LADY IN CEMENT

„Time to hoist the martini flag.“

Lady In Cement (Die Lady in Zement) ~ USA 1968
Directed By: Gordon Douglas

Bei einem eher spaßig motivierten Küstentauchgang, der zur Suche nach einem spanischen Goldschatz gedacht ist, entdeckt Gelegenheitsdetektiv Tony Rome (Frank Sinatra) unter Wasser eine Frauenleiche mitsamt Zementschuhen. Kaum zurück an Land beauftragt ihn ein wahrer Bulle von einem Kerl, der sich als Waldo Gronsky (Dan Blocker) vorstellt, auf eher unsanfte Art mit der Suche nach seiner verschwundenen Freundin Sandra. Die Spur führt Rome zum Stripclub ‚Jilly’s‘,dessen Besitzer, dem Ex-Gangster Mungar (Martin Gabel) und seiner Nachbarin, dem ebenso attraktiven wie versoffenen Jet-Set-Girl Kit Forrest (Raquel Welch). Bald gibt es noch einige weitere Leichen, darunter zwei auf Rome und Gronsky angesetzte Killer. Plötzlich steht Rome selbst unter Mordverdacht, was nicht nur ihn selbst, sondern auch seinen alten Polizeifreund Santini (Richard Conte) arg ins Schwitzen bringt…

Der zweite (und leider schon wieder letzte – im Gegensatz zu vier literarischen appearamnces)) Filmauftritt des von Frank Sinatra gespielten Neo-Noir-Detektivs Tony Rome nimmt sich noch ein wenig leichthändiger aus als der Vorgänger, büßt dadurch jedoch zugleich ein wenig ein an dem, was ich momentan am treffendsten als „kriminalistische Chuzpe“ bezeichnen möchte. In vielen Momenten wirkt der Film so, als wisse er selbst gerade nicht, wohin mit sich, überdehnt und tritt breit, was dem Gesamteindruck erwartungsgemäß nicht eben guttut. Dennoch ist auch „Lady In Cement“ vor allem seines famosen Zeitkolorits wegen zu einer sehr amüsanten Krimikomödie geraten, die sich für eine Menge Zeitgenossen lohnt: Fans von Sinatra, Douglas, Detektivfilmen, Raquel Welch und duften Klamotten werden jedenfalls definitiv auf ihre Kosten kommen. Vor allem die Welch lässt sich als ebenso verführerische wie etwas aus der Spur geratene femme fatale, die infolge ihres exzessiven Alkoholkonsums am Ende selbst nicht mehr genau weiß, ob sie nun eine Mörderin ist, oder nicht, in einer ihrer schönsten Rollen zu bewundern. Der just im zweiten Frühling befindliche Sinatra selbst spielt den überheblichen Schnüffler unmittelbar nach „The Detective“ nochmal eine ganze Spur abgeklärter als in „Tony Rome“. Zeigte er sich als New Yorker Cop noch als Befürworter liberaler Werte, darf er nunmehr als Sunshine-State-P.I. mehrfach als homophober Rüpel auftreten, der seine tiefe Abneigung gegen Homosexuelle bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf unflätigste Art auskotzt. Man sollte das nach Möglichkeit mit dem altersweisen Humor der Verjährtheit nehmen. Super und unbestreitbat tadellos jedenfalls kommt der grandiose Easy-Listening-Sound von Ausnahme-Komponist Hugo Monenegro. Nach wie vor ein unbedingter Zugewinn für jede Lavalampen- und Space-Projector-Revival-Partys!

7/10

TONY ROME

„This isn’t a family. It’s just a bunch of people living at the same address.“

Tony Rome (Der Schnüffler) ~ USA 1967
Directed By: Gordon Douglas

Alles beginnt ganz harmlos für den Ex-Cop, Privatdetektiv und Hobbyangler Tony Rome (Frank Sinatra): Er soll die stockbetrunkene Diana Pines (Sue Lyon) nach Hause bringen, ohne dass ihr einflussreicher, reicher Vater Rudy Kosterman (Simon Oakland) erfährt, wie und wo sie die letzte Nacht verbracht hat. Die Sache verkompliziert sich, als Diana Tony bittet, eine kostbare Diamantenbrosche, die sie in jener Nacht verloren hat, aufzutreiben. Plötzlich gibt es mit Tonys früherem Partner Turpin (Robert J. Wilke) den ersten Toten und die bald wiederauftauchende Brosche erweist sich als billiger Glasschmuck. Offenbar lässt jemand die Familienjuwelen sukzessive durch Imitate ersetzen. Tony hat rasch Kostermans Gattin Rita (Gena Rowlands) in Verdacht. Das Glamour-Girl Ann (Jill St. John) ist ihm bei der Aufklärung behilflich…

In unmittelbarem Schulterschluss um den stockernsten New Yorker Polizeifilm „The Detective“ fertigte das selbe Team zwei deutlich luftigere, vom swingenden Spirit der Spätdekade beseelte Detektivkomödien um p.i. Tony Rome an, der aus der Feder von Marvin H. Albert stammt. Rome war eine Art Philip Marlowe für die Sechziger: Ein Zyniker, Zocker, permanent abgebrannt, kaum einen Drink ausschlagend, scharfsinnig und mit einem besonderen Augenmerk für weibliche Hinterteile ausgestattet. Sein Einsatzgebiet ist Miami Beach, wo er wahlweise mit Kapitänsmütze oder pork-pie-hat seine ihn stets geflissentlich anödenden Fälle in Unweite seines Domizils, einer kleinen Motoryacht, zu lösen pflegt. In Lieutenant Santini (Richard Conte) von der hiesigen Polizei hat er einen permanent genervte, aber immer loyale Verbindung zu den offiziellen Stellen. Die sich etwas kompliziert gestaltenden Abläufe seiner kriminalistischen Ermittlungen hat er von den hard-boiled-Autoren der dreißiger und vierziger Jahre übernommen, bei denen sich der Plot gewohnheitsmäßig ebenfalls immer weitr verkomplizierte, bis der Durchblick schwerfiel und am Ende die meisten Beteiligten im Leichenschauhaus gelandet waren. Ganz so heftig geht es bei Tony Rome nicht zu; es gibt zwar auch hier ein paar unglückselige Ableben zu betrauern, diese werden innerhalb der gepflegt-distanzierten Dramaturgie jedoch bestenfalls per Schulterzucken quittiert. Sinatra ist zwar nicht mehr der Jüngste, da man weiß, dass vor allem die besonders coolen Privatdetektive jedoch ohnehin jeweils nur das nötigste Mindestmaß physischer Aktivität walten lassen (man sieht sie selbst höchst selten die Zigaretten anzünden, welche sie doch im Kettenbetrieb verkonsumieren), verlangt nieman Unmögliches von ihm. Für alles andere gibt es (gut erkennbare) Stuntleute.
„Tony Rome“ mit seinem von Sinatra-Tochter Nancy gesungenen (und Lee Hazlewood komponiertem) Titelsong ist ein unaufgeregter, gepflegter Detektivspaß, der niemandem weh tut und am Ende für alle, selbst für den überlebenden Ganoven, einen erklecklichen Abgang bereithält. Nur Rome muss neuerlich die dumme Erfahrung machen, dass der glückliche Spieler eben anderswo Pech hat. Aber er würde auf seine alten Tage vermutlich ohnehin nicht mehr gern so frequentiert rangenommen werden wollen wie sein flitterwöchnender Hafennachbar (Vorsicht, running gag!)…

7/10

THE DETECTIVE

„What does ‚Rainbow‘ stand for?“

The Detective (Der Detektiv) ~ USA 1968
Directed By: Gordon Douglas

Der New Yorker Detective Joe Leland (Frank Sinatra) ist ein Polizist nach Maß: Durchweg ehrlich, kultiviert und beseelt von einem geradezu ehernen Berufsethos ist sein Job alles, was er hat. Zumal er sich just von seiner großen Liebe Karen (Lee Remick) hat scheiden lassen müssen, da diese unter einer allzu gravierenden Borderline-Störung leidet, die sie zur pausenlosen Promiskuität zwingt. Nun hat Leland erstmal einen Fall zu klären, bei dem es um die brutale Ermordung des homosexuellen Sohns (James Inman) eines stadtbekannten Firmenbosses geht. Ein Verdächtiger – der flüchtige Untermieter (Tony Musante) des Toten – ist schnell zu Hand, ebenso wie dessen Schuldgeständnis nebst anschließender Hinrichtung. Für Leland bedeutet das die Beförderung zum Lieutenant, als ein weiterer Fall, der augenscheinliche Selbstmord eines Wirtschaftsprüfers (William Windom), nicht nur unheilvolle Immobilienklüngel zu Tage fördert, sondern auch noch Verbindungen zu dem vormaligen Schwulenmord aufweist…

Ol‘ Blue Eyes in einem letzten, verzweifelten Gegenentwurf zu seinen Cop-Genossen der nachfolgenden Dekade, von Harry Callahan über Popeye Doyle bis hin zu Frank Serpico. Sie alle könnten sich in professioneller Hinsicht eine dicke Scheibe abschneiden von Joe Lelands Persona. Diese ist nämlich die eines Vorzeige-Großstadtpolizisten; von einem, der gepflegten Konservativismus mit liberalem Gedankengut kombiniert und vielleicht ebensogut Sozialarbeiter geworden wäre. Für Leland ist Justizia tatsächlich noch blind, unabhängig von Hautfarbe, sexueller Ausrichtung und gesellschaftlichem Status. Das Department geht ihm über alles, die Todesstrafe mag er nicht besonders, aber sie ist eben gesetzlich vorgeschrieben (eine bittere, private Lektion wird ihn später nochmal darüber nachdenken lassen), von bewusstseinserweiternden Drogen, Hipstertum und Psychiatern hält er derweil überhaupt nichts. Was Joe Leland jedoch wirklich anspitzt, ist die grassierende Korruption in den heiligen Hallen der Sozietät, vom Rathaus über den Klerus bis hin zur Hochfinanz. Hier würde er gern mal gehörig durchkehren und dafür sorgen, dass die Slums dichtgemacht werden zugunsten von ordentlichen Schulen und Krankenhäusern. Damit ist Joe Leland ein absoluter Loner, der am Ende frustriert den Dienst quittieren wird, weil er nicht länger Zahnrädchen eines von grundauf verlogenen und fehlgeleiteten Systems sein will. Dennoch ist er kein Verlierer. Seine schwachen, bestechlichen Kollegen bewundern ihn ob seiner Standfestigkeit, bei schönen Frauen hat er einen Stein im Brett. Für Callahan und Doyle dürfte er einerseits zu wenig fanatisch und andererseits nicht resignativ oder auch frustriert genug sein, für Serpico indes eine Art irrealer bis phantastischer Erlöserfigur. Lumets und Wambaughs spätere, messerscharfe Systemvivisektionen wird man hier jedenfalls noch vergeblich suchen.
Man lehnt sich jedoch nicht zuweit aus dem Fenster, wenn man Gordon Douglas‘ auf einer Romanvorlage von Roderick Thorp (deren Protagonist auch in ihrer literarischen Fortsetung, die später als „Die Hard“ adaptiert wurde, antritt) basierendes Werk als in seiner Ganzheit von einem geradezu beispiellosen Humanismus zumindest im ernsten Polizeifilm dieser Jahre beseelt findet (sicherlich auch ein Zugeständnis an die Errungenschaften von Bürgerrechts- und Friedensbewegung); zum einen präserviert es die grundgute Naivität des uniformierten Heroen, zum anderen besitzt es hinreichend Mut, an ehernen Institutionen zu rütteln. Obgleich „The Detective“ sich nie außerhalb der Grenzen schnörkelloser Trivialkunst bewegt. Aber gerade auf diesem Terrain liegt ja das wahre Potenzial zu aufrichtiger Subversion.

8/10

TONI ERDMANN

„Vergessen Sie nicht den Humor.“

Toni Erdmann ~ D/AT/RO 2016
Directed By: Maren Ade

Für den kauzigen, alternden Lebemann Winfried Conradi (Peter Simonischek) ist die bedingungslose Hingabe seiner Tochter Ines (Sandra Hüller) an Karriere und Kapitalismus absolut unnachvollziehbar. Um Ines ein paar überfällige Lebenslektionen zu erteilen, macht sich Winfried zu einem unangekündigten Besuch bei ihr in Bukarest auf, wo sie als Unternehmensberaterin quasi mit dafür zuständig ist, die globale Zweiklassengesellschaft noch weiter auseinanderzukeilen. Ines‘ Gefühlskälte und Verbissenheit im Berufsalltag entsetzen Winfried nur noch mehr. So verwandelt er sich, anstatt wie angekündigt zurück nach Hause zu fliegen, zum Entsetzen Ines‘ in den bizarren Kunstmenschen Toni Erdmann. In dieser Rolle schafft Winfried es endlich, Ines zum Überdenken gewisser Dinge anzuregen.

Maren Ades allerorten überschwänglich gefeierter Film ist sicherlich aller Ehren und auch sehenswert, das Initialerlebnis, das viele in ihm sehen wollen, blieb mir aber verschlossen. „Toni Erdmann“ ist nicht der erste Film, der bittere Kapitalismuskritik übt, Hochfinanz und Karrierismus kritisch beäugt und leishumorig entsprechende Lebensweisheiten formuliert. Und er wird auch nicht der Letzte sein. Dennoch sind ein paar Dinge bemerkenswert an ihm. Da wäre zunächst die recht exorbitante Spielzeit, die weder auf- noch sonstwie ins Gewicht fällt. Ade nimmt sich für ihre Szenen schlicht wesentlich mehr Zeit als üblich, scheut keine Details, wo andere schneiden und passt die Erzählzeit beinahe unmerklich der erzählten an. Das Rahmenszenario um das scheinprosperierende Bukarest, in dem schicke Malls, Bürohäuser und Hotels aus dem Erdboden schießen, derweil der nach wie vor arme Großteil der Bevölkerung bestenfalls staunend, aber unbeteiligt danebensteht, ist wunderbar gewählt. Die Titelfigur Toni Erdmann derweil ist eine kaum verklausulierte Hommage an Andy Kaufmans legendäres Bühnen-Alter-Ego Tony Clifton, der es dem ungewöhnlichen Komiker seinerzeit ermöglichte, seine Persönlichkeit radikal zu ändern und sich vor aller Welt und mittels geringfügiger Verkleidung zum extrovertierten Idioten zu machen. Wenn Winfried Conradi seine falschen Zähne ein- und die Stuwelperücke aufsetzt, gestattet auch er sich durch einen selbstversicherten Identitätswechsel gewissermaßen Auftritte, die er ohne jene Utensilien so vermutlich niemals gezeigt hätte. Dass er seine Performance-Kunst nutzt, um seine Tochter aus der Sackgasse zu holen, in der sie sich gerade verfährt, ist am Ende natürlich eher Zweck denn Nebeneffekt. In Michael Endes „Die Unendliche Geschichte“ spielt ein spezielles Mantra eine eminente Rolle, an das ich während der Betrachtung von „Toni Erdmann“ häufig denken musste: ‚Tu‘, was du willst.‘ heißt es da, und damit ist keinesfalls der Aufruf zu unreflektiertem Vandalismus gemeint. Wie Endes Protagonist Bastian Balthasar Bux muss vielmehr auch Ines Conradi erst begreifen, was sie wirklich will im und vom Leben. Dass es nicht das sein kann, was sie sich im Namen von Zahlen und Kalkulationen momentan abverlangt, das lernt sie von Toni Erdmann. Ihr Befreiungsschlag ist dann auch ein hübsch radikaler, oder zumindest mutet er für eine Sekunde so an.
Mein spezifisches Problem mit „Toni Erdmann“ ist eher das, dass mir Menschen wie Ines Conradi ohnehin suspekt und sie mir persönlichkeitssrukturell in etwa so nahe sind wie das andere Ende der Galaxie. Insofern falle ich, obschon ich den Film als Gesamtkunstwerk durchaus respektiere, aus dem heraus, was man Zielgruppe nennt. Junge Frauen Mitte 20 allerdings, die akut vorhaben, ihre Seele dem big business zu verschreiben, sollten ihn im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung mindestens einmal zwangsvorgeführt bekommen.

6/10

BLAIR WITCH

„Don’t turn around.“

Blair Witch ~ USA 2016
Directed By: Adam Wingard

Ganze fünfzehn Jahre nach dem Verschwinden seiner Schwester Heather, die dokumentarisch einem Mythos um die Blair-Hexe in den Wäldern von Maryland nachgehen wollte, erhält James (James Allen McCune) ein mögliches Lebenszeichen von ihr: Auf einem online gestellten Video aus einer Ruine ist kurz ihr Spiegelbild zu sehen. Gemeinsam mit drei Freunden (Callie Hernandez, Corbin Reid, Brandon Scott) und den zwei Findern von Heathers Filmkamera (Wes Robinson, Valerie Curry) macht sich James in den bewussten Wald auf, um dort seine Schwester zu finden…

Das unter einigem Internet-Hype flankierte Sequel zu „The Blair Witch Project“ ist seiner Kreativköpfe Adam Wingard und Simon Barrett eigentlich nicht würdig. Nach allem, was die beiden bis dato vorgelegt haben, wäre ein vielversprechenderes Projekt von ihnen zu erwarten gewesen als diese tasächlich recht einfallslose Fortsetzung, die das effektive Original weitgehend kopiert und später vulgarisiert. Andererseits muss man feststellen, dass die Woge der sturen Ablehnung, die „Blair Witch“ im Nachhinein entgegenschlug, in dieser Vehemenz auch nicht gerechtfertigt ist, es handelt sich bei Licht und nüchtern betrachtet nämlich noch immer um einen unterhaltsamen Genrebeitrag mit einigen ungemütlichen Momenten, dem man sich am Besten möglichst vorurteilsfrei aussetzt.
Der basale Plot um die Suche nach einer seit fünfzehn Jahren vermissten (und nach rationalen Maßstäben längst verwesten) Person, die lediglich auf einer Sekundenaufnahme fußt, ist schonmal harter Tobak, den man kommentarlos zu schlucken gezwungen ist. Warum man nicht einfach eine Expedition auf die Suche nach der Expedition schickte, erscheint mir schleierhaft. Vermutlich hätte das Ganze dann noch mehr nach Remake gerochen als es das ohnehin schon tut. Weiter geht es mit der Hexe und ihren boshaften Ritualen, die jetzt zu einer weitaus präsenteren und konkreteren Gefahr werden als vermittels der noch recht diffusen Zeichen, die sie im Original hinterließ: Barrett und Wingard machen heuer bereits nach dem ersten Drittel des Films keinen Hehl mehr daraus, dass wir es hier mit einer mächtigen, dämonischen Entität zu tun haben, die Raum, Zeit und Wahrnehmung nach ihrem Gutdünken beeinflussen kann. Ironischerweise enthebt gerade diese Neuerung die Hexe eines Großteils ihrer vormaligen Bedrohlichkeit: Wenn das Ungetüm ohnehin sämtliche äußeren Bedingungen kontrollieren kann, die naiven Kids sozusagen nurmehr Gefangene in ihrem „Reich“ sind und zu reinen Spielbällen verkommen, dann verliert die optionale Frage nach ihrer Flucht komplett an Relevanz und damit einhergehend auch weithin sämtliche Spannung an Bedeutung. Nurmehr das „Wie“ bleibt bestehen; die Hexe selbst wird zur absoluten Herrin ihres parallelweltlichen Terrains, so wie Jason am Crystal Lake, wie Freddy im Traumreich oder Pinhead in der Sadohölle. Horror und Fantasy tauschen die Plätze. Myrick und Sánchez enthielten sich ehedem wohlweislich solcher genreevidenten Katalogisierungen und wählten stattdessen das unbekannte, unbehagliche Mysterium, was ihrem kleinen Film damals seine vordringlichste Stärke verlieh.
Bei Wingard nun kann man das Monster gegen Ende sogar zweimal ganz kurz im Bild erhaschen, bezeichnenderweise die gruseligsten Augenblicke des Films.

5/10

A HORRIBLE WAY TO DIE

„How come you weren’t in the media?“

A Horrible Way To Die ~ USA 2010
Directed By: Adam Wingard

Nachdem Sarah (Amy Seimetz) herausfindet, dass ihr Freund Garrick (AJ Bowen) ein umtriebiger Serienmörder ist, verrät sie ihn an die Polizei und sagt später vor Gericht gegen ihn aus. Sie zieht unter neuem Namen in eine weit entfernte Kleinstadt, wo sie endlich auch ihre Alkoholsucht in den Griff bekommt. In der sacht knospenden Beziehung zu ihrem Therapiegenossen Kevin (Joe Swanberg) scheint sich eine neue Chance für Sarah zu offenbaren. Da jedoch bricht Garrick im Zuge eines Verlegungstransports aus und bahnt sich eine blutige Spur geradewegs zu Sarah…

Straight into the heart of a killer: Adam Wingard und sein Hausautor Simon Barrett begehen in „A Horrible Way To Die“, einer offenkundigen Hommage an John McNaughtons Meisterwerk „Henry: Portrait Of A Serial Killer“ nicht den verlockenden Fehler, ihren gewalttätigen Protagonisten zu heroisieren oder seine Untaten zu ästhetisieren. Gerade durch sein unscheinbares, fast sympathisches Äußeres und seine durchaus freundliche Art baut sich um Garrick Turrell eine Form von Unberechenbarkeit und Bedrohlichkeit auf, die man sonst in eher wenigen Filmen dieses Sujets ausmachen kann. Turrell ist weder ein Sadist, noch versieht er sein blutiges Werk mit Leidenschaft; er ist auch keineswegs stolz auf sein Tun. Vielmehr steht er unter permanentem innerem Zwang, der ihn, gerade wie die parallelisierte Sarah in Bezug auf den Alkohol, zu einem sich selbst ausgelieferten Süchtigen macht. Seine Opfer tötet er zumeist beiläufig und mittels kurzer Handbewegung und doch überleben die Wenigsten, vor allem Frauen, eine kommunikationsintensive Begegnung mit ihm. Um Sarah (brillant gespielt von Amy Seimetz) macht man sich derweil Sorgen, Turrell scheint sich an ihr rächen zu wollen oder zumindest ein anderweitiges, verqueres Motiv zu haben, sie aufzusuchen und zu töten. Doch clevererweise gehen Barrett und Wingard ganz anders vor als sich zunächst erwarten lässt und entspinnen eine Geschichte um tiefschwarze, abseitige Romantik.
Das Narrativ des Films nimmt sich dabei keineswegs simpel aus; Rückblenden und Gegenwartsmomente fließen nahtlos ineinander über und die recht fordernde Kombination aus jump cuts, Zooms und Wackelbildern verhindern ebenfalls eine allzu beiläufige Rezeption. Dass die Form allerdings nie zum Selbstzweck gerät, im Gegenteil stets im Zeichen der inneren Spannung der Story steht, macht sie am Ende zu einem Stück aufrichtiger Kunstfertigkeit.

8/10

BLACK FRIDAY

„Where’s my money, Doc?“

Black Friday (Schwarzer Freitag) ~ USA 1940
Directed By: Arthur Lubin

Der liebenswerte, etwas schusselige Literaturprofessor George Kingsley (Stanley Ridges) gerät mitten in eine Verfolgungsjagd zwischen dem Gangsterboss Red Cannon (Stanley Ridges) und dessen abtrünniger Bande und wird dabei zum Opfer eines beinahe tödlichen Unfalls. Auch Cannon selbst bleibt schwer verletzt zurück. Kingsleys bester Freund, der Meisterchirurg Dr. Sovac (Boris Karloff), entschließt sich daher, den defekten Teil von Kingsleys Gehirn durch die entsprechenden Regionen aus Cannons Oberstübchen zu ersetzen. Die Operation gelingt, doch Kingsley wird fortan von starken psychischen Schwankungen heimgesucht. Sovac ahnt, dass sich Red Cannons noch immer lebendige Persönlichkeit versucht, Bahn zu brechen und verspricht sich davon einen persönlichen Vorteil: Cannon hatte nämlich seine Beute von einer halben Million Dollar an unbekanntem Ort versteckt. Sovac nimmt Kingsley mit nach New York, in der Hoffnung, so des Geldes habhaft werden zu können und tatsächlich gewinnt Cannons Identität hier phasenweise die Überhand. Dass der sadistische Ganove im Körper des braven Professors nun anfängt, sich an seinen früheren Kompagnons zu rächen, hat Sovac indes nicht auf dem Schirm…

Was die Universal als weiteren Beitrag zu ihrem großen Phantastik-Zyklus ankündigte mit den zwei Zugpferden Karloff und Lugosi als Publikumsmagneten ist in Wahrheit unwesentlich mehr denn ein leicht extravaganter Gangsterfilm mit Science-Fiction-Elementen, der sich im Laufe seiner Spielzeit sukzessive zu einer Jekyll/Hyde-Variation mausert und in der Hauptsache keineswegs die beiden Monster-Titanen des ausklingenden Jahrzehnts featuret, sondern Stanley Ridges als wehrloses Opfer eines gottlosen Gehirnexperiments! Karloff mit 53, der jedoch deutlich älter wirkt, markiert hier einmal mehr den selbsträsonistischen mad scientist, der vermeintlich noch rechtzeitig auf die kläglichen Reste seines guten Gewissens in Person seiner Filmtochter (Scream-Queen Anne Gwynne) hört, was ihn schlussendlich allerdings auch nicht der höheren Gerechtigkeit enthebt. Man erlebt die gesamte Geschichte nämlich als Rückblick vermittels Dr. Sovacs Aufzeichnungen, welche er am Tage seiner Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl einem jungen Reporter (James Craig) zukommen lässt. Lugosi spielt trotz ganz anders zu interpretierender Ankündigung lediglich eine kleine Nebenrolle als Gangster, der die Rache seines tot geglaubten Bosses zu spüren bekommt. Die Hauptmeriten gehen tatsächlich an Stanley Ridges, der grandios ist als zwischen zitatefreudigem, zerstreuten Prä-Emeriten und bösartigem Gewaltverbrecher: Jedesmal, wenn Professor Kingsley die Augen zukneift und sich mit den Händen durch die zerzausten Haare fährt, weiß man, gleich ist er wieder Red Cannon, urplötzlich mit pomadiger Scheitelfrisur und kantigeren Gesichtszügen. Tatsächlich hätte ihm der Platz an der Cast-Spitze gebührt, aber dann wäre wohl keiner ins Kino gekommen. Zu Unrecht, denn so an und für sich ist „Black Friday“ doch eine durchaus schöne Angelegenheit.

7/10

WHITE CHRISTMAS

„How much is „wow“?“

White Christmas (Weiße Weihnachten) ~ USA 1954
Directed By: Michael Curtiz

Während seines überseeischen Einsatzes im Zweiten Weltkrieg lernt der Broadway-Star Bob Wallace (Bing Crosby) den musikalisch ebenfalls höchst begabten Phil Davis (Danny Kaye) kennen, der ihm eines Abends das Leben rettet. Nach Kriegsende bilden die beiden ein schwer erfolgreiches, vollbeschäftigtes Gesangsduo. Durch eine Zufallskette geraten sie kurz vor den Weihnachtsfeiertagen gemeinsam mit den ebenfalls singenden Schwestern Betty (Rosemary Cloones) und Judy Haynes (Vera-Ellen) von Florida nach Vermont, wo sie ihren alten General Waverly (Dean Jagger) wiedertreffen, der mittlerweile Besitzer eines Hotels ist. Jenes ist vom Schließen bedroht, da das eigentliche Winterparadies Vermont in diesem Jahr traurig grün geblieben ist. Als auch noch Waverlys Reaktivierungsgesuch abgelehnt wird, entschließen sich Bob und Phil, dem alten Haudegen aus der Patsche zu helfen…

Hurra, die Army ist da! „White Christmas“, die erste Paramount-Produktion, die deren neues VistaVision-Breitformat flankierte, ist so uramerikanisch wie Coca Cola und McDonald’s; er kombiniert die schwungvollen Musical-Nummern Irving Berlins mit einem im Grunde nicht vorhandenen Plot, der einzig dazu dient, die von den vier Showgrößen vorgertragenen Schlager lose miteinander zu verkleistern, verbrät mit Michael Curtiz einen großen Hollywood-Meister und filmischen Alleskönner und singt ein schnittiges Heldenlied auf die Jungs vom Militär und ihre Meriten drüben gegen die Krauts, das unter großem Hallo im Stück „Gee, I Wish I Was A Soldier Again“ mündet. Der Titelsong derweil wird als Einrahmung (ebenso wie mittendrin die Nummer „Sisters“) gleich zweimal vorgetragen, nämlich am Anfang in einer winterlichen Bombenruine irgendwo in Europa und zum Abschluss mit putzigen Kindern und gewaltiger Nordmanntanne. Dabei hatte Crosby ihn bereits zweimal zuvor auf der Leinwand geschmettert, zwölf und acht Jahre zuvor. Was die Liebesromanze zwischen Crosby und Clooney und deren zwischenzeitliche Krise anbelangt, so kommt das Ganze alberner daher als jede Bollywood-Animosität. Im Gegensatz zu den Filmmusicals von Vincente Minnelli, Stanley Donen oder später Bob Fosse, die als omnipotente Kunstwerke eine wesentlich universellere Sprache sprechen, liefert „White Christmas“ also tatsächlich und vor allem anderen amerikanisches Kulturgut und lässt sich als solches im Prinzip auch einzig und allein begreifen und konsumieren. Wie eine Zwei-Liter-Flasche Coke auf Ex, zuvor vom rotwangigen Weihnachtsmann persönlich mit drei goldenen Schleifchen drum auf seinem fliegenden Rentierschlitten durch den Kamin abgeliefert.

7/10

HOUDINI

„People aren’t going to stand in line and watch me pull rabbits out of a hat!“

Houdini ~ USA 1953
Directed By: George Marshall

New York in den 1890ern: Der kleine Vaudeville-Magier Harry Houdini (Tony Curtis) lernt die Schülerin Bess Rahner (Janet Leigh) kennen und verliebst sich Hals über Kopf in sie. Nach ihrer Hochzeit besteht Bess darauf, dass Harry sich einen bodenständigen Job sucht, doch seine ganze Leidenschaft gehört der Zauberei und seinem Spezialfach, der Entfeselungskunst. Schließlich lässt sich Bess überreden, eine Passage nach Europa zu buchen, wo die Houdinis zu gefeierten Stars werden. Zurück in den Staaten gelingt es Harry, seinen Ruhm endlich auch auf das heimische Territorium auszuweiten.

Weniger als Biopic ist diese Abhandlung von Harry Houdinis Karrierejahren sehenswert, denn als schönes Kinostück vor historischem Ambiente. Herrlicher Technocolor-Einsatz, die Beschreibung der turbulenten Eheromanze der Houdinis (mitsamt realer Anbindung durch das tatsächliche Ehepaar Curtis in seinem ersten gemeinsamen von fünf Filmen) und die Liebeserklärung an die schillernde Parallelwelt der Sideshows, Vaudeville und Varietés machen „Houdini“ zu einem Paradestück binnen Hollywoods klassischer Studio-Produktion. Ebenso apodiktisch zeigt Marshalls Film allerdings auf, wie dessen Dramaturgien periodische Authentizität zu beugen und passend zu machen pflegten; Einige der berühmtesten Tricks Houdinis, wie etwa seine erstmalige Befreiung aus einer Zwangsjacke oder seine groß vorangekündigte Flucht aus einem Gefängnis von Scotland Yard werden in kurzepisodischen Abrissen gezeigt. „Houdini“ wird immer dann am Besten, wenn er die Liebäugelei des Illusionisten mit dem Übernatürlichen beschreibt, etwa, wenn er von dem zurückgezogen lebenden, deutschen Magier Johann Von Schweger hört, der angeblich verbotene Grenzen überschritten haben soll. Von „Entmaterialisierung“ ist da die Rede, einer paranormalen Technik, von der misstrauische Zeitgenossen behaupten, dass auch Houdini von ihr Gebrauch gemacht habe. So ist auch die Andienung von Von Schwegers seltsamem Faktotum Otto (Torin Thatcher), der nach dem Tode seines früheren Herrn ungefragt bei Houdini anfängt, hübsch unheimlich in Szene gesetzt. Houdinis höchst irdisch bedingten Tod infolge einer verschleppten Blinddarmentzündung erlebt man indes nicht mit, wenngleich gegen Ende entsprechende Andeutungen fallen.
Insgesamt ein sehr liebenswerter, fideler Film, dem man seine Produktion durch George Pal durchaus anmerkt.

8/10

THE NEIGHBOR

„I won’t let you be left down here.“

The Neighbor ~ USA 2016
Directed By: Marcus Dunstan

Cutter, Mississippi ist ein widerliches, kleines Kaff, in dem Kriminelle jedweder Kuleur sich „Guten Tag“ sagen. Für den Golfkriegsveteranen John (Josh Stewart), der unter der scheinbar allmächtigen Knute seines Onkels Neil (Skipp Sudduth) steht und diesen bei seinen Aktionen als Drogenspediteur unterstützt, gibt es nurmehr ein Ziel, nämlich möglichst umgehend sein heimlich Gespartes zu packen und mit seiner Freundin Rosie (Alex Essoe) nach Mexiko durchzubrennen. Was John jedoch nicht weiß: Sein Nachbar Troy (Bill Engvall) betreibt mit seinen zwei Söhnen (Luke Edwards, Ronnie Gene Blevins) ein heimliches Kidnapping-Unternehmen. Als Rosie Troy während Johns Abwesenheit bei seinem Treiben beobachtet, gerät sie selbst in die Gefangenschaft der Unholde…

Nach seinen beiden „Collector“-Filmen tritt Marcus Dunstan wieder ein wenig auf die Bremse und liefert einen kleinen, bösen neo noir, der sich wohltuend bescheiden innerhalb seiner selbst gesteckten Grenzen bewegt, bewusst darauf verzichtet, mehr vorzustellen, als er ist und gerade dadurch erfolgreich ist.
Dass die Südstaaten, oder zumindest deren Bild als medial kultiviertes Klischee als flächenmäßig erheblicher Teil von Amerikas Provinz keine Gegend repräsentieren, in der man als gebildeter Mitteleuropäer allzu gern seine Zelte aufschlagen würde, bestätigt auch „The Neighbor“ ein weiteres Mal. Hier leben sie in dichter Konzentration, die Meth-Köche, die Dealer, die schmierigen Burgerbrater, Halbgebildete, Kriminelle, Trump-Wähler. Unter den wenigen Individuen, die man in „The Neighbor“ kennenlernt, findet sich keines, mit dem man sich gern am Tresen einer Bar im Dialog wiederfände; selbst Protagonist/Held John ist seit seinem Kriegseinsatz offenbar stark enthemmt, was den Einsatz brachialer Gewalt angeht. Immerhin kommt ihm diese „Qualität“ im Gefecht gegen seinen Nachbarn zugute und darin liegt zugleich ein weiterer Bonus des Films: Ausnahmsweise sind sich nämlich die sadistischen Psychopathen und die von ihnen attackierten Kontrahenten sowohl in ihrer Vorgehensweise als auch in der Wahl ihrer Mittel vollkommen ebenbürtig; hier sind es keine großstädtischen College-Kids, die an zivilisationsmüde Rednecks geraten, sondern Typen, die sich ihrer Haut bestens zu wehren wissen und sich in der erzwungen kombattanten Situation halbwegs intelligent anstellen. Weder überreizt und Dunstan mit „Nein, tu’s nicht“-, noch mit „Meine Güte, ist der blöd“-Momenten und, soviel darf verraten werden: Der Unhold steht am Ende nicht wieder auf. Damit hält „The Neighbor“ seine Erzählzeit kurz und konzentriert, beschränkt sich jedoch auf das absolut Wesentliche. Dunstan erzeugt hier und da amtliche Suspense-Momente und zeigt, dass er ein formal versierter Regisseur ist, der sich zwar an einschlägigen Vorbildern orientiert, dabei jedoch hinreichend Eigenständigkeit aufweist, um seinen Film durchweg in Form zu halten.

7/10