ROMEO IS BLEEDING

„You don’t own love. Love owns you.“

Romeo Is Bleeding ~ USA/UK 1993
Directed By: Peter Medak

Der im Zeugenschutzprogramm tätige Jack Grimaldi (Gary Oldman) gehört zur schlimmsten Sorte korrupter Cops. Gegen saftiges Entgelt verrät er die Aufenthaltsorte brisanter Kronzeugen an die Mafia und nimmt dafür auch in Kauf, dass bei den anschließenden Exekutionsaktionen seine eigenen Kollegen dran glauben müssen. Seine Ehefrau Natalie (Annabella Sciorra) betrügt er derweil mit der naiven Kellnerin Sheri (Juliette Lewis). Als Grimaldi von Berufs wegen die russische Profikillerin Mona Demarkov (Lena Olin) kennenlernt, gerät er zwischen alle Fronten. Während Mafiaboss Falcone (Roy Scheider) die Demarkov, mit der er früher ein Techtelmechtel hatte, tot sehen will und Grimaldi erpresserisch nötigt, den Auftrag auszuführen, verführt diese den irrlichternden Beamten und bringt ihn dazu, ihr dabei zu helfen, ihren eigenen Tod zu fingieren. Doch nicht nur, dass sie sich hernach weigert, Grimaldi zu bezahlen, wird die psychotische Mörderin für ihn selbst zur tödlichen Gefahr…

„Romeo Is Bleeding“ entstand im Zuge der Neo-Noir-Welle in den frühen bis mittleren Neunzigern, während derer eine ganze Reihe in Aficionadokreisen beleumundeter Filmemacher der allmählich aufziehenden Ratlosigkeit des zusehends blasierter werdenden Blockbuster-Kinos entsprechende Werke entgegensetzten. Loner und Drifter waren deren Antihelden, betrügerische Femmes fatales und korrupte Bullen, mutige Kleinstadtsheriffs, unbeirrbare Killer, obercoole Gangster und Pärchen auf der Flucht. Die gezeigte und suggerierte Gewalt nahm sich häufig übermäßig aus und selten kam es zu glücklichen Abschlüssen für die ProtagonistInnen. Quentin Tarantino profitierte bekanntermaßen ganz besonders von dieser Strömung, avancierte zu everybody’s darling und hernach zu deren vorderstem Leitwolf und Stichtwortgeber, indem er die zuvor noch bierernst durchgespielte Nostalgie der relativ dicht an die klassischen hardboiled stories angelehnten Krimis ironisch aufbrach und seinem ausgesprochen kalifornischen Märchengauneruniversum einverleibte. Zuvor jedoch gab es Filme wie den vorliegenden von Peter Medak, in dem der ungebremste, tiefe Fall der Hauptfigur im Zentrum steht, gänzlich unkomisch und ergänzend mit dem diegetischen Pathos des Off-Kommentars versehen.
Jack Grimaldi wird von Gary Oldman wie eine Art Vorstudie zu seinem kurz darauf interpretierten, noch hundertmal toxischeren Polizisten Stansfield aus Luc Bessons „Léon“ angelegt. Dessen endgültige Gewissenlosigkeit und haltlose Diabolik muss sich Grimaldi erst noch aneignen, vielleicht wird er später unter anderem Namen bei den New Yorker Narcs anfangen. Dabei ist sein abwärts gerichtetes Schicksal rundheraus selbst verschuldet: Dieser Polizist lügt, betrügt, übervorteilt und verkauft die eigene Seele, bis er allein in irgendeinem Kleinstadtkaff vergeblich auf die unter Garantie niemals eintretende Erlösung wartet. Dabei meint es auch das Fatum selbst alles andere als gut mit ihm; der sinistren Cleverness seiner Widersacherin etwa ist Grimaldi völlig unterlegen. Sie bringt ihn dazu, seine Frau aufzugeben, sein Betthäschen und später noch den hiesigen Paten umzubringen. Von seinen sorgsam angehäuften, im Garten verscharrten Müllsäcken mit schmutzigem Cash wird er nichts mehr haben. Der letzte Akt der Abrechnung schließlich kommt so verzweifelt wie persönlich daher, doch auch dieser kann Grimalds tote Träume nicht wieder zum Leben erwecken.

7/10

ARMAGEDDON TIME

„I want you to be better than me.“

Armageddon Time (Zeiten des Umbruchs) ~ USA/BRA 2022
Directed By: James Gray

Queens, New York im Herbst 1980. Der Teenager Paul Graff (Banks Repeta) ist ein Träumer, ganz zum Unwohlsein seiner Familie, die den mit Vorliebe Superhelden zeichnenden Jungen als „etwas langsam“ etikettiert. Einzig Pauls Großvater Aaron (Anthony Hopkins), der noch höchstselbst den sich sukzessiv steigernden Antisemitismus in der Alten Welt miterlebt hat, gelingt es, zu dem eigensinnigen Paul durchzudringen und ihm die eine oder andere Lebensweisheit mit auf den Weg zu geben. Die Zeiten sind demzufolge nicht einfach für Paul. Die Freundschaft zu seinem noch wesentlich ausgegrenzteren, afroamerikanischen Klassenkameraden Johnny (Jaylin Webb), der dem ihm unentwegt entgegenbrandenden Rassismus mit offener Rebellion begegnet, sorgt für mancherlei Ärger und führt schließlich dazu, dass Paul dieselbe elitäre Privatschule besuchen muss wie sein Bruder Ted (Ryan Sell), eine Brutstätte für weiße Oberklassenrepublikaner, die den just zum 40. US-Präsidenten gewählten Ronald Reagan als neuen Heilsbringer erachten. Dennoch bricht Pauls Freundschaft zu Johnny nicht wirklich ab; der verzweifelte Versuch, aus ihrer beider Trostlosigkeit auszubrechen, scheitert jedoch.

James Grays Filme sind, beginnend mit seinem 1994er Debüt „Little Odessa“, allesamt wunderbar und folgen einem ungebrochen gepflegten Autorenethos, der seiner zumindest in thematischer Hinsicht durchaus heterogenen Arbeit noch keinen Qualitätseinbruch beschert hat. Auch in seiner achten Langfilmregie kultiviert Gray, New-York-Chronist und ausgewiesener Melancholiker, aufs Neue seinen für ihn längst typischen, oftmals schwermütig anmutenden Hang zur Langsamkeit, die ihre Dramatik aus unspektakulär anmutenden Alltagsgeschehnissen bezieht. Jene halten für einen Jungen an der Schwelle zur Pubertät eine Vielzahl biographischer Zäsuren bereit. Gray bemüht dazu vor herbstlichen Sepiabildern diverse autobiographische Details und Anekdoten, die „Armageddon Time“ zu einem seiner bislang persönlichsten Filme machen. Viel passiert in diesem New Yorker November 1980: Paul registriert zunächst hilflos, dass er seinen Eltern (Anne Hathaway, Jeremy Strong) de facto mehr Kummer als Stolz bereitet – sein Freund Johnny bringt ihn parallel dazu pausenlos auf dumme Gedanken. Renitentes Verhalten gegenüber dem überforderten Klassenlehrer (Andrew Polk), eine Tour auf eigene Faust durch Manhattan, schließlich ein Joint auf dem Schulklo. Genug, um den Vater zur Verabreichung einer gehörigen Tracht Prügel zu veranlassen, den Besuch der öffentlichen Bildungsanstalt dringlichst abzuwürgen und Paul stattdessen auf die „Forest Manor“ zu schicken, eine von Fred C. Trump (John Diehl) beschirmherrte Privatschule mit entsprechender Klientel. Sowohl Trump (Donalds Vater) als auch seine Tochter Maryanne (Jessica Chastain) lassen es sich nicht nehmen, die Schülerschaft allenthalben durch ideologisch verbrämte Ansprachen „auf Kurs“ zu bringen, analog zu Reagans sich abzeichnendem Wahlsieg. Ethnische Minderheiten gelten an der Forest Manor wenig bis nichts; Paul fühlt sich unwohl, verspürt zugleich aber dennoch die Notwendigkeit, dazu gehören zu müssen. Als sein geliebter Großvater Aaron an Konchenkrebs stirbt, erschüttert dies die gesamte Familie derart bis in die Grundfesten, als sei ihr Rückgrat gebrochen. Doch aus der geplanten Flucht nach vorn, einem Ausriss mit Johnny Richtung Florida, wird nichts. Paul verliert den Freund und muss sich den Unebenheiten und Ungerechtigkeiten des Erwachsenwerdends fügen.
Seinen Titel verdankt „Armageddon Time“ zweierlei: zum einen dem inflationären Gebrauch des Terminus durch Reagan, der seinerzeit mit den dräuenden Ängsten vorm atomaren Weltende jonglierte wie ein Schimpanse mit Bananen, zum anderen der B-Seite der Clash-Single „London Calling“, einer wunderbar dub-infizierten Coverversion des Willie-Williams-Songs „Armagideon Time“. Entsprechend leitmotivisch verfolgt der Track Paul und den Film vom Anfang bis zum Ende.

8/10

THE NIGHT HOUSE

„You were right. Here is nothing. You’re safe now.“

The Night House (The House At Night) ~ USA/UK 2020
Directed By: David Bruckner

Vom einen auf den anderen Tag ändert sich das Leben für die High-School-Lehrerin Beth (Rebecca Hall) radikal: ihr Mann Owen (Evan Jonigkeit) schießt sich nächtens gänzlich unerwartet in den Kopf – dabei galt doch sie selbst stets als der labile, depressive Part innerhalb ihrer Beziehung. Die nunmehr allein in dem von Owen in Eigenarbeit gebauten, pittoresken Seehaus in Upstate New York lebende Beth ist nach einigen paranormalen Erlebnissen schon bald der festen Überzeugung, dass Owens Geist noch präsent ist und ihr etwas mitteilen möchte, das über die kurzen drei Sätze in seiner schriftlich hinterlassenen Abschiedsnachricht hinausgeht. Ihre Recherchen fördern bald Vieles zutage, das sie nicht über Owen wusste, ihn respektive als noch mysteriöser erscheinen lässt. So findet Beth diverse Handyfotos, die Frauen zeigen, die ihr selbst physisch sehr ähnlich sind und entdeckt auf der gegenüberliegenden Seeseite ein leerstehendes, verlottertes Haus, dessen Grundriss dem ihren fast exakt gleicht – nur, dass dort alles spiegelverkehrt ist…

Das Jenseitige als Inversion des Diesseits mit dem Spiegel als Tor in die Zwischenwelt – dieses Bild wurde schon häufig als effektives Gimmick im Genrekino genutzt. Man denke an entsprechende Sequenzen aus Raimis „The Evil Dead“ oder Carpenters „Prince Of Darkness“, in denen Wandspiegel ihre physikalische Zuverlässigkeit einbüßen und in eine unergründliche, anderweltliche Chaosdimension münden. David Bruckners schöner „The Night House“ gründet auf diesem Topos gewissermaßen seine gesamte Geschichte – ein viele Jahre zurückliegendes Nahtoderlebnis der Protagonistin Beth erweist sich als keineswegs so substanz- und folgenlos, wie die gemeinhin als skeptische Atheistin bekannte Frau es sich selbst stets weiszumachen trachtete. Zumindest wurde sie bei ihrem Kurzausflug auf die andere Seite entdeckt und wahrgenommen, obschon ihre eigene Wahrnehmung ihr dies offenbar verschwieg. Mit welcher Vehemenz ebenjene Entität seither versucht, sich ihrer zu bemächtigen, das bekommt sie nach Owens überraschendem Suizid bald selbst zu spüren. Dass ihr Gatte zumindest über weite Phasen seines Privatlebens hinweg nicht der war, der er zu sein vorgab, gehört ebenso zur Entschlüsselung dieses Geheimnisses wie gleichermaßen zunehmend bedrohliche wie verwirrende Erlebnisse, die allmählich die Grenzen zwischen Traum und Realität aufzulösen beginnen. Bruckners gelassener, in entscheidenden Momenten allerdings gekonnt die Daumenschrauben anziehender Erzählduktus mit einigen glänzenden audiovisuellen Einfällen vertraut sich dabei ganz der Perspektive der von Rebecca Hall einnehmend gespielten Hauptfigur an. In diesem Zuge entspinnt sich ein hübscher Mysterythriller von angenehm ernster Gestalt, ein Horrorfilm zudem für ein ausgewiesen erwachsenes Publikum.
Dabei hat die eigentlich schönste Szene wenig mit der sich später herausschälenden Genreausprägung zu tun und liegt ziemlich am Anfang. BerufsgenossInnen werden wissen, welche ich meine…

8/10

LIGHT SLEEPER

„Convenient memory is a gift from God.“

Light Sleeper ~ USA 1992
Directed By: Paul Schrader

John LeTour (Willem Dafoe) arbeitet in Manhattan als einer von zwei Kokslieferanten für die Dealerin Ann (Susan Sarandon). Selbst seit ein paar Jahren clean, mäandert John nunmehr eher ziellos durch die von Müllbergen gesäumten Großstadtnächte und hätte nichts dagegen, seinem Leben eine Wendung zu verabreichen; ebenso wie Ann derweil davon träumt, aus dem Drogenbusiness aus- und ins Kosmetikgeschäft einzusteigen. Eines Tages begegnet John durch Zufall seiner früheren Geliebten Marianne (Dana Delany) wieder, wie er selbst einst schwer abhängig, doch seit einiger Zeit weg vom Schnee. Mariannes Mutter liegt im Sterben, derweil John mit allen Mitteln versucht, die Beziehung zu ihr wieder aufleben zu lassen. Seine Bestrebungen enden jedoch in einer Katastrophe.

Als ein Signaturstück und (somit) einer seiner wichtigsten Filme spiegelt „Light Sleeper“ den immerwährenden, vordringlichsten Topos Paul Schraders wieder – den des vereinsamten, biographisch desorientierten Individuums, das (häufig vor urbaner Kulisse) sukzessive in eine psychologische und spirituelle Krise hinabrutscht und in der Folge erst durch einen moralisch grenzgängerischen Befreiungsschlag auf den persönlichen Weg zurückfindet. Da ist auch immer ein Stück Vergeltungsdrang dabei, jene jedoch eher als befreiender Katalysator für die ohnehin längst akut gewordenen Probleme des Protagonisten. Schrader selbst erachtete den schwerlich finanzierten „Light Sleeper“ als finalen Teil einer loner trilogy, mit „Taxi Driver“ und „American Gigolo“ als dessen Vorgänger, wobei diese selbstdefinierende Einordnung gewiss zu kurz greift. Bis in sein gegenwärtiges Werk nämlich zieht sich jenes Sujet bekanntermaßen unaufhörlich weiter, wobei zwar die Schauplätze, Städte und settings wechseln, das Thema des sich freistrampelnden Antihelden sich, einem Perpetuum Mobile gleich, jedoch unaufhörlich repetiert findet. Wie zig andere seiner Figuren weiß auch der grenzdepressive John LeTour zunächst nicht, wohin mit sich. Es geht ihm materiell nicht schlecht, die seinen auf die Nächte verlagerten Alltag bestimmende Einsamkeit nagt jedoch unaufhörlich an seinem Inneren. Er versucht zu schreiben, seine Emotionen und Erlebnisse in Worte zu fassen, doch der monotone Druck der äußeren Realität lässt sich dadurch nicht kompensieren. Das aufgegebene Leben ohne den permanenten Rausch, mit dem zugleich auch die Liebe verschwunden ist, verblasst in Gleichförmig- und Reizlosigkeit. Letzter Rettungsanker scheint das Wiederauftauchen Mariannes zu sein, doch ausgerechnet dadurch, dass er sich bemerkbar macht und wieder zurück in ihr Leben drängt, verurteilt John sie mittelbar zum Tode und sich selbst zur endgültigen Verzweiflung. Mit dem Rücken zur Wand stehend, ergibt sich für ihn eine letzte, qua Schicksal initiierte Chance, zumindest sein aus dem Tritt geratenes Seelenleben wieder geradezurücken.
Schrader wollte ursprünglich Dylan-Songs für die Soundtrackspur, konnte diese schlussendlich dann doch nicht nutzen und wurde auf den „The Call“-Frontmann Michael Been (und nebenbei Vater von Robert Levon Been vom Black Rebel Motorcycle Club, der kürzlich die Stücke zu „The Card Counter“ beisteuerte) aufmerksam, dessen musikalischer Duktus wiederum eher an Springsteen erinnert und der etwa mit einer alternativen Version des Songs „World On Fire“ für großartige Untermalung des kunstvoll inszenierten Geschehens sorgte. Nach meinem Empfinden ein (weiterer) Glücksfall für diesen wunderbaren Film.

9/10

HARLEM NIGHTS

„Kiss my entire ass!“

Harlem Nights ~ USA 1989
Directed By: Eddie Murphy

Harlem zur Prohibitionszeit: Seit er ihm als kleiner Junge (Desi Arnez Hines II) das Leben rettete, ist Vernest Brown alias Quick (Eddie Murphy) gleichberechtigtes Mündel des Nachtclubbesitzers Sugar Ray (Richard Pryor). Jahre später führt jener sein Etablissement, in dem neben Alkoholausschank auch andere Trostspender vom Jazz über das Glücksspiel bis hin zur Prostitution florieren, hinter der legalen Fassade eines Konfektgeschäfts. Dem sich immer breiter machenden Gangsterboss Bugsy Calhoune (Michael Lerner) derweil ist der Club Sugar Ray ein Dorn im Auge, weshalb er mithilfe des korrupten Polizisten Phil Cantone (Danny Aiello) Sugar Ray und Quick zusehends unter Druck sitzt. Während der junge Heißsporn Quick sich zum Krieg bereit macht, zieht der weitaus besonnenere Sugar Ray es vor, das Feld zu räumen und die Stadt zu verlassen – freilich nicht, ohne Calhoune und Cantone gehörig über den Tisch zu ziehen…

Mit einer Art afroamerikanischer Variationsmelange aus George Roy Hills „The Sting“ und Francis Ford Coppolas „The Cotton Club“ versuchte sich Eddie Murphy, damals auf dem Zenit seine stardoms, zum bis dato ersten und einzigen Mal als Regisseur und gewissermaßen auch als auteur. Ganz Murphys höchstpersönliches Baby, setzt sich „Harlem Nights“ mit einigem übersteigerten Selbstbewusstsein ziemlich breitärschig zwischen alle Stühle. Der schwarzen New Yorker Unterweltkultur der zwanziger und dreißiger Jahre zollt der insofern nicht immer ganz treffsichere Film ebenso Tribut wie den etwas aufgelockerteren Blaxploitation-Beiträgen der Siebziger (etwa „Cotton Comes To Harlem“) und vermengt diese Einflüsse mit Murphys derbem Bühnen-Stand-Up-Duktus. Murphy demonstriert zudem offenherzig, dass er in Sachen pointierten Leinwand-Humor-Timings einiges von John Landis gelernt hat, dem er ja immerhin zwei seiner Hits aus den Vorjahren verdankt und der ironischerweise mit seinem „Oscar“-Remake kurz darauf eine ganz ähnlich strukturierte Gangsterfarce vor historischem Setting ablieferte.
Der nicht eben kostengünstige „Harlem Nights“ legt viel Wert auf sein mit einigem Chic inszeniertes Zeitkolorit; auf augenfällige Requisiten und Kostüme, derweil die urbane Außendarstellung völlig bewusst artifiziell gehalten ist und ganz wie die Warner-Filme der frühen Tonära auf gut als solche identifizierbare Studio- und Atelieraufnahmen zu setzen scheint. Was die Figurenzeichnung anbelangt, konzentriert sich Murphy derweil vor allem auf die liebevolle Konturierung schillernder Nebencharaktere, darunter Redd Foxx und Della Reese als grantelndes, alterndes Ehepaar oder Vic Polizos als liebeskranker Richie Vento, die die schönsten Szenen abbekommen. Andere Auftritte, wie der hoffnungslos enervierende von Arsenio Hall etwa, laufen blinden Auges ins Leere.
Murphys Film lanciert weit von jeder Art Formvollendung entfernt, dafür ist er schlicht zu ungeschlossen und weiß manchmal selbst nicht recht wohin mit sich. Dennoch lässt sich bescheinigen, dass „Harlem Nights“ den über weite Strecken amüsanten Versuch eines von seinem unbändigen Erfolg selbstberauschten Aufsteigers markiert, sein kreatives Spektrum zu erweitern, wenngleich jener damit auf imposante Weise scheitert.

7/10

FOREVER MINE

„You will never be loved the way you are now. You have have never been and you will never be.“

Forever Mine ~ USA/CA/UK 1999
Directed By: Paul Schrader

Im Sommer 1973 arbeitet der Student Alan Riply (Joseph Fiennes) in einem mondänen Strandhotel als „cabana boy“. Hier verliebt er sich auf den ersten Blick in Ella (Gretchen Mol), die Gattin des wohlhabenden Geschäftsmannes und Urlaubsgasts Mark Brice (Ray Liotta), die Alan fortan umgarnt. Bald erwidert Ella seine Gefühle und die beiden verleben eine nur wenige Tage währende Kurzromanze, bevor Ella und ihr Mann nach New York zurückkehren. Alan weigert sich jedoch, das geliebte Wesen einfach aufzugeben, reist ihr kurzerhand hinterher und beginnt vor Ort eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Als die streng katholische Ella Mark ihre Affäre beichtet, setzt dieser alles daran, Alan „unschädlich“ zu machen. Zunächst hängt er ihm eine Verurteilung wegen Drogenbesitzes an, doch Alan lässt sich selbst im Gefängnis nicht ausbooten und schreibt Ella einen Liebesbrief nach dem anderen, bis der immer eifersüchtigere Mark keinen anderen Ausweg sieht, als den Nebenbuhler um die Ecke bringen zu lassen. Alan überlebt jedoch schwer verletzt und sinnt auf Rache. Vierzehn Jahre später ist es soweit: Unter neuer Identität als Rechtsberater Manuel Esquema kehrt er zu den Brices zurück und mischt die Karten neu…

„Forever Mine“, eine Liebeserklärung an die Liebe, zählt zu den eher selten erwähnten Werken in Schraders Œuvre, dabei handelt es sich nach meinem Dafürhalten um einen seiner schönsten Filme. Voller Reminiszenzen und Avancen an Wegbegleiter und Kulturgenossen steckt seine zwölfte Kinoregie, eine sehr revisionistisch gefärbte Noir-Romanze in Breitwand, wie sie – zumindest auf rein inhaltlicher Ebene – auch ebensogut in den vierziger oder fünfziger Jahren hätte entstehen mögen. So rekurriert Schraders Inspirationspool neben dem geradeheraus zitierten, berühmten Flaubert-Roman „Madame Bovary“ unter anderem auf Robert Floreys wunderbaren „The Face Behind The Mask“, Elmore Leonard und das Kino von Brian De Palma (für den Schrader 1976 das Script zu „Obsession“ verfasst hatte und dessen Hauskomponist Angelo Badalamenti in „Forever Mine“ durchaus ähnliche Harmonien erklingen lässt). Die für Schraders Verhältnisse ungewöhnlich herzlich und herzergreifend erzählte Liebesgeschichte scheut keinerlei Kitschrisiken, wobei der auteur die entsprechenden Momente freilich stark zu transzendieren weiß – auch „Forever Mine“ offeriert trotz seines völlig typologisch eingesetzten Ensembles und der mit weichgezeichneten Rückblenden versetzten Oberflächenpolitur eine vornehmlich düstere, nicht selten melancholische Atmosphäre, wobei Missgunst, Gefahr und Brutalität vornehmlich von dem gehörnten Ehemann ausgehen, der zu arrogant ist, um klein beizugeben und seine immer weiter forttreibenden Felle schwimmen zu lassen. Allein durch sein rücksichtsloses Intervenieren wird irgendwann auch Alan Riply gezungen, kriminell zu werden und sämtliche ursprünglich avisierten Lebensentwürfe über den Haufen zu werfen.
Freilich lassen sich auch hier die ewigen Schrader-Topoi Calvinismus, (Über-)Lebenskampf, Schuld, Sühne und Erlösung ausmachen; diesmal jedoch in einer dem reinen Streben nach verdienter Zweisamkeit untergeordneten Auslotung, was „Forever Mine“ sehr gut tut. Ich muss zugeben, dass ich gerade jetzt in einer höchst empfänglichen Stimmung für derlei Schmonziges bin, warum „Forever Mine“ auch unerwartet massiv bei mir einschlagen konnte.
Schön!

9/10

INTERVIEW

„I don’t fuck celebrities.“ – „Well, I don’t fuck nobodies.“

Interview ~ USA/CAN/NL 2007
Directed By: Steve Buscemi

Statt wunschgemäß zu einer eminent wichtigen Pressekonferenz nach Washington D.C. fliegen zu dürfen, soll der New Yorker Politjournalist Pierre Peders (Steve Buscemi) das Schauspielstarlet und It-Girl Katya (Sienna Miller) interviewen. Gleich ihr erstes gegenseitiges Beschnuppern in einem hippen Restaurant läuft beiden zuwider und das Treffen platzt binnen weniger Minuten. Koinzidenziell begegnet man sich jedoch schon kurz darauf auf der Straße wieder, woraufhin beide in Katyas luxuriösem Loft landen und sich zu einem wechselseitigen Seelenstriptease herausfordern, der bald jedoch eine ganz andere Richtung einschlägt, als es zunächst den Anschein macht…

Buscemis vierte Kinoregie „Interview“ firmiert als Neuverfilmung des vier Jahre zuvor entstandenen, gleichnamigen holländischen Originals des zu Lebzeiten streitbaren Regisseurs Theo van Gogh. Selbiges ist mir leider noch nicht bekannt, ich wäre jedoch wenig verwundert, mit ihm eines Tages des sehenswerteren der beiden Werke angesichtig zu werden. „Interview“ dient wohl in erster Linie als eherbietige Hommage von einem Filmschaffenden an den anderen, darauf lässt eine entsprechende Widmung im Abspann ebenso schließen wie die Übernahme der AntagonistInnen-Bezeichnungen oder ein Cameo der vormaligen, sich dort gewissermaßen selbst spielenden Hauptdarstellerin Katja Schuurman gegen Ende. Van Gogh wurde im November 04 von einem islamistischen Attentäter in Amsterdam auf offener Straße ermordet, was landesweit noch eine ganze Reihe unerfreulicher Kausalereignisse provozierte. Ein Blick ins Netz illuminiert schließlich: Es sollte ursprünglich eine ganze Trilogie von van-Gogh-Remakes aus US-amerikanischer Fertigung entstehen. Stanley Tucci lieferte noch einen zweiten Beitrag namens „Blind Date“, ein dritter („1-900“), den John Turturro inszenieren sollte, wurde offenbar nie realisiert.
Buscemis demzufolge (primär?) aus künstlerischer Solidaritätsbekundung heraus geborener „Interview“ ist nun kein ausgesprochen schlechter oder misslungener Film, er genehmigt sich jedoch einige Lässlichkeiten, angesichts derer man sich doch etwas wundern muss. Auf der Scriptebene etwa fällt auf, dass sich die Dialogvolten, die verwendet werden, um das im Prinzip ja völlig wider Willen beisammen befindliche Paar für rund eine Stunde in Katyas Wohnung festzusetzen, kaum je glaubwürdig gestalten. Es gäbe etliche gute Anlässe für beide, sich deutlich früher zu trennen, was auch die immer wieder aufflammende, reziproke Anziehung seltsam behauptet dastehen lässt – allerspätestens in Anbetracht des twistenden Finales. Wenngleich Buscemi und Miller das Ganze toll spielen, versucht er als Regisseur dem Zweipersonen-Kammerstück immer wieder durch hektische Wackelphotographie und Suspense-Musik einen zusätzlichen Spannungsbogen zu verleihen. Offenbar fühlte Buscemi sich infolge des Settings nicht ganz wohl und vertraute der solitären Kraft des Scripts nicht zur Gänze, was durch besagt inszenatorische Kraftakte eben immer wieder augenfällig wird. Das Ende schließlich vollzieht eine wenig sympathische und auch kaum schlüssige Kehrtwende zurück zum Nullpunkt, zumindest was den opportunen Charakter des Reporters anbelangt. Das „Interview“ zugrunde liegende Menschenbild, das sich zuvor alle Mühe machte, sich durch scheindifferenzierte Selbstöffnung einen positiven bis komplexen Charakter zu verleihen, wird kurzerhand rigoros zertrümmert und auf einen ziemlich reaktionären Zynismus reduziert. Dem Romantiker in mir läuft das jedoch ziemlich quer.

6/10

RUN ALL NIGHT

„Tell everyone to get ready. Jimmy’s coming.“

Run All Night ~ USA 2015
Directed By: Jaume Collet-Serra

Nachdem der irischstämmige New Yorker Jimmy Conlon (Liam Neeson) viele Jahre als Killer für seinen besten Freund, den Syndikatsboss Shawn Maguire (Ed Harris) gearbeitet hat, fristet er sein Leben als dauerbesoffener Schnorrer und Tagedieb. Sein Sohn Mike (Joel Kinnaman), verheiratet und Vater zweier Kinder, will von ihm nichts wissen. Shawn hat derweil seinerseits Probleme mit dem eigenen Filius Danny (Boyd Holbrook), einem koksenden, lauten Störenfried, der seinen Vater gern in Geschäfte mit der albanischen Heroinmafia einspannen würde. Als dieser ablehnt und Danny jede weitere Hilfe versagt, erschießt dieser die beiden entsandten Albaner (Radivoje Bukvic, Tony Naumovski) kurzerhand, wird dabei jedoch durch einen dummen Zufall von deren Chauffeur, Mike Conlon, beobachtet. Nunmehr macht Danny Jagd auf Mike. Jimmy erfährt von der Sache und rettet Mike das Leben, indem er Danny tötet. Der vor Wut schäumende Maguire Senior vergisst alle Freundschaft und will weder Vater noch Sohn Conlon lebend davon kommen lassen. Ihn und seine Leute, einen übereifrigen Police Detective (Vincent D’Onofrio) und einen psychopathischen Profikiller (Common) auf den Fersen, erwartet die Conlons eine lange Nacht.

Einen der kaum mehr überschaubar vielen Genrefilme, auf die sich Liam Neeson im Alter und wohl beginnend mit Pierre Morels „Taken“ verlegt hat. Auch gemeinsam mit dessen Regisseur, dem spanischstämmigen Jaume Collet-Serra, hat Neeson nunmehr bereits vier Filme gemacht, wobei ich „Run All Night“ immerhin hinreichend ansehnlich fand, mir die übrigen drei in Kürze auch anschauen zu wollen. Nun darf man von diesem, einem grundsätzlich amttlich gecrafteten Gebrauchsfilm immerhin, keine sonderliche Innovation erwarten. Collet-Serras diverse neo-klassische Elemente aus Action- und Gangsterkino fusionierendes Werk schippert auf den ersten Blick im direkten Fahrwasser von Chad Stahelskis „John Wick“: Ein verzogener Gangsterfilius weckt durch sein koksinduziertes, egomanisches Verhalten einen eigentlich zu allseitiger Milieuberuhigung lange schlafenden Hund, der sein vormaliges Handwerk reumütig an den Nagel gehängt glaubt. Der aufgrund fehlgeleiteter Familienehre gekränkte Bossvater entfesselt daraufhin eine leichenreiche Hatz, deren Verlierer am Ende zwangsläufig er selbst und seine Organisation sein müssen, da die sie mitreißende Ein-Mann-Naturgewalt allzu entschlossen agiert. Soweit das Grundprinzip eben auch von „Run All Night“, der insofern noch interessant ist, als dass er sich ein wenig in die Subkultur irischen Migrantentums vortastet und mit Ed Harris einen diesbezüglich ja hinlänglich beschlagenen Antagonisten aufbietet. So ist es vor allem das Väterduell der beiden alternden Stars, das das Herz das Films schlagen lässt. Davon unabhängig, dass der eine der beiden, zumindest bezogen auf ihren gegenwärtigen Clinch, auf der moralisch sicheren Seite steht, hat Jimmy Conlon freilich allzu viele Sünden auf dem Kerbholz, um dem im Morgengrauen und upstate angesiedelten Finale als Katholik noch lebend entweichen zu dürfen – zu viele Opfer sind dem zeitweilig als „The Gravedigger“ Berüchtigten ehedem vor den Lauf geraten. Dabei sühnt Jimmy im Inneren bereits seit vielen Jahren. Vom Gewissen erdrückt, dem Sohn entfremdet und dem Suff verfallen, ist er seinen alten Kumpanen bestenfalls noch für schäbige Scherze gut und darf gerade noch volltrunken den Weihnachtsmann auf Shawns Familienfeier darbieten. Doch wehe, es wird persönlich (und das wird es) – Jimmy ist schneller nüchtern als die nächste Whiskeyflasche entkorkt und türmt im Nullkommanichts Leichen auf wie zu seinen besten Zeiten.
Collet-Serra inszeniert diesen doch relativ austauschbaren Plot dynamisch und wendungsreich; dabei gefällt er sich durch mäßig aufregende, um nicht zu konstatieren redundante Regiesperenzchen wie gewaltige time lapse shots durch das nächtliche New York, die dem eigentlichen Wesen des Narrativs als kammerspielartiger Doppelvendetta eher zuwider laufen. Dennoch bietet „Run All Night“ summa summarum noch immer genug an brauchbaren Elementen, um im leicht überdurchschnittlichen Qualitätssektor bestehen zu können.

7/10

BIRTH

„You’re just a little boy in my bathtub.“

Birth ~ USA/UK/D/F 2004
Directed By: Jonathan Glazer

Zehn Jahre nach dem Tod ihres geliebten Ehemanns Sean ist die Upper-Class-New-Yorkerin Anna (Nicole Kidman) zwar noch immer nicht gänzlich über den Verlust hinweggekommen, immerhin jedoch dazu bereit, eine neue Ehe mit dem sie umgarnenden Joseph (Danny Huston) einzugehen. Just zur Verlobungsfeier taucht wie aus dem Nichts ein kleiner Junge (Cameron Bright) auf, der sich nicht nur als Sean vorstellt, sondern zudem behauptet, Annas Ehemann zu sein und sie kurz darauf schriftlich anweist, Joseph nicht zu heiraten. Die nachhaltig verwirrte Frau reagiert zunächst erwartungsgemäß ungläubig, akzeptiert in den folgenden Tagen jedoch mehr uns mehr die Möglichkeit, dass das in seinen Aussagen und seinem Verhalten unbeirrbare Kind tatsächlich ihr vermeintlich toter Gatte sein könnte…

Witwe für zehn Jahre: was nicht sein darf, kann nicht sein, schon gar nicht, wenn moralisches Räsonnement und Gesellschaftsvertrag jedwede Toleranz verweigern. In „Birth“, Jonathan Glazers zweitem, wiederum sehr stilisiertem Kinofilm, bekommt eine unmögliche Liebe wider aller Aufrichtigkeit klare Grenzen gesetzt und hinterlässt zwei für immer gebrochene Herzen. Der eigentlich omnipräsente Terminus fällt dabei nur einmal im Film, ausgerechnet in Form einer despektierlichen Bemerkung von Nicole Kidmans Filmmutter Eleanor, gespielt von der großen Lauren Bacall: Ob „Mister Reinkarnation der Kuchen schmecke“, will sie wissen und subsummiert damit alles, was Annas zu Recht argwöhnischem Umfeld an der unbequemen Situation missfällt. Der neue Sean ist ein kleiner, zehnjähriger Junge, der die Grundschule besucht, die Pubertät noch vor sich hat und aus einem sehr bürgerlichen Elternhaus kommt. Dennoch kommuniziert und gibt er sich nicht nur wie ein Erwachsener, er weist auch klare Wesenszüge des Vertorbenen auf, dessen Tod Anna nie verwinden konnte. Nur ganz zögerlich hatte sie sich überhaupt vor sich selbst bereiterklärt, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, als alles wieder zerbricht. Schließlich schmiedet Anna gar Pläne, wie sich eine „realistische“ Beziehung mit dem kleinen Jungen gestalten könnte – durchbrennen will sie mit ihm und ihn heiraten, wenn er 21 sei. Doch nicht nur die Vernunft, auch schnöde Fakten torpedieren das unmögliche Himmelsschloss als sich herausstellt, dass der ursprüngliche Sean Anna nicht nur mit der Frau (Anne Heche) seines besten Freundes (Peter Stormare) betrogen hat (wie ein gehöriges Bündel entlarvender Briefe beweist), sondern dass Sean, das Kind, durch einen Zufall in den Besitz der entsprechenden Korrespondenz gelangt ist. Er könnte sich also alles nur ausgedacht und zurechtgelegt haben. Dieses Indiz genügt, um alles wieder in seine gesellschaftlich normativen Bahnen zu lenken. Anna bittet den brüskierten Joseph um Verzeihung, Sean kommt in psychologische Behandlung. Doch nichts wird gut, das Unglück tritt an die Stelle der letzten optionalen, aber eben gänzlich unprobaten Heilungsoption.
Glazer inszeniert diese auf den ersten Blick abjekt anmutende, buchstäbliche Post-Romanze mit allem gebotenen Feingefühl, indem er die Unmöglichkeit ihrer Ausprägung ebenso beleuchtet wie den niederschmetternden, persönlichen Effekt ebenjener Negation. Ein tieftrauriges Wintermärchen nebst einigen galligen Seitenhieben auf die New Yorker Bourgeoisie entstand dabei, dem nach einem Zeitsprung selbst der vermeintliche Wonnemonat mit seiner Hochzeit keine Heilung spenden kann.

8/10

SHIVA BABY

„This isn’t a party!“

Shiva Baby ~ USA/CA 2020
Directed By: Emma Seligman

Für die Studentin Danielle (Rachel Sennott) wird es ein vermaledeiter Tag: Nach einem Techtelmechtel mit ihrem deutlich älteren, dafür jedoch spendablem Liebhaber Max (Danny Deferrari) begleitet sie ihre Eltern (Polly Draper, Fred Malamed) zu einer Shiv’a, einer der jüdischen Beerdigung folgenden Trauerfeier im häuslichen Rahmen. Solche familiären Ereignisse kommen für Danielle stets einem Spießrutenlauf gleich; man mästet sich am kalorienreichen Buffet, wird über Beziehungsleben und Karrierepläne ausgefragt und lästert kreuz und quer über sämtliche Anwesende in wechselnden Konstellationen. Mit ihrer ebenfalls vor Ort befindlichen, langjährigen Freundin Maya (Molly Gordon) verbindet Danielle zudem noch eine ihrerseits mühevoll ignorierte, romantische Beziehung. Als dann auch noch Max nebst Gattin (Dianna Agron) und Baby auftaucht, avanciert der Leichenschmaus endgültig zum Albtraum für Danielle…

A damsel in distress: Emma Seligmans liebenswertes Debüt erzählt einen im Prinzip klassischen Coming-of-Age-Stoff in frischer Gewandung und ließe sich in etwa als eine Art feministisches, jiddisches Kammerspiel-Gegenstück zu Judd Apatows „The King Of Staten Island“ bezeichnen. Wie dessen Protagonist mag auch die wohlbehütet aufgewachsene, von ihren Eltern stets klein gehaltene Danielle sich nicht recht dem fügen, was alle Welt und allen voran die eigene Mischpoke von ihr erwartet. Kein Wunder, denn die entsprechenden Bilder sind von geradezu destruktiver Konventionalität, die so ziemlich allem widerspricht, was die kluge, junge Frau in ihrem Innersten wirklich umtreibt. Nicht nur, dass sie keinem erfolgs- oder vielmehr karriereorientierten Studiengang nachgeht, sondern „irgendwas mit Genderforschung“, derweil die in sämtlichen Belangen deutlich gefestigtere Maya im Rechtswesen Fuß fassen wird, ist sie auch noch auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität. Bi, lesbisch gar? Das weiß Danielle selbst nicht so recht, als „Sugar Baby“ (so der Name einer einschlägigen Dating-App) lässt sie sich für entsprechende Dienstleistungen jedenfalls regelmäßig von älteren Herren wie Max entlohnen; zu einer potenziell durchaus stabilen Beziehung mit Maya zu stehen, wäre ferner kaum im Sinne eherner traditioneller Werte.
Den daraus resultierenden Spießrutenlauf erzählt Emma Seligman binnen knapp achtzig Minuten und unter Konzentration auf einen Handlungsschauplatz als eine Art emotionales High Noon, als Konflikt zwischen innerer und äußerer Welt – von Scham- und Panikattacken gebeutelt versucht die arme Danielle, das beste aus ihrer sich zuspitzenden, misslichen Lage zu machen, die sich zusätzlich noch sukzessiv dadurch verschärft, dass manch unangenehme Wahrheit wegen ihrer eigenen Ungeschicklichkeit (sie lässt ihr Handy ungesperrt auf der Toilette liegen) ans Tageslicht kommt. Die daraus resultierende, glänzende Komik ist gleichermaßen Seligmans wunderbar scheinchaotischer (Dialog-)Dramaturgie wie Rachel Sennotts exzellenter Performance zuzuschreiben. In seinen schönsten Momenten erinnerte mich „Shiva Baby“ zudem an Altmans Meisterwerk „A Wedding“ – beileibe nicht die schlechteste Referenz.

8/10