THE GIFT

„Kids are mean.“ – „Kids are honest.“

The Gift ~ USA 2015
Directed By: Joel Edgerton

Das Ehepaar Simon (Jason Bateman) und Robyn Callem (Rebecca Hall) zieht von Chicago nach Los Angeles, wo Simon einen aufstiegsversprechenden Posten angetreten hat. Während die beiden dabei sind, das neue Haus einzurichten, treffen sie in der Mall auf Gordon Moseley (Joel Edgerton), einen alten Schulkameraden von Simon, an den dieser sich jedoch nicht unmittelbar erinnert. Von diesem Moment an heftet sich Gordon, genannt „Gordo“, immer dichter an das Ehepaar, hinterlässt Geschenke und besucht Robyn häufiger, wenn Simon auf der Arbeit ist. Diesem werden Gordos Aufdringlichkeiten bald zuviel und im Zuge eines etwas seltsam verlaufenden Besuch in dessen Haus macht Simon Gordo klar, dass er ihn und Robyn künftig in Ruhe lassen soll. Obschon Gordo in einem Brief versichert, dass er sich dieem Wunsch fügen wird, kommt es zu immer bedrohlicheren Ereignissen im Haus der Callems: Der Hund verschwindet für ein paar Tage spurlos, Robyn, die meint, einen Fremden im Haus zu sehen, erleidet einen mehrstündigen Blackout. Als sie schließlich schwanger wird – zum zweiten Mal, nachdem sie einst eine stressbedingte Fehlgeburt hatte -, und Simon befördert wird, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Eine Monate später stattfindende, zufällige Begegnung mit Gordo führt dazu, dass Robyn schließlich ihre eigenen Nachforschungen über dessen und Simons gemeinsame Vergangenheit anstellt. Diese offenbaren ihr vor allem eine Erkenntnis: Ihr Gatte ist nicht der Mann, den sie seit Jahren zu kennen glaubt…

Sein Langfilmdebüt als Autor und Regisseur konnte Joel Edgerton bei Blumhouse unterbringen, wobei „The Gift“ sich zumindest auf den ersten Blick durchaus konform in das genregeprägte Portfolio von Jason Blums Company eingliedert. In rein dramaturgischer Hinsicht arbeitet der Film nämlich zuvorderst mit zweierlei durchaus gängigen Suspense-Elementen: Der Evozierung einer von zunehmender Bedrohung geprägten Stalking-Atmosphäre sowie dem sorgsam vorbereiteten twist, der die vormals als halbwegs zuverlässig eingestufte Wahrnehmung der Rezipientenschaft mit der genüsslichen Weisheit der sich allmählich anbahnenden, eigentlich doch längst offensichtlichen Erkenntnis auf den Kopf stellt. Während mit Simon Callem und Gordo Moseley zwei männliche Antagonisten mit gemeinsamer, trüber Vergangenheit, die ganz genau um die sie unweigerlich aneinander schweißenden, lange zurückliegenden Ereignisse wissen, ihr heimliches Katz-und-Maus-Spiel entfesseln, ist man als ZuschauerIn auf die Perspektive der Protagonistin Robyn Callem angewiesen, einer von Rebecca Hall wie gewohnt als selbstbewusste, kluge und sympathische Person gespielten „Frau „woman with issues“. Denn auch diese gibt es, wie sich bald zeigt – Robyn litt vormals unter anscheinend paranoiden Episoden, die die Nutzung starker Beruhigungsmittel erforderten und wohl auch mitverantwortlich waren für den unfreiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Der Umzug nach Kalifornien soll demnach auch für sie eine biographische Zäsur mit sich führen – zumindest dürfte dies dem Traum ihres Ehemannes von einem makellosen Familienleben zupass kommen. Doch ist Simon eben nur vorgeblich selbst frei von charakterlichem Dunst. Ob er am Ende, als er, schicksalsbedingter wie moralisch ausgebooteter Verlierer und finale Projektionsfläche seiner Ränkespiele, alles verloren hat, zur große Selbsterkenntnis befähigt sein wird, bleibt fraglich. Wenn jedoch in jüngeren psychologisch gefärbten Medienessays von Narzissten, Sozio- oder Psychopathen und Gaslightern die Rede ist, dann ist zumindest die Publikums-„Analyse“ schnell bei der Hand: Um so einen (oder vielleicht alles auf einmal) handelt es sich auch bei Simon Callem, der zeitlebens rücksichtslos verbrannte Erde hinterlässt, weil er es eben kann.
Simons Demaskierung nun geht, mit Ausnahme des Verlusts von ein paar Koi-Karpfen, stets in halbwegs zivilisierten Bahnen vonstatten; selbst der putzige Haushund Mister Bojangles baumelt nicht wie zunächst befürchtet am Apfelbaum im Garten, sondern kommt einfach zurück. Moseley erweist sich als geschickt genug, seine frühere Nemesis mit den eigenen Waffen zu schlagen, ohne dabei selbst zum Kapitalverbrecher zu werden. Timing und suggestive Verunsicherung genügen. Damit ist „The Gift“ womöglich der cleanste Rachethriller der letzten zehn Jahre.

7/10

THE GUNMAN

„I just need to shoot something.“

The Gunman ~ USA/UK/E/F 2015
Directed By: Pierre Morel

Acht Jahre, nachdem der nunmehr reuige Ex-Söldner Jim Terrier (Sean Penn) im Auftrag einer diesbezüglich wohlorganisierten Firma einen kongolesischen Minister (Clive Curtis) erschossen hat und darüber nicht nur seine Freundin Annie (Jasmine Trinca) verlassen musste, sondern zugleich mitverantwortlich für die folgenden Bürgerkriegsunruhen im Land war, arbeitet er, erst seit Kurzem zurück vor Ort, als NGO-Brunnenbauer. Als er von einigen Männern, die ihn töten wollen, angegriffen wird, erweisen sich seine alten Talente als nach wie vor ausgeprägt. Dennoch reist er umgehend nach London, um Kontakt zu seinem früheren Mitarbeiter Cox (Mark Rylance), der mittlerweile eine international operierende Securityfirma leitet, aufzunehmen und nach möglichen Gründen für den Anschlag auf sein Leben zu suchen. Auch seinen alten Freund und Partner Stanley (Ray Winstone) holt er ins Boot. Nach einem Zusammenbruch, der als mögliches Symptom einer PTBS diagnostiziert wird, reist Terrier mit Stanley weiter nach Barcelona, wo sich mit Felix (Javier Bardem) ein weiterer Ex-Partner niedergelassen hat. Felix hat als Organisator seinerzeit dafür gesorgt, dass Terrier für die Mordmission an dem Minister zuständig war und daraufhin die sich verlassen wähnende Annie geheiratet. Diese ihrerseits ist über Terriers Auftauchen höchst überrascht und offenbart, dass sie ihn noch immer liebt. Als auch Felix ermordet wird, stellt sich heraus, dass Cox danach trachtet, sämtliche Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen, um sein aktualisiertes Renommee als seriöser Firmenboss nicht zu gefährden. Er tötet auch Stanley und lässt Annie kidnappen, was Terrier noch wütender macht…

Aussteigen gilt nicht: Es gibt tatsächlich nur einen einzigen Grund, warum ich überhaupt auf „The Gunman“ aufmerksam wurde, nämlich den, dass er auf Jean-Patrick Manchettes Roman „La Position Du Tireur Couché“ basiert, derselben Vorlage, die schon für das erst kürzlich geschaute Delon-Vehikel „Le Choc“ herangezogen wurde. Zudem habe ich Manchette erst jetzt als einen wichtigen Plotlieferanten für französische polars der siebziger und achtziger Jahre wahrgenommen. „The Gunman“ wäre demnach de facto eine filmische Neuauflage von „Le Choc“, allerdings, soviel sei gleich festzuhalten, mit einem überaus geringen Wiedererkennungswert. Bis auf wenige inhaltliche Elemente, vordringlich jene, dass der Protagonist denselben Nachnamen trägt, ein meisterhafter Profikiller ohne Interesse an der Weiterarbeit in seinem Leisten ist und von seinem früheren Chef partout nicht in Ruhe gelassen wird, handelt es sich um zwei grundverschiedene Filme. Immerhin firmiert „The Gunman“ ebenfalls als Stück, dass die Typologie seines Hauptdarstellers neu- respektive umzugestalten sucht. Der in späteren Jahren üblicherweise selbst als Filmemacher oder als Charakterdarsteller aktive, zum Drehzeitpunkt um vierundfünzigjährige Sean Penn tritt hier urplötzlich und dabei so selbstverständlich, als habe er überhaupt nie etwas anderes vorgelegt, als lupenreiner Actionheros in Erscheinung, dessen Physis in etwa so definiert daherkommt wie die von Sylvester Stallone in der „Rocky IV“-Phase und der, wohl selbst nicht ganz unbeeindruckt von seinem Trainingserfolg, den massigen Körper dann auch gleich mit inflationärer Quote ins Bild setzen lässt. Analog zu seinem gebuildeten Body prügelt und schießt er sich dann auch durch die Szenarien, wie es sich für einen Genrefilm dieser Zeit ziemt, wobei „The Gunman“ trotz mancher Avancen an den flott geschnittenen, farbintensiven Regiechic seiner Ära oder, in Bezug auf die Zurschaustellung luxuriös-mondäner Schauplätze und die an Bond-Filme angelehnte, touristikwerbeaffin inszenierte Städtetour durch Europa, seinen tief im Kern verankerten Achtzigergeist doch nie ganz verhehlen kann. Mark L. Lesters „Commando“ etwa kommt einem vor allem rückblickend unablässig in den Sinn, der Manchette bei näherer Betrachtung auch seinerseits eine ganze Menge verdankt. Sean Penn also in jener Form kommt natürlich nicht ganz umhin, der Tötungsmaschine by nature Terrier zusätzlich das charakterliche Klischeepathos des sühnevollen Junghumanisten anheim zu stellen, der zum schuldbewussten Entwicklungshelfer mutiert, was sich erwartungsgemäß selbst völlig ad absurdum führt. Die vormals bedeutungsvoll eingeführte PTBS-bedingte Amnesiegeschichte verfolgt die Dramaturgie ferner auch kaum sonderlich konsequent. Für Penn blieb es dann bei diesem solitären Genreausflug.
Als das, was er ist (und nicht ist), wohl ein ordentlicher Film mit einigen Schauwerten.

7/10

RUN ALL NIGHT

„Tell everyone to get ready. Jimmy’s coming.“

Run All Night ~ USA 2015
Directed By: Jaume Collet-Serra

Nachdem der irischstämmige New Yorker Jimmy Conlon (Liam Neeson) viele Jahre als Killer für seinen besten Freund, den Syndikatsboss Shawn Maguire (Ed Harris) gearbeitet hat, fristet er sein Leben als dauerbesoffener Schnorrer und Tagedieb. Sein Sohn Mike (Joel Kinnaman), verheiratet und Vater zweier Kinder, will von ihm nichts wissen. Shawn hat derweil seinerseits Probleme mit dem eigenen Filius Danny (Boyd Holbrook), einem koksenden, lauten Störenfried, der seinen Vater gern in Geschäfte mit der albanischen Heroinmafia einspannen würde. Als dieser ablehnt und Danny jede weitere Hilfe versagt, erschießt dieser die beiden entsandten Albaner (Radivoje Bukvic, Tony Naumovski) kurzerhand, wird dabei jedoch durch einen dummen Zufall von deren Chauffeur, Mike Conlon, beobachtet. Nunmehr macht Danny Jagd auf Mike. Jimmy erfährt von der Sache und rettet Mike das Leben, indem er Danny tötet. Der vor Wut schäumende Maguire Senior vergisst alle Freundschaft und will weder Vater noch Sohn Conlon lebend davon kommen lassen. Ihn und seine Leute, einen übereifrigen Police Detective (Vincent D’Onofrio) und einen psychopathischen Profikiller (Common) auf den Fersen, erwartet die Conlons eine lange Nacht.

Einen der kaum mehr überschaubar vielen Genrefilme, auf die sich Liam Neeson im Alter und wohl beginnend mit Pierre Morels „Taken“ verlegt hat. Auch gemeinsam mit dessen Regisseur, dem spanischstämmigen Jaume Collet-Serra, hat Neeson nunmehr bereits vier Filme gemacht, wobei ich „Run All Night“ immerhin hinreichend ansehnlich fand, mir die übrigen drei in Kürze auch anschauen zu wollen. Nun darf man von diesem, einem grundsätzlich amttlich gecrafteten Gebrauchsfilm immerhin, keine sonderliche Innovation erwarten. Collet-Serras diverse neo-klassische Elemente aus Action- und Gangsterkino fusionierendes Werk schippert auf den ersten Blick im direkten Fahrwasser von Chad Stahelskis „John Wick“: Ein verzogener Gangsterfilius weckt durch sein koksinduziertes, egomanisches Verhalten einen eigentlich zu allseitiger Milieuberuhigung lange schlafenden Hund, der sein vormaliges Handwerk reumütig an den Nagel gehängt glaubt. Der aufgrund fehlgeleiteter Familienehre gekränkte Bossvater entfesselt daraufhin eine leichenreiche Hatz, deren Verlierer am Ende zwangsläufig er selbst und seine Organisation sein müssen, da die sie mitreißende Ein-Mann-Naturgewalt allzu entschlossen agiert. Soweit das Grundprinzip eben auch von „Run All Night“, der insofern noch interessant ist, als dass er sich ein wenig in die Subkultur irischen Migrantentums vortastet und mit Ed Harris einen diesbezüglich ja hinlänglich beschlagenen Antagonisten aufbietet. So ist es vor allem das Väterduell der beiden alternden Stars, das das Herz das Films schlagen lässt. Davon unabhängig, dass der eine der beiden, zumindest bezogen auf ihren gegenwärtigen Clinch, auf der moralisch sicheren Seite steht, hat Jimmy Conlon freilich allzu viele Sünden auf dem Kerbholz, um dem im Morgengrauen und upstate angesiedelten Finale als Katholik noch lebend entweichen zu dürfen – zu viele Opfer sind dem zeitweilig als „The Gravedigger“ Berüchtigten ehedem vor den Lauf geraten. Dabei sühnt Jimmy im Inneren bereits seit vielen Jahren. Vom Gewissen erdrückt, dem Sohn entfremdet und dem Suff verfallen, ist er seinen alten Kumpanen bestenfalls noch für schäbige Scherze gut und darf gerade noch volltrunken den Weihnachtsmann auf Shawns Familienfeier darbieten. Doch wehe, es wird persönlich (und das wird es) – Jimmy ist schneller nüchtern als die nächste Whiskeyflasche entkorkt und türmt im Nullkommanichts Leichen auf wie zu seinen besten Zeiten.
Collet-Serra inszeniert diesen doch relativ austauschbaren Plot dynamisch und wendungsreich; dabei gefällt er sich durch mäßig aufregende, um nicht zu konstatieren redundante Regiesperenzchen wie gewaltige time lapse shots durch das nächtliche New York, die dem eigentlichen Wesen des Narrativs als kammerspielartiger Doppelvendetta eher zuwider laufen. Dennoch bietet „Run All Night“ summa summarum noch immer genug an brauchbaren Elementen, um im leicht überdurchschnittlichen Qualitätssektor bestehen zu können.

7/10

BITE

„People always get sick after vacations.“

Bite ~ CAN 2015
Directed By: Chad Archibald

Vielleicht war der kleine Junggesellinnen-Abschiedstrip nach Costa Rica doch nicht die beste Idee: Nicht nur, dass die designierte Braut Casey (Elma Begovic) sich jetzt gar nicht mehr sicher ist, dass sie ihren Künftigen Jared (Jordan Gray) überhaupt heiraten will, gab es im Urlaub noch ein alkoholinduziertes Techtelmechtel, an das sich Casey kaum erinnert und bei dem ihr Verlobungsring verlustig ging. Und dann ist da noch dieser entzündete Biss am rechten Oberschenkel von einem seltsamen, exotischen Sumpfinsekt. Dieser sorgt dafür, dass es Casey wieder daheim bald rapide schlechter geht. Ihre Wohnung verwandelt sich in eine riesige, matschige Bruthöhle und bald gibt es neben unerfreulich verlaufenden Besuchen von Caseys Freundinnen auch noch ungewöhnlichen Nachwuchs…

Ein kleiner, im Großen und Ganzen zu vernachlässigender, weil eher dümmlicher Transformationshorrorfilm, der sich mehr denn großzügig bei Cronenbergs „The Fly“-Variation bedient, ohne auch nur zu einer Sekunde dessen Geist oder bestürzende Konsequenz zu erreichen. Tatsächlich scheint der wohl des Öfteren im günstigen Gattungsfach umtriebige Regisseur Chad Archibald recht genau um die weitgehende Unzulänglichkeit seines Plagiats zu ahnen und macht daher alles gleich a priori drei bis fünf Nummern kleiner als das ohnehin unerreichbare Vorbild. Wenngleich die arme Casey, deren Metamorphose zum frauhohen Semiinsekt wir nach einem planlos-ordinären Embedded-filming-Auftakt bezeugen dürfen, sich also noch nichtmal reif für die Ehe fühlt, muss sie also stattdessen gleich eine Mutterrolle übernehmen. Jene entwickelt sich nun dergestalt, dass aus dem Biss am Bein bald eine unappetitliche, eiternde Wucherung wird. Auf die eigentlich doch naheliegende Idee, eine Krankenhaus-Ambulanz aufzusuchen, kommt die liebe Casey, so lange es noch Zeit wäre, nicht etwa; stattdessen holt sie sich lieber eine telefonische Ferndiagnose ein, geht in die Wanne und macht darin längere Nickerchen ohne zu ertrinken. Feste Nahrung geht bald nicht mehr, der Hund vom Nachbarn mag nicht länger mit ihr Gassi gehen. Dafür schimmelt bald die allzu aufdringliche Schwiergermutter in spe im Bad vor sich hin. Schließlich wird mächtig abgelaicht und das ganze pseudoschick eingerichtete Bachelorettenappartment avanciert analog zu seiner Bewohnerin zu einem überdimensionalen Insektennest. Alles gewiss fies und gut soweit, nur dass die unweigerliche Genretradition standesgemäß nach Opfern verlangt und das – von Archibald cogepinnte – Script diese im überaus selbstbewussten Stil einer dümmlichen Teenie-Soap verwurstet, von den ziemlich unbegüterten DarstellerInnen ganz zu schweigen. Mit einmaliger Beschau ist es hier, sofern das überhaupt sein muss, also völlig getan, zumal die prekäre deutsche Synchronfassung absolut nichts retten kann, im Gegenteil.
Eine amüsante kleine Randnotiz des Absonderlichen: binnen fünf Wochen war dies bereits der dritte Film, in dem ein junger Mann mit fiesen Untierchen schwanger gehen und diese gebären muss – ohne die geringste bewusst intendierte Planung meinerseits. Vielleicht deutet dies auf eine überfällige Revision von „Seitenstechen“ und/ oder „Junior“ hin…

4/10

THE LOBSTER

„It’s no coincidence that the targets are shaped like single people and not couples.“

The Lobster ~ IE/UK/GR/F/NL/USA 2015
Directed By: Yorgos Lanthimos

Der etwas bieder anmutende, kurzsichtige David (Colin Farrell) wird von seiner Frau (Rosanna Hoult) wegen eines anderen verlassen. Das bedeutet, er muss unverzüglich in ein am Meer befindliches Hotel voller SchicksalgenossInnen ziehen, wo ihm wie den übrigen Gästen 45 Tage Zeit bleiben, eine neue Partnerin zu finden, die ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal mit ihm teilt. Gelingt dies nicht, wird David in ein Tier seiner Wahl verwandelt, einen Hummer, und nur in dieser Form der Freiheit zurücküberantwortet. Die Gäste können sich allerdings zusätzliche Aufenthaltstage erkaufen, indem sie bei unregelmäßig stattfindenden Jagden rund um das Hotel Einzelgänger fangen, die dort leben. Dafür erhält jeder Gast ein Betäubungsgewehr mit Pfeilen. Eine verbitterte, als „herzlos“ geltende Frau (Angeliki Papoulia) etwa verzichtet bereitwillig auf optionale Liebeleien und hält stattdessen den Rekord im Singlejagen. So verlängert sich ihr Aufenthalt Tag um Tag. Ausgerechnet sie kürt David zur vermeintlichen Herzdame, indem er sich ebenso gefühlsbar gibt wie sie. Doch sein Plan misslingt und David ist gezwungen, sich als Outlaw im Wald zu den Einzelgängern unter der Führung einer gehässigen Dame (Léa Seydoux) zu gesellen. Unter den Singles, die als gesellschaftliche Outlaws leben, gelten ähnlich strenge Regeln wie im Hotel: wer flirtet oder Zärtlichkeiten austauscht, wird drakonisch bestraft. Als David sich in eine ebenfalls kurzsichtige Einzelgängerin (Rachel Weisz) verliebt, steht er somit vor dem nächsten Problem…

Und weiter im Kosmos des mir immer wundersamer anmutenden Yorgos Lanthimos, nach dem herrlichen „Kynodontas“ und in (sich demnächst aufhebender) Ermangelung des zwischenzeitlich entstandenen „Alpeis“.
„The Lobster“ ist Lanthimos erster von bis dato drei anglophonen Filmen, für den ihm sogleich eine mehr denn ansehnliche, internationale Besetzung zur Seite eilte. An der irischen Ostküste gefilmt, entwirft „The Lobster“ das wiederum dystopische Bild einer unsrigen sehr stark ähnelnden Parallelwelt, die sich jedoch durch ein wesentliches Merkmal unterscheidet: Wer hier keine/n LebenspartnerIn vorweisen kann, wird auf produktive Weise entsorgt. Anders als in klassischen, zumeist ernster konnotierten SciFi-Szenarien, in denen Überalterung, Übervölkerung, emotionale Freigiebigkeit oder sonstige systemische Insubordination zumeist ohne Federlesens mit dem Tode bestraft werden, darf die oder der Unangepasste hier weiterleben, indem er künftig in freigewählter Form die Wildfauna des Planeten bereichert.
Dass sich David für den Hummer entscheidet, hat zuvorderst praktische Gründe: Hummer leben im Meer, sie besitzen blaues Blut wie Aristokraten und – überaus praktisch – eine harte Schale. Innerhalb des recht eng befristeten Zeitrahmens wen Neues zu finden, ist nicht einfach, zumal als Grundbedingung nicht nur eine besondere Gemeinsamkeit herhalten muss, sondern die neu sprießende Liebe zudem am Anfang penibel überwacht wird. So schummelt sich manche/r durch die Regularien, verharrt in determinierter Resignation oder wählt gleich den Sprung aus dem dritten Stock. Was David anbelangt, so verläuft sein weiteres Schicksal in umgekehrter Relation zu seinem gleichmütigen Charakter. Als dann nämlich doch noch die wahre Liebe zuschlägt, erweist sich auch das als Widernis gegen die mittlerweile veränderten Umstände – in der Welt von „The Lobster“ sind Aufrichtigkeit und Erwartungshaltung nur sehr selten passgenau.
Trotz seines bleiernen Dystopismus‘ und der stillen Gräulichkeit der äußeren Bedingungen transportiert Lanthimos einen bezaubernd verqueren, manchmal gar aufreizend albernen Humor, der ihn in die unmittelbare Genealogie der großen melancholischen Komödienfilmer mit Hang zu erwachsenenmärchenhaften Skurrilitäten von Woody Allen über Wes Anderson, Spike Jonze, Michel Gondry und Charlie Kaufman setzt.
Formidabel, more to follow.

9/10

HE NEVER DIED

„How old are you?“ – „I have no idea. But I’m in the Bible if that means anything.“

He Never Died ~ CAN 2015
Directed By: Jason Krawczyk

Jack (Henry Rollins) ist auf den ersten Blick ein komischer Vogel. Er schläft die meiste Zeit einsam in seinem kargen Appartement, geht jedoch regelmäßig zum Bingo, in die Kirche und in ein Schnellrestaurant. Als seine jungerwachsene Tochter (Jordan Todosey) auftritt, gerät Jacks alltägliche Routine in Unordnung. Zwei für den Nachtclubbesitzer Alex (Steven Ogg) arbeitende Ganoven (David Richmond-Peck, James Cade) machen ihm das Leben schwer, schließlich wird Andrea entführt. Jack gibt seinem lange verdrängten Appetit auf menschliches Blut und Fleisch nach und macht sich daran, seine Tochter zu befreien. Die in Jack verliebte Kellnerin Cara (Kate Greenhouse) erfährt schließlich die Wahrheit über den mysteriösen Mann…

Ein in kleinem Maßstab produzierter Fantasy-/Horror-Film, der meine ursprüngliche Aufmerksamkeit eigentlich bloß wegen der Beteiligung Henry Rollins‘ auf sich gezogen hat. Seine popkulturellen Einflüsse bezieht er aus Geschichten der Comicautoren Neil Gaiman oder Garth Ennis, dessen „Constantine“-Strecke oder „Preacher“-Reihe unverkennbar eminente Teile der kreativen Schirmherrschaft stellten.
„He Never Died“ ist summa summarum bestimmt nicht gänzlich misslungen, verschenkt aber nach meinem Dafürhalten auch Manches seines basalen Potenzials, indem er beispielsweise häufig einer recht unzweideutig erkennbaren Lynchophilie stattgibt und folglich grundsätzlich interessante und/oder spannende Erklärungsansätze verschwommen lässt, respektive in seiner Mystery-Soße ertränkt.
Ich hätte ja gern mehr erfahren über die Figur des Jack, also jenseits der relativ spärlich dargelegten Anhaltspunkte. Die gelieferten Information zu ihm und über ihn nehmen sich nämlich etwas ungleichmäßig verquirlt bis diffus aus; offenbar ist Jack ein (gefallener?) Engel (dafür sprechen die beiden fraglos von Flügeln stammenden Narben auf seinem Rücken) jedoch nicht der erste Gefallene, also Luzifer Morgenstern selbst – für diesen scheint eher der Jack Angst einflößende, spitzbärtige Mann (Don Francks) aus seinen Visionen zu stehen. Jack ist zudem offenbar uralt, im wahrsten Wortsinne alttestamentarisch alt, denn er eröffnet der verdutzten Cara, dass er als „Kain“ (bzw „Cain“) in der Bibel auftauche. Vielleicht ist er somit der allererste Mordsünder. Zudem verspeist er mit Vorliebe Menschenfleisch und ist auf menschliches Blut angewiesen – zwei rauschhafte Gelüste, die er im Laufe der Äonen zu domestizieren gelernt hat und nur zu „speziellen“ Zwecken wieder entfesselt. Jack ist also auch ein Vampir – möglicherweise der Urvater aller Vampire gar, gestraft wegen seiner Ursünde? Nun findet sich dieser grundsätzlich gewiss hübsche, mythologische Ansatz auf oberflächliche Weise mit einer ziemlich ordinären Gangster- und Kidnapping-Geschichte vermengt, die ein paar zurückhaltende Splatter-Sequenzen vorschützt, sich ansonsten aber überschaubar gestaltet. Am Ende hatte ich das Gefühl, einem seltsam unfertigen Rohgerüst von Film beigewohnt zu haben, dem es eigentlich noch an der einen oder anderen entscheidenden Ingredienz mangelt. Ob sich jener Eindruck auf die preisgünstige Budgetierung oder das nachlässig ausgearbeitete Script zurückführen lässt, weiß ich allerdings nicht recht zu sagen.

5/10

THE VISIT

„I never liked you anyway.“

The Visit ~ USA 2015
Directed By: M. Night Shyamalan

Damit die gebeutelte Mama (Kathryn Hahn) einmal bei einer Kreuzfahrt entspannen kann, entschließen sich ihre beiden Kids, die Teenager Becca (Olivia De Jonge) und Tyler (Ed Oxenbould), eine Woche lang ihre Großeltern in der Provinz zu besuchen, die sie Zeit ihres Lebens noch nie gesehen haben. Becca, eine Hobbyfilmerin, die zudem das schwierige Verhältnis ihrer Mom zu ihren Großeltern psychologisch aufdröseln möchte, hält den Trip dokumentarisch mit ihrer Kamera fest. Bei Oma (Deanna Dunagan) und Opa (Peter McRobbie) angekommen, scheinen das alte Paar zunächst sehr putzig und nett zu sein, dann jedoch entdecken die Kinder nach und nach immer mehr sonderbare Verhaltensweisen bei den beiden, die ihnen den Aufenthalt zunehmend unangenehm gestalten…

Spätestens wenn die „Großmutter“ Becca zum ersten Mal bittet, komplett in den riesigen Küchenofen zu krabbeln, um ihn zu säubern, wird klar, woher M. Night Shyamalan die wesentliche Inspiration für sein vielerseits als „Comeback-Werk“ erachtetes, düsterhumoriges Werk bezog: „Hänsel und Gretel“ stand eindeutig Pate für „The Visit“, wenngleich die böse Prämisse der Originalgeschichte, in der die Kinder aus wirtschaftlichen Gründen im Wald ausgesetzt werden, um zu verhungern, hier einem in soziologischer Hinsicht sehr viel moderateren Kontext weichen durfte. Zudem wird aus der kannibalisch veranlagten Hexe ein psychopathisches Substitutspärchen, das sein wahres Gesicht erst im Zuge des typisch shyamaln’schen twist zum Ende hin offenbart und den Kindern gleich im Doppelpack zu schaffen macht. Dazwischen ist allerlei Zeit für ein paar fiese, geschmacksunsichere Gags um einen Jahjresvorrat vollgeschissener Inkontinenzwindeln und einer blitzschnell unter der Veranda umherkrabbelnden „Nana“. Dennoch, und auch das ist ein stetes Werksmerkmal des Regisseurs, hält sich „The Visit“ in punkto allzu graphischer Ausprägung seiner in einen ziemlich handfesten Showdown mündenden Inszenierung zurück. Recht interessant ist ferner, wie Shyamalan, der ja ebenso traditionell mit langen, bisweilen aufreizend lakonisch wirkenden Einstellungen eine bildinhärente Dynamik zu erzeugen weiß, dass Konzept des embedded filming handhabt. Denn obwohl wir alles durch das subjektive Auge von Beccas Kamera sehen, fällt der Regisseur nie der Versuchung anheim, sich durch Hektik oder Unübersichtlichkeit aus der stoischen Ruhe bringen zu lassen. Insofern bietet „The Visit“ auch einen durchaus als innovativ zu bezeichnenden Beitrag zu jener ja längst etablierten, formalen Spielart.

7/10

FEBRUARY

„You had your chance.“

February (Die Tochter des Teufels) ~ USA/CA 2015
Directed By: Oz Perkins

Für die Schülerinnen des katholischen Bramford-Mädcheninternats stehen im winterlichen Februar heimische Kurzferien auf dem Programm. Die etwas sonderliche Kat (Kiernan Shipka) hat unmittelbar zuvor eine nächtliche Vision von einem tödlichen Autounfall ihrer Eltern und ist sich somit sicher, dass diese sie nicht werden abholen können. Die deutlich selbstbewusstere und erwachsenere Rose (Lucy Boynton) hat indes einen ganz anderen Anlass, ihren Aufenthalt in Bramford zu verlängern – sie glaubt nämlich, sie sei schwanger und will ihren Lover (Peter Gray) mit den bad news konfrontieren. Zusammen mit zwei Nonnen (Elana Kausz, Heather Tod Mitchell) sind die beiden Mädchen ganz allein in Bramford und Kat verhält sich zunehmend seltsam. Derweil nimmt das offenbar nicht ganz glückliche Ehepaar Bill (James Remar) und Linda (Lauren Holly) eine junge, schweigsame Tramperin (Emma Roberts), die sich als Joan vorstellt, mit. Bills und Lindas Ziel ist Bramford…

Auch bei „February“, der ursprünglich den weitaus passenderen, wenngleich deutlich mysteriöseren Titel „The Blackcoat’s Daughter“ trug, wird wieder ausgiebig wild mit Narration und Dramaturgie umgesprungen und von Oz Perkins, der sowohl für die Regie als auch das Buch verantwortlich ist, penibel darauf geachtet, bloß kein Gramm Fett zuviel anzusetzen, oder besser gesagt: Kein Wörtchen mehr denn nötig zu verlieren. Zwei Handlungsstränge, die sich später als auf den Tag exakt neun Jahre auseinander liegende Zeitebenen entpuppen, entspinnt Perkins mehr oder weniger parallel, doch erst nach und nach offenbaren sich die direkten Zusammenhänge zwischen den zuvor fälschlich parallel stattfindend gewähnten Ebenen. Tatsächlich entpuppt sich die seltsame „Joan“ schließlich als um neun Jahre gealterte Kat, die, damals offenbar besessen von einem Dämon (ob dies zutrifft oder Kat/Joan lediglich eine psychotische Mörderin ist, bleibt bis zum Ende offen, obschon letztere Variante mir sinniger erscheint), in Bramford mehrere Morde, darunter den an Rose, begangen und ihre Opfer enthauptet hat, dann von dem Schulgeistlichen (Greg Ellwand) exorziert wurde und eben neun Jahre später aus der psychiatrischen Obhut flieht, um nach Bramford zurückzukehren und dort wieder ihrem früheren Herrn und Meister (dem sie noch immer nicht abgeschworen hat und den sie im häuslichen Heizofen vermutet) zu huldigen. Als sie feststellt, dass Bill und Linda die nach wie vor trauernden Eltern der von ihr damals ermordeten Rose sind, betrachtet sie es als ihre Mission, auch diesen die Köpfe abzuschneiden. Gesagt, getan, doch der Dämon zeigt sich nicht – oder Kats Therapie war zumindest in Teilen erfolgreich.
Der Überbau der Story wäre somit, ganz im Kontrast zu Perkins‘ Präsentation, recht simpel, lässt sich in vier Sätzen umreißen und entspricht in punkto Komplexität einer nostalgischen Lagerfeuergeschichte, nur ohne rechte Pointe. Dass „February“ sich dennoch ganz ordentlich ausnimmt, liegt an seiner verschachtelten, das Interesse des Zuschauers permanent wachhaltenden Struktur, die eben sehr viel weniger konventionell daherkommt als das, wonach der Grundplot prinzipiell verlangte. Besonders gefallen hat mir, James Remar und Lauren Holly fast genau dreißig Jahre nach „Band Of The Hand“ nochmal vereint bewundern zu dürfen. Die zur Detailfreude geradezu einladenden Mord- und Köpfungsszenen hätten indes durchaus expliziter sein dürfen. Da war mir Pekins‘ innere Schere schlicht zu autoritär.

7/10

REGRESSION

„I am starting to use my head again.“

Regression ~ E/CAN 2015
Directed By: Alejandro Amenábar

Ländliches Minnesota, 1990. Detective Bruce Kenner (Ethan Hawke) soll im Falle Gray ermitteln, in dessen Zuge der religiös verbrämte Vater John Gray (David Dencik) offenbar seine Tochter Angela (Emma Watson) sexuell missbraucht haben soll, sich an die Tat jedoch nicht mehr erinnern kann. Mithilfe des Psychologen Kenneth Raines (David Thewlis) will Kenner den Ereignissen auf die Spur gehen: Täuscht Gray seine Amnesie nur vor oder haben die zugrunde liegenden Geschnisse sich womöglich ganz anders zugetragen? Kenner, der von zunehmend bizarren Albträumen heimgesucht wird und sich von merkwürdigen Gestalten verfolgt sieht, beginnt bald an die Theorie eines Satanskults zu glauben, dessen Opfer Angela wurde…

Viel Rauch um Nichts in diesem doch recht enttäuschenden Pseudo-Horror- und Familiendrama des Spaniers Alejandro Amenábar, dessen Erste-Klasse-Spukhausfilm „The Others“ damit weiterhin seinen Status des unangefochtenen Schaffensjuwels in seiner Regisseurskrone präserviert. Diese Geschichten, in denen ein vermeintlicher Unschuldsengel treudoofe Ermittler, seien es Polizisten, Anwälte oder sonstwie naive Naturen, an der Nase herumführt bis zum bitteren Ende der Erkenntnis, die kennt man. Zumeist haben diese ganz speziellen Mimen der Innozenz aber ja ihre ureigenen Gründe, die weltlichen Vertreter von Recht und Gesetz an der Nase herumzuführen und diese sind dann auch nicht immer ganz unverständlicher Natur. Die aparte Emma Thompson verfügt in „Regression“ selbst über einen solchen; sie ist als nicht ganz unverdorbenes Früchtchen nämlich schlichtweg der einengenden Schranken ihres kleinbürgerlichen Landeierdaseins überdrüssig, das aus biederem Spießertum, Vorhaltungen, Unterdrückung und anderem Althergebrachten besteht. Den früheren Unfalltod ihrer Mutter lastet sie nämlich ebenfalls den Umständen an und selbst so enden will sie verständlicherweise nicht. Eine kurzerhand aus dem Hut gezauberte Missbrauchsstory, so die zwingende Logik, könnte da bald schon für einseitige Erleichterung zu sorgen und die gute Angela soll Recht behalten.
Tatsächlich gab es in den Achtzigern und Frühneunzigern eine ganze Kette von angeblichen Vergewaltigungen von Schutzbefohlenen, deren Angeklagte sich im Nachhinein oftmals wahlweise als völlig unschuldig erwiesen oder die zum Opfer  komplett tendenziöser Verhandlungsführung wurden, so etwa im Falle des berüchtigten Oak Hill satanic ritual abuse trial, in dessen Zuge das texanische Ehepaar Keller 1991 wegen satanistisch motivierten Kindesmissbrauchs zu jeweils 48 Jahren Haft verurteilt wurde. Erst im November 2013 kamen sie aufgrund möglicher Verfahrensfehler frei und wurden im Sommer letzten Jahres nach hinreichender Aufarbeitung der tatsächlichen Ereignisse, die vor vor allem Resultate einer abstruse Formen annehmenden Massenhysterie der beteiligten Ankläger widerspiegelten, endgültig für unschuldig erklärt.
„Regression“ macht sich ein paar Fakten dieses und anderer Fälle zunutze, entwickelt jedoch bei Weitem nicht die Tragweite, derer dieses kaum fassbare Sujet eigentlich bedürfte. Eine wirklich ordentliche Aufbereitung der tatsächlichen Ereignisse in Filmform steht weiterhin aus, aber stattdessen begnügt man sich lieber mit seicht Angesetztem wie dem hier oder verwurstet gleich angeblich authentische Fälle von Dämonenaustreibungen irgendwo in hillbilly country.

4/10

SUBURRA

Zitat entfällt.

Suburra ~ I/F 2015
Directed By: Stefano Sollima

Der multimillionenschwere Plan des alternden Mafiachefs Samurai (Claudio Amendola), die unterschiedlichen römischen Clans in ruhiger Gelassenheit zu vereinen und mit deren allseitiger Unterstützung, respektive der korrupter Lokalpolitiker ein gigantisches Spielerparadies bei Ostia zu errichten, erlebt sein großes Scheitern. Allzu viele Ungelegenheiten und hitzköpfige Nachwuchsgangster sorgen stattdessen für ein großes Blutbad, an dessen Ende nichts mehr wartet denn die Hölle selbst.

Vin „Sieben Tage(n) bis zur Apokalypse“ kündet „Suburra“ vom Sohnemann des dritten großen Sergio des italienischen Kinos, Sollima nämlich. Sieben Tage, die der ausufernden Geschichte zudem einen formschönen Rahmen verabreichen, in dem er sich fast zweieinhalb Stunden bequemer Erzählzeit nimmt für die sorgfältige Charakterisierung diverser inhaltlich Beteiligter, was wiederum ein umfassendes Ensemble-Fresko ermöglicht. In jenem finden von dem versauten, drogenkonsumierenden Parlamentarier (Filippo Malgradi), über die angsterfüllte Hure (Giulia Gorietti), den erschütterten Kardinal (Jean-Hugues Anglade), den unschuldig hineingezogenen Schuldnersohn (Elio Germano) und den asozialen, cholerischen Patriarchen einer Zigeunerfamilie (Adamo Dionisi) bis hin zu dem von Drogen und neuem Gangsterchic korrumpierten Mafioso-Erben (Alessandro Borghi) eine Vielzahl von Protagonisten Raum, deren Schicksale durch ein komplex entworfenes Beziehungsgeflecht allesamt miteinander verwoben sind. Allianzen und Konfrontationen, vor allem jedoch das sich bis zum großen, finalen Rundumschlag zuspitzende Spannungsfeld der unterschiedlichen aufeinander prallenden Motivlagen ergibt ein drahtiges Gangsterepos, das seinen klassischen Vorbildern mühelos das Wasser reichen kann. Ganz schön auch, dass Sollima sich mit der dramaturgisch eigentlich naheliegenden, rein moralisch betrachtet jedoch ungerechten Vergabe von Sympathieboni für die eine oder andere Figur zurückhält – irgendwann stellt jede/r der Involvierten im Kampf ums persönliche Überleben oder aus schierer Angst heraus höchst unangenehme Eigenschaften vor. Es wird allerseits gelogen, bestochen, verraten, erpresst, hintergangen, gekidnappt, gefoltert, gemordet, was das Zeug hält. Keine Spur mehr von den altehrwürdigen Ehrenkodexen von Camorra und Cosa Nostra. Heuer regieren nur mehr die Stärke des Kokains und der zuckende Finger am Abzug. Dass Stefano Sollima justament damit beschäftigt ist, „Soldado“, die Fortsetzung zu „Sicario“, fertigzustellen, erscheint angesichts der Qualitäten von „Suburra“ als ebenso folgerichtige wie hocherfreuliche Fügung.

8/10