LES FAUVES

Zitat entfällt.

Les Fauves (Großstadthölle – Gehetzt und gejagt) ~ F 1984
Directed By: Jean-Louis Daniel

Stuntfahrer Christopher Bergham (Daniel Auteuil), genannt Berg, freut sich auf eine gemeinsame Zukunft mit seiner von ihm schwangeren Partnerin und Geliebten Bela (Gabrielle Lazure). Als unerwartet jedoch Belas psychotischer, ihr in inzestuöser Liebe verfallener Bruder Léandro (Philippe Léotard) auftaucht und damit droht, Berg zu töten, wenn sie nicht mit ihm käme, hat das Glück ein jähes Ende. Bela eröffnet Berg unter Tränen und ohne Angabe von Gründen, dass sie ihn verlassen müsse. Den nachfolgenden, gemeinsamen Todessprung vermasselt Berg mit Absicht, doch nur Bela verbrennt in dem verunglückten Wagen. Drei Jahre später arbeitet Berg, der das Geschehene nie verwunden hat, bei der privaten Pariser Sicherheitsfirma „La Veillance“. Deren Mitarbeiter, durchweg gescheiterte Existenzen mit ominöser Vergangenheit, patroullieren nachts durch die Metropole, um Straftaten zu verhindern. Als der rachsüchtige Léandro, den Berg nie persönlich gesehen hat, diesen ausfindig macht, heuert er ebenfalls bei La Veillance an. Eines Nachts versucht Jeff Garcia (Jean-François Balmer), einer von Bergs anderen Kollegen, die junge Bardame Mimi (Véronique Delbourg), auf die auch Berg ein vorsichtiges Auge geworfen hat, zu vergewaltigen. Auf einen Hinweis Léandros hin stellt Berg Jeff, nachdem sich Mimi losreißen konnte, schießt ihm in die Schulter und rast verwirrt davon. Kurz darauf erscheint Léandro, verpasst Jeff einen Kopfschuss und stellt das Ganze so hin, als habe Berg ihn hingerichtet. Unter der Führung des wutschnaubenden Keller (Farid Chopel) jagt das gesamte Team von La Veillance Berg und Sylvia durch die Pariser Nacht.

Ein buchstäblicher Wahnsinnsfilm, wie er in seiner finalen Ausprägung und Gestalt wohl nur in den frühen Achtzigern in Frankreich entstehen konnte. Das völlig freidrehende Script vereint der Reihe nach folgende motivische Blitzlichter: Autostunts, Inzest per Kindesmissbrauch, Totschlag aus enttäuschter Liebe, Rache, organisierte Bürgerwehr, sleazige Modeschauen, homosexueller Frust, Vergewaltigung, schlechte englischsprachige Rocksongs, Amoklauf, Selbstjustiz, Verfolgungsjagden und ganz allgemeinen Irrwitz. Jean-Louis Daniel inszeniert all das deutlich weniger exploitativ als man annehmen möchte, dafür jedoch mit dem unerschütterlichen Selbstverständnis eines Künstlers, der sich just im Begriff wähnt, der Nachwelt etwas ganz Großes zu verehren. Daniel, einem spärlich arbeitenden, jedoch bis heute aktiver Regisseur mit einem recht schillernden Œuvre, merkt man unweigerlich an, dass er sich wenig um freiheitsbeschränkende Erschwernisse wie dramaturgische Schieflagen oder gar inhaltliche Unzulänglichkeiten scherte; was ihn interessiert, sind sein Ensemble und der bloße Sinn für möglichst prominent inszenierte Einsätze von scheinbar bedeutungslosen Details, Momenten, Schauplätzen. Der Ratio gilt es ergo zu entsagen. Dann erlebt man einen noch jungen Auteuil, der seine völlig stoische Mimik zur oberen schauspielerischen Maxime deklariert und vor allem den wunderbaren Philippe Léotard, der mir in letzter Zeit schon häufig begegnet ist mit seinem seltsam verkniffen wirkenden Antlitz. Über den alles andere als klassisch schönen Darsteller ist auf die Schnelle nicht allzu Umfassendes in Erfahrung zu bringen, außer, dass er keine 61 wurde, aus einer politisch aktiven Familie stammte, wechselnde Beziehungen zu Frauen pflegte und wohl zeitlebens mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatte, auch dergestalt, dass er Mitte der Neunziger wegen Kokainhandels verurteilt wurde. Ein faszinierender Typ, für den „Les Fauves“ auch ein kleines Denkmal markiert: Als inzestuös veranlagter Provinzpsycho, dem die Großstadt über den Kopf wächst, schwitzt er trotz winterlichen Szenarios so unentwegt stark, dass die Kameralinse zu beschlagen droht, verdreht allenthalben delirant die Augen, hat die dreckigsten Hände der Welt und spielt unvermittelt das ewigselbe Thema auf einer Querflöte (augenscheinlich eine Reminiszenz an Charles Bronson in Leones „C’Era Una Volta Il West“). Ob er wirklich drauf war, weiß ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber es sieht verdammt danach aus, als habe Daniel ihn einfach machen lassen. Jedenfalls lohnte der komplett durchgeknallte „Les Fauves“ bereits allein seinetwegen. Und noch wegen manch anderem.

7/10

RUN ALL NIGHT

„Tell everyone to get ready. Jimmy’s coming.“

Run All Night ~ USA 2015
Directed By: Jaume Collet-Serra

Nachdem der irischstämmige New Yorker Jimmy Conlon (Liam Neeson) viele Jahre als Killer für seinen besten Freund, den Syndikatsboss Shawn Maguire (Ed Harris) gearbeitet hat, fristet er sein Leben als dauerbesoffener Schnorrer und Tagedieb. Sein Sohn Mike (Joel Kinnaman), verheiratet und Vater zweier Kinder, will von ihm nichts wissen. Shawn hat derweil seinerseits Probleme mit dem eigenen Filius Danny (Boyd Holbrook), einem koksenden, lauten Störenfried, der seinen Vater gern in Geschäfte mit der albanischen Heroinmafia einspannen würde. Als dieser ablehnt und Danny jede weitere Hilfe versagt, erschießt dieser die beiden entsandten Albaner (Radivoje Bukvic, Tony Naumovski) kurzerhand, wird dabei jedoch durch einen dummen Zufall von deren Chauffeur, Mike Conlon, beobachtet. Nunmehr macht Danny Jagd auf Mike. Jimmy erfährt von der Sache und rettet Mike das Leben, indem er Danny tötet. Der vor Wut schäumende Maguire Senior vergisst alle Freundschaft und will weder Vater noch Sohn Conlon lebend davon kommen lassen. Ihn und seine Leute, einen übereifrigen Police Detective (Vincent D’Onofrio) und einen psychopathischen Profikiller (Common) auf den Fersen, erwartet die Conlons eine lange Nacht.

Einen der kaum mehr überschaubar vielen Genrefilme, auf die sich Liam Neeson im Alter und wohl beginnend mit Pierre Morels „Taken“ verlegt hat. Auch gemeinsam mit dessen Regisseur, dem spanischstämmigen Jaume Collet-Serra, hat Neeson nunmehr bereits vier Filme gemacht, wobei ich „Run All Night“ immerhin hinreichend ansehnlich fand, mir die übrigen drei in Kürze auch anschauen zu wollen. Nun darf man von diesem, einem grundsätzlich amttlich gecrafteten Gebrauchsfilm immerhin, keine sonderliche Innovation erwarten. Collet-Serras diverse neo-klassische Elemente aus Action- und Gangsterkino fusionierendes Werk schippert auf den ersten Blick im direkten Fahrwasser von Chad Stahelskis „John Wick“: Ein verzogener Gangsterfilius weckt durch sein koksinduziertes, egomanisches Verhalten einen eigentlich zu allseitiger Milieuberuhigung lange schlafenden Hund, der sein vormaliges Handwerk reumütig an den Nagel gehängt glaubt. Der aufgrund fehlgeleiteter Familienehre gekränkte Bossvater entfesselt daraufhin eine leichenreiche Hatz, deren Verlierer am Ende zwangsläufig er selbst und seine Organisation sein müssen, da die sie mitreißende Ein-Mann-Naturgewalt allzu entschlossen agiert. Soweit das Grundprinzip eben auch von „Run All Night“, der insofern noch interessant ist, als dass er sich ein wenig in die Subkultur irischen Migrantentums vortastet und mit Ed Harris einen diesbezüglich ja hinlänglich beschlagenen Antagonisten aufbietet. So ist es vor allem das Väterduell der beiden alternden Stars, das das Herz das Films schlagen lässt. Davon unabhängig, dass der eine der beiden, zumindest bezogen auf ihren gegenwärtigen Clinch, auf der moralisch sicheren Seite steht, hat Jimmy Conlon freilich allzu viele Sünden auf dem Kerbholz, um dem im Morgengrauen und upstate angesiedelten Finale als Katholik noch lebend entweichen zu dürfen – zu viele Opfer sind dem zeitweilig als „The Gravedigger“ Berüchtigten ehedem vor den Lauf geraten. Dabei sühnt Jimmy im Inneren bereits seit vielen Jahren. Vom Gewissen erdrückt, dem Sohn entfremdet und dem Suff verfallen, ist er seinen alten Kumpanen bestenfalls noch für schäbige Scherze gut und darf gerade noch volltrunken den Weihnachtsmann auf Shawns Familienfeier darbieten. Doch wehe, es wird persönlich (und das wird es) – Jimmy ist schneller nüchtern als die nächste Whiskeyflasche entkorkt und türmt im Nullkommanichts Leichen auf wie zu seinen besten Zeiten.
Collet-Serra inszeniert diesen doch relativ austauschbaren Plot dynamisch und wendungsreich; dabei gefällt er sich durch mäßig aufregende, um nicht zu konstatieren redundante Regiesperenzchen wie gewaltige time lapse shots durch das nächtliche New York, die dem eigentlichen Wesen des Narrativs als kammerspielartiger Doppelvendetta eher zuwider laufen. Dennoch bietet „Run All Night“ summa summarum noch immer genug an brauchbaren Elementen, um im leicht überdurchschnittlichen Qualitätssektor bestehen zu können.

7/10

LE BATTANT

Zitat entfällt.

Le Battant (Der Kämpfer) ~ F 1983
Directed By: Alain Delon

Jacques Darnay (Alain Delon) kommt nach acht Jahren Haft vorzeitig aus dem Knast. Er saß wegen eines Überfälls auf den Diamantenhändler Chabry, der bei dem Bruch erschossen wurde. Auch der Tote ging zu Lasten Darnays, obwohl er diesen gar nicht wirklich auf dem Gewissen hat. Die Diamanten im Wert von sechs Millionen Francs sind seither verschwunden, im Gegensatz zur Gier früherer Verbündeter und neuer Widersacher, die sich die Steine unter den Nagel reißen wollen und zu diesem Zweck alles andere als zimperlich vorgehen. Nachdem bereits Darnays alter Freund Mignot (Michel Beaune) und seine Geliebte Clarisse (Marie-Christine Descouard) ermordet wurden, steht Darnay zusehends mit dem Rücken zur Wand. Doch der Kämpfer gibt nicht auf. Mithilfe seiner neuen Gespielin Nathalie (Anne Parillaud), die dem ruchlosen Kredithai Ruggieri (François Périer) entlaufen ist, eröffnet Darnay das Gegenfeuer.

Delons letzte von drei Regiearbeiten binnen drei Jahren (bei der mittleren davon, „Le Choc“, allerdings unkreditiert) widmet der Star zum Abspann „seinem Meister“ René Clement und bestätigt damit schlussendlich nochmals ausdrücklich die für „Le Battant“ gewählte Ausrichtung. Sein zeigefreudiges Liebchen Anne Parillaud aus „Pour La Peau D’Un Flic“ in einer ähnlich fragwürdigen Rolle mitführend, braucht auch Delon selbst keine großen charakterlichen Volten zu vollziehen, um aus dem Detektiv einen Gangster zu machen. Wie Choucas ist Darnay einer, der grundsätzlich reine Platte macht und, dem Titel gemäß, rigoros alles und jeden aus dem Weg räumt, der ihm ans Bein zu pinkeln versucht. Ohne konkret durchzublicken schafft Darnay es stets, souverän zu bleiben und aus jeder noch so unvorhersehbaren Situation als Gewinner hervorzugehen. Am Ende könnte er ohne weitere Komplikationen verschwinden, will entgegen der warnenden Worte Nathalies jedoch nicht auf seine finale, persönliche Rache verzichten. Eine solch unsinnige Aktion gehe im Kino stets ungut für den Helden aus meint Nathalie, doch Darnay belehrt sie eines Besseren: Dies sei bloß der (moralisch unabdingbaren) Zensur des Filmgeschäfts geschuldet. Und Delon wird Recht behalten, er selbst entlässt sich nach getaner Arbeit mit seiner jungen Schönen und den Klunkern nach Südamerika, ganz zum verschmitzten Vergnügen seines Publikums, das seinen Heros, anders als noch bei Melville etwa, nicht mehr zu betrauern hat. Flott.

7/10

POUR LA PEAU D’UN FLIC

Zitat entfällt.

Pour La Peau D’Un Flic (Rette deine Haut, Killer) ~ F 1981
Directed By: Alain Delon

Der Pariser Ex-Flic und jetzige Privatschnüffler Choucas (Alain Delon) erhält von der aufgebrachten Madame Piogot (Annick Alane) den Auftrag, ihre verschwundene Tochter, die blinde Marthe (Arielle Sémenoff), ausfindig zu machen. Nicht genug damit, dass sich fast parallel dazu der Polizist Coccioli (Daniel Ceccaldi) einschaltet und Choucas versichert, die Behörden hätten in der Sache bereits alles Menschenmögliche in die Wege geleitet, wird Madame Pigot kurz darauf bei einem geplanten Treffen mit Choucas in aller Öffentlichkeit erschossen. Choucas bemerkt bald, dass er es mit äußerst gefährlichen Gegnern zu tun hat, die ihm ans Leder wollen und zu diesem Zwecke unter anderem seine charmante Sekretärin Charlotte (Anne Parillaud) kidnappen. Doch Choucas kennt selbst keinerlei Skrupel, wenn es darum geht, sich zur Wehr zu setzen…

In seinem ersten (von insgesamt zweieinhalb) Regieversuchen kultiviert Delon parallel zu den kommerziell orientierten Filmen seines Kollegen Belmondo jener Ära seine Leinwand-Persona für die achtziger Jahre. Von der schweigsamen coolness früherer Genrefilmrollen, eventueller Angreifbarkeit oder den seine Figuren manchmal umgebenden Mysterien bleibt in „Pour La Peau D’Un Flic“ nicht mehr viel. Delons p.i. Choucas ist ein mit allen Wassern gewaschener Tausendsassa. Mit Mitte 40 bereits leicht angegraut, auf alle Autoritäten spuckend, frech wie Rotz, sexistisch, selbsträsonistisch und ohne Umschweife zur 45er greifend, verteilt er ebenso reichhaltig Blei wie er selbst kassiert. Die noch nichtmal halb so alte Sekretärin (eine zeigefreudige Anne Parillaud als unsterblicher Fan amerikanischer Filmklassiker) ist ihm natürlich längst verfallen – umso flotter hat sie diesen Ausbund an Maskulinität in den Federn und lässt sich vom eigenen Mann, offenbar ein Penner vor dem Herrn, scheiden. Eine Vergewaltigung steckt sie spurlos und mit einem lockeren Spruch weg; das Mädel ist nicht minder taff als ihr Boss. Mit Choucas‘ älterem Partner Haymann (Michael Auclair), ebenfalls Kriminaler a.d., als dritten im Bunde ergibt das ein schlagkräftiges, lustiges Trio mit einer Menge Blei im Anschlag. Es wirkt schon ein wenig kaltschnäuzig, wie Delon als psychologisch praktisch völlig unnuancierter Choucas seine Gegner von der Platte putzt, aber so war das damals eben noch. Spaß macht der mit eingermaßen zurückhaltender Brandt-Synchro versetzte, verwickelt erzählte „Pour La Peau D’Un Flic“ jedenfalls in großem Stil und auch wenn einige stilistische Fingerübungen Delons hier und da Fragezeichen hinterlassen, ist das Ganze doch schon eine veritable Hausnummer, zumal als Abbild seiner Zeit.

7/10

THE LITTLE GIRL WHO LIVES DOWN THE LANE

„What about school?“ – „School is having people tell you what life is and never finding out by yourself.“

The Little Girl Who Lives Down The Lane (Das Mädchen am Ende der Straße) ~ CAN/F 1976
Directed By: Nicolas Gessner

Die dreizehnjährige Rynn Jacobs (Jodie Foster) lebt erst seit kurzem in einem kleinen, einsam gelegenenen Haus an der neuenglischen Küste. Das pittoreske Heim hat ihr Vater, ein Berufsautor, der mit Rynn zuvor jahrelang in England lebte, gemietet. Es dauert nicht lang, bis die Leute der dazugehörigen, kleinen Stadt auf Rynn aufmerksam werden, darunter die biestige Vermieterin Mrs. Hallet (Alexis Smith), deren hinlänglich als pädophil berüchtigter Sohn Frank (Martin Sheen) oder der Streifenpolizist Miglioriti (Mort Shuman) So besucht das überaus kluge, selbstbewusste Mädchen etwa keine Schule und lässt sich kaum in der Öffentlichkeit sehen. Ihr Vater macht sich sogar noch rarer; entweder will er bei seiner Arbeit nicht gestört werden oder ist auf Reisen, wie Rynn jedem, der nach ihm fragt, versichert. Mit dem Außenseiter Mario (Scott Jacoby) hat sie immerhin bald einen Freund, dem sie aufrichtig Liebe und Vertrauen entgegenbringen kann. Doch die Erwachsenen lassen Rynn nicht in Ruhe…

Nicolas Gessners auf einem Bühnenstück und später dazu verfassten Roman von Laird Koenig basierendes Drama erweist sich als ebenso spannend erzähltes wie vielschichtig dimensioniertes Kino, das dem Publikum ein gerüttelt Maß an diskursiver und auch philosophischer Eigenarbeit abverlangt. So erfährt man erst nach etwa der Hälfte der Spielzeit, welche Umstände Rynn wirklich in ihre gegenwärtige Lage getrieben haben: Der Vater hat sich, gezeichnet durch schwere Krankheit und dem Tode nah, im Atlantik ertränkt; die in England zurückgelassene Mutter, offenbar eine garstige, vereinnahmende Frau, fand Lynn später vor Ort und wurde dann von dem Mädchen mit dem ausdrücklichen Segen des Vaters vergiftet und ihre Leiche im Keller des Hauses versteckt. Um das Ansinnen des Vaters betreffs der Entwicklung seiner Tochter aufrecht erhalten zu können, muss das Mädchen ergo zur Mörderin werden – mehrfach, wie sich nach und nach erweisen wird.
Unser autoritär geprägtes, Jugendlichen keinerlei Mündigkeit zugestehendes Gesellschaftssystem lässt es schlichterdings nicht zu, dass ein Mädchen wie Rynn ihr eigenes, autonom gestaltetes Leben führen darf. „How old do you have to be before people start treating you like a person?“ fragt sie einmal und bringt damit die gesamte Crux ihrer individuellen Situation zum Ausduck. Entgegen aller ethischen Verträge und unter dem posthumen Appell des Vaters verteidigt sie ihre Selbstständigkeit bis aufs Blut und zumindest zunächst auch hinreichend geschickt, um unter dem Radar des beschirmten Rechtsauges damit durchkommen zu können. Die hexenartige Mrs. Hallet fällt einem Unfall in Rynns Haus zum Opfer -; die Umstände verlangen von dem Mädchen, dass sie die Leiche verschwinden lässt. Dazu – und nicht nur dazu – lässt ihr der etwas ältere teen outcast Mario seine unvoreingenommene Hilfe zukommen; er hilft ihr, Spuren zu verwischen und ihre Illusion vom noch lebenden Vater aufrecht zu erhalten. Wie Rynn ist Mario ein Sonderling. Gezeichnet durch eine spät ausgebrochene Kinderlähmung hinkt er und wenn die anderen Jugendlichen der Gegend sich beim Football vergnügen, gibt er Zaubervorstellungen auf Kindergeburtstagen. Rynn und Mario verstehen sich, verlieben sich und schlafen miteinander, eine weitere Unpässlichkeit wider jedwedes soziale Normativ. Das pure Böse schlägt jedoch abermals zu – in der Person von Mrs. Hallets Sprössling Frank, einem kleinen Mädchen nachstehenden Tunichtgut und Sadisten von wiederum überaus intelligentem, aber ebenso offen diabolischem Wesen. Aus einer Laune heraus quält er Rynns Hamster zu Tode, bedroht und erpresst das Mädchen später, ihm, während Mario im Krankenhaus liegt, hörig zu sein. Wiederum ist Rynn zur gewalttätigen Entledigung eines erwachsenen Störfaktors gezwungen und während sie dem tödlich vergifteten Frank Hallet beinahe reglos beim Sterben zusieht, laufen bereits die end credits. Koenig und Gessner entlassen uns mit diesem einerseits durchaus befriedigenden, schicksalsträchtigen Selbstjustizakt in ein konsequentes Dilemma – wenngleich Rynns Chancen, auch diesen Mord (oder besser: Todesfall?) zu vertuschen, höchst gering ausfallen, wünscht man ihr insgeheim, dass alles gut gehen möge, dass ihr Mario wieder gesund wird und das Paar auf eine gemeinsame, stabile Zukunft bauen kann. Andererseits ist diese Zukunftsprojektion wohl so romantisch wie naiv. Obwohl wir sie als kluge, eloquente Kindfrau erleben, wird Rynn langfristig keinen Chancen haben, sich sozial zu etablieren und einem (durchaus verdient) ungestörten Leben nachgehen zu können. Die Vergangenheit wird ihr immer wieder auflauern und ein Lebensstil, wie ihr Vater und sie selbst ihn für sich wünschen, dürfte langfristig unmöglich sein, aus vielerlei offensichtlichen Gründen. Ob Rynn mit ihrem freiheitlichen Selbstverständnis nun nicht reif ist für unsere Gesellschaft oder vice versa, mit dieser Entscheidung darf man sich schlussendlich tragen.
Vor allem jener bestimmte Verzicht auf jede Form moralinsaurer Tendenziösität macht „The Little Girl Who Lives Down The Lane“ nachträglich zu einem kleinen Meisterwerk.

9/10

TCHAO PANTIN

Zitat entfällt.

Tchao Pantin (Am Rande der Nacht) ~ F 1983
Directed By: Claude Berri

Lambert (Coluche) beackert die Nachtschicht an einer kleinen Total-Tankstelle in Paris. Seine einsamen Stunden verbringt er mit Saufen und Spiegeleierbraten. Eines Nachts lernt er den jungen Youssef Bensoussan (Richard Anconina) kennen, der in der Nachbarschaft wohnt und in Bars Rauschgift für den arabischen Pusher Rachid (Mahmoud Zemmouri) vertickt. Lambert und Youssef freunden sich an, derweil der Junge versucht, bei der Punkergöre Lola (Agnès Soral) zu landen. Als Youssefs geheimes Drogendepot geplündert wird und er mit einer hohen Summe bei Rachid in der Kreide steht, nimmt sich dessen Gorilla Mahmoud (Mohamed Ben Smaïl) den Jungen vor, der daraufhin in Lamberts Armen stirbt. Dieser begibt sich auf einen privaten Rachefeldzug, derweil Lola ihm nicht mehr von der Seite weichen mag.

Selten war Paris im Film schmutziger, verwaschener und hoffnungsloser als in Berris zugleich doch so romantischem neo noir. Kaum ein Sonnenstrahl scheint jemals den verregneten, grauen Putz der maroden Häuserfronten zu passieren, die urbane Welt von Belleville wirkt wie ein Präludium zur Apokalypse. Inmitten dieses desolaten Betondschungels führt uns Berri ganz allmählich und bedachtsam an seine drei nicht minder prekären Helden heran, allesamt entwurzelte outcasts, die dem Tod näher als dem Leben stehen. Erst im späteren Verlauf der Geschichte offenbaren sich die Gründe für Lamberts väterliche Sympathie für Youssef: Einst Inspecteur bei der Polizei hatte er seinen eigenen Sohn an das Heroin verloren, danach den Dienst quittiert und wurde von der Frau verlassen. Seither treibt er als einsames, stilles Nachtphantom zwischen Tankstelle, Kneipe und Wohnung. In Youssef, der eigentlich doch vieles repräsentiert, was Lamberts reaktionärem Bild junger Großstädter seine Antipathie verleiht (er verdient seine paar Kröten als krimineller Tagelöhner und Kleinstdealer, raucht selbst Joints und ist zu allem Überfluss arabischer Herkunft), schließt er den Jungen als Ersatzsohn ins Herz, nur um ihn gleich darauf wieder zu verlieren. Nach dieser abermaligen Existenzzäsur wird Lambert nicht abermals resignieren, sondern ganz auf eigene Faust zur Waffe greifen und schließt dabei gleich noch mit seinem eigenen Leben ab, weiß er doch aus hinlänglicher Erfahrung, dass irgendwo weiter oben in der Gangsterhierarchie jemand sein Spiel nicht mitspielen wird. Die Polizei, repräsentiert durch den lethargischen Flic Bauer (Philippe Léotard), lässt Lamberts Selbstjustiz nicht nur heimlich gewähren, sondern gibt ihm noch einen entscheidenden Tipp und die deutlich jüngere Lola ihrerseits verliebt sich in den traurigen, unattraktiv scheinenden Hampelmann (dt. für „pantin“) Lambert und schenkt ihm ein paar erfüllte letzte Stunden, bevor die entfesselte Gewaltspirale auch ihn mit sich reißt.
Berri ist mit „Tchao Pantin“ ein wunderschöner Genrefilm am Bruch zu den gentrifizierten, chiquen, von Aerobic und Yuppies bevölkerten (vielleicht auch ein wenig entseelten) Folgeachtzigern gelungen, einfach und konzentriert in seiner Charakterzeichnung und doch so mitreißend und packend. Die Page-Adaption sieht sich zudem als Polar in der Tradition der Vorgängerdekade, bar jedweden Humors und konsequent fatalistisch, derweil Belmondo die Gattung immer weiter zur großpublikumsaffizierenden Stuntshow umformte. Sensationell natürlich insbesondere das viel zu früh verstorbene, menschliche Gesamtkunstwerk Coluche, der sich mit dieser ausnahmsweise (dafür aber richtig) ernsten Performance noch drei Jahre vor seinem Tod ein besonders formidables schauspielerisches Monument zu setzen vermochte.

9/10

SEANCE

„That must be the ghost again.“

Seance ~ USA 2021
Directed By: Simon Barrett

Am exklusiven Edelvine-Internat für Mädchen treibt eine Clique unter der Führung von Oberbiest Alice (Inanna Sarkis) allerlei Schabernack. Eine Geisterbeschwörung mit inszenierter Pointe führt schließlich dazu, dass Kerrie (Megan Best), eine der Schülerinnen aus der Gruppe, aus ihrem Zimmerfenster in den Tod stürzt. Ihren nunmehr frei gewordenen Platz nimmt die resolute Camille (Suki Waterhouse) ein, die auf die Provokationen von Alice und ihrem Tross mit Gegenwehr reagiert und zumindest in der Schülersprecherin Helina (Ella-Rae Smith) eine aufrichtige Freundin erhält. Die Todesfälle reißen jedoch nicht ab; es verschwinden und sterben dabei ausschließlich Mädchen aus Alices Umfeld. Ist dafür gar der sagenumwobene Edelvine-Geist verantwortlich, der rachsüchtige Wiedergänger einer ehemaligen Schülerin (Alexis Erickson-Sliboda), oder doch ein höchst irdischer Verursacher?

Seine erste eigenen Regiearbeit, nachdem er einige Scripts für den mittlerweile in Hollywoods Blockbuster-Liga angekommenen Adam Wingard verfasst hatte, ist zugleich Hommage an und Reaktivierung des klassischen slasher movie, freilich nicht, ohne auf mancherlei, vielleicht ein wenig bemüht wirkende Wokeness-Ingredienzien zu verzichten. Setting und Sujet jedoch könnten, auf das Subgenre bezogen, traditionsverbundener kaum sein, was gleichfalls für die schlussendliche Entlarvung der Täter gilt, deren Motiv einmal mehr so albern wie üblich hanebüchen daherkommt. Der Titel „Seance“ stellt sich in diesem Zuge vielleicht als etwas hilflos gewählter Platzhalter heraus – es gibt zwar ein paar (Pseudo-)Beschwörungssequenzen und sogar ein übersinnliches Element in Form eines Geistes, das jedoch in recht unerwarteter und subtiler Form auftritt. Insgesamt und mit rückblickendem Abstand empfinde ich „Seance“ aber doch als ganz schönen und brauchbaren Film. Ein wenig erscheint er mir, zumal im Epilog, wie eine komplexitätsreduzierte Genrevariation von Emerald Fennells „Promising Young Woman“, freilich ohne dessen ganz große, sozialkritische Ambitionen zu verfolgen, geschweige denn, zu erreichen. Aber das vorliegende Sujet ist auch nur ein – wenn überhaupt – mittelbar feministisches.
Barrett beweist als Regisseur in jedem Falle Gespür für Ambiente und Atmosphäre. Das winterliche Internat in altehrwürdigen Mauern bildet einen trefflichen Schauplatz für sein murder mystery, das am Anfang recht harmlos zu Werke geht, im finalen, von selbstjustiziabler Rache motorisierten Duell dann aber noch gehörigst die Splatterkeule kreisen lässt. Und mir hat Suki Waterhouse als vergeltende leading lady außerordentlich gut gefallen.

7/10

HALLOWEEN KILLS

„Evil dies tonight!“

Halloween Kills ~ USA/UK 2021
Directed By: David Gordon Green

Dank der eilends eintreffenden Feuerwehr kann Michael Myers (Nick Castle/James Jude Courtney) seinem Kellergefängnis in Laurie Strodes (Jamie Lee Curtis) brennendem Haus entkommen, derweil Laurie, ihre Tochter Karen (Judy Greer) und ihre Enkelin Allyson (Andi Matichak) auf dem Weg ins Krankenhaus sind. Nachdem Michael sämtliche vor Ort befindlichen Feuerwehrleute massakriert hat, tritt er seinen leichengesäumten Rückweg nach Haddonfield an, wo alte Bekannte, darunter Tommy Doyle (Anthony Michael Hall), Lindsey Wallace (Kyle Richards) und Michaels frühere Krankenschwester Marion (Nancy Stephens) den vierzigsten Jahrestag von Michaels erstem Wiederauftauchen memorieren. Als sie von seinem neuerlichem Amoklauf erfahren, bildet man eilends eine Bürgerwehr, die sich im Krankenhaus zu einem blindwütigen Lynchmob formiert. Diesem fällt der zuvor mit Michael geflohene Psychiatrieinsasse Lance Tovoli (Ross Bacon) zum Opfer, derweil Myers, nachdem er seine Blutspur verlustreich fortsetzt, in sein altes Familienhaus zurückkehrt…

David Gordon Green setzt den mit seiner jüngsten Revitalisierung des „Halloween“-Franchise installierten Wiederbeginn fort und legt damit gleichfalls den Mittelteil seiner als Trilogie konzipierten Sequel-Reihe vor. Diese ignoriert bekanntermaßen sämtliche Fortsetzungen und Reboots, die nach Carpenters 78er-Original entstanden waren und knüpft inhaltlich unmittelbar an den monolithischen Klassiker an. Einige noch schuldige Rückblenden, die sich aus diesem Ansatz ergeben, legt „Halloween Kills“ nun nach; unter anderem erfahren wir, dass auch der damals noch als unangenehmer Bully gezeichnete Lonnie Elam (Robert Longstreet) auf Michael getroffen war, und dass Officer Hawkins (Will Patton) sich unmittelbar vor Michaels Festnahme in jener Nacht eine schwere Blutschuld aufgeladen hat. Das Script müht sich also nach Kräften, sowohl personelle wie inhaltliche Verknüpfungen zu arrangieren als auch verbliebene lose Fäden zu fixieren und legt sein Augenmerk auf ein multiples Ensemble, was wiederum die Gestaltung diverser, voneinander losgelöster Szenarien gestattet. Michael Myers‘ Motivation und Charakterisierung, um die sich frühere Beiträge der Serie immer wieder mehr oder weniger zielführende Gedanken gemacht haben, bleiben indes nebulös; einzig sein Status als mysteriöse, nicht aufzuhaltende Entität des ultimativ Bösen findet sich weiter zementiert, ebenso wie sein verzweifeltes Streben nach der unverzichtbaren, da identitätsspendenden Maske. Der effektaffine Horrorfreund wird in „Halloween Kills“ durch Myers‘ qualitativ wie quantitativ gesteigert-rabiates Vorgehen beschwichtigt, denn so blutrünstig wie hier hat sich „The Shape“ noch durch keines seiner vormaligen Abenteuer gemetzelt. Tatsächlich rahmen gleich zwei opferintensive Massenmorde, wie man sie in solch effektiver Ausprägung von dem eigentlich eher als träge bekannten Myers noch nicht gesehen hat, sein Treiben in diesem elften Derivat ein.
Mit dem mittelteils eingeschobenen, tragisch endenden Lynch-Subplot, der wohl irgendwie nachvollziehbar demonstrieren soll, wie die mit Michaels Rückkehr einhergehende Aura des Bösen die gesamte Kleinstadtbevölkerung von Haddonfield erfasst und zu mittelbaren Handlangern avancieren lässt, verhebt sich Greens Film allerdings tüchtig. Jene Episode – so sie denn überhaupt notwendig ist – hätte man auch deutlich pointierter unterbringen mögen. Ansonsten hält „Halloween Kills“, seinem eindeutigen Repetitierungsstatus gemäß, zumindest das leicht überdurchschnittliche Niveau seines Vorgängers, was ja auch schon mal was ist.

6/10

SPIRAL: FROM THE BOOK OF SAW

„Wait, I thought the Jigsaw Killer was dead.“ – „He is.“

Spiral: From The Book Of Saw (Saw: Spiral) ~ USA/CA 2021
Directed By: Darren Lynn Bousman

Jahre nachdem John Kramer und seine Vasallen das Zeitlich gesegnet haben, beginnt ein weiterer Nachahmer, das grausame Werk des Serienmörders mit der moralisch verqueren Agenda wiederaufzunehmen. Die Opferschaft rekrutiert sich diesmal ausnahmslos aus der Abteilung des Polizisten Ezekiel „Zeke“ Banks (Chris Rock), der es als „ehrlicher“ Detective mit seinen korrupten und karrieregeilen Kolleginnen und Kollegen selbst nie einfach hatte. Als schließlich auch Banks‘ neuer Partner William Schenk (Max Minghella) tot aufgefunden wird und sein Vater (Samuel L. Jackson), ein renommierter Ex-Cop, verschwindet, nimmt der Fall zunehmend persönliche Züge für den Ermittler an.

Mit diesem erstmals seit dem dritten Sequel wieder von Darren Lynn Bousman inszenierten, mittlerweile neunten Zugang des „Saw“-Franchise, erhält selbiges seinen bislang zugleich schwächsten Beitrag. Die von James Wans Original einst quasi mitbegründete Welle des seinerzeit als so abschätzig wie hilflos bezeichneten „torture porn“ ist zumindest in ihrer originäen Ausprägung bereits seit längerer Zeit wieder abgeebbt, was zugleich auch die ausgeklügelten Folterfallen des Jigsaw-Killers gewissermßen zu einem Anachronismus macht. Dennoch bleiben diese in ihrer vergleichsweise raren Aussäung das interessanteste Element von „Spiral“, während die weiteren Versuche, der Reihe ein kleines Maß an Innovation zu verschaffen, ziemlich kläglich im Kielwasser der Bemühtheit verkluckern. Chris Rock als Heldenfigur und Antagonist des jüngsten Kramer-Schülers soll gleichfalls kecken Humor und innere Zerrissenheit vermitteln, ein Ansatz, der infolge der nunmehr jahrzehntelang kultivierten Selbsttypologie Rocks als Stand-up-Comedian frontal vor die Wand rauscht. Flotte Sprüche in Kombination mit einer inflationär mit Vier-Buchstaben-Wörtern gesäumten Sprache und Autorferenzen mögen Rocks gewünschter Signatur entsprechen, bremsen den ursprünglichen Charakter der Serie jedoch bloß in beschädigender Weise aus. Bousman müht sich zudem nach Kräften, dem gewohnt modrigen Industrial-Ambiente einen konträren Stil aus lichtdurchfluteter, grellgelber Urbanität entgegenzustellen, was am Ende als auch kaum mehr denn angestrengt im Gedächtnis bleibt. Schließlich entpuppt sich der sich clever wähnende twist, der natürlich um die wahre Identität des neuen Trittbrettfahrers kreist, als allzu offensichtlich bis nachlässig arrangiert. Ich war geradezu erleichtert, als der omnipräsente, personell scheinbar unverzichtbare Samuel L. Jackson im Finale von Kugeln durchsiebt wird – zumindest bleibt dieser somit einer eh kaum vermeidbaren, weiteren Fortsetzung erspart.
Wobei bei „Saw“ ja andererseits wiederum doch mit allem zu rechnen sein muss. Erstmals in den nunmehr siebzehn Jahren, in denen es nun heißt „I want to play a game“ spüre ich allmählich reelle Ermüdungserscheinungen. Kein gutes Zeichen…

5/10

SEEKING JUSTICE

„The hungry rabbit jumps.“

Seeking Justice (Pakt der Rache) ~ USA 2011
Directed By: Roger Donaldson

Will Gerard (Nicolas Cage) ist Englischlehrer an der Rampart High in New Orleans und glücklich verheiratet mit der schönen Musikerin Laura (January Jones). Den fortschreitenden Absturz der schönen Stadt in die Kriminalität registriert Will eher beiläufig – bis zu dem schicksalhaften Abend, als Laura vergewaltigt und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird. Dort taucht bald auch ein mysteriöser Unbekannter (Guy Pearce) auf, der sich Will als „Simon“ vorstellt und ihm das Angebot unterbreitet, den Missetäter (Alex Van) seiner privaten Justiz auszuliefern und diesen somit ohne den ordentlichen Rechtsweg kurzerhand zu exekutieren. Im Gegenzug würde Will irgendwann um einen kleineren Gefallen gebeten. Der emotional aufgewühlte Ehemann willigt zaghaft ein und erhält tatsächlich bald die Nachricht vom Tode des Vergewaltigers. Es dauert nicht lang, bis sich Simon wieder meldet und Will mit der Observierung und schließlich der Ermordung des angeblichen Kinderpornographen Alan Marsh (Jason Davis) zu beauftragen. Der verzweifelte Will weigert sich zunächst, doch Simons Mittel und Wege, sich Menschen gefügig zu machen sind überaus perfid. Als Will Marsh zu konfrontieren versucht, stirbt dieser durch einen selbstverursachten Unfall. Will findet heraus, dass Marsh mitnichten ein Krimineller war, sondern ein investigativer Journalist, der Simons Vigilantenzirkel auf die Spur gekommen ist…

Um es gleich vorwegzunehmen: „Seeking Justice“ empfand ich als die schwächsten Arbeit innerhalb meiner kleinen Roger-Donaldson-Werkschau. Zwar konnte der Filmemacher sich nunmehr rühmen, dass auch Nicolas Cage sich der stattlichen Galerie seiner vielen leading men anschloss, dass dieser aber um 2011 herum bereits längst sein letztes Karrierehoch hinter sich gelassen hatte und vornehmlich in eher halbseidenen Filmen auftrat, passt zugleich zum brüchigen Gesamteindruck des Werks. Darin spielt Cage eine Figur von klassisch-hitchcock’schem Format, einen aufrechten Bürger, der infolge eines moralischen Fehltritts im angreifbarsten aller Momente unversehens in ein Wespennest gerät, das schließlich ihn und seine gesamte Existenz zu verzehren droht. Die Grundkonstellation ist dabei ein wenig an die von „Strangers On A Train“ angelehnt, verlagert sich dann jedoch rasch auf den Topos der völlig entfesselten, übergebührlich agierenden Bürgerwehr, deren Initiator Eugene Cook alias „Simon“ auf seinem Feldzug längst der eigenen Hybris erlegen und zum Faschisten avanciert ist. Dies wiederum hat zur Folge, dass nicht nur durch die Maschen der Gerichtsbarkeit geschlüpfte Gewaltverbrecher sterben müssen, sondern jede/r, der Cooks Organisation durch Aufdeckung oder Verrat gefährlich werden könnte.
Die Idee einer sich auf verhängnisvolle Weise verselbstständigenden Parajustiz ist natürlich nicht neu und zieht sich auch nicht erst durch das Genre, seit Harry Callahan in „Magnum Force“ bereits 38 Jahre vor „Seeking Justice“ einigen metaexekutiv zu Werke gehenden Polizeikollegen die Leviten zu lesen hatte. Nun ist Will Gerard kein reaktionärer Cop, sondern ein Poesie und Grammatik zugetaner Feingeist, der sich und seine Frau aus der zumindest teilverschuldeten Schlinge retten muss. Dass die Tentakel von Cooks Vigilantenzirkel bereits wesentlich weiter greifen als es zunächst den Anschein hat, legt sich das Script von „Seeking Justice“ selbst als clevere Enthüllung im Stil von „Fight Club“ aus, nur dass sämtliche Beteiligten bzw. Eingeweihten statt eines blauen Auges die Kenntnis der Geheimparole vorweisen können. Damit – und nicht nur damit – schneidet sich der formal mit der üblichen Sorgfalt gestaltete und nichtmal unspannende Film jedoch tief ins eigene Fleisch und demontiert sein Konzept zu großen Teilen selbst. Durch die nämlich bis in höchste gesellschaftliche Institutionen fortgeschrittene Partizipierung hoher gesellschaftlicher Institutionen – ein Police-Lieutenant (Xander Berkeley) gehört dazu, ein Chefredakteur (Mike Pniewski) und sogar Wills bester Freund und Schulrektor Jimmy (Harold Perrineau) – hat sich die so bitter befürchtete Sicherheit von Cooks Geheimorganisation längst selbst rissig gemacht und führt sich der gesamte Film somit ad absurdum. Die Folge davon ist, dass „Seeking Justice“ sich den eigenen Teppich unter den Füßen wegreißt; eine empfindliche Störung jedweder Logik und Kausalität, die sich, gerade unter Inbetrachtziehung eines Regisseurs, der sehr genau weiß, was er wie zu inszenieren hat, auch nicht durch einen etwaig gewähnten Status als „Pocornkino“, „guilty pleasure“ oder Befleißigung ähnlichen Behelfsvokabulars apologisieren lässt.
„Seeking Justice“ wird für mich somit primär als redundante Verschwendung von Talent im Gedächtnis bleiben.

5/10