„I don’t need no personal nanny!“
23 Paces To Baker Street (23 Schritte zum Abgrund) ~ USA 1956
Directed By: Henry Hathaway
Der nach einem Unfall erblindete US-Dramatiker Phillip Hannon (Van Johnson) hat sich nach London zurückgezogen, um dort ungestört und ohne lästige Fragen zu seiner Behinderung arbeiten zu können. Mit dem Haushälter Bob Matthews (Cecil Parker) hat er zudem einen treusorgenden Freund gefunden. Stark abgekühlt ist derweil die Liebesbeziehung zu seiner früheren Verlobten Jean Lennox (Vera Miles), der gegenüber Hannon nicht als Belastung auftreten will und sie daher verschmäht. Eines Abends wird Hannon in einer benachbarten Kneipe auditiver Zeuge eines Gesprächs zwischen einem Mann und einer Frau, bei dem es sich möglicherweise um eine geplante Kindesentführuzng dreht. Daheim spricht Hannon den mitverfolgten, teilweise durch das Geräusch eines Flippers unhörbaren Dialog auf Tonband nach und informiert die Polizei. Diese schenkt ihm jedoch keinen Glauben, weshalb Hannon beginnt, auf eigene Faust zu recherchieren. Bob und Jean unterstützen ihn dabei nach Kräften. Bald stößt das ungleiche Trio auf eine Kindermädchen-Agentur mit seltsamen Angestellten…
Viele der großen Hollywood-Regisseure des Silver Age eiferten im Laufe ihrer Karrieren mindestens einmal Alfred Hitchcock nach und versuchten sich irgendwann an einem den vordringlichen Motiven des Meisters entlehnten Sujet. „23 Paces To Baker Street“ ist Hathaways „Hitchcock-Film“, für den er eigens nach London zog und Van Johnson in einen ganz ähnlich angelegten Part pfropfte, wie ihn James Stewart zwei Jahre zuvor in „Rear Window“ gespielt hatte: Ein körperlich eingeschränkter Mann wird mehr oder weniger unfreiwillig Zeuge eines Verbrechens, respektive dessen Planung, fühlt sich bezüglich seiner Beobachtungen nicht hinreichend ernstgenommen und beginnt, mit etwas amouröser bzw. freundschaftlicher Hilfe, auf eigene Faust nach dem / den Täter(n) zu fahnden, was ihn, zumal aufgrund seiner Immobilität, in tödliche Gefahr bringt.
Die diversen sexualpsychologischen Finessen Hitchcocks, der „Rear Window“ wie auch die meisten seiner anderen Filme gleichermaßen zu einer Reflexion über Formen der Paraphilie und deren Folgen machte, respektive seine technische Perfektion erreichte Hathaway erwartungsgemäß nicht. Jedoch gelang ihm ein spannend erzählter, den Rezipienten durchweg mitreißender Kriminalfilm, der infolge etlicher kleiner Winkelzüge und Geschicklichkeiten, wie sie dann eben wiederum doch nur ein versierter Regisseur auf Zelluloid zu bringen vermag, reüssiert. Sei es die Faszination der altweltlichen Großstadt London und ihres Flusses, der Themse, die dp Milton Krasner mit Vorliebe und goldenem Glanz erscheinen lässt; sei es die Obsession des blinden Phillip Hannon, der freilich sehr viel weniger an der Aufklärung eines Verbrechens interessiert ist denn daran, trotz seiner gravierenden Behinderung ernst genommen zu werden,; sei es die verflucht spannende Szene mit Hannon in dem zerbombten Haus oder der überaus klassisch zu nennende Showdown, den Terence Young später für „Wait Until Dark“ re-adaptierte (den „23 Paces“ ganz nebenbei in die Tasche steckt) – Hathaways ausnehmend schöner Film hat seine überfällige Wiederentdeckung mehr als verdient.
8/10