DOG EAT DOG

„I warned you, Dog.“

Dog Eat Dog ~ USA 2016
Directed By: Paul Schrader

Troy (Nicolas Cage), Mad Dog (Willem Dafoe) und Diesel (Christopher Matthew Cook) bilden ein Trio krimineller Knastvögel, das sich in vielerlei Hinsicht bestens ergänzt. Alle drei bergen ein unberechenbares, hochaggressives Potenzial, sind nicht die Hellsten, frönen allem, was ungesund ist und rennen irrationalen Träumen vom ganz großen „Gig“ nebst sorgenfreiem Leben hinterher. Ein alter Bekannter von Troy, El Greco, der Grieche (Paul Schrader) vermittelt ihnen kleine Coups, mit deren Erlös sie ihren unstillbaren Bedarf an Nutten, Alkohol und Drogen zumindest kurzfristig stillen können. Schließlich soll es aber doch einmal richtig lukrativ werden: 750.000 Dollar gilt es abzustauben für einen Auftrag, der die Entführung des Babys eines säumigen Schuldners (Louis Perez) vorsieht. Das Ganze endet in Chaos und Tod.

Peu à peu möchte ich mich gern endlich dem in meiner Kopfsammlung noch verbleibenden Regieœuvre Paul Schraders widmen und plane diesbezüglich chronologisch rückwärts vorzugehen. „Dog Eat Dog“ nun ist als Schrader-Werk zumindest auf den ersten und wahrscheinlich auch zweiten Blick nicht a priori identifizierbar. Zwar ist auch dieser, vorrangig von einer aus Filmstudenten bestehenden Crew in Minimalzeit abgedrehten Edward-Bunker-Adaption eine gewisse maskuline Melancholie inhärent, insgesamt jedoch gefällt sich der Film in der zutiefst absurd abgerissenen (und insofern zugleich immens komischen – ich musste oft sehr lachen) Darstellung einer scheiternden, kriminellen Großaktion, deren Handlangertrio krachend an der eigenen Inkompetenz scheitert. Cages Troy berichtet den Hergang der Geschichte via voiceover, was jedoch bekanntermaßen längst kein Garant mehr für einen wie auch immer zu erwartenden Ausgang darstellt. Im Prinzip bilden die drei Protagonisten dabei die drei Achsen eines gleichseitigen Dreiecks. Die in solchen Erzählungen naheliegende Volte, das Versagen des Plans infolge der üblichen Unwägbarkeiten vor Ort dem größten Psychopathen im Bunde anzulasten, greift hier wiederum bestenfalls an der Oberfläche. Auch garantiert weder seine Erzählstimme noch sein längster Überlebensstatus nicht unbedingt Troys vorrangige diegetische Position; vielmehr widmet sich die auktoriale Perspektive allen drei Gangstern relativ gleichberechtigt. Alles beginnt mit einer Mad Dog zentrierenden Eingangssequenz, die bereits das groteske Timbre der kommenden 90 Minuten zielgenau umreißt. Wie er sein Antlitz, vom Schnee und H in andere Sphären versetzt, als amorphes Zerrbild im Spiegel betrachtet, das muss man sehen. Der unschätzbare Willem Dafoe als Mad Dog bildet womöglich ohnehin die vorrangigste Darstellung als koksender Junkie, der längst jeden Bezug zum Irdischen eingebüßt hat, dies jedoch zugleich auch recht bestimmt einschätzen kann. Cooks Diesel derweil ruht als tickende Zeitbombe die meiste Zeit in sich und vollbringt es via kaum exponiertem Kraftaufwand, sich irgendwie im Zaum zu halten. Am ehesten an die Schrader-Typologie des vergebens seiner Erlösung nachjagenden Verlierers angelehnt ist dann doch Troy, wobei auch dieser die oftmals mit dem Wahnhaften liebäugelnde Normativität des schraderschen Antihelden mit ungewohnten Extremen auskleidet. Zehn, zwanzig Jahre zuvor hätte „Dog Eat Dog“ im Fahrwasser all der Tarantino-Epigonen es gewiss deutlich schwerer gehabt, zumal eindeutige Analogien, die sich im teils unablässig vorgetragenen, gestelzten Knacki-/Gangsterdialog äußern, absolut eklatant sind. Auch ein Guy Ritchie ist da nicht weit. Mir gefällt jedoch viel besser der Vergleich mit John Cassavetes‘ „Husbands“, von dem Schrader gewissermaßen eine postmoderne, aufgegrellte Variation darbietet, die jedoch, ganz wie das große Vorbild, von destruktiven Irrwegen kriselnden, männlichen Selbstverständnisses berichtet.

8/10

LA FILLE INCONNUE

Zitat entfällt.

La Fille Inconnue (Das unbekannte Mädchen) ~ BE/F 2016
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Just während die Nachwuchsinternistin Jenny Davin (Adèle Haenel) dabei ist, ihren Praktikanten Julien (Olivier Bonnaud) zu rüffeln, klingelt es an der Praxistür. Die Sprechstunde ist jedoch längst vorüber, die Tür bleibt geschlossen. Am nächsten Morgen steht die Polizei vor der Tür – die späte, unidentifizierbare Besucherin wurde unweit der Arztpraxis tot an der Maas aufgefunden. Möglicherweise handelte es sich um ein Gewaltverbrechen. Für Jenny ist offensichtlich, dass die junge Frau noch leben könnte, hätte sie am Vorabend anders reagiert. Auf eigene Faust beginnt sie, Recherchen anzustellen – weniger, um den möglichen Kriminalfall zu lösen als um herauszubekommen, um wen es sich bei der Toten eigentlich handelt. Nach und nach gelingt es ihr, Licht ins Dunkel zu bringen.

Eine weitere Städtetour mit den Dardennes durch Seraing, die uns diesmal an die Seite einer jungen, aufopferungsvollen Jungärztin stellen und dabei, wie schon mehrfach zuvor, einen gezielt doppeldeutigen Titel für ihre Geschichte installieren. Das unbekannte Mädchen, das ist nicht nur die illegal eingewanderte, junge Zwangsprostituierte, deren Herkunft Jenny am Ende entschlüsseln wird, sondern auch sie selbst. Mit Jennys investigativer Odyssee werden wir zugleich Zeugen ihres eigenen Alltags, der einzig und allein im Zeichen ihres Berufs steht. Jenny, die in Abwesenheit ihres alternden, sich soeben zur Ruhe setzenden Mentors Dr. Habran (Yves Larec) dessen Praxis und PatientInnen betreut, befindet sich vor einem gewaltigen Sprung auf der Karriereleiter: Ihre neue Anstellung im Kennedy-Zentrum für PrivatpatientInnen hat sie bereits sicher; ein Namensschild ziert dort schon ihr Büro. Dabei ist sie selbst alleinstehend, einsam und ausschließlich für ihre oftmals aus einfachen sozialen Verhältnissen stammenden Schützlinge da. Dennoch erfüllt sie ihr Beruf zur Gänze, eine Mischung aus eherner Menschenliebe und inniger Empathie kräftigt sie und scheint Berufskrankeitsbilder wie Burnout in weite Ferne rücken zu lassen. Zudem ist Jenny aufgrund ihrer stets zutreffenden Anamnesen gewohnt, aktiv und zielsicher helfen zu können. Umso belastender für sie die Situation um jenes tote, namenlose Mädchen, die sie andererseits tiefer in eine Patientenfamilie hineinführt und sie andererseits selbst mit einer eminenten Lebensentscheidung konfrontiert.
Natürlich gelingt den Dardennes mit ihrem bewusstem Stil erneut ein herausragendes Stück Film, das traditionell gewohnte Topoi wie illegale Migration und Verantwortungsübernahme im Angesicht von Richtig und Falsch verhandelt. Dennoch ist – wiederum – manches anders: Erstmals überschreitet die Erzählzeit die magische 100-Minuten-Grenze, die Liebäugelei mit dem Kriminalfilmgenre sorgt für den einen oder anderen nicht immer folgerichtig erscheinenden Scriptmoment. Eine durchweg integre Heldin in strahlender Rüstung, wie sie Jenny Davin abgibt, hatten wir bisher noch nie und dann gibt es sogar Momente (unfreiwilliger?) Komik wie einen missglückten Suizidversuch gegen Ende. Kritischere ZeitgenossInnen legten all das als lässliche Schwächen oder gar Faux-pas aus; ich finde nicht, dass „La Fille Inconnue“ dadurch wesentlich beschädigt wird. Es ist und bleibt trotz allem ein schöner, warmherziger Beitrag zu einem beinahe makellosen Œuvre.

8/10

A DARK SONG

„Do you know what you’re fuckin‘ doin‘?“ – „No.“ – „Well shut up then!“

A Dark Song ~ IE/UK 2016
Directed By: Liam Gavin

Um mittels paranormaler Beschwörungen Kontakt zu ihrem ermordeten Sohn Jack (Nathan Vos) aufzunehmen, mietet die trauernde Sophia (Catherine Walker) ein weit abgeschlagen stehendes Haus in Wales und rekrutiert den ebenso erfahrenen wie zynischen Okkultisten Joseph Solomon (Steve Oram). Dieser warnt die zunächst unaufrichtige Sophia mehrfach, ihm die Wahrheit über ihr Ansinnen zu unterbreiten und auch vor dem kräftezehrenden Effekt des über viele Monate andauernden Rituals. Dennoch bleibt Sophia bei ihrem Plan. Die beiden nunmehr völlig auf sich gestellten und von der Außenwelt isolierten Menschen durchringen unter Josephs strikter Anleitung die Sphären zu den jenseitigen Dimensionen und entwickeln dabei zugleich eine destruktive Beziehung zueinander.

Mit „A Dark Song“ legte der Ire Liam Gavin ein ebenso atmosphärisch dichtes wie involvierendes Langfilmdebüt vor, das einmal mehr demonstriert, welch farbenfrohe Auswüchse besonders das auf der Schattenseite des Mainstream stehende Genrekino in den letzten Jahren vermehrt treibt. Gavins spezifischer Begriff von Horror zeigt sich dabei von intimen psychologischen und parapsychologischen Triebfedern gesteuert. Diese Agenda veräußert sich primär in der formal wie inhaltlich strengen kammerspielartigen Gestaltung von „A Dark Song“, der sich als Zwei-Personen-Stück mit wenigen Ausnahmen auf ein abgegrenztes Setting beschränkt und konzentriert. Die Reise der beiden ProtagonistInnen in die Gefilde abseits von Zeit und irdischer Physik avanciert dabei gleichermaßen zu einem Parforceritt in ihre eigenen seelischen Unwägbarkeiten; die unter Josephs vehementer Anleitung akribisch durchgeführten Praktiken beinhalten gleichfalls psychische und physische Grenzzustände, die sich durch „Reinigungsprozesse“ wie Entgiftung, Fasten, Schlafentzug, die (daraus resultierende) gezielte Evozierung halluzinogener Erfahrungen, sexuelle Askese und schließlich eine erzwungene Nahtoderfahrung einstellen. Der jeweils geforderte Tribut ist von immenser Tragweite, mündet jedoch in eine geradezu sphärische Erlösung Catherines, die am Ende gewissermaßen ihre eigenen Dämonen exorzieren kann.
Ihr Entwicklungsprozess wird dabei mit weitgehend konventionellen Versatzstücken der Gattung untermalt, geriert sich durch deren intelligenten und kompetenten Einsatz jedoch oftmals auf zufriedenstellende Weise unheimlich. Die mit stark religiösen Implikationen arbeitende conclusio nimmt sich indes streitbar aus und konnte mich nicht zur Gänze überzeugen, obgleich sie in ihrer ausnahmsweise positiven Konsequenz durchaus folgerichtig erscheint. Trotzdem hätte ich für einen etwas nachhaltigeren Impact einen fatalistischen Abgang bevorzugt – meine eigene dunkle Seite scheint da doch allzu fordernd.

8/10

THE FOUNDER

„One word: persistence.“

The Founder ~ USA/GR 2016
Directed By: John Lee Hancock

Um die Mitte der 50er Jahre verkauft der emsige Klinkenputzer Ray Kroc (Michael Keaton) mit eher mäßigem Erfolg Milchshake-Automaten an Drive-In-Restaurants. Als eine ungewöhnlich große Bestellung aus San Bernadino bei ihm eingeht, macht er sich auf den Weg nach Kalifornien, um sich vor Ort ein Bild des offenbar überaus gut gehenden Schnellrestaurants zu machen. Die Inhaber desselben, die Brüder Richard (Nick Offerman) und Maurice McDonald (John Carroll Lynch) wiederum sind angetan von der Bewunderung Krocs betreffs ihres speziellen Konzepts und weihen ihn in ihre innovative Geschäftsidee ein: Höchste Effektivität in Form von blitzschneller Bedienung, stabiler Qualität, einer schmalen Produktpalette und steter Kundenfreundlichkeit haben „McDonald’s“ in der Region ein besonderes Renommee verschafft. Kroc ist der Überzeugung, dass diese Idee auch andernorts Erfolg haben muss und überredet die Brüder trotz einiger Bedenken ihrerseits dazu, ihr Restaurant zu einem Franchise-Unternehmen zu machen. Krocs nachfolgende Anstrengungen, Investoren zu finden, laufen zunächst nicht ganz problemlos vom Stapel; die Voraussetzung, das Konzept „McDonald’s“ unverändert und im Sinne seiner Begründer zu übernehmen, irritiert die Franchisenehmer teilweise. Dock Kroc setzt seine Pläne mit unbeirrbarem Stoizismus und bald gigantischem Erfolg durch. Dass dabei die zusehends besorgten Urheber ddes Ganzen auf der Strecke bleiben und irgendwann sogar das Recht an der Verwendung ihres eigenen Familiennamens einbüßen, nimmt Kroc mit dem gelassenen Habitus des selbstberauschten Großunternehmers billigend in Kauf.

Die Gründerväter des zwanzigsten Jahrhunderts waren die Pioniere des global funktionierenden Kapitalismus und eines dessen größter Sinnbilder sind die goldenen Bögen. McDonald’s steht wie keine andere weltweit operierende Marke mit Ausnahme vielleicht von Coca Cola für Vertrauen, Sicherheit und zivilisatorische Anbindung. Wer eine der weltweit knapp 40.000 McDonald’s-Filialen betritt, weiß im Regelfall, was er dort bekommt und was ihn erwartet und auch wenn milliarden von Menschen den Multi und seine rigoros ausbeuterische Funktionalität zurecht verdammen, lässt sich eine andere Milliarde tagtäglich von ihm ernähren. Das Biopic „The Founder“ berichtet mit sanfter Ironie und ansonsten völlig unaufgeregt davon, wie es rund sechzig Jahre zuvor dazu kommen konnte, dass „McDonald’s“ zu dem wurde, als das es heute die allermeisten Kinder kennen und lieben. Dafür sind zwei Faktoren von Bedeutung: zum einen Ray Kroc und zum anderen dessen gleichermaßen zündende wie verderbliche Mixtur aus Gier und Unternehmergeist. Gewiss erzählt „The Founder“ zuallererst auch eine exemplarische Kapitalismusstory, wie sie in dieser Form wohl annähernd originär für das Amerika der Nachkriegsära sein dürfte: aus einem kleinen Vertreter mit gesteigerter Tendenz zum Alkoholismus wird ein Selfmade-Millionär, dessen Vorgehensweise in Relation zu seiner Vermögensmehrung zunehmend rigoros wird. Greed is good. Am Anfang stehen zwei naive Brüder als stolze Existenzgründer mit ihrer sorgsam gehüteten, gleichsam uramerikanischen Idee, am Ende stehen sie als lachhaft abgespeiste Verlierer da. Der Gewinner indes hat ihr Baby zu einem Monster herangezüchtet, das die einstigen Väter nicht mehr begreifen.
Dass der in seiner Rolle exzellent aufspielende Michael Keaton Ray Kroc keineswegs als Ritter in schimmernder Rüstung bespielt, steht angesichts einer derartigen Prämisse wohl außer Frage. Obgleich praktisch keine Szene des Films ohne seine Präsenz auskommt, macht der Protagonist sich auch das Publikum nicht zu Freunden. Sein Narzissmus und seine Egozentrik wachsen parallel zu Einfluss und Geld, wobei auch Krocs Privatleben genau diese Entwicklung widerspiegelt. Seine erste Frau Ethel (Laura Dern) verliert den Bezug zu ihm, da sie weder fähig noch Willens ist, seiner selbstauferlegten Mission zu folgen; an ihre Stelle tritt die von Krocs machthungrigem Charme faszinierte Joan Smith (Linda Cardellini), die wiederum ihren vormaligen Gatten (Patrick Wilson) für ihn verlässt. Ein Schelm, wer darin den Verlust von Integrität zugunsten persönlicher Korruption reflektiert gefunden glaubt.

8/10

MESSAGE FROM THE KING

„I’m in trouble. I need your help.“

Message From The King ~ USA/UK/F/BE 2016
Directed By: Fabrice du Welz

Der aus Kapstadt stammende Jacob King (Chadwick Boseman) kommt mit 600 Dollar in der Tasche nach Los Angeles. Er sucht seine Schwester Bianca (Sibongile Mlambo), die bereits vor Jahren hierher gezogen ist und zuvor einen telefonischen Hilferuf abgesetzt hatte. Seine Recherchen führen Jacob umgehend in Unterweltskreise und zu zwielichtigen Typen, als er verzweifelt registrieren muss, dass es bereits zu spät ist. Bianca liegt anonym im Leichenschauhaus, gefoltert und ermordet. Ohne sie offiziell zu identifizieren begibt sich Jacob auf die Suche nach den Schuldigen und stößt in ein Wespennest aus Perversion und Erpressung.

Wie etliche andere internationale Premiumregisseure in den letzten Jahren verschlug es auch Fabrice du Welz irgendwann zu Netflix, wo er seinen ersten englischsprachigen Film, eine Reminiszenz an die Klassiker „Get Carter“ von Mike Hodges und „The Limey“ von Steven Soderbergh, inszenierte. Wie in diesen begibt sich ein zunächst enigmatisch gezeichneter, sorgenvoller Verwandter in unbekannte urbane Gefilde, um die Umstände um das Ableben eines geliebten Familienmitglieds zu klären und, nachdem er die ersten Schichten der betreffenden Affäre offengelegt hat, das kriminelle Hornissennest von innen nach außen zu kehren. Dass Chadwick Boseman als Jacob King im Gegensatz zu Michael Caine und Terence Stamp erst nach den ersten Filmminuten und bereits in seinem Ermittlungsterrain angelangt vom Tod seiner Schwester erfährt, ist dabei im Prinzip reine Makulatur. Sein anschließender Weg jedoch ist nicht minder beschwerlich: Jacobs detektivische Anstrengungen reichen von einer drogenabhängigen Freundin (Natalie Martinez) Biancas über einen südosteuropäischen Mafiaableger, einen kriminellen Zahnarzt (Luke Evans), einen korrupten, stadtoberen Politiker (Chris Mulkey) und sich als Auftragskiller verdingenden Cops bis hin zu einem als Päderast umtriebigen Filmproduzenten (Alfred Molina). Seine einzige Hilfe bezieht Jacob derweil von seiner sich nebenbei prostituierenden Nachbarin (Teresa Palmer). Zunächst nur mit einer Fahrradkette bewaffnet macht sich der cape-flats-gestählte Held daran, ausgleichende Gerechtigkeit zu schaffen – mit erwartungsgemäß beachtlichem Erfolg und eine kleine, unerwartete Eröffnung zum Abschluss inbegriffen.
Namhaft gecastet und vergleichsweise ordentlich budgetiert empfand ich „Message From The King“ nichtsdestotrotz als Fabrice du Welz‘ bis dato schwächsten Film. Wiederum scheint er als Auftragsregisseur einiges an seiner vormaligen Signifikanz einzubüßen und sich damit zu begnügen, reine Genreware zu liefern, die er routiniert, aber ohne besondere Überraschungen vorträgt. Üblicherweise ist der unverstellte bis faszinationsgesäumte Blick europäischer Filmemacher auf das amerikanische Lokalkolorit stets ein Zugewinn, du Welz scheint Los Angeles indes eher zu langweilen. Was er dem flächigen Großstadtmoloch abtrotzt, zeugt jedenfalls kaum von der sonst üblichen Begeisterung des Exoten. Potenziell vielversprechende Augenblicke wie ein an Michael Mann erinnernder Dialog zwischen Boseman und Palmer in einem nächtlichen Diner versanden gar in klischeebehafteter Bedeutungslosigkeit. Tatsächlich lebt „Message From The King“ primär von seinen Darstellern, was keineswegs als Kompliment an einen fähigen Regisseur gewertet werden mag.

6/10

UNDER THE SHADOW

ZItat entfällt.

Under The Shadow ~ UK/JO/QA 2016
Directed By: Babak Anvari

Teheran, in den achtiger Jahren. Während der Erste Golfkrieg tobt, ist es der jungen Ehefrau und Mutter Shideh (Narges Rashidi) unmöglich, ihr Medizinstudium wieder aufzunehmen. Im Zuge der Kulturrevolution war sie als Linksaktivistin umtriebig, was der auch sonst durchweg progressiven Shideh unter dem Chomeini-Regime als Subversion ausgelegt wird. Frustriert nimmt sie darüber hinaus zur Kenntnis, dass sich ihr Mann Iraj (Bobby Naderi), ein ausgebildeter Arzt, für den lebensgefährlichen Fronteinsatz meldet. Shideh bleibt mit ihrer kleinen Tochter Dorsa (Avin Manshadi) allein in der Mehrfamilienhauswohnung zurück. Als Bagdad die Bombadierung Teherans beginnt, schlägt eine Rakete ins Dach des Hauses, ein Stockwerk über Shidehs Appartment, ein ohne zu explodieren. Dorsa steht derweil heimlich im Kontakt mit dem Flüchtlingsjungen Mehdi (Karam Rasjayda), der beide Eltern verloren hat. Das Mädchen berichtet Shideh, Mehdi habe sie vor einem Djinn gewarnt, der angeblich das Haus heimsuchen soll. Tatsächlich verschwinden urplötzlich Mutter und Tochter wichtige Dinge – eine Puppe, ein geerbtes Medizinlexikon. Während sämtliche anderen Hausbewohner aus Sorge vor den immer frequentierteren Bombardierungen das Gebäude verlassen, weigert sich Shideh, die selbst zunehmend in den Konflikt zwischen Raison und Aberglauben gerät, weiterhin standhaft, zu den Schwiegereltern zu ziehen…

Als leiser, an Polanskis Mietshaus-Trilogie angelehnter Horrorfilm ist „Under The Shadow“ weniger interessant. Die „Auftritte“ des Djinn, also eines im islamischen Glauben verankerten Dämons, finden sich mit standesgemäßen, leidlich überzeugenden Mitteln wie jump scares aufbereitet und bieten somit kaum Innovation. Als deutlich involvierender gestaltet sich indes der Diskurs hinsichtlich der äußeren historischen und sozialpolitischen Implikationen des Mittachtziger-Iran und deren Reziprozität mit dem intradiegetischen Geschehen: Shideh lebt und leidet als selbstbewusste Frau in einem Albtraum systemischer Repression. Für die geringsten Regelübertretungen drohen drakonische Strafen, der unbeirrbare Glaube bildet die oberste, existenzielle Maßgabe. Ohne Hijab und schwarzes Gewand ist kein Schritt in der Öffentlichkeit möglich, ein verbotenes Jane-Fonda-Aerobic-Video, Shidehs kleines, tägliches Fenster zur Selbstbestimmtheit, wird gehütet wie ein Kleinod. Selbst dafür, dass sie Auto fährt, sieht man Shideh allerorten schief an. Dass sie infolge der eigenen, biographischen Erfahrungen, die sich bis in die Gegenwart hinein aus Unterdrückung und Unfreiheit speist, im Grunde längst überzeugte Atheistin ist, muss unter allen Umständen ein Geheimnis bleiben. Das Höchste der Gefühle besteht darin, ihrer affirmativen Nachbarin (Aram Ghasemy) entnervt zu bedeuten, dass sie den Glauben an Djinn und ähnliche Höllenwesen für Unsinn halte. Jene Überzeugung sieht sich alsbald allerdings einer harten Prüfung unterworfen, indem sich die unerklärlichen Phänomene häufen, zumindest in der Wahrnehmung Shideh und ihrer Tochter Dorsa, deren Beziehung infolge dessen ebenfalls auf eine schwere Probe gestellt wird.
Zwar lässt Anvari offen, ob Mutter und Kind tatsächlich zu Opfern einer übernatürlichen Entität werden oder sich lediglich ihre Wahrnehmung infolge ihrer immens belastenden Lebensumstände verschiebt (letzteres wäre in diesem speziellen Fall wünschenswert) – an einer Tatsache jedoch kann kein Zweifel bestehen: Wenn das Böse einen Fuß in die Tür zwischen seiner eigenen, mystischen und unserer realen Welt bekommt, dann liegt das stets daran, dass wir jene Pforte zuvor geöffnet haben, sei es durch religiösen Fanatismus, diktatorisches Gebahren, Unterdrückung oder Krieg. Die Hölle ist stets da, wo Menschen sind.

7/10

BEFORE I WAKE

„I don’t like to sleep.“

Before I Wake ~ USA 2016
Directed By: Mike Flanagan

Nachdem es seinen kleinen Sohn Sean (Antonio Romero) durch einen tragischen Unfall verloren hat, entschließt sich das Ehepaar Jessie (Kate Bosworth) und Mark Hobson (Thomas Jane), ein Pflegekind zu adoptieren. Der acht Jahre junge Cody (Jacob Tremblay) erweckt dann auch, trotz seiner bis dato dramatisch verlaufenen Biographie, zunächst den Eindruck eines lieben, unkomplizierten Kindes – das sich allerdings mit allen möglichen Mitteln dem Einschlafen verweigert. Bald erfahren die Hobsons auch, wieso: Wenn Cody schläft, werden seine Träume Realität – und somit auch seine Albträume. In diesen phantasiert der Junge sich neben diversem anderen vor allem eine dämonische Gestalt, den „Canker Man“ (Topher Bousquet) herbei, der jeden, dessen er habhaft werden kann, einfach spurlos absorbiert. Jessie nutzt dessen ungeachtet Codys Schlafphasen, um ihren über alles geliebten Sean wiedersehen zu können, den sie durch gezielte Suggestion in Codys Gedankenwelt „einpflanzt“. Doch das Spiel mit den Träumen wird zunehmend gefährlich – und Mark alsbald zum Opfer des Canker Man. Nicht das erste, wie Jessie bald herausfindet…

Alles, was ich bis dato von dem überaus umtriebigen Mike Flanagan gesehen habe, fand ich weitgehend mundend bis hübsch. Als hätte ich es geahnt, nahm sich der um „Before I Wake“ gezogene Bogen allerdings stets großzügig aus, bis zu einem schicksalhaften Tag in der letzten Woche, an dem ich mich dann doch eines Schlechteren besann.
Hier griff nämlich nicht nur yours truly, sondern auch Flanagan himself einmal ganz gehörig in die Jauche. Eine grauenhaft rührselig-weinerliche Fantasy-/Grusel-Mär kam dabei heraus, die von einer ohnehin bereits unangenehm belastetet wirkenden ersten Hälfte zu einem an schlockiger Einfalt kaum mehr überbieten zu lassenden Finale mäandert, angesichts dessen ich nurmehr die Hände überm Kopf zusammenschlagen konnte. Ich weiß nicht, was Flanagan, der auch noch das Script zu diesem Krampf (mit-)verbrochen hat, hier geritten haben mag, aber es war garantiert nichts Gutes. Gegen Horrorfilme mit und um Kinder(n) ist ja grundsätzlich nichts zu haben, „Before I Wake“ jedoch „errettet“ seinen ganz speziellen Wechselbalg durch einen ganz einfachen, verblüffend komplexitätsreduzierten Kniff: Böse Träume weg, Canker Man weg, ein paar Tote zwar, aber egal: Wird alles wieder gut, weil die neue Mama Cody lieb hat. So einfach ist das in der Zwei-Groschen-Welt von „Before I Wake“: Der einzige durch die Geschichte irrlichternde Mensch bei klarem Verstand, der von Thomas Jane gespielte Mark Hobson, wird relativ zügig aus dem Spiel genommen, was dann den nunmehr einzuschlagenden Trampelpfad für eine tränendurchflutete Mutter-/Kind-(Selbst-)Findungsgeschichte anlegt. Was uns Flanagan dann in den bereits beschworenen letzten Minuten um die Ohren haut, in denen Kate Bosworth im Zuge eines foltergleichen Aufzugs dem Publikum (bzw. stellvertretend für uns dem kleinen Cody) in betont kindgerechter Sprache erläutert – nämlich, was mit ihm los ist und wo die verschwundenen Leute hin sind, das schießt dann wirklich jeden Vogel ab. New-Mutant-X-Man oder Damien Thorn – entscheiden Sie selbst.
Einmal im Jahr ein fehlgeleitetes Produkt wie dieses kann ich bei konstanter Gesundheit überstehen oder sogar gutheißen, denn damit veranschaulicht sich, was einen wirklich schlechten Film eigentlich ausmacht und wie viele positive Aspekte sich im Gegenzug selbst noch jedem Mediokren abringen lassen, wenn man sich nur etwas Mühe macht, einmal genauer hinzuschauen.
„Before I Wake“ aber, der frontal alles vor die Wand fährt, was an Rettbarem noch in ihm stecken mochte, offeriert diesbezüglich nur leere, karge Ödnis.

2/10

THE EYES OF MY MOTHER

„Loneliness can do strange things to the mind.“

The Eyes Of My Mother ~ USA 2016
Directed By: Nicolas Pesce

Die kleine Francisca (Olivia Bond) wächst ohne nennenswerte Kontakte zur Außenwelt in der abgelegenen US-Provinz als Tochter einer portugiesischstämmigen Augenchirurgin (Diana Agostini) und eines einheimischen Farmers (Paul Nazak) auf. Der eines Tages auftauchende Handelsreisende Charlie (Will Brill) entpuppt sich, nachdem Franciscas Mutter ihn infolge eines Vorwands ins Haus gelassen hat, als psychotischer Serienkiller und erschlägt sie. Ihr plötzlich auftauchender Mann überwältigt den Eindringling und fesselt ihn in der Scheune. Francisca nimmt Kontakt zu dem Gefangenen auf und verstümmelt ihn daraufhin, indem sie ihm Augen und Stimmbänder entfernt. Jahre später, Francisca (Kika Magalhães) ist mittlerweile erwachsen, verstirbt der Vater, derweil Charlie sich als quasi einziger verbleibender sozialer Kontakt noch immer in ihrer Gefangenschaft befindet. Ein Versuch Franciscas, ihre Beziehung zu „intensivieren“, endet mit einem für Charlie tödlich verlaufenden Fluchtversuch. Doch damit ist Franciscas wahnsinnige Suche nach Zwischenmenschlichkeit noch längst nicht zu Ende…

In seinem beachtlichen Debüt stellt Nicolas Pesce das filmische Konzept des hinterwäldlerischen, ungeschlachten Hillbilly-Serienkillers, wie das Genrekino ihn seit Jahrzehnten kultiviert, gehörigst auf den Kopf. Nicht allein gestalterisch (Pesce bedient sich diverser vermeintlicher „Arthouse“-Stilmittel wie etwa einer wohlfeil schattierten Schwarzweiß-/Scope-Photographie), sondern vor allem im Hinblick auf die Ausarbeitung seiner Protagonistin adressiert der junge New Yorker ungeachtet seines grundsätzlich transgressiven Sujets keineswegs primär den rünstigen gorehound, sondern öffnet sein Werk für jeden, der es gern mit Interessantem abseits der sozialästhetisch verträglichen Norm probiert. Die Geschichte seiner geisteskranken Serienmörderin Francisca ist ebenso tragisch, wie abstoßend und ja, auf eine zutiefst morbide Weise auch schön. In der beachtlichen Kika Magalhães fand Pesce eine Darstellerin, die den infolge ihrer Rolle implizierten Grat zwischen Zerbrechlichkeit und Raserei exzellent meistert. Welche dunkle Disposition Francisca schon als kleines Mädchen den fatalen Schritt vom Licht ins Dunkel vollziehen lässt, mag man lediglich erahnen. Vielleicht ist sie selbst längst ein Missbrauchsopfer ihres Vaters, eines fernab vom Schuss lebenden Farmers und überhaupt bleibt offen, wie sich ihre Mutter, offenbar eine Frau von Intellekt und Kultur, überhaupt in diesen Hinterwinkel des Nirgendwo verirren konnte. Franciscas Leben wandelt sich jedenfalls mit dem Tag, an dem jener Vertreter Charlie den verhängnisvollen Fehler begeht, sich ihre Mutter als Opfer auszuerküren, in eine ganz private Spirale aus Blut und Wahn, die sie als nichtsdestotrotz attraktive Prinzessin ihres kleinen Folterimperiums sich unentdeckt weiterrotieren lässt. Franciscas moralethische Verschrobenheit in Kombination mit ihrem narzisstischen Hang nach Liebe und Freundschaft ergibt trotz mancherlei interpretatorischer Offenheiten eine dicht gewobene, sorgfältig ausgearbeite Persönlichkeitsstudie mit einigem Nachhall.

8/10

TSCHICK

„Ohne Sinn.“

Tschick ~ D 2016
Directed By: Fatih Akin

Maik Klingenberg (Tristan Göbel) ist 14 und kommt aus Marzahn. Sein Vater (Uwe Bohm) hat sein beträchtliches Vermögen als Immobilienmakler erwirtschaftet, seine Mutter (Anja Schneider) säuft wie ein Loch. Unter seinen Mitschülern gilt Maik als verschrobener Außenseiter, was ihm insbesondere deshalb zu schaffen macht, weil ihn Stufenschwarm Tatjana (Aniya Wendel) links liegen lässt. Als eines Tages der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Spätaussiedlerjunge Andrej (Anand Batbilek Chuluunbaatar) in die Klasse kommt, hat Maik als ignorierter Sonderling zumindest keinen Exklusivstatus mehr. „Tschick“, so Andrejs Spitzname, schert sich noch weniger als Maik um das schulische Tagesgeschäft. Anstelle eines Rucksacks schleppt er eine Plastiktüte mit sich herum, in der sich zumeist auch eine halbleere Flasche Vodka befindet. Zum Auftakt der Sommerferien sind weder Maik noch Tschick zu Tatjanas Geburtstagsparty eingeladen. Zudem ist Maiks Mutter in der Entziehungskur, derweil sein Vater mit der wesentlich jüngeren Kollegin Mona (Xenia Assenza) eine „Geschäftsreise“ begeht. Da kommt Maik Tschicks Einfall, mit einem bereits vorsorglich geklauten Lada Niva in die Walachei zu reisen, gerade recht…

Wolfgang Herrndorfs gleichnamiger Jugendroman, die Vorlage zu Fatih Akins achtem Spielfilm, dem ersten nach Vollendung seiner „Liebe, Tod & Teufel“-Trilogie mit „The Cut“, zog quasi unmittelbar nach seinem Erscheinen vor neun Jahren in den Lehrplankanon der Schulliteratur ein. Tatsächlich entpuppt sich „Tschick“ auch auf den zweiten Blick als einer langen, „anerkannten“ Tradition von Nöstlinger, Härtling, von der Grün oder später Giordano folgende, typische deutsche Coming-Of-Age-Geschichte.
Um zwei eigentlich sehr gegensätzliche juvenile outcasts geht es darin, einer aus der upper class, einer aus dem Prekariat, um deren eigentlich unmögliche Freundschaft, das „coping“ mit der dysfunktionalen Familie, die Herausbildung von Individualität, erste Sexualität. Rise & shine. Gekleidet wird das Ganze, gewissermaßen a priori filmkopatibel, in ein abenteuerliches und romantisches Road-Movie-Szenario, an dessen vorläufigem Ende natürlich auch der kathartische Ärger mit der Justiz steht – immerhin dürfen zwei Vierzehnjährige, zumindest erlaubt das nicht die Schulbuchmoral, kein Auto klauen und damit langfristig durchkommen. Einige Szenen des Buchs (etwa Tschicks Fußunfall) finden sich variiert oder gerafft, andere, wie die um eine matriarchalisch geprägte, nur auf den ersten Blick sonderbar erscheinende Ökofamilie in der ostdeutschen Provinz, vergnüglich ausformuliert. Bei diesen handelt es sich vornehmlich um jene, die unterschwellige didaktische Prinzipien beinhalten – im erwähnten Fall staunen Maik und Tschick über die umfassende Allgemeinbildung der durchweg jüngeren Kinder und das zwar eklig aussehende, aber köstlich schmeckende Risi-Bisi, das es zum Mittag gibt.
Eine besonders schöne, auch visuelle, Poesie entfaltet „Tschick“ im Segment um die tschechische Aussteigerin Isa (Mercedes Müller), die Maik die Augen darüber öffnet, wie anziehend Weiblichkeit wirklich sein kann, abseits von pubertärer Schwärmerei.
Als problematisch empfand ich den Umgang des Narrativs mit Maiks Alkoholikermutter, da dieser im Rahmen des Plots zwar hübsch unkonventionell gehandhabt wird, Buch und Film hier jedoch ein wenig mit der irrealis durchgehen. Die Gründe Frau Klingenbergs, zu saufen, mögen angesichts ihres widerwärtigen Gattenverständlich sein, die angeteaserte Tendenz jedoch, dass ein langfristig tragfähiges Zusammenleben Maiks mit seiner offensiv schluckenden Mutter (die erst nach einer Flkasche Vodka richtig gut Tennis spielt) nicht nur möglich scheint, sondern durch das Ende geradezu herbeiparaphrasiert wird, kann ich nur unter überflüssig bis naiv verbuchen. Dann doch lieber teenage anarchy. Glücklicherweise beschädigt jene Unachtsamkeit zumindest Akins insgesamt wieder einmal sehr gelungenen, kunterbunten Film nicht nachhaltig.

8/10

QUE DIOS NOS PERDONE

Zitat entfällt.

Que Dios Nos Perdone (Die Morde von Madrid) ~ E 2016
Directed By: Rodrigo Sorogoyen

Im heißen Sommer 2011 erwartet ganz Madrid den Besuch von Papst Benedikt XVI., derweil ein geisteskranker Serienmörder, der es auf ältere Damen abgesehen hat, die Stadt unsicher macht. Für die beiden ungleichen Ermittler Velarde (Antonio de la Torre) und Alfaro (Roberto Álamo) ein Fall, der sie beide auf jeweils ganz furchtbare Weise ihren ureigenen inneren Dämonen zuführen wird…

Zwar bilden die Mörderhatz, das Profiling, die allmählich fortschreitende Identifizierung und die haarscharf missglückenden Habhaftwerdungen rund um den von einem sich auf tödliche Weise sublimierenden Mutterkomplex gebeutelten Killer (Javier Pereira) und dessen Untaten das narrative Rückgrat dieses hervorragenden Films, entpuppen sich im weiteren Verlauf der Ereignisse jedoch als Reflexionsfläche für die sich ebenfalls zunehmend abgründig präsentierenden Polizeikommissare. Velarde stottert, hat stark autistische Züge und lebt nahezu völlig isoliert, unfähig, eine zwischenmenschliche Beziehung, sei sie freundschaftlicher oder romantischer Natur, zu pflegen. Der zwischenzeitliche, zarte und vor allem aufrichtige Annäherungsversuch einer Hausangestellten (María Ballesteros) endet zunächst entsprechend katastrophal. Alfaro hat derweil ein gewaltiges Problem mit seiner latenten Aggressivität und seiner oftmals ins Cholerische abgleitenden Unbeherrschtheit, die nicht bloß ein vorlauter Kollege (Luis Zahera) unmittelbar zu spüren bekommt. Als er herausbekommt, dass seine Frau ihn betrügt, beginnt er haltlos zu saufen und verliert jedweden Boden unter den Füßen.
Es ist dieser Mut, seine vermeintlichen Helden als im Fallen begriffen zu zeigen, die „Que Dios Nos Perdone“ zu etwas Besonderem innerhalb des jüngeren Polizeifilms macht. Freilich, zur Genreapodiktik gehört seit jeher, den oder die Protagonistin als in einer oder mehrerlei Hinsicht fragil, rissig, angreifbar darzustellen, sei es durch allzuviel Diensteifer, Drogen- oder Trunksucht, Einsamkeit, eine entfleuchte Partnerin oder ähnliche psychische Fallstricke. Selten jedoch ließ sich das menschliche Versagen der eigentlich doch als Helden genutzten Polizisten derart schmerzhaft und involvierend an, wofür primär wohl Sorogoyens höchst empathischer, dichter Inszenierungsstil verantwortlich zu machen ist.
Man sollte insofern nicht den Fehler begehen, einen straighten, traditionsaffinen Polizeikrimi zu erwarten; etwas, was ich einigen Kurzberichten zu „Que Dios Nos Perdonne“ entnehmen konnte, die häufig „unnötige Längen“ monierten oder sich darüber enttäuscht zeigten, dass es dem Film an Spannung oder Suspense (gemeint ist wohl eher: Zugkraft) fehle. Eine meines Erachtens stark ins Leere laufende Einschätzung, da Sorogoyen einen solchen (ordinär gestalteten) Film gewiss gerade nicht im Sinne gehabt haben wird.

8/10