ANIMAL FACTORY

„Better to reign in hell than to serve in heaven.“

Animal Factory ~ USA 2000
Directed By: Steve Buscemi

Wegen Marihuana-Handels kommt der Mittelschichts-Twen Ron Decker (Edward Furlong) nach San Quentin. Dort „regiert“ der Langzeit-Inhaftierte Earl Copen (Willem Dafoe), der es im Laufe der Jahre durch eine besondere Melange aus Härte, Stolz, Geduld, Intelligenz und Organisationsgeschick gemeistert hat, sich sowohl unter seinen Mithäftlingen als auch unter der Aufseherschaft einen unantastbaren Status zu erarbeiten. Weder rassistisch noch sexuell motivierte Ausfälle trüben seinen scharfen Blick. Da ihm Ron aus persönlichen Gründen sympathisch ist, nimmt Earl ihn bald unter seine Fittiche und wird im Laufe der Zeit zu einer Art Mentor und Ersatzvater, der dem Schützling selbst unter persönlichen Opfern das Leben im Knast so angenehm wie möglich gestaltet und sich sogar der Wiedereröffnung seines Falles annimmt.

Basierend auf einem autobiographisch gefärbten Roman von Edward „Eddie“ Bunker, der die Adaption auch gleich mitverfasste, coproduzierte und in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist, geriet Steve Buscemis zweite Regiearbeit nach dem melancholischen Trinkerporträt „Trees Lounge“ zu einem vergleichsweise ungewöhnlichen Gefängnisdrama. „Animal Factory“ gibt sich mit ausnahme einiger weniger, realitätsevidenter Faktoren erst gar keine Mühe, etablierte Genreschemata aufzugreifen oder zu bedienen, sondern gewährt stattdessen seinem Publikum seine diesbezüglich ohnehin vorhandene Seherfahrung und -kompetenz. So ist der Film auch weniger eine sich kritisch gebende Observierung des geschlossenen amerikanischen Strafvollzugs, sondern beschreibt auf oftmals fast schon kontemplativem Wege die Unabdingbarkeit, sich inmitten omnipräsenter und allseitiger Bedrohung Individualität und Menschlichkeit zu bewahren. Exploitative Elemente sind Buscemis Sache nicht und so gibt es nur sehr wenige an Grenzen kratzende Szenen, die dann auch stets eine eindeutige narrative Berechtigung innehaben. Ohnehin gibt sich Buscemi hier wiederum vornehmlich als Scriptregisseur, der in erster Linie eine straighte Geschichte erzählen möchte und sich kaum um eine auffällige inszenatorische Signatur schert. Das wird ihm in dieser Funktion vermutlich nie einen großen Wiedererkennungswert bescheren oder gar besondere Auszeichnungen eintragen, macht gerade „Animal Factory“, den John Luries passender, gemächlich-sonorer Score kongenial untermalt, als Gattungsbeitrag jedoch umso spezieller. Erwähnenswert wäre noch das großartige Ensemble, das Buscemi zusammentrommeln konnte und sich, mit Ausnahme von Tom Arnold, durch teils verschrobene (Mickey Rourke), aber durchweg liebenswerte Charakterzeichnungen hervortut. Sogar Rotzlöffel Furlong lässt sich, eine Seltenheit, als sukzessiv dezentralisierter Protagonist wirklich gut ertragen.
Ein schöner, betont unspektakulärer Film.

8/10

THE CARD COUNTER

„All in.“

The Card Counter ~ USA/UK/CH/S 2021
Directed By: Paul Schrader

Nach achteinhalb Jahren Haft in Leavenworth nennt sich der vormalige PFC William Tillich (Oscar Isaac) nunmehr William Tell, reist von Casino zu Casino und verdient sein Geld als Kartenspieler beim Pokern und Black Jack. Die passenden Gewinnstrategien hat sich der einsame Drifter während seiner Gefängniszeit selbst beigebracht. Auf einem Kongress für Sicherheitstechnik begegnet er dem jungen Cirk (Tye Sheridan), der William unversehens seine Kontaktdaten übergibt. Cirk entpuppt sich als der Sohn von Roger Beaufort, der eine ganz ähnliche Vergangenheit wie William aufweist, an PTBS litt und sich das Leben genommen hat. Beide Männer dienten als Folterverhörspezialisten in Abu Ghraib unter dem Kommando von Major John Gordo (Willem Dafoe), der mittlerweile als Privatier reich geworden ist, während William und Roger as Sündenböcke herhalten und hohe Gefängnisstrafen absitzen mussten und mit ihren Erinnerungen nie fertig werden konnten. Cirk, für sein Alter recht hoch verschuldet, plant, sich an Gordo zu rächen, indem er ihn in der von ihm selbst vorexerzierten Weise foltert und tötet. William setzt sich zum Ziel, das zu verhindern und nimmt den jungen Mann, den er fortan „The Kid“ nennt, unter seine Fittiche. Gemeinsam mit der Spielerakquisiteurin La Linda (Tiffany Haddish), in die sich William verliebt, plant William, genug Geld für sich selbst und für Cirks Zukunft zu gewinnen und sich dann zur Ruhe zu setzen. Doch der Junge kann sich von seinen Rachegedanken nicht loslösen…

Paul Schrader schafft es auch in hohen Jahren und nachdem man hier und dort zwischenzeitlich bereits versucht war, ihn, ähnlich wie andere New-Hollywood-Veteranen wie Friedkin oder De Palma, als betagten Anti-Studio-Don-Quijote abzuwatschen, der den Kampf gegen die Geldgeber endgültig verloren hat, kleine Meisterwerke zu produzieren, ohne dabei auch nur einen Hauch seiner künstlerischen Signatur zu denunzieren. „The Card Counter“ steht als jüngster Film des calvinistischen auteurs in einer langen Motivgenealogie um schuldbeladene, einsame Männer, die sich in ihrer jeweiligen Profession strukturell einrichten und denen die tief im Inneren ersehnte Erlösung versagt bleibt. Erst ein vermeintlich sinnbeladener Gewaltakt scheint als Katalysator ihrer schlummernden, doch omnipräsenten Traumata der Katharsis Raum zu geben – notfalls auch um den Preis des eigenen, physischen Lebens. Durch die jüngeren Arbeiten zieht sich zudem immer wieder das Thema des Einsatzes der US-Streitkräfte im Irak nach 9/11 – früher war es Vietnam. William Tell, von Oscar Isaac in der mit Abstand besten Leistung, die ich bis dato von ihm gesehen habe, umwerfend gespielt, personifiziert in „The Card Counter“ erneut jenen Archetypus, dem man schon so häufig begegnet ist, den einamen Traumatisierten, der auf seinem Weg Herz und Lächeln eingebüßt hat und versucht, auf Erden zu bestehen – notfalls auch, indem er die Dinge auf eine wiederum verlustintensive Weise geradezurücken versucht. Schrader zeichnet den Weg Tillichs/Tells durch Motels und Casinos minutiös nach und schafft eine umfassende Charakteristik ohne viele Worte. Um Ruhe zu finden, kleidet William seine Zimmer stets sorgsam mit schneeweißen Laken aus und hängt alle Bilder ab; der Anschein äußerer Reinheit soll die innere bedingen. Er spielt nicht um des Spielens der gar des Nervenkitzels Willen, sondern um sich damit über Wasser zu halten, seiner Existenz eine sich selbst perpetuierende Alltagsstruktur zu verleihen – allesamt Facetten, die er am passiven Gefängnisleben zu schätzen gelernt hat. Gefühle für andere zuzulassen fällt ihm schwer, da sie zwangsläufig Unwägbarkeiten bedeuten und doch treten zwei Menschen in sein Leben, die schließlich so etwas wie das Miniaturmodell einer Familie repräsentieren. Wo jedoch die partnerschaftliche Liebe zögerlich erblüht (Schrader genehmigt sich hier eine wunderschöne Sequenz im beinahe psychedelisch beleuchteten Missouri Botanical Garden), wird die väterliche gewaltsam enttäuscht. Folter und Kasteiung bleiben unwiderrufliche Elemente in Williams Biographie. Robert Levon Beens sphärische Musik reichert die Sogwirkung von Schraders kontemplativer visueller Erzählweise nochmals an und verehrt „The Card Counter“ das letzte formale Finish. Brillant.

9/10

WEDLOCK

„You non-conformists are all alike.“

Wedlock ~ USA/UK 1991
Directed By: Lewis Teague

In naher Zukunft: Technikgenie Frank Warren (Rutger Hauer) wird nach einem groß angelegten Diamantenraub zunächst von seinen beiden Kompagnons Noelle (Joan Chen) und Sam (James Remar) hintergangen, hernach geschnappt und in das neue, privat organisierte Hochsicherheitsgefängnis „Camp Holliday“ überstellt, freilich nicht, ohne die Beute vorher in Sicherheit gebracht zu haben. In Camp Holliday erwartet Frank kein Zuckerschlecken: Wie alle dort einsitzenden Männer und Frauen erhält er ein hochtechnologisches Funkhalsband mit eingearbeitetem Plastikspengstoff, das explodiert, sobald es sich mehr als 100 Yards von seinem Gegenstück entfernt – wobei natürlich niemand weiß, wer sein/e oder ihr/e Wedlock-PartnerIn ist. Chef und Direktor Holliday (Stephen Tobolowsky) will Frank zudem mit allen Mitteln das Versteck der Diamanten entlocken und befleißigt sich dazu diverser, schäbiger Mittel. Insbesondere der hochaggressive Mitgefangene Emerald (Basil Wallace), der in Hollidays Diensten steht, drangsaliert Frank unentwegt. Unterdessen eröffnet ihm Tracy, dass ihr Halsband mit dem von Frank in Verbindung stehe, was dieser nicht recht glauben mag. Als es zum unausweichlichen Duell zwischen Frank und Emerald kommt, gelingt es Tracy, mit Frank zu fliehen. Nunmehr gilt es, gewissermaßen bombensicher aneinander gefesselt, vor der Polizei, vor Hollidays Leuten und auch vor Sam und Noelle, die mit Holliday zusammenarbeiten, zu fliehen. Und auf Frank wartet noch eine weitere, unangenehme Überraschung…

Dass „Wedlock“, den ich heuer erstmals gesehen habe, vor allem eine Actionkomödie ist, war mir nicht ganz klar. Ich hatte, in Unkenntnis des Inhalts ferner, eher ein futuristisches Knastszenario Marke „Fortress“ oder „No Escape“ erwartet, doch weit gefehlt. Tatsächlich steht eher die gemeinsame, turbulente Flucht und Paarbildung von Rutger Hauer und Mimi Rogers im Zentrum des mehr oder weniger temopreich inszenierten Geschehens, wobei infolge der wechselnden Stationen quer durch den Golden State auch klare Road-Movie-Elemente durchschimmern. Das Ganze ließe sich wohl am Ehesten als eine postmodernisierte Variation von Stanley Kramers „The Defiant Ones“ umreißen, minus dessen souialkritischen Impact und stattdessen „angereichert“ mit allerlei romantischen Verirrungen. Als relativ preisgünstig hergestellter HBO-Produktion fehlt es „Wedlock“ allerdings an Möglichkeiten: Sein futuristisches, in Teilen dystopisch angelegtes Szenario etwa bleibt weitgehende Behauptung. Mit Ausnahme der Tatsachen, dass der US-Strafvollzug infolge privatisierter Gefängnisse (ohne humanitäres Ethos) noch abenteuerlichere Züge annimmt als ohnehin schon sowie einer ab und zu kolportierten Wasserknappheit, sieht alles aus wie 1991. Die wenigen Actionszenen bleiben ziemlich bisslos und sein geringes Spannungspotenzial schöpft das Script aus zwei Sequenzen, in denen die Distanz zwischen Frank und Tracy zu groß zu werden droht. Man darf wohl vermuten, dass Teague, der sich im Rückblick nicht unzufrieden mit seiner Arbeit zeigt, das Bestmögliche aus seinen eingeschränkten Bedingungen herausholt. So zehrt „Wedlock“ primär von seinem antiproportional zu den production values zu verortendem, frisch aufspielenden Ensemble, das ein deutlich gesetzter wirkender, irgendwo zwischen larmoyanter Selbstironie und diebischer Spielfreude befindlicher (und somit sehr sehenswerter) Rutger Hauer souverän anführt.
Schade in jedem Falle, dass Lewis Teagues goldene Regiezeit auf die 1980er-Dekade (und somit immerhin ganze fünf schöne Filme) beschränkt bleibt und er danach fast ausschließlich Fernsehen machen musste.

6/10

GOTHIKA

„You can’t trust somebody when they think you’re crazy.“

Gothika ~ USA/F/CA/E 2003
Directed By: Mathieu Kassovitz

Eines Abends ist die in der forensischen Woodward-Klinik tätige Psychiaterin Miranda Grey (Halle Berry) wegen eines Sturms gezwungen, einen Umweg nach Hause zu nehmen. Mitten auf der Straße begegnet sie einem geisterhaften Mädchen (Kathleen Mackey), das nach Ansprache durch Miranda in Flammen aufgeht. Später erwacht die amnesische Ärztin höchstselbst als Insassin der geschlossenen Sektion von Woodward – sie soll ihren Ehemann Douglas (Charles S. Dutton), Chef des Hospitals, an jenem mysteriösen Abend ermordet haben. Zwar beteuert Miranda vehement ihre Unschuld, doch sämtliche Beweise sprechen gegen sie. Zudem scheint jene gespenstische Entität ihr nachzustellen und sie unbedingt auf etwas hinweisen zu wollen. Der völlig auf sich gestellten Miranda bleibt nurmehr die Flucht nach vorn…

Als vierte Produktion des 1998 als Reminiszenz an den legendären Gimmick-Filmemachers William Castle gegründeten Studios Dark Castle Entertainment bewegt sich „Gothika“ qualitativ recht gleichförmig auf der üblichen Linie der damals noch jungen, eine klare Linie verfolgenden Genreschmiede. Der erstmals für Hollywood arbeitende Regisseur Mathieu Kassovitz berichtete im Nachhinein höchstselbst, seine Arbeit an „Gothika“ lediglich als anspruchslosen Türöffner zu größeren Budgets betrachtet und keinerlei persönliche Ambitionen in das Projekt investiert zu haben. Diese exponierte Leidenschaftslosigkeit merkt man dem Film durchaus an; sein Thema apostrophiert sich mehr oder weniger gelangweilt als vollkommen handelsüblicher, schnödester Geistergrusel mit jenseitigem Erlösungsgesuch: Ein einst im Zuge ungeheuerlicher misogyner Umtriebe gewaltsam zu Tode gekommenes Mädchen sucht sich eine irdische, medial sensible Erfüllungsgehilfin, die es unfreiwilligerweise für seine Rache benutzt. So weit, so gewöhnlich. Natürlich sind auch die campigen Volten Castles immer ganz gut identifizierbar – der bloße Effekt um seiner selbst Willen steht im Vordergrund und drängt Glaubwürdigkeit oder gescheiten Dialog rücksichtslos in die letzte Bank. Da „Gothika“ nunmal ist, was er ist und daraus auch keinen Hehl macht, stört dies jedoch kaum. Das Irrenhaus als mit einer Menge Traditionsbewusstsein aufgeladener Schauplatz für klassisches Genrekino rechtfertigt immerhin einige ordentliche production values, die Besetzung ist durchweg ordentlich und die vielen kleinen Schlenker zum Sensationalismus hin tun auch nur dann weh, man sie lässt. Ich finde „Gothika“ all seiner offenkundigen Schwächen zum Trotz daher gar nicht so unsympathisch, wie er vielerorts immer wieder gemacht wird.

5/10

THE MAURITANIAN

„Either wear the Jersey or get off the field.“

The Mauritanian (Der Mauretanier) ~ UK/USA 2021
Directed By: Kevin Macdonald

Nach den 9/11-Anschlägen fordert der von Bush Jr. und Rumsfeld deklarierte Krieg gegen den Terror Angeklagte, Schuldige und notfalls auch Sündenböcke. Als einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Katastrophe wird der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) im November 2001 in seiner Heimat festgenommen und in das Militärgefängnis Guantánamo verschleppt. Etwas über drei Jahre später wird die Staranwältin und Menschenrechtsaktivistin Nancy Hollander (Jodie Foster) auf Slahis Fall aufmerksam und reist nach Kuba, um sich seines Zustandes zu versichern und Slahi anzubieten, ihn vor Gericht zu vertreten. Parallel dazu wird der eherne Marine Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) mit Slahis formeller Anklage betraut und sieht seine Aufgabe zunächst voller Elan entgegen. Doch sowohl Hollander als auch Couch erhalten keine Einsicht in die offiziellen Verhörprotokolle Slahis, der zu diesem Zeitpunkt längst ein Geständnis bezüglich seiner Mitwirkung bei den Anschlägen unterschrieben hat. Verteidigerin und Ankläger stoßen gleichermaßen auf eine Mauer des Schweigens und der Geheimhaltung; Zensur, geschwärzte Berichte und fehlende Freigaben erschweren ihre Vorbereitung auf den Fall immens. Schließlich erfahrend beide den Grund: Slahis Geständnis wurde durch gezielte Folter und Bedrohung erzwungen, eine offizielle Begründung für seine Inhaftierung gab es nie. Im Frühjahr 2010 wird Slahi in erster Instanz freigesprochen, doh es dauert noch sechs weitere Jahre, bis er aus der Gefangenschaft entlassen wird.

Kevin Macdonalds sechster Spielfilm nach einer immerhin siebenjährigen Pause basiert auf Mohamedou Ould Slahis niedergeschriebenen Memoiren „Guantánamo Diary“, die sich mit seiner rund vierzehn Jahre währenden Gefangenschaft auf dem kubanischen Marine-Stützpunkt befassen. Möglicherweise ist „The Mauritanian“ Macdonalds beste, fesselndste Arbeit bislang, seine Dokumentationen nicht berücksichtigend. Gewiss – ein Stoff wie dieser ist a priori von gewaltiger Prestigeträchtigtkeit und bereits rein prinzipiell ein Gewinner und Publikumsliebling. Umso wichtiger jedoch ist es andererseits, Klischees und überborderndes Pathos zu umschiffen und ein fiktionalisierte Version der Ereignisse auch langfristig valide dastehen zu lassen. Genau das gelingt Macdonald jedoch; „The Mauritanian“ besitzt zum einen alle wichtigen Charakteristika eines guten Politthrillers und macht die Geschichte Slahis als Repräsentation für die in Guantánamo unter der Protegierung der US-Regierung, der CIA und des Militärs durchgeführten Praktiken umso ergreifender. Macdonald offenbart sich hier als legitimer Erbe großer Ahnherren wie Constantin Costa-Gavras, Alan J. Pakula oder Oliver Stone und deren entsprechenden Werken, die es allesamt zu ihrer Zeit vortrefflich verstanden, im Namen angeblich freiheitlich konnotierter Staatsräson ungeheuerliche Vorgänge in Form fesselnder Spielfilme aufleben zu lassen. Der dräuenden Frage danach, ob ein dramaturgisch aufbereiteter, kommerzorientierter und mit Stars aufbereiteter Abriss in jener medialen Form, der sich ferner stets von der unter Umständen tendenziösen Signatur seiner AutorInnen gebeugt wähnen muss, überhaupt einen sittlichen oder gar moralischen Wert bekleidet, muss sich ein jedes Kunstprodukt berechtigterweise immer wieder aufs Neue stellen. Andererseits darf der didaktische Impact all jener oftmals hervorragenden Filme nicht unterschätzt werden, sind sie doch stets dazu angetan, Geschichts- und Nachrichten- und Informationsmuffel wenngleich auf unterhaltsame Weise mit der Nase voran auf Sujets zu stoßen, die sie andernfalls möglicherweise nie erreicht hätten und sei es auch nur, um ein vages Interesse anzustoßen, das gegebenenfalls in weitere, intensive Beschäftigung mündet. „The Mauritanian“, der am Ende seinen authentischen Titelhelden zeigt, frohgemut, lachend, gelöst und bar allen doch so verständlichen Verdrusses, gehört genau in diese Phalanx. Wenn es sein Glaube ist, der diesen um etliche Jahre seines Lebens betrogenen Mann so ungebrochen zuversichtlich erscheinen lässt, dann, in schā‘ Allāh, kann nicht alles daran falsch sein. Und aufrichtige, pointierte Kritik an der fetten, alten Sau Amerika und ihren Tausenden von Ferkeln ist ja schon im Grundsatz eh immer zu begrüßen.

9/10

THE SUICIDE SQUAD

„Nom-nom?“

The Suicide Squad ~ USA/CA/UK 2021
Directed By: James Gunn

Die aus im Gefängnis einsitzenden, kriminellen oder geistesgestörten Metawesen bestehende, von Agent Amanda Waller (Viola Davis) rekrutierte „Task Force X“ aka „Suicide Squad“ erhält in weitgehend neuer Zusammensetzung einen weiteren Auftrag: Die Truppe soll auf der von einer Militärjunta beherrschten Karibikinsel Corto Maltese einfallen und eine von Regierungstruppen schwer bewachte Festung namens „Jotunheim“ zerstören, in der ein mysteriöses Forschungsprojekt names „Starfish“ beheimatet ist. Die Suicide Squad landet in zwei Abteilungen an der Küste von Corto Maltese, wobei die erste, mit Ausnahme von Colonel Rick Flag (Joel Kinnaman) und der verrückten Harley Quinn (Margot Robbie), unmittelbar aufgerieben wird. Die kleinere, aber deutlich wehrhaftere Abordnung besteht aus dem Söldner Robert DuBois (Idris Elba) alias „Bloodsport“, dem selbsternannten „Peacemaker“ Christopher Smith (John Cena), dem irren Laborexperiment Abner Krill (David Dastmalchian) alias „Polka-Dot-Man“, dem maritimen Halbgott Nanaue (Sylvester Stallone) alias „King Shark“ und der mit absoluter Macht über Ratten ausgestatteten Cleo Cazo (Daniela Melchior) alias „Ratcatcher II“. Gemeinsam arbeitet sich das Team bis in die Hauptstadt vor, nimmt den Projektleiter Gaius Grieves (Peter Capaldi) alias „Thinker“ gefangen und gelangt mit dessen Hilfe in die Mauern von Jotunheim. Die ursprüngliche Mission kann unter Verlusten erfüllt werden, doch mit der Einebnung des Gebäudes wird zugleich eine neue, furchtbare Gefahr entfesselt. Von nun an muss die Suicide Squad auf eigene Rechnung arbeiten…

Wie der „Guardians Of The Galaxy“-Betreuer James Gunn zu seinem Zwischenspiel beim DCEU kam, dürfte ja hinlänglich bewusst sein. Dass damit zugleich ein kleiner, kreativer Brückenschlag zwischen den beiden Comicfilm-Riesen vollzogen wurde, erweist sich als so gleichermaßen reizvoll wie schadenfreudig: Während Disney und MCU-Mastermind Kevin Feige Gunn vormals eher in weitgehend domestizierten Schranken arbeitenund seine bekanntermaßen im derberen Filmschaffen wurzelnde Kreativenergie sich in psychedelischen Space-Gags sublimieren ließen, konnte er bei DC zum ersten Mal seit seinem zweiten Film „Super“ wieder vollends die Sau durchs Dorf und es gerade so bunt treiben, wie ihm der freche Schnabel gewachsen ist. Das Resultat ist die erste echte splatter comedy im großbudgetierten High-End-Superheldenfilm, eine liebenswert-böshumorige Burleske, in der geholzt wird, dass die Schwarte kracht. Dabei wird die makrokosmische Anbindung an Zack Snyders DC-Trilogie aufrecht erhalten und es handelt sich tatsächlich auch nicht, wie gelegentlich aufzuschnappen war, um ein Reboot von David Ayers „Suicide Squad“, sondern um ein echtes Sequel, das zur gleichen Zeit allerdings eine umfassende Renovierung des Originals betreibt. Bekanntermaßen wurde Ayer damals gehörigst in die Schranken gewiesen und dazu angehalten, seine Vision dieses verlottertsten aller Heldenteams so jugendfrei als möglich abzuliefern. Die Gags darin nahmen sich dementsprechend eher durchgemangelt aus und der overfiend wenig denkwürdig. Mit all diesen kleinen und großen Faux-pas räumt Gunn in seiner sehr persönlich gefärbten Vision der Squad rigoros auf: Ihren selbstmörderischen Beinamen trägt die Task Force X nunmehr völlig zu Recht; unmittelbar zu Beginn wird der gewissermaßen zur Ablenkung der Kerngruppe dienenden Vorhut der Garaus gemacht, als gäbe es kein Morgen mehr und die Marschrichtung des Films damit auch gleich unumwunden vorgegeben. Der im Folgenden von Gunn ausgerollte Irrsinnsteppich besteht aus einem Füllhorn mitunter brillanter visueller Einfälle, kleinen, manchmal etwas überschmückt scheinenden Nebenepisödchen [über Wert und Nutzen der als Bypass eingeflochtenen Kurzromanze zwischen Harley Quinn und dem Inseldespoten Luna (Juan Diego Botto) ließe sich etwa diskutieren – zweifelsohne dient sie in erster Linie dazu, Robbie Screentime zu verschaffen] und natürlich dem famosen Endkampf gegen den klassischen JLA-Gegner Starro, einen gewaltigen, außerirdischen Seestern, der sich seine Untertanen mittels kleiner Versionen seiner selbst, die er auf deren Gesichter pflanzt, gefügig macht. Wenn man es recht bedenkt, konnte der in Gestalt und Ausprägung nicht mehr ganz zeitgemäße Starro auch nur von einem wie Gunn zum Leinwandleben erweckt werden, die meisten anderen Filmemacher hätten sich vermutlich bis auf die Knochen blamiert. Schließlich lassen sich Gebrauch und Kompilierung der Figuren als gehörig sarkastisches Statement begreifen – die zur neuen Suicide Squad zählenden Charaktere sind, natürlich mit Ausnahme von Fanliebling Harley Quinn, die, ohne allzu augenfällige Beschränkungen zu erfahren, im Prinzip das einzig greifbare räsonistische Bindeglied zwischen dem etablierten DCEU und Gunns abgefucktem Grand-Guignol-Zirkus darstellt, allesamt letztklassige Seitenfüller, an die sich in erster Linie wohl nur wandelnde Comic-Enzyklopädien erinnern werden. Dass es zugleich aber nur solche vergessenen TertiärschurkInnen sein können, mit denen Gunn ins Feld zieht, ist letzten Endes so evident wie eigentlich alles andere auch an diesem rüpelhaft-spaßigen Film.

8/10

CON AIR

„There is no medicine for what I have.“

Con Air ~ USA 1997
Directed By: Simon West

Nach acht Jahren Gefängnishaft wegen Totschlags freut der Ex-Ranger Cameron Poe (Nicolas Cage) innig darauf, zu seiner Frau Tricia (Monica Potter) zurückkehren und endlich sein Töchterchen Casey (Landry Albright) kennenlernen zu dürfen. Doch der „Jailbird“-Flieger, in die man ihn neben diversen anderen schweren Jungs setzt, wird zum Terrorwerkzeug des Superkriminellen Cyrus Grissom (John Malkovich), genannt „Cyrus The Virus“. Gemeinsam mit seinen Erfüllungsgehilfen kapert er die Maschine. Seine letzte Chance, auszusteigen, bläst Poe jedoch heldenhaft in den Wind, denn sein insulinbedürftiger Zellenkumpel Baby-O (Mykelti Williamson) würde ohne ihn garantiert verrecken und die Vollzugsbeamte Bishop (Rachel Ticotin) wäre dem notorischen Vergewaltiger Johnny-23 (Danny Trejo) gnadenlos ausgeliefert. Also muss Poe gemeinsam mit seinem neuen, am Boden positionierten Verbündeten Agent Vince Larkin (John Cusack) den Tag retten…

„Con Air“, bekanntlich eine jener vorgeblich hemmungslos hochglanzgelackten, multimillionendollarteuren Bruckheimer/Touchstone-Produktionen der neunziger Jahre, die versuchten, das grundsolide Genrekino der Vorgängerdekade durch größenwahnsinnige, zirzensische F/X-Zurschaustellungen abzulösen, war wie seine ihn flankierende Gesinnungsindustrie dazu angetan, der gesamten republikanischen US-Wählerschaft die Unterbuchsen zu nässen.
Nachdem ich den Film nach der zeitgenössischen Kinobetrachtung erstmal regelrecht unerträglich fand, greifen nunmehr auch in diesem Falle Altersmilde, der Blick fürs Wesentliche und vor allem der Wundenheilungsfaktor hinreichender zeitlicher Distanz. Wie wohl die meisten seiner während jener Ära entstandenen, mit ähnlichen Mitteln ausstaffierten Kinogenossen muss man „Con Air“ retrospektiv gewissermaßen als Nienties-Pendant zu den Katastrophenfilmen der Siebziger wahrnehmen: Als kostspieligen, großen Stinkkäse, der die Einfallslosigkeit des Mainstream- und Blockbusterkinos mit oberflächlicher, aber professioneller Form und luxuriöser Besetzung zu kaschieren suchte, keine noch so banale Dialogzeile scheute und gammelige Klischees offensiv anfuhr, statt sie wohlweislich zu umschiffen. Die Bilder, gesäumt von wahlweise blauen Himmeln oder breiter Magic-hour-Photographie sowie die Scores, ob von Hans Zimmer, David Arnold oder, wie im vorliegenden Fall Trevor Rabin und Mark Mancina, ähnelten sich in ihrer pompösen, stets patriotisch-militaristisch anmutenden Orchestrierung allesamt auf frappierende Weise und waren beliebig austauschbar, die Stars kassierten legionär zufrieden ihre hohen Gagen und lieferten in den allermeisten Fällen unwesentlich mehr als das eben Notwendige. Unter ihnen genoss Nicolas Cage ein paar kurze Sternstunden, die er in seiner wechselvollen Karriere als arschcooler Actionheros befüllen durfte, nachdem er kurz zuvor bereits mit Michael Bays „The Rock“ auf den exklusiven Geschmack gekommen war und sich Disney auch in den Folgejahren immer wieder zur Verfügung stellte. Hier trug er eine ölige Langhaarfrisur und ein John-McClane-Gedächtnisunterhemd auf, derweil er seine wie so oft absurden Zeilen durch die geschlossenen Zähne herauszischen und die diversen bösen Jungs plattzumachen hatte. Zwischen den Zeilen hat es dann immer wieder gut lesbar erstaunlich subversive Comedy. So gibt es Steve Buscemi als augenscheinlich blutrünstigen, psychotischen Serienkiller Garland Greene, einen Quasi-Hannibal-Lecter, zu sehen, der sich zur allgemeinen Verwunderung als durchaus kluger, liebenswerter Zeitgenosse entpuppt, schließlich durchbrennen kann und von einem kleinen Mädchen (Lauren Pratt), das gemeinsam mit ihm „He’s Got The Whole World In His Hands“ singt, radikalgeheilt zu werden scheint. Permanente hagelnde Seitenhiebe wider den US-Strafvollzug, der Typen wie Cyrus The Virus letzten Endes erst produziert statt sie zu resozialisieren gestattet man sich ebenso wie die schleichende Sympathisierung eines sich zuvor oberarschig aufführenden FBI-Beamten (Colm Meaney).
Der wie oben erwähnt noch nichteinmal sonderlich fordernde, genauere Perspektivierung lohnt also auch bei „Con Air“. Das soll nun gewiss nicht heißen, das wir hier etwa eine Camouflage heimlichen Intellektuellenkinos im Gewand mindergescheiten Allerweltsamüsements hätten – dafür schreit Simon Wests Debütwerk seine vordergründige Sackdämlichkeit dann doch allzu oft und allzu unverhohlen laut hinaus. Er ist jedoch auch keinesfalls so mies, wie manch naserümpfender Feuilletonist ihn vielleicht dargestellt wissen möchte.

7/10

MONSTER’S BALL

„I need to be taken care of.“

Monster’s Ball ~ USA 2001
Directed by: Marc Forster

Hank Grotowski (Billy Bob Thornton), Strafvollzugsbeamter in Louisiana, bildet den mittleren Teil einer nurmehr ausschließlich aus Männern bestehenden, Drei-Generationen-Familie. Schon Hanks Vater Buck (Peter Boyle), mittlerweile zwar ein pflegebedürftiger, alter Mann, jedoch noch immer eherner Rassist und Misanthrop, sorgte dafür, dass der elektrische Stuhl summen konnte. Hanks Sohn Sonny (Heath Ledger) soll die Tradition fortführen. Dessen erste offizielle Hinrichtung, im Zuge derer der kriminelle Lawrence Musgrove (Sean Combs) exekutiert werden soll, entwickelt sich jedoch für den höchst sensiblen Sonny zu einer nicht zu bewältigenden Belastungsprobe. Die daraus resultierende Verachtung seines Vaters quittiert Sonny mit seinem spontanen Suizid.
Derweil steht Musgroves Witwe Leticia (Halle Berry) vor den Trümmern ihrer Existenz, die sich nochmals auftürmen, als ihr Sohn Tyrell (Coronji Calhoun) einem Autounfall zum Opfer fällt. Hank wird zufällig Zeuge des Ganzen und begleitet Leticia in den folgenden Stunden. Aus der tragikumwitterten Begegnung erwächst eine zarte Liebesgeschichte, die Hank dazu bewegt, seine bisherige Existenz zu überdenken und schließlich komplett umzukrempeln. Doch nach wie vor stehen ein paar unausgesprochene Wahrheiten zwischen ihm und Leticia.

Als hätte Paul Schrader sich eines typischen Sirk-Stoffes angenommen: „Monster’s Ball“ führt den sich im Hollywood-Kino der Vordekade ausbreitenden Zynismus an einen harten, vor Schicksalsschlägen pulsierenden Endpunkt und lässt am Ende Vergebung, Erneuerung und Erlösung walten.
Die Umstände, die Hank und Leticia zusammenführen, wären für die meisten Menschen Grund genug, in lebenslange, tiefe Depressionen zu verfallen. Beide sehen sich jeweils mit einer radikalen, existenziellen Zäsur konfrontiert, die sich jeweils aus ihren spezifischen Schicksalen kausal speisen. Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse ist die Hinrichtung Lawrence Musgroves, dessen seiner Buße zugrunde liegendes Verbrechen als solches zwar evident ist, dem Zuschauer jedoch konkret verborgen bleibt. Man lernt nur den Musgrove kurz vor seinem Tode kennen (Sean „Puff Daddy“ Combs in einer bemerkenswert unglamourösen Performance), einen reumütigen Mann, reduziert auf seine letzten Bedürfnisse, der sich mit dem Bevorstehenden abgefunden hat. Musgroves Hinrichtung, die Hank als Scharfrichter aktiv verantwortet, führt letzteren schließlich zu Leticia, ebenfalls eine Frau mit Problemen. Offenbar keine sonderlich kompetente Mutter, kommt sie mit der pathologischen Adipositas ihres Sohnes nicht zurecht und neigt darüberhinaus zum Suff. Der Tod ihres Mannes potenziert diese Probleme noch. Der zwar meist stille, aber dennoch vom brodelnden Hass seiner Ahnen infizierte Hank Grotowski derweil muss auf die denkbar radikalste Weise erfahren, dass sein freudloses Leben ihn in eine Sackgasse geführt hat, aus der er sich nur mit nicht minder extremen Maßnahmen befreien kann. Sie und er sind wie zwei offene Wunden, die sich ganz zärtlich gegenseitig schließen. Zunächst heißt es noch fuck for freedom – ein explosiv-befreiender, einem Donnerschlag der stattgegebenen Sucht nach Liebe entsprechender Sexualakt, von Thornton und Berry ebenso mutig gespielt wie von Forster kongenial inszeniert, steht im Zentrum des Films und markiert für beide verlorenen Seelen den endlich durchtrennten Stacheldraht ihrer bisherigen Lebenswege. Daran schließt sich freilich nicht nur ihrer beider Liberalisierung an, sondern möglicherweise die einer kompletten, seit Jahrhunderten verfilzten Sozialstruktur.
Vieles ließe sich an und rund um „Monster’s Ball“ diskutieren, ob er es vielleicht nicht allzu einfach macht mit seinen zwei makellos schönen Protagonisten, die gemeinsam ihren Höllenlöchern entkommen und in diesem Zuge alle alten, verfilzten Zöpfe abschneiden, ob er sich möglicherweise Stereotypen befleißigt, die im realen Leben zu soviel Reflexivität und Bereitschaft zur Vergebung niemals fähig wären; schließlich auch, ob der doch recht religiös konnotierte Akt um Musgroves Exekution sich nicht allzu offensichtlich als christlicher Erlösungsakt und Sündenablöse lesen lässt. Doch wäre diese Kritik an all diesen Facetten des Films nicht auch eine Kritik am Kino per se, eine Negierung gar seiner mannigfaltigen dramatischen Klaviatur? Douglas Sirk hatte einst keinerlei Probleme mit vorgeblichem „Kitsch“, er war stets bereit, seinen Figuren nach Bewältigung ihrer steinigen Pfade romantischen Frieden zuzugestehen. „Monster’s Ball“ tut im Prinzip nichts anderes.

10/10

LAW ABIDING CITIZEN

„I need a shower, Warden.“

Law Abiding Citizen (Gesetz der Rache) ~ USA 2009
Directed By: F. Gary Gray

Die zwei Raubeinbrecher Darby (Christian Stolte) und Ames (Josh Stewart) zerstören in einer Nacht gewaltsam die Familienidylle der Sheltons, indem sie Mutter (Brooke Stacy Mills) und Kind (Ksenia Hulayev) ermorden und Vater und Ehemann Clyde (Gerard Butler) schwer verletzt zurücklassen. Doch der Albtraum ist für Clyde Shelton noch nicht vorbei: Anstatt beide Verbrecher ihrer gerechten gerichtlichen Strafe zuzuführen, lässt sich der aufstrebende Staatsanwalt Nick Rice (Jamie Foxx) in Darbys Fall auf einen Deal ein: Der passive Ames landet zwar in der Todeszelle, der tatsächliche Mörder Darby jedoch, ein widerlicher Sadist vor dem Herrn, bekommt mangels profunder Beweise lediglich ein paar Jahre Gefängnis.
Zehn Jahre vergehen, bis zum Tag, da Ames mit der Giftspritze hingerichtet wird. Die Exekution verläuft überaus unschön, da das Todesserum gegen eine andere Chemikalie ausgetauscht wurde. Damit nicht genug, wird Darby entführt und bestialisch zu Tode gefoltert. Der Verursacher beider Ereignisse ist rasch gefunden: Niemand anderes als Clyde Shelton steckt dahinter. Dieser lässt sich zwar brav festnehmen und ins Gefängnis sperren, doch sein eigentlicher Rachefeldzug fängt damit erst an…

In Erwartung eines „klassisch“ arrangierten Vigilantenthrillers widmete ich mich dem „Director’s Cut“ dieses sich selbst doch weitaus wichtiger nehmenden, mit den moralgetünchten Serienkillerfilmen der Vorjahre von „Se7en“ über die „Saw“-Reihe bis hin zu „WΔZ“ liebäugelnden Machwerks. Und ein Machwerk, das ist „Law Abiding Citizen“ im allerschlechtesten Sinne, mit allen Schikanen sozusagen. Denn die handelsübliche Rache- und Selbstjustizstory muss nichts Geringerem weichen denn einem sich höchst clever wähnenden Plot um die Ad-Absurdum-Führung des gesamten Justizsystems. Nicht von ungefähr spielt die von Kurt Wimmer erdachte Story in Philadelphia, der „City of Brotherly Love“, Nationalheiligtum als ehemalige Hauptstadt der USA und jener Ort, an dem 1787 die Unabhängigkeitserklärung verabschiedet wurde. 2009 war es dann an an Gerard Butler aka Clyde Shelton, dem maroden Jurisdiktionsapparat dessen Schwächen mit aller nach dem Dafürhalten des moralisch Gewappneten gebotenen Härte vor Augen zu führen und eine Sanierung anzustoßen. Doch ein ordinärer Bürger, wie der Originaltitel es suggeriert, ist Shelton – natürlich – mitnichten. Ein solcher könnte ja auch gar nicht solch verzwickte Ideen aushecken wie Shelton es tut. Stattdessen entpuppt er sich im weiteren Verlauf als höchst versierte und professionelle Mordmaschine der CIA und naturgemäß Bester seiner Zunft, dessen biblischen Zorn besser niemand entfesselt hätte. Denn Shelton ist auch ein brillanter Stratege und seinen Gegnern stets zehn Züge voraus. Jamie Foxx als Butlers Widersacher muss also erst lernen, im Sinne seiner Nemesis umzudenken, bevor der vielbeschäftigte Staatsdiener, nachdem er den Kontrahenten schlussendlich doch noch (mit dessen „Waffen“ freilich) besiegen kann, endlich einmal seine eigene kleine Tochter (Emerald-Angel Young) beim Cello-Auftritt besuchen darf. Der Weg dahin ist gepflastert mit allerlei Meilensteinen der Dämlichkeit.
„Law Abiding Citizen“ ist so unfassbar schlecht, löchrig und dumm geschrieben, dass die imdb-Durchschnittswertung von tagesaktuellen 7.4 Punkten anmutet wie ein schlechter Witz. Überhaupt scheint Butler, den ich mehr und mehr geringschätze, sich nur allzu gern auf dümmliche Projekte wie dieses einzulassen. Hätten Gray und Wimmer den Mut oder auch die Chuzpe besessen, die fiese Schlachtplatte der ersten halben Stunde irgendwie auf 90 Minuten auszudehnen, ohne sich in vermeintlich komplexen Narrationsvolten und, noch viel schlimmer, in abgeschmackten Ethikdiskursen zu verlieren, „Law Abiding Citizen“ hätte zumindest als halbgescheite Exploitatongranate reüssieren können. So jedoch wird aus der ganzen Chose ein reichlich selbstherrlicher Schildbürgerstreich, der im Nachinein bestenfalls dazu taugt, die mitleiderregende Blödheit seiner Produktionsbeteiligten und die seines applaudierenden Publikums gleichermaßen zu illustrieren.
Schlimm.

3/10

GOOD TIME

„You’re cold? Let’s get to Virginia, man!“

Good Time ~ USA 2017
Directed By: Benny Safdie/Josh Safdie

Der ewig klamme Herumtreiber Connie Nikas (Robert Pattinson) will seinem geistig behinderten Bruder Nick (Benny Safdie) ein Leben abseits von Heimen und Therapeuten ermöglichen. Also entwickelt Connie kurzerhand den Plan, gemeinsam mit Nick eine Bank zu überfallen. Der mit heißer Nadel gestrickte Coup geht schief; Nick landet im Gefängnis, während Connie entkommen kann. Nun gilt es für ihn, die nötige Kaution aufzutreiben oder seinen Bruder notfalls selbst zu befreien. Die folgende, bizarre Odyssee durch die New Yorker Nacht bringt Connie mehr oder weniger zufällig mit allerlei seltsamen Zeitgenossen zusammen, darunter mit dem Kleinpusher Ray (Buddy Duress), der um ein LSD-Versteck im Freizeitpark „Adventureland“ weiß…

Ob es für meine persönliche Bewertung von „Good Time“ förderlich ist, dass ich zuvor dessen Nachfolger „Uncut Gems“ gesehen habe und im Prinzip eigentlich erst über diesen überhaupt auf die Safdies aufmerksam geworden bin, wage ich zu bezweifeln, denn jenes absolut formvollendete Thrillerdrama mit Adam Sandler variiert seinen Vorgänger nicht nur motivisch. Beide Filme zentrieren sich um einen rücksichtslos agierenden Protagonisten, der um die Durchsetzung eigener Träume und Wünsche Willen Kausalitätsketten in Gang setzt, die seine Mitmenschen, respektive zumindest die, die naiv genug sind, ihn zu unterstützen, ins kleine oder große Verderberben stürzt. Das Ganze vollzieht sich jeweils in einem sehr hohen Erzähltempo, unter Verwendung halsbrecherischer Script-Volten, vermittels einer wilden Photographie und Montage, sowie unter Einbeziehung eines ganzen Kaleidoskops schräger Nebencharaktere. (Das nächtliche) New York avanciert dabei zum urbanen, planen Stellvertrer der Reise durch das psychische und geistigen Labyrinth der Leitfigur. Auch „Good Time“ greift somit bereits vorhandene Erzählmuster auf; so erinnert er zumindest streckenweise etwa zwangsläufig an Scorseses „After Hours“ und infolge dessen an den klassischen film noir. Anders als später Sandler als semilegaler Traumverkäufer Howard Ratner vermag es der (nichtsdestotrotz hervorragend spielende) Robert Pattinson jedoch nicht, die Em- und Sympathie des Rezipienten zu evozieren. Während Ratner ja seine gesamte Existenz in die Waagschale wirft und sich damit den Status eines tragikomischen Antihelden erarbeitet, lassen einen die von vornherein irrationalen Motive Connie Nikas‘ relativ gleichgültig zurück. Man sieht seinem irrlichternden Trip durch die Eingeweide der Stadt und ihrer Institutionen zwar interessiert zu, mag sich aber nie wirklich auf seine Seite schlagen und insofern auch nicht nachhaltig mit seinem Schicksal zu hadern. Am Ende kommt es für die meisten Beteiligten so, wie es kommen muss; nichts existenziell wirklich Gravierendes geschieht. Während „Uncut Gems“ eine konsequente Fallgeschichte erzählt, nimmt „Good Time“ somit eher den Status einer wilden Momentaufnahme ein. Wie oben suggeriert, kann „Good Time“ unter dem massiven Eindruck von „Uncut Gems“ im Zuge einer achronologischen Betrachtung allso nur verlieren. Das macht ihn keinesfalls zu einem künstlerischen Fehlschlag, andererseits wird die rückwärts gewandte Ordinalbetrachtung ihm vermutlich nicht gerecht.

7/10