CROWN VIC

„There’s the world inside this squad car, then there’s everything else outside of it.“

Crown Vic (Im Netz der Gewalt) ~ USA 2019
Directed By: Joe Souza

Der aus Oakland versetzte, junge Police Officer Nick Holland (Luke Kleintank) fährt seine erste Nachtsstreife in L.A. mit dem ebenso erfahrenen wie zynischen Cop Ray Mandel (Thomas Jane). Als Greenhorn wird Holland während der folgenden Stunden nicht selten von Mandel aufgezogen, zudem hält die nächtliche Arbeit in der Großstadt allerlei überraschende Lektionen für den werdenden Vater bereit. Die künftige Partnerschaft wird sich jedoch erst vollends in der Konfrontation mit zwei gravierenden Ereignissen bewähren müssen…

Der wohl häufig an „Crown Vic“ (der Originaltitel bezieht sich auf einen vor einigen Jahren noch gängigen Streifenwagen-Typ des LAPD, den „Ford Crown Victoria“) gerichtete Vorwurf, er präsentiere wenig mehr denn ein „Training Day“-Remake, greift natürlich viel zu kurz, und das nicht erst bei genauerem Äugen. Die Prämisse, einen unerfahrenen Jungspund gemeinsam mit einem abgeklärten Hartarsch auf Streife zu schicken, war auch schon zu Zeiten von Fuquas Film keineswegs neu oder gar innovativ; zudem entwickeln sich beide Geschichten gleich von Beginn an in völlig unterschiedliche Richtungen. Ebensogut könnte man „Training Day“ jedenfalls auch als Variation von Fleischers „The New Centurions“ bezeichnen, was letzten Endes ähnlich verfehlt wäre.
Ein dunkles Geheimnis trägt allerdings auch Ray Mandel mit sich herum, dieses ist aber vorrangig persönlicher Natur und besteht nicht etwa darin, dass er die Polizeimarke de facto bloß zur Tarnung trägt und sich eine heimliche Zweitkarriere als crime lord aufgebaut hat. Mandel nimmt sich vielmehr aus wie eine typische Thomas-Jane-Figur und scheint ihm geradezu auf den Leib geschrieben zu sein; wohl nicht zuletzt der Grund, warum seine Interpretation zu den denkwürdigsten mir bekannten Auftritten des Darstellers zählt. Luke Kleintanks Part dient eher als Katalysator und moralische Stellschraube für den längst mit allen Berufswassern gewaschenen Frühfünfziger, dem in jener schicksalhaften Nacht, in der sich die gesamte erzählte Zeit von „Crown Vic“ abspielt, auch eigenen Dämonen zu stellen hat. In den ersten zwei Dritteln entrollt sich zunächst allerdings ein schönes, nächtliches Panoptikum des unübersichtlichen Molochs Los Angeles, eine Ansammlung kauziger Gestalten zwischen Drogen, Suff und psychischen Krankheiten, mit denen sich die „Ordnungshüter“ herumzuschlagen haben. Gerade in dieser anekdotenhaften, breiten und doch pointierten Darstellung der typischen, urbanen Polizei-„Allnacht“ liegt die eigentliche Stärke von Souzas Film, die Kür, derweil der dramaturgische Errichtung des vermeintlichen Story-Höhepunkts eher zur lästigen, wenngleich notwendigen Pflichtübung gerät.
Für Liebhaber (auch und insbesondere) des (klassischen) Polizeifilms von Joseph Wambaugh bis David Ayer u.U. jedenfalls eine durchaus gewinnende Veranstaltung.

7/10

MANK

„What the buyer bought still belongs to the man who sold it. That’s the real magic of the movies.“

Mank ~ USA 2020
Directed By: David Fincher

Der bei den großen Studios in Ungnade gefallene Scriptautor Herman „Mank“ Mankiewicz (Gary Oldman) erhält von dem allerorten als Wunderkind gehandelten Youngster Orson Welles den Auftrag, das Script für dessen Regiedebüt zu erstellen. Kurz vor Antritt der Arbeit gerät Mank in einen Autounfall, der ihn für die kommenden Wochen ans Bett fesseln wird. Gemeinsam mit einer deutschen Pflegerin (Monika Gossmann) und einer englischen Schreibkraft (Lily Collins) wird der latente Alkoholiker in einem abgelegenen Häuschen in der Mojave-Wüste einquartiert, wo er seinen kreativen Ergüssen freien Lauf lassen soll. Am Ende seiner nicht unumständlichen Bemühungen steht ein handfester Streit mit dem Narzissten Welles, aber auch das Drehbuch zu „Citizen Kane“.

David Finchers Werk bleibt eigenwillig und nicht immer einfach entschlüsselbar. „Mank“, entstanden nach einem Drehbuch von Finchers Vater Jack, war eigentlich schon vor über 20 Jahren geplant, wurde dann aber bis auf Weiteres auf Eis gelegt, bis Netflix die Produktion übernahm. Wenngleich der Film viele etablierte Merkmale hollywoodtypischer Biopics aufweist, stehen doch mancherlei andere Bestrebungen seitens der Finchers im Vordergrund. Zuallervorderst wäre das eine breite Liebeserklärung an die Gilde der vielen intellektuellen Autoren, die in den zwanziger bis vierziger Jahren von den großen Studiobossen ausgelutscht und in die kreativen Knie gezwungen wurden, politischer und/ oder sozialer Denunziation zum Opfer und dem Alkohol verfielen und als wesentliche Bestandteile der Schöpfungsprozesse vieler heute als Klassiker anerkannter Kunstwerke nie das zeitgenössische Renommee erlangten, das ihnen ebenso wie den Stars und Regisseuren zugestanden hätte. Im Falle Herman Mankiewicz‘, dessen wesentlich prominenterer, jüngerer Bruder Joseph als Produzent und Regisseur einige der wichtigsten Filme des vergangenen Jahrhunderts (mit) zu verantworten hat, ist dieser Ansatz besonders naheliegend. Mankiewicz wurde keine 56 Jahre alt, galt vor allem in späteren Lebensjahren als unbequemer, vielen wirrköpfig scheinender, linker Philanthrop, der seine Erfolgschancen höchstselbst krachend torpediert habe. „Mank“ entwickelt dazu ein paar schöne, wohl recht ausgeschmückte Thesen und Anekdoten. Demnach fußt das „Citizen Kane“-Buch, Mankiewicz‘ persönliche Abrechnung mit dem mächtigen Pressezar William Randolph Hearst, auf einigen ganz speziellen Ereignissen, darunter Hearsts Busenfreundschaft mit dem MGM-Mogul Louis B. Mayer und deren gemeinsamen Umtrieben, die bis in die kalifornische Politik hineinreichten. So war das Löwenstudio durch die gezielte Produktion propagandistischer Spots maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass der sozialliberale Upton Sinclair 1934 die Wahl zum Staatsgouverneur gegen seinen republikanischen Gegner verlieren musste, eine Einflussnahme, die Mankiewicz den hohen Herren stets äuzßerst übel nahm. In einer späten Schlüsselszene fällt Mank stockbesoffen auf ein dekadentes Kostümfest in Hearst Castle ein und desavouiert den Gastgeber (Charles Dance) mittels der breit vorgetragenen Idee, ihn zum Mittelpunkt einer modernisierten Don-Quichote-Version zu machen, in der es um den Verlust einstiger Idealen und die Korrumpierung durch Geld und Macht gehen würde, bevor er vor versammelter Mannschaft auf den Teppich kotzt. Damit schließt Manks Mitgliedschaft in Hearsts Sympathisantenzirkel ebenso endgültig wie seine Engagements in Hollywood. Zugleich ist die Idee zu „Citizen Kane“ geboren.
Finchers Inszenierung befleißigt sich einer immensen Detailversessenheit und äußerster formaler Strenge; die Schwarzweiß-Fotografie präserviert einerseits das Zeitgefühl des Dreißiger-Jahre-Hollywoods, veranschaulicht durch ihre harte Kontrastierung jedoch gleichfalls den pathologischen Hedonismus des Titelcharakters. Szenen wie jene, in der Mank und Hearsts Geliebte Marion Davies in platonischer Verliebtheit durch den nächtlichen Privatzoo des Verlegers flanieren wären in schnöder Farbe jedenfalls so nicht vorstellbar. Künstlich eingepflegte cue marks (Finchers Faible dafür ist ja bereits aus „Fight Club“ bekannt) werden zu heimlichen, kapitelartigen Wegweisern zwischen nominellen“Flashbacks“ und filmischer Gegenwart und allerlei Hochherrschaften (zu viele, um sie aufzuzählen) der einstigen, goldenen Kinojahre finden sich durch kleine und größere Reminiszenzen nicht immer schmeichelhaft reanimiert; der aufreibende Jazz-Score von Trent Reznor und Atticus Finch transportiert ergänzend auch das Rezipientenohr achtzig Jahre in der Zeit zurück.
Die ohnehin etwas kleinkariert anmutende Tatsache, dass Hauptdarsteller Oldman (brillant wie eh und je) mit gut 61 eigentlich deutlich zu alt ist, um einen 43-jährigen zu spielen, mag man nebenbei großzügig übersehen.

8/10

AMULET

„What is happening to me?“

Amulet ~ UK/AE 2020
Directed By: Romola Garai

Der Veteran Tomaz (Alec Secareanu) hat seinen Kriegsdienst einst als Grenzposten auf irgendeinem osteuropäischen Konfliktschauplatz verrichtet. Nun lebt er als Flüchtling und Tagelöhner in London. Als das Heim, in dem er schläft, abbrennt, nimmt sich die Nonne Schwester Claire (Imelda Staunton) seiner an. Tomaz soll der in einem halbverfallenen Haus mit ihrer gebrechlichen Mutter lebenden, Magda (Carla Juri) helfen, notdürftig das Gebäude instand zu halten. Dafür bekommt er Kost und Logis. Die eigenbrötlerische Magda fasziniert den immer wieder von traumatischen Flashbacks heimgesuchten Ex-Soldaten und obwohl er ahnt, dass die kaum menschlich erscheinende Gestalt auf dem Dachboden, die Magdas Mutter sein soll, ein schreckliches Geheimnis umgibt, verliebt er sich in die junge Frau. Zwischenzeitliche Entschlüsse, dem Haus und den Frauen den Rücken zuzukehren, revidiert Tomaz immer wieder, bis er schließlich die grauenhafte Wahrheit erkennen muss und auch, dass seine Rolle in einem schicksalhaften, übernatürlichen Gefüge schon lange determiniert ist.

Das grandiose Regiedebüt der bislang ausschließlich als Darstellerin in Erscheinung getretenen Romola Garai reiht sich thematisch in die Garde des feministisch geprägten, jungen Horrorkinos ein und bereichert dieses um einen weiteren, ebenso hochinteressanten wie sehenswerten Beitrag. Garai, die auch als eine der vielen Anklägerinnen im Weinstein-Prozess fungierte (und somit nochmal eine zutiefst persönliche Agenda in diese Arbeit einfließen ließ), erweist sich als erstaunlich stilsichere Filmemacherin, die sich nicht davor scheut, ein extrem gemächliches Erzähltempo vorzulegen, in stark artifizialisierte Bereiche vorzudringen, Ellipsen einzusetzen oder mit kräftigen Formalia wie ausgeprägtem Chiaroscuro, von denen andere DebütantInnen eher wohlweislich die Finger ließen, zu arbeiten. Das komplexe Resultat ist ein mutiges, fabulierfreudiges, wenngleich sich betont sperrig und unzugänglich gebendes Genrestück, das das Unverständnis, mit dem ihm ein Großteil des unterhaltungsbedürftigen Publikums begegnen dürfte, nicht nur bereitwillig in Kauf nimmt, sondern a priori tapfer einkalkuliert. Dabei lohnt es sich immens, sich auf „Amulet“ einzulassen, da seine Mehrdimsionalität, seine labyrinthische Struktur und vor allem die fabulierfreudigen Bilderwelten sich erst im letzten Drittel zur Gänze erschließen. Dass unter den gleichermaßen geschmackvollen wie entgleisten Schichten ferner ein dezidiert antipatriarchalischer Thesenfilm lauert, der Motive um paganistische Entitäten mit feministischer Kraft auflädt, wird manch männlichen Zuschauer nachhaltig befremden. Gut so!

8/10

ALONE

„Just need to take care of something.“

Alone ~ USA 2020
Directed By: John Hyams

Nach dem Selbstmord ihres Mannes (Jonathan Rosenthal) zieht Jessica (Jules Willcox) aus der gemeinsamen Wohnung aus. Mit Sack und Pack im Anhänger begibt sie sich auf eine langwierige Autoreise zu ihrem neuen Heim, die sie durch die gebirgige Provinz Oregons führt. Unterwegs überholt sie einen sich seltsam verhaltenden Jeep-Fahrer (Mark Menchaka), nicht die letzte Begegnung mit dem Mann. Jener entpuppt sich nämlich schon bald als gefährlicher Psychopath, der offenbar bereits routiniert darin ist, Frauen zu kidnappen, in einer abgelegenen Waldhütte gefangenzuhalten und dann sonstwas mit ihnen anzustellen. Obgleich ihre Gegenwehr ziemlich aussichtslos ist, nutzt Jessica jede sich bietende Chance, dem Unbekannten zu entkommen.

Nach seinen sehr wohlwollend beleumundeten beiden „Universal Soldier“-Sequels schürt Peter Hyams‘ ebenfalls im Regiefach tätiger Sohn John die Erwartungen genreaffiner Cinephiler mit jedem neuen Projekt. Sein jüngstes Werk „Alone“, das Remake eines (mir unbekannten) schwedischen Films namens „Försvunnen“ (dessen Autor Mattias Olsson auch für das „Alone“-Script verantwortlich zeichnet), erweist sich als eine ausgereifte Fingerübung im Suspense-Fach, die ihre gute Schmierung vor allem Hyams‘ vortrefflicher Mise-en-scène verdankt. Während sowohl der Plot als auch dessen Dramaturgie auf hinlänglich bekannte Motive des Kidnapping-Thrillers und Terrorkinos zurückgreifen, man sich als Rezipient diesbezüglich also zwangsläufiger Schablonenhaftigkeit aussetzt, überzeugt Hyams mit formaler Rafinesse und dem allzeit spürbaren Ehrgeiz, Althergebrachtes gleichsam anregend zu recyceln. Wo ein Stoff, wie „Alone“ ihn zentriert, in den letzten zehn, fünfzehn Jahren üblicherweise als morastige Rape-&-Revenge-Story mit deftiger Effektarbeit verhandelt worden wäre, befleißigt sich Hyams mithin klassischer Formeln und bereitet diese durchaus erfolgreich wieder auf. Audiovisuell forcierte Sadismen, wie sie durch Vergewaltigung oder Erniedrigung des (vornehmlich weiblichen) Opfers innerhalb der Gattung jüngst reetabliert haben, finden in „Alone“ keinen Platz, ebensowenig wie ostentativ befleißigte Make-Up-Arbeit. Ganz nach hitchcock’scher Lehre setzen die Ereignisse uns von Anfang an in exakt dieselbe Wissens- und Wahrnehmungsspur der Protagonistin und lassen diese in all ihrer Verzweiflung gerade so rational agieren, wie das Gros des Publikums es an ihrer Stelle ebenso täte; weder erweist sich Jessica als so dumm, potenzielle, aber allzu riskante Offensiven zu ergreifen, noch sich während ihrer Flucht durch die plumpen Provokationen ihres angenehm „menschlich“ gezeichneten Widersachers beirren zu lassen. Der bloße Überlebensinstinkt setzt das Opfer hier ausnahmsweise wirklich mal in den naheliegenden psychologischen Vorteil der in die Ecke gedrängten Gejagten und mit einigem Genuss wohnt man dieser dann auch bei, wie sie im Showdown zunächst die verwundbarste Stelle des an sich biederen Wochenend-Gewalttäters sondiert und sich zunutze macht.
Ein sich auf angenehme Weise entrollender, konzentrierter Film somit, der es sich weitaus weniger leicht macht als es zunächst den Anschein hat.

7/10

COMING 2 AMERICA

„If something is good, don’t try to ruin it.“

Coming 2 America (Der Prinz aus Zamunda 2) ~ USA 2021
Directed By: Craig Brewer

Das Königreich Zamunda – und damit auch Kronprinz Akeem (Eddie Murphy) – zeigt sich für seine utopischen Idealverhältnisse geradezu krisengeschüttelt, als der König Jaffe Joffer (James Earl Jones) das Zeitliche segnet und sich herausstellt, dass Akeem einen unehelichen Sohn in Queens hat. Immerhin lässt sich mit der semierfreulichen Neuigkeit ein Übel beseitigen: Dem Drohgehabe von General Izzi (Wesley Snipes), Diktator des kriegerischen Nachbarstaats Nexdoria, könnte mit einer arrangierten Hochzeit zwischen dem Kuckucksfilius und Izzis Tochter Bopoto (Teyana Taylor) ein entspannender Riegel vorgeschoben werden. Akeem reist, unterstützt von Adlatus Semmi (Arsenio Hall), also flugs nach Queens, um dort Sohnemann Lavelle Junson (Jermaine Fowler) zu finden und „heimzubringen“, nicht ohne Lavelles vorlaute Mutter (Leslie Jones) im Schlepptau. Für Akeems Königin Lisa (Shari Headley) und ihre drei regulären Töchter (KiKi Layne, Bella Murphy, Akiley Love) erweisen sich die familiären Neuzugänge mit ihrem ungeschliffenen Benehmen als recht anstrengend, doch Akeem und Lavelle raufen sich bald zusammen. Als jedoch Lavelle die geplante Hochzeit mit Bopoto zugunsten der zamundischen Friseurin Mirembe (Nomzamo Mbatha) cancelt und mit ihr zurück nach New York fliegt, steht Akeem vor einer ähnlichen Entscheidung wie sein eigener Vater rund dreißig Jahre zuvor.

Gewiss sind ideologiekritische Betrachtungen von Film richtig und wichtig, wenn sie jedoch den Blick auf das Wesentliche verstellen, nämlich das eigentliche Objekt des Diskurses, dann wird’s zangsläufig brackig. In jüngerer Zeit kommt derlei häufiger vor; die neoliberale Front hetzt gegen Genderwahn und übertriebene wokeness, derweil die Gegenseite wahlweise wider mangelnde Diversität oder politisch unkorrekte Spöttereien ins Feld zieht. Völlig albern gestaltet sich solch am Ende doch lediglich das Ego des bzw. der jeweiligen SprecherIn balsamierende Gewetter nun, wenn der ihm zugrundeliegende Film bestenfalls medioker daherkommt – medioker in allem, was wirklich wichtig gewesen wäre.
„Coming To America“ beendete 1988 die Kernschaffensphase seines Regisseurs John Landis. Als sein letztes wirklich großes Werk beinhaltete der Film noch einmal alles, was die zehn vorhergehenden Jahres in Landis‘ Schaffen so auszeichneten – ein kultureller Röntgenblick, eine sehr spezielle Art von Humor, die in Windeseile zwischen Lakonie und screwballhaftem Tempo umherswitchen konnte, ein erlesenes Gespür für passgenaues casting nebst einer jeweiligen Kohorte von Cameos befreundeter Filmschaffender und der ganz persönlichen auteuristischen Trademarks. Der zugleich produzierende Hauptdarsteller Murphy befand sich auf seinem Karrierezenit und setzte sich als märchenhafter und vor allem romantischer Held erstmals ein Eigendenkmal, das mit seiner zuvor stets präservierten streetwise attitude, die ja seinen Werdegang als comedian erst möglich gemacht hatte, gezielt brach und somit seiner hausgemachten Typologie eine gänzlich ungewohnte Nuance hinzusetzte. Der Erfolg gestaltete sich dermaßen nachhaltig, dass das 33 Jahre später entstandene Sequel für das koproduzierende Studio amazon eine unerhörte Prestige- und PR-Bombe darstellt, erwähntes Brimborium inbegriffen. Dabei ist „Coming 2 America“ ähnlich gentrifiziert wie Queens, das damals noch „größte Dreckloch“, in das Akeem und Semmi einkehrten, um eine wahre Königin zu suchen. Brewers Fortsetzung nimmt sich sehr viel sauberer, familientauglicher und kantenloser aus. Momente wahrer Subtilität und Klugheit bleiben Nadelstiche im CGI-verpampten Pastiche; statt wie das Original schneidige Sozialkritik zu liefern oder gar afroamerikanische Identitätssuche versus bourgeoisen Scheinaufstieg zu verballhornen, verlässt man sich hier auf lauten bis vulgären Sitcom-Humor. Auch die Tatsache, dass „Coming 2 America“ inhaltlich unwesentlich mehr als ein Remake von Landis‘ Meisterwerk darstellt, das anstelle der wirklich brillanten, eher zwischen den Zeilen herauslesbaren Scriptideen eher die oberflächlichen Camouflagekalauer aufgreift und repetiert, zeigt, dass „Coming To America“ entweder nicht verstanden, oder, was wesentlich naheliegender ist, gezielt seiner Bissigkeiten entledigt wurde.
Immerhin stellt sich mit Akeems zweiter Reise innerhalb des zweiten Films nach Queens, die dazu dient, sein damaliges Ich mit dem gegenwärtigen seines Sohnes abzugleichen und somit auch den ersten Schritt zur Unterminierung des heimlichen Konservativismus seines eigentlich doch ganz schön rückschrittigen Königreichs zu gehen, doch noch eine Art von Déjà-vu-Gefühl ein, ohne auf bloße Selbstzitate zu setzen. Da wirkt der Film dann erstmals nicht wie aus dem Baukasten offensichtlicher Versatzstücke entstanden und zeigt gar ein wenig Herz. Für die letzten fünfzehn Minuten nach mehr oder weniger durchlittenen anderthalb Stunden teils grausamsten Vorgeplänkels war mir dies allerdings deutlich zu wenig.
Als romantische Komödie enttäuschend, als Fortsetzung eines Meilensteins des amerikanischen Kinos eine Katastrophe.

4/10

MORTAL

„Fire“

Mortal ~ NO/USA/UK 2020
Directed By: André Øvredal

Ein junger Amerikaner namens Eric (Nat Wolff) zieht einsam, halbverwildert und obdachlos durch die norwegische Provinz. Ein Zwischenfall mit ein paar jugendlichen Bullys führt dazu, dass einer von ihnen (Arthur Hakhalati) auf geheimnisvolle Weise zu Tode kommt. Eric landet auf der nächsten Polizeiwache, wo sich die Psychologin Christine (Iben Akerlie) zunächst erfolgreich um sein Vertrauen bemüht. Während bereits der US-Geheimdienst, repräsentiert durch die besorgte Agentin Hathaway (Priyanka Bose), längst auf Eric aufmerksam geworden ist und ihn in Gewahrsam nehmen will, scheitern entsprechende Versuche – Eric setzt das Polizeirevier in Brand und bringt anschließend einen Helikopter zum Absturz. Wiederum sucht er Christine auf, um mit ihrer Hilfe das Geheimnis um die in ihm schlummernden, übernatürlichen Gewalten zu ergründen, die Verfolger stets auf den Fersen…

Ein wenig wie eine Abrechnung in eigener Sache kommt mir Øvredals fünfte Langfilm-Regiearbeit vor, als habe der Norweger versucht, einen zu seinem ganz persönlichen Leidwesen durch die Mainstreamkultur vulgarisierten Mythos heimzuholen. Der aus der nordischen Göttermythologie stammende Gott Thor, Sohn des asgardianischen Göttervaters Odin, Herr über Blitz und Donner sowie Beschützer der Menschenwelt Midgard, ist dem jüngeren globalen Publikum vor allem durch seine Inkarnation in den Marvel-Filmen des MCU, gespielt von Chris Hemsworth, bekannt. Darin gestaltet sich der altehrwürdige Nimbus der germanischen Gottheit zunehmend als comic relief; spätestens seit Taika Waititi den dritten nominellen „Thor“-Film (der vierte ist just in Arbeit) als buntes, selbstironisches Spektakel inszenierte und der Donnergott hernach zum biertrinkenden, fetten Konsolespielfan mit Dreadlocks mutierte, derweil die allermeisten seines ehrwürdigen Geschlechts Ragnarök zum Opfer gefallen waren, schien es endgültig vorbei mit der jahrtausendealten Hochachtung.
André Øvredal scheint diese Entwicklung nunmehr zumindest ein klein wenig umkehren zu wollen. Wie schwer es die alten Götter spätestens in der gegenwärtigen Zeit, eigentlich jedoch beginnend mit der Erschließung der Neuen Welt haben, wissen wir bereits seit Neil Gaimans „American Gods“. In „Mortal“ schickt sich nun ein junger, norwegischstämmiger US-Amerikaner an, dem unwiderstehlichen Ruf zu seinen Wurzeln zu folgen und erweist sich, auf dem Grund und Boden seiner Vorväter angelangt, als niemand Geringerer denn die Reinkarnation Thors selbst. Da jedoch aller Anfang schwer ist, begreift er zunächst weder, was mit ihm geschieht, noch welche Bedeutungen die sich immer konkreter manifestierenden Visionen der Weltenesche Yggdrasil vor seinem geistigen Auge besitzen. Seine ungeheure Macht kann Eric zunächst nicht kontrollieren, zudem fehlt ihm sein obligatorischer Hammer Mjölnir, der ja gewissermaßen auch als Katalysator seiner Kräfte fungiert. Und da der moderne Mensch, oder zumindest seine regierenden Repräsentanten und Machthaber, seine alten Götter mit Füßen zu treten pflegt, steht die nahende Katastrophe nicht lange aus. Øvredals Eric-Thor steht insofern auch in der Tradition von De Palmas Filmfiguren Carrie White und Gillian Bellaver (bzw. der kleinen Charlie McGee aus Mark Lesters King-Adaption „Firestarter“), deren Fähigkeiten wahlweise nicht erkannt und nicht ernstgenommen wurden oder missbraucht werden sollten, was sie jeweils mittels mörderischer Ausbrüche der ihnen inneschlummernden Gewalten quittierten. Die Reise bis zu jenem sich leider im Off ereignenden Ein-Mann-Kataklysmus nimmt sich teils irrwegig und teils einfältig aus, stellt jedeoch einmal mehr eine Hommage an das phantastische Kino der achtziger Jahre dar, in dem es ja ebenfalls häufig um die Flucht vor begriffsstutzigen, staatlichen Autoritäten ging. So ist das eigentliche Potenzial, das „Mortal“ birgt, durchaus präsent, wird aber nie zur Gänze eingelöst, was vielerlei Ursachen haben mag – ein zu geringes Budget für die tatsächliche Vision vielleicht; möglicherweise mangelndes Entscheidungsvermögen, welche Richtung „Mortal“ schlussendlich einschlagen sollte. Am Ende bleibt ein im Ansatz interessanter Film und die sich nach „Scary Stories To Tell In The Dark“ abermals einstellende Mutmaßung, dass die Qualität von Øvredals Arbeit abhängig von der Auswahl seiner Stoffe steht und fällt.

5/10

THE BEACH HOUSE

„We’re so fortunate. It is so nice out today.“

The Beach House ~ USA 2019
Directed By: Jeffrey A. Brown

Emily (Liana Liberato) und Randall (Noah Le Gros), ein junges Studierendenpärchen, schickt sich an, ein paar Tage im Strandhaus von Randalls Familie zu verbringen, um die angeknackste Beziehung zu kitten. Im Feriendomizil angelangt, finden die beiden als eher wenig angenehme Überraschung ein mit Randalls Dad befreundetes Ehepaar, Jane (Maryann Nagel) und Mitch (Jake Weber) vor, dass offenbar ebenfalls eine Krise zu bewältigen sucht. Nach einem von Randall initiierten, spätabendlichen Marihuana-Rausch scheint der gesamte Strand zu biolumineszieren. Der nächste Tag beginnt noch sehr viel bizarrer: Jane, die zwischenzeitlich verschwunden war, hat sich physisch verändert und offenbar den Verstand verloren, das Meer hat seltsame, schleimige Organismen an den Strand gespült. Mitch ertränkt sich und während auch mit Randall eine Veränderung vor sich geht, beginnen merkwürdige Nebelschwaden über das Land zu wabern – der Beginn vom Ende der Menschheit.

Dass die filmische Apokalypse nicht immer zwangsläufig im großbudgetierten, knalligen Emmerich-Stil von Statten gehen muss, sondern ihre Wirkung auch als kleines Kammerspiel zu entfalten vermag, wollte Debütant Jeffrey A. Brown mit seinem örtlich und zeitlich stark verdichteten Horrormärchen gewiss unter Beweis stellen. Parallelen zu Richard Stanleys noch junger Lovecraft-Adaption „Colour Out Of Space“ drängen sich rasch und unwillkürlich auf, wobei diese vielleicht auch rein zufälliger Natur sind.
„The Beach House“ hätte sich jedenfalls auch als Kurzfilm ganz ordentlich gemacht; die Dehnung auf eine immer noch sehr knapp bemessene Spielzeit gestattet Brown jedoch, sein Vier-Personen-Stück bei aller Konzentration auf Emilys ganz persönliche Höllenfahrt, transzendierende Momente wie sie auch bei Stanley vorkommen, einzuflechten. Ein im Nachgang zunehmend unangenehm verlaufender Edibles-Trip deutet bereits an, dass alles von nun an Geschehende sich zunehmend abgründig gerieren wird und die Momente unangenehmer Wahrheiten mehren sich. Ein bandwurmartiges Tier frisst sich durch Emilys Fußsohle und muss wieder daraus extrahiert werden; eine bereits im fortgeschrittenen Mutationsstadium befindliche Familie, in deren Haus Emily und der bereits stark angeschlagene Randall zwischenzeitlich fliehen, zeigt, wohin die monströse Reise führen wird. Einen Großteil seiner unangenehmen Wirksamkeit bezieht „The Beach House“ auch daraus, dass das ausnahmsweise dem Ozean entwachsende Armageddon sich selbst nicht erklärt und auch der Rezipient stets auf demselben Wissensstand verbleibt wie die überrumpelte Protagonistin. Deren Anstrampeln wider das Unvermeidliche erweist sich dann am Ende auch als fruchtlos.
Dass junge Genreregisseure zumeist über ein mehr oder minder akribisches Studium klassischer Vorbilder verfügen und von diesem auch Gebrauch machen, zeigt nun auch „The Beach House“, der neben Lovecraft auch Carpenter und Cronenberg mehrfach seine Reminiszenz erweist. Originell ist anders, zumal Brown sich teilweise ganz gehörig durch seinen Plot mogelt und sich mit einer relativ oberflächlichen Figurenzeichnung zufrieden gibt, aber der grundsätzlich richtige Pfad scheint mir dennoch beschritten. Den Mann kann man wohl im Auge behalten.

6/10

CAPTIVE STATE

„Noone gets taken alive.“

Captive State ~ USA 2019
Directed By: Rupert Wyatt

Zehn Jahre nachdem Aliens auf der Erde gelandet sind, hat sich der Zustand einzelner Regionen auf der Welt nachhaltig verändert. Unterhalb von Chicago etwa haben die Fremden, deren einziges Interesse an unserem Planeten darin besteht, dessen natürliche Ressourcen auszubeuten, tief in der Erde eine Basis errichten lassen, von der aus sie sämtliche politischen Geschicke der Metropole lenken. Dazu gehört auch, dass die als „Legislatoren“ bezeichneten Wesen Institutionen wie die Polizei kontrollieren. Die daraus resultierende, faschistoide Klassengesellschaft spaltet die Bevölkerung fortan noch mehr; den kopperativen, „nützlichen“ Menschen wird eine rosige Zukunft garantiert, während der funktionale Großteil als Arbeitsdrohnen zweckdienliche Aufgaben zu erfüllen hat. Totale Überwachung gehört zum Alltag, jedes Individuum hat einen Sender implantiert, der seinen Aufenthaltsort und seine Aktionen verrät. Dennoch schafft es eine revolutionäre Untergrundbewegung genannt „Phoenix“, weitgehend unerkannt und gegen die von ihnen als „Kakerlaken“ bezeichneten Außerirdischen zu operieren. Der junge Gabriel Drummond (Ashton Sanders), dessen Eltern einst bei einem Fluchtversuch von den Aliens getötet wurden und dessen älterer Bruder Rafe (Jonathan Majors) sich längst Phoenix angeschlossen hat, gerät zwischen die Fronten. Einerseits weiß er um die Aufenthaltsorte einiger Revolutionärer, andererseits sitzt ihm der Polizist Mulligan (John Goodman), der frühere Partner seines Vaters, im Nacken.

Rupert Wyatts finsteres dystopische Allegorie fand dem Vernehmen nach wohl eher wenig Freunde, was einerseits schade ist, andererseits jedoch kaum verwundert. „Captive State“, vielleicht der politisch engagierteste Invasionsfilm seit Carpenters „They Live“, positioniert sich und seine Agenda extrem weit links; er wettert gegen die besorgniserregenden Entwicklungen, denen diverse Staatsregierungen respektive deren mehr oder minder rechtmäßig eingesetzte Repräsentanten nicht erst seit der Jahrtausendwende anheim gefallen sind – allen voran natürlichdie USA selbst unter der Regierung Trump. Es lässt sich eigentlich kaum darüber streiten, ob und in wieweit Wyatts Werk offenen bis terroristischen Widerstand gegen repressive Systeme befürwortet oder gar dazu aufruft; seine im Nukleus der Geschichte verortete Fabel um gewaltbereite antidiktatorische Rebellion zumindest lässt kaum diesbezügliche Zweifel aufkommen. Abgesehen von den selten im Bild erfassten Extraterrestriern und einem von ihnen herbestellten, wiederum aus Aliens bestehenden Killerkommando, das eine Phoenix-Gruppe liquidieren soll, verankert sich Wyatts visuelle Sprache durchaus im Gegenwärtigen. Chicago, sein ehemaliges Arbeiterviertel Pilsen oder das florierende Wicker Park, nimmt die Kamera vordringlich als graue Trümmer- und Schuttlandschaften war, in denen selbst kaum noch Platz für rosige Entkommensträume herrscht. Gabriel und seine Freundin (Madeline Brewer) wähnen eine hoffnungsvollere Zukunft „am anderen Ufer des Sees“, offenbar ein noch etwas freieres Fleckchen Erde. Ein Boot steht bereit, doch mehr als symbolisches Objekt des Ausbruchs. Die Fluchtpläne bleiben diffus. Allenthalben aufploppende Termini wie „Fracking“ veranschaulichen indes die de facto rein ökonomischen Pläne der nach Gewinn strebenden Kakerlaken, deren Unternehmung auch Exxon oder Chevron heißen könnte; weder geht es ihnen darum, unseren Planeten für sich ur- der bewohnbar zu machen, noch interessiert sie die Lebensform homo sapiens besonders. Es geht um die bloße Ausbeutung von Bodenschätzen, das Danach ist irrelevant. Hin, bohren und wieder weg. Welche Optionen bleiben uns im Angesicht des verordneten globalen Exitus? Die Antworten, die „Captive State“ gibt, sind so unbequem wie radikal und wohl ein wesentlicher Grund, was dem Film den Weg zu everybody’s darling unmöglich macht.

8/10

NEWS OF THE WORLD

„Straight forward.“

News Of The World (Neues aus der Welt) ~ USA/CN 2020
Directed By: Paul Greengrass

Texas, 1870. Während der Grenzstaat noch immer unter den schweren Nachwehen des verlorenen Sezessionskriegs darbt, zieht der frühere Drucker und Konföderierten-Offizier Jefferson Kidd (Tom Hanks) von Stadt zu Stadt, um den Leuten Zeitungsgeschichten vorzulesen. Auf seinem Weg überland entdeckt er ein kleines Mädchen (Helena Zengel), das er als Siedlerstochter „Johanna Leonberger“ identifizieren kann. Von ihrem „früheren Ich“ weiß Johanna so gut wie nichts mehr – sie lebte als einzige Überlebende eines Indianerüberfalls sechs Jahre und damit mehr als die Hälfte seines Lebens bei den Kiowa und soll nun im Auftrag des Büros für indianische Angelegenheiten zu ihrem Onkel und ihrer Tante verbracht werden. Da sein vormaliger Eskorteur rassistischer Lynchjustiz zum Opfer fiel und sich sonst niemand für sie verantwortlich, erklärt sich Kidd bereit, das zutiefst verängstigte und misstrauische Kind nach Südtexas zu begleiten. Auf der gefährlichen Reise erlebt das ungleiche Paar ein Land, dessen Bewohner den rechten Weg zwischen Verlust und Neuorientierung noch nicht gefunden haben.

Nun hat also endlich auch Tom Hanks seinen überfälligen Western bekommen – ein Filmgenre, das vermeintlich nicht nur bis heute im Œuvre eines jeden veritablen Hollywood-Qualitätsakteurs mindestens einmal reflexartig aufploppen sollte, sondern das zumal Hanks als inoffiziellem Jimmy-Stewart-Epigonen unbedingt zukommt. Doch Spaß beiseite – wer Bedenken hat, dass der Mittsechziger Hanks der amerikanischsten aller Kunstgattungen nicht gerecht werden könnte, der darf sich getrost entspannen. Mit der ihm eigenen, melancholischen Routine und Professionalität trägt Hanks als in mehrerlei Hinsicht kriegsversehrter Veteran, der einen neuen Sinn im Leben findet, auch Greengrass‘ schönen, gemächlich inszenierten Filmüber weite Strecken. Wobei man über Hanks ja in Bezug auf „News Of The World“ hierzulande ohnehin kaum etwas hört; den hiesigen Qualitätsgratmesser bestimmt vielmehr „unsere“ Nachwuchsdarstellerin Helena Zengel, seit Nora Fingerscheidts „Systemsprenger“ eine Hausmarke berührenden Kinderschauspiels. Mit „News Of The World“ betritt sie gleichsam die Weltbühne, wird gleich für die höchsten Preisweihen ins Spiel gebracht und bringt daheim Pilawa nebst übrigen erwachsenen Gästen zum Schmunzeln. Hier gibt sie „a real wild child“, mindestens so bös traumatisiert wie die kleine Benni, allerdings in einer Zeit und Welt, deren zivilationsentledigtes Gefüge erst gar keinen Atem aufbringt, sich um Traumakinder zu kümmern. Johanna Leonberger, die bei den Kiowa „Zikade“ hieß, muss als Wanderin zwischen den Welten selbst sehen, was sie aus sich und ihrem jungen Leben macht. Captain Kidd, physisch wie psychisch gezeichnet, weist diverse charakterliche Parallelen zu seinem unfreiwilligen Mündel auf – sein Vorkriegsleben zunächst tapfer ignorierend, hat er zwar eine neue Berufung gefunden (die ihm – nebenbei – wie vielen klassische Westernhelden der gefürchteten Sesshaftwerdung entbindet), mag sich den Dämonen der Vergangenheit jedoch nicht stellen. Anders als die Kiowa, die das Leben als ewigen, sich selbst erfüllenden Kreislauf betrachten, hat er sich für die Linearität entschieden, den Blick stets nach vorn gerichtet. Dass Greengrass seinen beiden ProtagonistInnen und auch uns, dem Publikum, ein denkbar märchenhaftes Ende gestattet, mag man so oder so sehen. Mir gefällt der zugegebenermaßen recht törichte Gedanke, dass mit Tom Hanks‘ und Helena Zengels „News Of The World“ beschließendem, gemeinsamen Ankommmen in der adoptiven Zweisamkeit auch ihren jeweiligen, früheren Film-Konterfeits Michael Sullivan und Benni Klaß die verspätete, ersehnte Erlösung gegönnt wird.
Das ist dann schon einiges an Balsam für die geschundene Filmromantikerseele.

8/10

THE MORTUARY COLLECTION

„Your story is just beginning.“

The Mortuary Collection (Mortuary – Jeder Tod hat eine Geschichte) ~ USA 2019
Directed By: Ryan Spindell

Kurz nach der Messelesung für den kleinen, verblichenen Logan (Bradley Bundlie) stellt sich die junge, kecke Sam (Caitlin Custer) bei Montgomery Dark (Clancy Brown) vor, dem verknitterten Leichenbestatter der Kleinstadt Raven’s End, der just eine Aushilfe sucht. Während Brown Sam durch sein verwinkeltes Haus nebst Bibliothek und Krematorium führt, lässt sie sich von dem Alten zunehmend morbide Geschichten über vergangene Todesfälle berichten, wobei sie in der letzten davon selbst eine zentrale Rolle einnimmt: 1.) Während einer Party macht die allzu gierige Taschendiebin Emma (Christine Kilmer) nachhaltige Bekanntschaft mit einem hinter einem Badezimmerspiegel hausenden Monster. 2.) Der Student und Mädchenabschlepper Jake (Jacob Elordi) lernt auf denkbar unangenehme Weise, was es bedeuten kann, bewusst auf Verhütungsmittel zu verzichten. 3.) Dem seine katatonische Frau Carol (Sarah Hay) pflegenden Wendell (Barak Hardley) wird es eines Tages zuviel und er beschließt, sich der Gattin zu entledigen – kein einfaches Unterfangen… 4.) Ein entflohener Geisteskranker treibt sein Unwesen in Raven’s End und scheint ausgerechnet ins Haus der Kublers eingedrungen zu sein, in dem der kleine Logan (Bradley Bundlie) allein mit seinem Babysitter ist…

Horror-Anthologien sind mir grundsätzlich stets willkommen, vor allem, wenn sie den Mut besitzen, unzweideutig zu sich und ihren Wurzeln zu stehen und, wie im vorliegenden Falle, das Auspendeln zwischen Pulpkultur, Ironie und schmallippiger Boshaftigkeit gelungen zu tarieren wissen. Gewiss ist auch der Inspirationspool des Langfilm-Debütanten Ryan Spindell ziemlich gewaltig und vereint das Allermeiste, das der beflissenere Genre-Millenial so im Hinterkopf haben wird, als da natürlich die alten EC-Comics wären und ihre ersten Kinoepigonen, die Amicus-Omnibusse, mit dem Abjekt-Skurrilen liebäugelnde Filmemacher von Raimi über die Coens, Gordon, Henenlotter und Gilliam bis hin zu mannigfaltigen, kaum minder offensichtlichen literarischen Einflüssen wie den Grimms, Lovecraft, King und Gaiman. All diese omnipotent-einflussreichen Köpfe und ihre Kreativwelten ragen irgendwo mal mehr, mal weniger deutlich aus den diversen Fugen des knarzigen Stilgemäuers, das „The Mortuary Collection“ errichtet, ehrerboten hervor, ohne, dass man gleich die böse Plagiats-Arschkarte ziehen müsste. Spindell arbeitet seinen eigenen 2015er-Short „The Babysitter Murders“, seinerseits bereits eine unschwer identifizierbare „Halloween“-Hommage, mit ein und spinnt hernach sozusagen die Geschichte von dessen Protagonistin fort, die am Ende eine „The Sentinel“-mäßige Wachablösung auferlegt bekommt. Seine sich zunehmend länger und komplexer in den Rahmenplot verwebenden Segmente finden sich dabei sowohl von kräftig ironisierten Moralweisen des reaktionären Horrorfilms des letzten Jahrhunderts getragen als auch von dem surrealen Setting jener Kleinstadt „Raven’s End“. Diese ist bereits für sich genommen weder regional noch zeitlich eindeutig einzuordnen; weder anhand der Figuren, noch der ins Bild gerückten Sozial- und Kulturartefakte lässt sich eine derartige Verankerung vornehmen. Raven’s End erweist sich als ein manifestiertes Konglomerat der Genregeschichte, in dem bizarre Tentakelwesen aus den Tiefen des angrenzenden Ozeans ebenso einen festen Platz bekleiden wie allzu neugierige Kinder, inkompetente Ärzte, wahnsinnige Serienmörder, monströse Zwitterwesen und baufällige Mietshäuser; eine hermetische Stadt, die ihre eigene Chronologie aus abertausenden von Geschichten in der Bibliothek des das Städtchen gewissermaßen auch architektonisch „krönenden“ Bestattungsinstituts verwahrt.
„The Mortuary Collection“ präserviert zugleich also auch einen hübsch arrangierten Gothic-Fantasy-Stoff, ohne, dass er sich Nachwuchszauberern oder Einhornzüchtern anbiedern würde. Dafür malt er seine bitterböse Paralleldimension dann doch in allzu galligem Rot.

8/10