen Körper um die mentale Vorherrschaft…

Well done, Filius. David Cronenbergs Sohn Brandon hat seine Hausaufgaben zumindest im Falle von „Possessor“ mehr denn zufriedenstellend erledigt, denn sein zweiter Langfilm könnte prinzipiell auch als Frühwerk des brillanten Papas durchgehen. Was so gemeinhin gern als „body horror“ tituliert wird, also ein Potpourri an Topoi, die sich mit der Zweckentfremdung, Pervertierung, Verformung und dem forcierten Selbstbetrug von Körper und Geist befassen und die sich wie ein buchstäblicher roter Faden durch Cronenberg Sr.s Œuvre mindestens (eindeutig nachvollziehbar) bis 1999 ziehen, greift auch der Junior auf. Vor allem das beängstigend zeitlose Meisterwerk „Videodrome“, in dem der Fernsehmacher Max Renn zum sich physisch und psychisch verformenden Attentäter wird, dürfte Brandon Cronenberg als entscheidende Inspirationsquelle gedient haben, wenngleich er von dem darin konsequent finalisierten Radikalismus seines Vaters dann doch noch ein wenig entfernt ist. Nichtsdestotrotz finden sich dessen Tropen um die in rückhaltlos in den Dienst des Kapitalismus bzw. Neoliberalismus gestellte und daraus resultierend zersplitternde Persönlichkeit auch in „Possessor“ wohlfeil ausformuliert: die sich äußerlich so sanft ausnehmende Tasya Vos wird zu einem mehr und mehr im Sinne ihrer „Erfinder“ agierenden Monster, das schlussendlich dazu getrieben wird, die letzten Verbindungen zur eigenen Humanität zu kappen, um weiterhin so effektiv wie möglich funktionieren zu können und sich mit seinem zerstörerischen Schicksal zu arrangieren. Den katastrophalen Pfad in diese endgültige Negierung alles vermeintlich Lebenswerten illustriert Cronenberg wiederum mit den ihm familiär anheim gestellten, transgressiven Mitteln; gewaltige Lachen von Blut, die aus Tasyas emsig durchgeführten Aktionen resultieren, überschwemmen oftmals den Boden, auf dem die Figuren stehen – im abjekten, wenngleich besonders poetisch arrangierten Finale vermischt sich schließlich der abermals gewaltsam extrahierte Lebenssaft einer ganzen Familie. Tasya Vos kann und wird künftig umso reueloser zur Tat schreiten.

8/10

SPIRAL: FROM THE BOOK OF SAW

„Wait, I thought the Jigsaw Killer was dead.“ – „He is.“

Spiral: From The Book Of Saw (Saw: Spiral) ~ USA/CA 2021
Directed By: Darren Lynn Bousman

Jahre nachdem John Kramer und seine Vasallen das Zeitlich gesegnet haben, beginnt ein weiterer Nachahmer, das grausame Werk des Serienmörders mit der moralisch verqueren Agenda wiederaufzunehmen. Die Opferschaft rekrutiert sich diesmal ausnahmslos aus der Abteilung des Polizisten Ezekiel „Zeke“ Banks (Chris Rock), der es als „ehrlicher“ Detective mit seinen korrupten und karrieregeilen Kolleginnen und Kollegen selbst nie einfach hatte. Als schließlich auch Banks‘ neuer Partner William Schenk (Max Minghella) tot aufgefunden wird und sein Vater (Samuel L. Jackson), ein renommierter Ex-Cop, verschwindet, nimmt der Fall zunehmend persönliche Züge für den Ermittler an.

Mit diesem erstmals seit dem dritten Sequel wieder von Darren Lynn Bousman inszenierten, mittlerweile neunten Zugang des „Saw“-Franchise, erhält selbiges seinen bislang zugleich schwächsten Beitrag. Die von James Wans Original einst quasi mitbegründete Welle des seinerzeit als so abschätzig wie hilflos bezeichneten „torture porn“ ist zumindest in ihrer originäen Ausprägung bereits seit längerer Zeit wieder abgeebbt, was zugleich auch die ausgeklügelten Folterfallen des Jigsaw-Killers gewissermßen zu einem Anachronismus macht. Dennoch bleiben diese in ihrer vergleichsweise raren Aussäung das interessanteste Element von „Spiral“, während die weiteren Versuche, der Reihe ein kleines Maß an Innovation zu verschaffen, ziemlich kläglich im Kielwasser der Bemühtheit verkluckern. Chris Rock als Heldenfigur und Antagonist des jüngsten Kramer-Schülers soll gleichfalls kecken Humor und innere Zerrissenheit vermitteln, ein Ansatz, der infolge der nunmehr jahrzehntelang kultivierten Selbsttypologie Rocks als Stand-up-Comedian frontal vor die Wand rauscht. Flotte Sprüche in Kombination mit einer inflationär mit Vier-Buchstaben-Wörtern gesäumten Sprache und Autorferenzen mögen Rocks gewünschter Signatur entsprechen, bremsen den ursprünglichen Charakter der Serie jedoch bloß in beschädigender Weise aus. Bousman müht sich zudem nach Kräften, dem gewohnt modrigen Industrial-Ambiente einen konträren Stil aus lichtdurchfluteter, grellgelber Urbanität entgegenzustellen, was am Ende als auch kaum mehr denn angestrengt im Gedächtnis bleibt. Schließlich entpuppt sich der sich clever wähnende twist, der natürlich um die wahre Identität des neuen Trittbrettfahrers kreist, als allzu offensichtlich bis nachlässig arrangiert. Ich war geradezu erleichtert, als der omnipräsente, personell scheinbar unverzichtbare Samuel L. Jackson im Finale von Kugeln durchsiebt wird – zumindest bleibt dieser somit einer eh kaum vermeidbaren, weiteren Fortsetzung erspart.
Wobei bei „Saw“ ja andererseits wiederum doch mit allem zu rechnen sein muss. Erstmals in den nunmehr siebzehn Jahren, in denen es nun heißt „I want to play a game“ spüre ich allmählich reelle Ermüdungserscheinungen. Kein gutes Zeichen…

5/10