POPCORN UND PAPRIKA

„Iih, der riecht nach Alkohol!“

Popcorn und Paprika ~ BRD/HU 1984
Directed By: Sándor Szalkay

Im Sinne ost-westlicher Verständigung reist Schwimmtrainer Sigi (Siegfried Rauch) mit seiner Nachwuchs-Equipe nach Budapest, um sich dort gemeinsam mit dem ungarischen Team unter Trainerin Teri (Cecília Esztergályos) für die kommenden Meisterschaften vorzubereiten. Unter Sigis Stars befindet sich auch sein Sohnemann Peter (Jonny Jürgens). Alte Wunden brechen auf, als die lustige Truppe in ihrem Hotel ankommt: Sigi hat, als er zum letzten Mal vor 19 Jahren hier war, eine uneheliche Tochter gezeugt, von der er nichts weiß, außer, dass sie existiert. Als Peter davon hört, wird ihm bang: Könnte die schnieke Piroschka (Gabi Fon), Tochter des ungarischen Mannschaftsmanagers (Péter Haumann), in die er sich bodenlos verknallt hat, möglicherweise seine Halbschwester sein?

Weder nach Ibiza noch zum Wörthersee oder gar an den Kilimandscharo – nein, straight hinter den Eisernen Vorhang führte das Lisa-Publikum „Popcorn und Paprika“ (Titelsong von Gerhard Heinz: „Popcorn And Paprica“) mit dieser deutsch-ungarischen Coproduktion. Nicht nur im Sport, sondern auch in der Filmproduktion standen die Zeichen nunmehr also auf Entspannung, wobei Produzent Franz Antel und Kalli Spiehs sogar einen einheimischen Regisseur akzeptierten. Dass der Film politische Brisanzen auflöst, mag man ihm nun nicht eben unterstellen, eher vielleicht die rudimentäre Lebensweise „Titten statt Krieg“. Denn natürlich gehören zu einer Lisa-Produktion dieser Jahre diverse Besuche der Kamera in Damenduschen, Mädchenschlafsälen, Saunen oder was sonst noch als Alibikulisse für Entblätterungen taugt. Die Gags bemühen sich häufig, zu zünden, tun’s aber garantiert nicht, ebensowenig wie die etwas pikante Verwechslungsgeschichte, die natürlich ebenfalls ein unbedingtes Lisa-Obligatorium darstellt. Auch sonst hebt sich „Popcorn und Paprika“ nicht wesentlich von den anderen Werken seiner lustigen Provenienz ab. Gut, mit Siegfried Rauch und „Frau Wirtin“ Teri Torday als dessen gehörnter Gattin, die ihre berechtigte Eifersucht mal eben kurz mit ein paar Baracks wegtherapiert, gibt es vor der Kamera passables (wenngleich etwas unlustiges) Traditionspersonal. Ferner traten die beiden Udo-Kinder Jonny und Jenny (die sich am Ende natürlich als die „gesuchten“ Halbgeschwister entpuppen) hier einmalig zusammen an, wobei sich Jonny und der bebrillte, stets als nerdiger Trottel in Nöten besetzte Alexander Gittinger nach „Sunshine Reggae auf Ibiza“ nochmals in punkto darstellerisches Unvermögen gegenseitig das Wasser (sic!) abgraben dürfen. Am Thron dieses einsamen Highlights des grotesken Nachkriegskinos vermag „Popcorn und Paprika selbstredend nicht zu kratzen, dafür mangelt es ihm an, sagen wir, der notwendigen anarchischen Potenz. Dennoch: Lisa zwischen 75 und 88 bleibt, auch, wegen und trotz Filmen wie diesem, ein eminentes, prezioses Kapitel bundesdeutscher Kinotiefkultur.

5/10

STRATEGIC AIR COMMAND

„I have to do my duty.“

Strategic Air Command (In geheimer Kommandosache) ~ USA 1955
Directed By: Anthony Mann

Trotz frischer Heirat, gemeinsamen Hausbezugs mit Gattin Sally (June Allyson) und einer vielversprechenden Zukunft im Profi-Baseball lässt sich der Air-Force-Veteran Colonel Robert „Dutch“ Holland (James Stewart) mit insgeheimem Stolz nochmals für 21 Monate im aktiven Dienst verpflichten. Es gilt unter anderem, die soeben in Konstruktion befindliche, brandneue B-47-Stratojet-Staffel von verdienten Piloten testen zu lassen. Sally erträgt diesen Umstand mehr oder weniger zähneknirschend, mitsamt begleitendem Umzug von Florida nach Fort Worth. Dutch findet rasch seine Liebe zu Fliegerei zurück und auch sein militärisches Pflichtbewusstsein, das sich weder von einer gefährlichen Bruchlandung in Grönland noch von Sallys baldiger Schwangerschaft bremsen lässt. Bald steht wegen Dutchs dauernder Abwesenheit die junge Ehe der beiden auf der Kippe, doch das Schicksal spielt ihnen schließlich in die Hände.

Acht Filme drehte Anthony Mann mit James Stewart zwischen 1950 und 1955. Eine der berühmtesten und fruchtbarsten Darsteller-/Regisseur-Liaisons nicht nur dieser Dekade bildete das Resultat. Darunter waren fünf große Western und drei Dramen. „Strategic Air Command“ bildete die letzte Kollaboration der beiden und zugleich auch ihre schwächste und kritikwürdigste. Vor allem vorangetrieben durch Stewart und dessen Leidenschaft als Air-Force-Pilot für die (nicht nur, aber doch hauptsächlich) militärische Luftfahrt und das SAC (Strategic Air Command) folgt Manns Werk keiner konzisen Story, sondern schildert in episodischer Abfolge gute zwei Jahre im Leben des Ehepaars Holland, primär natürlich die zivilen Einsätze und Testflüge Roberts, die freilich nicht immer ungefährlich verlaufen. Dabei ist der Film von mindestens einer solchen Faszination für die Fliegerei beseelt wie Jimmy Stewart und sein Protagonist: Akribisch werden die Konstruktion der B-36- und B-47-Bomber für den Laien erläutert, spekltakuläre und majestätische Aufnahmen zeigen die in der Sonne glänzenden Maschinen im Flug und schildern zu der schmissigen Musik von Victor Young damals Aufsehen erregende Manöver wie eine Auftankung im freien Flug. Das Ende des Korea-Kriegs lag gerade zwei Jahre zurück und das Script wird nicht müde, die Bestückung der Bomber mit Atomwaffen als unbedingt notwendige Defensivmaßnahme (!) und als Obligatorium zur Verhinderung (!!) militärischer Konflikte zu betonen, auch und besonders nachdrücklich durch die natürlich ausnehmend sympathisch gezeichnete Hauptfigur selbst. Auch die Tatsache, dass die Air Force Männer braucht, deren Pflichtverständnis grenzenlos ist und die ohne zu zögern bereit sind, ihr privates Wohl und Wehe ihren beruflichen Pflichten stets hintenanzustellen, kehrt „Strategic Air Command“ mit zunehmender Vehemenz heraus. Die Zeichnung June Allysons (in ihrer dritten Partnerarbeit mit Stewart) als zumeist affirmatives Frauchen, das dem aufrechten Helden vor allem als moralische Stütze am Boden zu dienen hat, verläuft mit wenigen Ausnahmen extrem konservativ und eindimensional. Der Annahme, dass die Kommandatur, im Film repräsentiert durch Frank Lovejoy und James Millican als leitende Offiziere,  möglicherweise primär aus betonköpfigen war mongers bestehen könnte, denen Individualität nichts gilt, wird zwar immer wieder latent geäußert, aber dann doch ebenso häufig entkräftet – das SAC, soviel versichert uns der Film mit Nachdruck, ist eine Instititution, die von unbedingt zuverlässigen, bei bester psychischer Gesundheit befindlichen Herren geführt wird und auch in den niederen Rängen mit ebensolchen bestückt ist.
„Strategic Air Command“ entstand für die Paramount im damals frisch auf den Markt gebrachten und vom Studio stolz lancierten VistaVision-Verfahren, das besonders knackige, hochauflösende 35-mm-Bilder ermöglichte und bildete somit selbst in dieser Hinsicht ein vom Publikum gern angenommenes Prestigeobjekt und eben auch eine unverhohlene Werbemaßnahme für die amerikanische Luftwaffe.
Dem Film Kriegstreiberei zu unterstellen, ginge nun zu weit, dass er indes eine unkritische, oftmals schlicht dumme Verherrlichung von Militarismus und Heldentum betreibt, jedoch nicht. Immerhin: Mit seinem zwei Jahre später folgenden „Men In War“, einem erwachsenen, bewegenden Kriegsfilm und einer formal bewusst reduzierten, unabhängig entstandenen Produktion nebenbei, relativierte Mann wiederum eindrucksvoll infolge von „Strategic Air Command“ entstehende, etwaige Verdachtsmomente betreffs seiner künstlerischen und mentalen Integrität.

6/10

THE LIFE AND DEATH OF COLONEL BLIMP

„In Germany, the gangsters finally succeeded in putting the honest citizens in jail.“

The Life And Death Of Colonel Blimp (Leben und Sterben des Colonel Blimp) ~ UK 1943
Directed By: Michael Powell/Emeric Pressburger

England, in der Zeit nach dem „Blitz“: Anstatt sich an die Verabredung zu halten, das geplante Manöver in Vorbereitung eines deutschen Überfalls zeitlich planmäßig stattfinden zu lassen, setzt der junge Lieutenant Spud Wilson (James McKechnie) die Übung einfach um sechs Stunden früher an – die Wehrmacht, so meint er, würde ihre Attacken schließlich auch nicht minutiös ankündigen. Wilson und seine Männer geraten daraufhin in einem türkischen Bad an eine Gruppe älterer Offiziere, darunter den Major General Clive Wynne-Candy (Roger Livesey), der überhaupt nichts von der Eigenmächtigkeit Wilsons hält. Im Zuge eines folgenden, spontanen Zweikampfs Alt gegen Jung lernen wir Wynne-Candys Lebensgeschichte kennen.

Der Titel um „Colonel Blimp“, der zweiten, gemeinsamen Regiearbeit der beiden Freunde Michael Powell und Emeric Pressburger für ihre selbstgegründete Gesellschaft „The Archers“ und zugleich der erste Film ihres berühmten Technicolor-Zyklus, bezieht sich auf einen zu jener Zeit in England populären, satirisch geprägten Cartoon-Offizier, der als Klischeebündel die Steifheit und den unbeugsamen Selbsträsonismus britischer Militärvertreter karikierte. Obschon jener Colonel Blimp nicht nominell bei Powell/Pressburger auftritt, stellt deren Protagonist Clive Wynne-Candy – zumindest dessen zu Beginn des Films eingeführtes, altes Ich, eine eindeutige Entsprechung der Figur dar. Die Rahmenhandlung prononciert vor allem die Wehmut, mit der betagte englische Soldaten im Angesicht der „modernen Kriegsführung“ des Zweiten Weltkriegs auf ihre aussterbende Militärhistorie zurückblicken: In Indien, im Burenkrieg und selbst im Ersten Weltkrieg wurde noch fair gekämpft und gestorben; man verabredete sich quasi zum gegenseitigen Abschlachten und unkorrekte Übervorteilungen in Form unseliger Überfälle wie heuer durch die Nazis oder die Japaner gab es nicht. Männlicher Schneid und Galanterie prägten das Bild wahren Soldatentums – und nicht nur des englischen: Nach einem diplomatisch vergeigten Ausflug ins Berlin des Jahres 1902 und infolge eines schmerzhaften Fechtduells lernt Clive (seinerzeit noch) Candy den preußischen Offizier Theo Kretschmar-Schuldorff (Adolf Wohlbrück) kennen, – quasi seine deutsche Entsprechung. Die beiden Männer werden Freunde und auch, wenn Theo die ebenfalls von Clive begehrte Lehrerin Edith Hunter (Deborah Kerr) abbekommt, hat dies keinen Groll zur Folge. Sechzehn Jahre später ist das Kaiserreich just im Begriff, den Ersten Weltkrieg zu verlieren, als Clive in Frankreich die Krankenschwester Barbara Wynne (Deborah Kerr) – Ediths Ebenbild – kennenlernt und zur Frau nimmt. Dort begegnet er auch den in Gefangenschaft befindlichen Theo wieder, der ihn zunächst geflissentlich ignoriert, ihm dann aber seine Besorgnis hinsichtlich der Siegerdiktatur des Versailler Vertrags erläutert. Erst zu Beginn des nächsten großen Krieges begegnen sich die beiden alten Freunde wieder. Beide sind mittlerweile Witwer, finden in der jungen Chauffeurin Angela (Deborah Kerr) jedoch neuerlich die physiognomische Entsprechung ihrer verstorbenen Frauen. Theo beobachtet die Entwicklung in Deutschland mit großer Sorge, seine Kinder sind beide zu überzeugten Nazis geworden. Clive muss auf unerfreuliche Weise lernen, dass Krieg mit solchen Gegnern wie Hitler nicht mehr das Gentleman-Geschäft darstellt, dass er selbst von der Pike auf gelernt hat. Er wird in den Ruhestand versetzt und tritt der British Home Guard bei. Sein Haus wird bei einem Bombenangriff zerstört und es entsteht an dessen Stelle eine Zisterne. Endlich begreift Clive, dass und wie die Zeiten sich geändert haben.
„The Life And Death Of Colonel Blimp“ kann filmhistorisch betrachtet durchaus dem Segment des antideutschen Propagandafilms zuaddiert werden, das in diesen Jahren vielfach von Hollywood und England aus bedient wurde. Powell und Pressburger geben sich allerdings im Gegensatz diverser sehr viel rüder agierender Kollegen keineswegs damit zufrieden, plumpe Ressentiments zu bedienen oder gar zu schüren, sondern wählen einen sehr viel differenzierteren Ansatz als Narrativ ihrer vierzig Jahre umfassenden Biographie. Besonders hervorstechend und bemerkenswert ist die latente Ironie, mit der sich der unbeirrbare Glaube an soldatische Tugenden und die (insbesondere England als vormals bedeutender Kolonialmacht zueigene) militärische Arroganz der Briten sanft persifliert finden – ; Entsprechung und Bedeutung des gewählten Titels. Ferner markiert Clive Wynne-Candy eine keinesfalls eindimensional gezeichnete Figur. Schon die Trümmer der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs rufen Zweifel in ihm hervor über den bedauernswerten, selbstzerstörerischen Weg, den die Menschheit im beginnenden Centennium eingeschlagen hat. Dann wäre da die Freundschaft zu seinem deutschen Berufspendant Theo, der vor allem in späteren Lebensjahren, den Zerfall des Kaiserreichs, das Chaos der Republik und schließlich die NS-Machtergreifung und den ideellen Verlust der Kinder, noch wesentlich herbere persönliche Verluste als Clive hinzunehmen hat. Hier sind sich die beiden klugen auteurs nicht zu schade, Hitler und seine Mörderbande keinesfalls zur (selbst-)erwählten Führerriege ausnahmslos aller Deutschen jener Tage zu deklarieren. Schließlich beeindruckt die ungewohnte Entscheidung, Deborah Kerr in einer Dreifachrolle zu besetzen, was dem Script gestattet, ihren Charakter über vier Dekaden quasi nicht altern zu lassen. Obschon sie drei unterschiedliche, englische Damen spielt, versinnbildlicht im Rahmen dieses figuralen Triptychons gewissermaßen das trotz ihres doppelten Verbleichens ewig jung bleibende frauliche Ideal des Protagonisten, dem sie durch ihr moralisches Engagement in drei kritischen Lebenslagen Kraft und Halt spendet.
Die Tatsache, dass „The Life And Death Of Colonel Blimp“ zudem ein frühes Musterbeispiel für die reichhaltige Effektivität des damals noch nicht alltäglichen, wunderschöne Bilder gestattenden Drei-Streifen-Technicolor ist, einer technischen Errungenschaft, für die in den folgenden Jahren vor allem Powell und Pressburger in der Kinogeschichte reüssieren konnten, perfektioniert diesen wunderbaren Film nochmals auf der formalen Ebene.

10/10

DEN 12. MANN

„Mir geht niemand durch die Lappen.“

Den 12. Mann (The 12th Man – Kampf ums Überleben) ~ NO 2017
Directed By: Harald Zwart

Norwegen, März 1943. Im Zuge der „Operation Martin Red“, die die gezielten Sprengungen mehrerer militärisch bedeutsamer Ziele der deutschen Besatzer umfasst, landen zwölf in England zu Saboteuren ausgebildete, einheimische Widerstandskämpfer der „Company Linge“ in der Nähe von Tromsø, wo sie bereits von Gestapo und SS in Empfang und in Haft genommen werden. Nur einem von ihnen, Jan Baalsrud (Thomas Gullestad), gelingt die Flucht in den vereisten Fjord. Die übrigen werden gefoltert und exekutiert. Baalsruds einzige Chance besteht darin, die Grenze zum neutralen Schweden zu erreichen. Eine zweimonatige Odyssee, die ihn an die äußersten Grenzen der psychischen und physischen Belastbarkeit treiben wird, liegt vor ihm.

Die entbehrungsreiche Flucht Jan Baalsruds, den die Geschichtsschreibung längst zu einem der skandinavischen Helden der Résistance erklärt hat, basiert auf authentischen Geschehnissen, die Harald Zwarts Film unter der Prämisse, dass „die folgenden Ereignisse, so unglaublich sie auch scheinen mögen, sich so zugetragen haben“ nachzeichnet. Wenngleich Baalsrud immer wieder die unterstützende Hilfe der Einheimischen in Anspruch nehmen kann, hängt der Löwenanteil seines Überlebens dennoch von der eigenen Willenskraft und Zähigkeit ab, die ihn diverse Leiden überstehen lassen. Immer wieder entkommt Baalsrud der SS, in vorderster Front seinem (ebenfalls norwegischen) verbissenen Hauptverfolger Kurt Stage (Jonathan Rhys Meyers) nur ganz knapp oder infolge oftmals obskurer Zufälle, die manchmal auch aus dem bloßen Hochmut des stolzen Nazis heraus erwachsen. Dennoch gleicht Baalsruds Pfad einer Passionsgeschichte: Er gerät in eine (von seiner Verfolgern ausgelöste) Lawine, muss Knochenbrüche, Erfrierungen, Schneeblindheit, Fieber und Wundbrand ertragen und ist schließlich gezwungen, sich selbst die Zehen zu amputieren um nicht seine Beine zu verlieren. Nicht nur die den Okkupanten fast durchweg feindlich gesinnte Zivilbevölkerung unterstützt ihn, sondern, kurz vor dem Ziel noch eine Gruppe Samen und sogar ein kluges Rentier.
Zwart zieht, was ihm wohl auch mehrfach zur Kritik gereichte, diese spektakuläre Geschichte als Überlebensabenteuer auf, vor dem der historische Hintergrund oftmals sich zur im Prinzip austauschbaren Beliebigkeit degradiert findet. Die Nazis werden durchweg als jene unmenschlichen Klischeebestien gezeichnet, die ja in der (genre-)spielfilmischen Parallel-Geschichtsschreibung seit eh und je greift und sind vor allem als größenteils diffuse, äußere Bedrohung im Hintergrund präsent, so dass „Den 12. Mann“ häufig mehr als Actionfilm denn als akkurate historische Aufarbeitungslektion zu rezipieren ist.
Auch wenn nun Zwarts Film gewiss nicht frei von Schwächen unds Unebenheiten ist, gibt es doch an mancherlei Tatsachen, so meine ich, wenig zu rütteln: „Den 12. Mann“ besorgt den Abriss des zunehmend persönlich gefärbten Hergangs einer ganz individuellen Widerstandsaktion und hat trotz seiner ausgedehnten Spielzeit überhaupt nicht die Aufgabe, fanatischen SS-Offizieren ein differenziertes Persönlichkeitsbild zu verschaffen – warum auch? Es geht nicht um verschissene Nazis, sondern um den Widerständler Jan Baalsrud und um die ohnehin im Falle jedes einzelnen kleinen oder großen Rebellen gegen das Deutsche Reich unabdingbar wichtige Tatsache, seine spezifische Geschichte populärer zu machen und ihm, obschon mit den evidenten Mitteln des Unterhaltungsmediums, ein verdientes Denkmal zu setzen. Diese Mission erfüllt „Den 12. Mann“ hinreichend zuverlässig.

7/10

BABA YAGA

Zitat entfällt.

Baba Yaga (Foltergarten der Sinnlichkeit 2) ~ I/F 1973
Directed By: Corrado Farina

Auf dem Rückweg von einer Party gerät die Fotokünstlerin Valentina Rosselli (Isabella De Funès) an eine aparte Dame, die sich ihr unumwunden als Baba Yaga (Carroll Baker) vorstellt. Von diesem Moment an gerät Valentina in den mystischen Bann jener lasziven, rätselhaften Frau, doch dieser ist nicht ungefährlich. Valentinas Lieblingskamera ist bald verhext und führt ihren lebenden Motiven körperlichen Schaden zu; eine rätselhafte S/M-Puppe, die Baba Yaga Valentina als vermeintlichen Talisman schenkt, scheint Böses im Schilde zu führen. Erst mit der Hilfe ihres Freundes Arno Treves (George Eastman), eines Gelegenheitsfilmemachers, kann Valentina sich schließlich dem Zugriff der Hexe entziehen.

Die zweite und bereits letzte abendfüllende Kinoarbeit des Turiner Autors und ansonsten vornehmlich auf dokumentarischer Ebene aktiven Autors und Filmemachers Corrado Farina basiert auf der „Baba Yaga“-Strecke eines zu jener Zeit beliebten fumetto nero (oder auch fumetto per adulti): „Valentina“ von Guido Crepax, der mit Farina befreundet war und an dem Film mitarbeitete. Bei Crepax‘ Figur Valentina Rosselli handelt es sich um eine politisch stark linksorientierte Mailänder Fotografin und Bohèmienne, die zunächst als Freundin des mit Superkräften ausgestatteten Helden Philip Rembrandt alias „Neutron“ in Erscheinung trat und sich dann im Laufe ihrer folgenden, rund dreißig Jahre währenden Veröffentlichungsgeschichte zur Hauptfigur ihrer eigenen, sich zunehmend erotisch gestaltenden Abenteuer entwickelte. Sie basierte hinsichtlich ihrer visuellen Gestaltung auf Crepax‘ Vorliebe für die in den zwanziger und dreißiger Jahren aktive Schauspielerin Louise Brooks und geriet im weiteren Verlauf ihrer Geschichten in zusehends surreal arrangierte, oftmals mit eindeutigen Fetischelementen angereicherte Storys, die mit unterschiedlichen diegetischen Ansätzen spielten, dem stream of consciousness etwa.
Ganz so weit geht Farinas Film nicht, obschon er in seinen erotisch konnotierten Sequenzen nicht den offensichtlichsten Pfad des blanken Voyeurismus einschlägt, sondern stattdessen hart kontrastierte, ineinander fließende Schwarzweiß-Einzelbilder von Isabella De Funès‘ Gesichtspartien einflechtet. Ansonsten ist „Baba Yaga“ (deren von Carroll Baker interpretierte Entsprechung weniger dem folkloristischen slawischen Vorbild der knorrigen Waldhexe in ihrem Haus auf Hühnerbeinen entspricht denn vielmehr dem, was man sich im Westen als lesbische, stark sexualisierte femme fatale mit übersinnlichen Fähigkeiten vorstellen mag) vor allem als repräsentativ-exemplarisches, zeitkoloriertes Fest der Dekors und Interieurs interessant, das einige wenige (jedoch, das muss man einräumen: oberflächliche) Diskurse in Richtung bildender Kunst verhandelt und das mit seinem, dem jazzigen Score (Piero Umiliani) angelehnten Rhythmus eher wie die gepflegtere, feuilletonistisch goutierbarere Variation eines Jess-Franco-Werks daherkommt. Sein phantastisches Timbre vulgarisiert der Film dann auch keineswegs durch halbgare Effekte, sondern durch die geschickte Evokation eines allgegenwärtigen Mystizismus‘, der derkurz auf paraphilen Abwegen befindlichen Heldin offenbar durchaus libertinäre Freude und Lust bereitet, sie am Ende aber dann doch wieder aufatmend in ihren vertrauten sozialen Mikrokosmos zurückspeit.

8/10

LA POLIZIA HA LE MANI LEGATE

Zitat entfällt.

La Polizia Ha Le Mani Legate (Killer Cop) ~ I 1975
Directed By: Luciano Ercoli

Mitten in Rom explodiert im Zuge einer Vernissage für naive Kunst eine Bombe in einer Hotellobby. Commissario Matteo Rolandi (Claudio Cassinelli) vom Rauschgiftdezernat, rein zufällig vor Ort um einen Großdealer zu beschatten, wird Zeuge des viele, vor allem internationale Todesopfer fordernden Massakers. Während die Öffentlichkeit noch darüber streitet, ob nun die Faschisten oder die Roten Brigaden hinter dem Anschlag stecken, identifiziert Rolandis Freund und Kollege Balsamo (Franco Fabrizi)  den nervösen Bombenleger, einen heroinsüchtigen Studenten namens Franco Ludovisi (Bruno Zanin), mitten auf der Straße, muss ihn jedoch laufen lassen, weil dieser eine Waffe zieht und Balsamo damit bedroht. Der ermittelnde Generalstaatsanwalt Di Federico (Arthur Kennedy) gewährt Balsamo als wichtigem, belastenden Zeugen Privatunterschlupf, kann aber trotzdem nicht verhindern, dass er von den Drahtziehern des Attentats ermordet wird. Für Rolandi bekommt die Angelegenheit nun noch eine zusätzliche private Dimension und er beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei stößt er auf ein Leck ausgerechnet im Büro der Staatsanwaltschaft…

„La Polizia Ha Le Mani Legate“ steht weniger im Kurs der damals soeben frisch installierten, reaktionären Ruppigkeit im Poliziottesco, sondern liebäugelt sehr viel akuter mit Damiani oder Rosi, indem er unter anderem die Verflechtung von organisiertem Verbrechen, radikalen Politaktivisten und Staatsapparat untersucht. Anders also als die vielen Genrevertreter um Maurizio Merli, Luc Merenda et al. schert sich Ercolis vorletzter Film (und einziger Poliziotto) nicht um exploitative Elemente, sondern um einen gemächlichen Spannungsaufbau, der dem Betrachter allenthalben diverse Verdachtsmomente beschert, die dann regelmäßig einer unerwarteten Auflösung zu weichen haben. Auch ein Grund, warum man den italienischen Polizeifilm dieser Ära lieben darf, kann oder gar muss: Man vermag nur überaus selten mit Gewissheit zu erahnen, was als Nächstes geschieht, auf Antizipation und Vermutungen ist kein Verlass! Selbst den Helden konnte es abschließend noch überraschend treffen, was bekanntermaßen noch nicht einmal eine Seltenheit darstellte, da er oftmals als letzte Bastion gegen die gewaltigen Windmühlen alles verschlingender Korruption anzutreten hatte.
Doch selbst diesbezüglich verwurzelt sich Ercoli, der sich einzig in Form ein paar geschickt eingeflochtener, dramaturgischer Achronismen ein wenig inszenatorische Spielerei gestattet, eher im bodenständigen Realismus; die geheimnisvollen, scheinbar allmächtigen Hintermänner seiner „Organisation“ haben es erst gar nicht nötig, ihr persönliches Antlitz in die öffentliche Waagschale zu werfen; sie sind und bleiben als graue Eminenz der Amoral wohlweislich im Hintergrund.
Mit Claudio Cassinelli, wie ich finde, ja immer ein wenig Stacy-Keach-Lookalike (umso kurioser ihr späterer gemeinsamer Auftritt in Martinos wüstem „La Montagna Del Dio Cannibale“) gibt es einen wie zumeist rundum sympathischen Protagonisten, der eine seiner zwei „Moby Dick“-Ausgaben permanent zur inspirierenden Pausenlektüre mit sich herumträgt, und auch Arthur Kennedy, zu jener Zeit wie viele seiner ebenfalls alternden Kollegen verlässliches Stammmitglied der römischen Hollywood-Enklave ist gewohnt sehenswert. Und dann wäre da noch Stelvio Ciprianis schmissiger Score, eine Zierde seiner Provenienz.
Eine rundum anständige, schnörkellose Arbeit somit.

8/10

VIVRE POUR SURVIVRE

Zitat entfällt.

Vivre Pour Survivre (White Fire – Der Todesdiamant) ~ F/TR/UK 1984
Directed By: Jean-Marie Pallardy

Nachdem Bo (Robert Ginty) und Ingrid Donnelly (Belinda Mayne) als kleine Kinder den gewaltsamen Tod ihrer Eltern mit ansehen müssen, nimmt sie der Partisan Sam (Jess Hahn) unter seine wohlmeinenden Fittiche. Zwanzig Jahre später arbeiten sie noch immer für ihren liebevollen Ersatzvater und stehlen in der Gegend um Istanbul vornehmlich Diamanten aus der Mine des skrupellosen Olaf (Gordon Mitchell), mit dem im Entdeckungsfalle wenig gut Kirschen essen ist und der ein schmieriges Auge auf Ingrid geworfen hat. Doch auch das italienische Ganovenpaar Sophia (Mirella Banti) und Barbossa (Benito Stefanelli) interessiert sich übermäßig für die Klunkern und wird daher zu erbitterten Rivalen der Geschwister. Einer von Olafs Arbeitern findet derweil in einer freigelegten Höhle den legendären „White Fire“, einen riesigen, lumineszierenden Diamanten, von dem allerdings auch eine tödliche Strahlung ausgeht und hinter dem urplötzlich alle her sind.
Als Ingrid von den Italienern im Zuge einer Racheaktion umgebracht wird, ist Bo am Boden zerstört. Bei der Ex-Prostituierten (?) Olga (Diana Goodman) findet er dann vorübergehenden Trost. Dem alten Sam fällt prompt die verblüffende Ähnlichkeit Olgas mit Ingrid auf und er entwickelt die grandiose Idee, Olga von einer mysteriösen, lesbischen (?) Chirurgin (n.n.) endgültig in Ingrids Ebenbild verwandeln zu lassen, wozu Olga denn auch prompt bereit ist, denn sie hat sich längst unsterblich in Bo verliebt. Dummerweise ist ihr zugleich ihr früherer Arbeitgeber Noah Barclay (Fred Williamson) mit seinen Vasallen auf den Fersen und bildet eine vierte Interessenspartei. Olga nimmt derweil Ingrids Identität (Belinda Mayne) an und verwirrt alle, die glaubten, sie sei tot. Im Abbaugebiet von Olaf kommt es schließlich zur finalen Schlacht um den White Fire und auch um Olga/Ingrid II.

„Vivre Pour Survivre“ ist ein schier unglaubliches, unikales, apokryphes Stück Film aus den seligen Achtzigern, dessen Wiederentdeckung (und, was noch schöner wäre, qualitativ adäquate Digitalisierung) einer Menge geneigter Cinephiler ganz gewiss große Freude bereitete. Bei der Betrachtung dieses völlig wahnwitzigen Stücks exaltierter Loslösung von allem Räsonablen musste ich mich jedenfalls permanent der sicheren Bodenhaftung versichern, so gänzlich abgefuckt ist diese Preziose. Bereits die oben abgerissene Synopse sollte einen kleinen Eindruck dessen vermitteln, was der vormalige Pornofilmer und Ex-Dressman Jean-Marie Pallardy, mutmaßlich entweder komplett vom wilden Affen gebissen oder ein heimliches Genie, da in geistiger Alleinarbeit vom Stapel gelassen hat. Mit offenbar vornehmlich türkischer Finanzierung drehte Pallardy seinen enzigartigen Exploiter am und um den Bosporus, wofür die ständige, penible Abfilmung der Hagia Sophia ebenso garantiert wie die Besetzung ausnahmslos sämtlicher bit parts mit schnauzbärtigen Repräsentanten der lokalen Laiendarstellergewerkschaft. Dazwischen tummeln sich der ebenso unablässig wie meist unpassend eingespielte „Titelsong“, Robert Ginty, der sich zu jener Zeit ja immer mal wieder Gast im internationalen Filmgeschäft blicken ließ, (der wie immer bestens aufgelegte) Fred „The Hammer“ Williamson, bis heute ebenfalls cineastischer Kosmopolit, der bereits über sechzigjährige Gordon Mitchell und die wohlgeformte, den schattigeren Seiten des Kinos ebenfalls stets zugeneigte Londonerin Belinda Mayne.
Nicht nur dieser illustren Besetzung wegen ist „Vivre Pour Survivre“ allerdings eine Schau; es gibt wohltemperierte, splattrige Gewaltspitzen, so unter anderem eine bereits legendäre Szene gleich im ersten Viertel, in der die wehrhaften Geschwister ihren Widersachern mit Kettensäge und Enterhaken zu Leibe rücken, Belinda Mayne bekam eine ausgiebige Nacktszene am Swimming-Pool und Olaf (Mitchell) nebst seinen henchmen erhielten ihre lustig ausschauenden Kostüme fraglos allesamt aus dem Verbleibsfundus deine der diversen italienischen „Star-Wars“-Rip-Offs.
Doch markiert all das noch nichteinmal der Gipfel der bereitwillig-ostentativ ausgestellten Absurdität; Pallardy entblödet sich nicht, eine unverhohlene Inzestromanze als emotionalen Hauptmotivator für den Aktionismus seines Protagonisten zu installieren. Daraus, dass Bo Donnelly seine Schwester weit über die familiäre Verbindung hinaus „werschätzt“, stellen sich spätestens angesichts o.a. Pool-Sequenz (Zitat Bos angesichts der von ihm geifernd bewunderten, entkleideten Figur Ingrids: „Warum musst du bloß meine Schwester sein?“) keinerlei Zweifel mehr ein und auch die bei „Vertigo“ entlehnte, morbide Ummodelung der später kennengelernten Olga, die sich willfährig in Ingrids Ebenbild verwandeln lässt und die darüberhinaus keinerlei Besorgnis hegt angesichts der Tatsache, dass Bo sie hernach noch viel geiler findet als vorher (was Pallardy wiederum ganz unumwunden darstellt) trägt dieser wenig subtil veräußerten Form der Paraphilie mehr denn hinreichend Rechnung. Die Einpflegung von Williamsons Figur in den ohnehin wirren Plot ist derweil ganz offensichtlich der bloßen Tatsache geschuldet, dass der Akteur eben just zur Verfügung stand und unter Vertrag genommen werden konnte.
Ein abschließendes Wort noch zur deutschen Veröffentlichungsphilologie: Das originär veröffentliche Videotape (Constantin) mit Münchener Synchronisation ist um satte 14 Minuten gekürzt. Zwei Jahre später erschien in der Schweiz (bzw. in Österreich, je nach Quelleninformation) eine ungekürzte Cassette mit Hamburger Synchronisation. Dieser Fassung ist ganz ohne Frage der Vorzug zu geben, denn jedes zusätzliche Frame Wahnsinn dieses Ausnahmewerks macht es nur umso kostbarer.

6/10

UNDER THE SILVER LAKE

„Welcome to Purgatory.“

Under The Silver Lake ~ USA 2018
Directed By: David Robert Mitchell

Der in einem Appartmenthaus in East L.A. wohnende Sam (Andrew Garfield) gammelt vor sich hin und ist seit Ewigkeiten mit der Miete im Rückstand. Ansonsten nutzt er die Vorzüge, die die hedonistische Seite der Metropole einem libidinös aufgeladenen, gutaussehendem jungen Mann wie ihm zu bieten hat: Er schließt kurzlebige Damen-Bekanntschaften, geht auf Hipster-Partys und besucht Events der Kunstnachwuchsszene. Nachdem seine attraktive Nachbarin Sarah (Riley Keough) nebst ihren Mitbewohnerinnen (Stephanie Moore, Sibongile Mlambo) spurlos verschwindet, begibt Sam sich auf die Suche nach ihr. Ihn erwartet eine Odyssee, die ihn buchstäblich geradewegs in die Innereien der Stadt der Engel führt und ihn seine bisherige Realität als artifizielles Konstrukt erkennen lässt.

Meine erste Wahrnehmung von „Under The Silver Lake“ war die einer umfassenden „Best Of“-Reminszenz, in der David Robert Mitchell seinen Legionen von Vorbildern und praktisch dem gesamten populären historischen Kino-Segment, dass sich mit Los Angeles und/oder Hollywood befasst, seine ganz persönliche Ehrerbietung erweist. Entsprechend zahlreich sind die Verweise an Regisseure, Filme, Personen, allzu zahlreich, um sie an dieser Stelle gleichberechtigt aufzuzählen. Diese Mühe obliegt dann schon jedem, der sich diesem durchaus interessanten Werk zu widmen gedenkt.
Erst an zweiter Stelle folgte dann die erweiterte Perspektive auf die Gegenwart der Metropole und einen ironischen, oftmals ins Groteske, Surreale und Allegorische ab- oder auch entgleitenden Fokus darauf, was ihre lange Kulturhistorie als „Traumfabrik“ seit über einem Jahrhundert aus der Stadt hat werden lassen. Im Grunde entpuppt sie sich selbst infolge ihrer demokratisch geprägten Tradition und gesellschaftlichen Lichtblitzen wie der Diversität- und der MeToo-Bewegung als in Wahrheit keinen Deut gereift gegenüber der Frühzeit der Filmmogule und Studioregimes; noch immer laufen hier Äonen junger TräumerInnen dem Traum von Ruhm und Reichtum nach und dabei Gefahr, in die Fänge rücksichtsloser Raubtiere zu geraten, deren Geld, Macht und Einfluss sie zu willfährigen Werkzeugen ihrer pervertierten Bedürfnisse macht. Im Zuge seiner eher von Intuition und Assoziation geprägten Reise lernt Sam, dass alles hier auf unheilige Weise miteinander verworben ist und sich wechselseitig bedingt und bedient: diverse Formen bildender wie darstellender Kunst und die kommerziell orientierten Kulturen Film und Musik, Werbeindustrie und Literatur, Fast Food und Prostitution, selbst Hochfinanz und Prekariat, Mysterien und Paranoia. Sex entpuppt sich dabei als der primäre, alles miteinander verbindende Faktor, der sich seit eh und je durch mehr oder weniger sublime Botschaften überall eingefordert findet und entsprechend hinreichend bedient wird. Sonderbare, nicht eindeutig entschlüsselbare Personen und Ereignisse kreuzen (wiederholt) Sams investigativen Weg; tote und lebende Nagetiere, ein anonymer, sein Unwesen treibender Hundemörder, dem große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, der (vermeintliche) Tod des Superreichen Jefferson Severence (Chris Gann), dessen Tochter Millicent (Callie Hernandez), ein Comics (mit dem Titel des Films) entwerfender Verschwörungstheoretiker (Patrick Fischler), der „König der Landstreicher“ (David Yow), freiwillige und unfreiwillige Drogentrips, der androgyne Popstar Jesus (Luke Baines), der geheimnisvolle Songwriter (Jeremy Bobb), dem Sam, erbost ob dessen Entzauberungen seiner musikalischen Idole, den Schädel einschlägt, Kojoten sowie eine geheimnisvolle, nackte Eulenfrau, die ihre Opfer, darunter den „Comic-Mann“, im nächtlichen Schlaf meuchelt. Und immer wieder Trios von seltsamen It-Girls, wie sich zeigen wird, als jeweiliger, privater Mini-Harem je einem bestimmten Gönner zugehörig, die wiederum allesamt einer obskuren Erlösungssekte angehören.
Eine Menge von (zumindest auf den ersten Blick) nicht zwingend kausalitätsbezogen schlüssigem Stoff also, den Mitchell da in einer zugegebenermaßen exquitisten Inszenierung zusammenpfercht und der in jedem Falle die Beschäftigung mit ihm lohnt. Wirklich richtig mögen, zumindest so, wie ich’s vielleicht gern würde, kann ich „Under The Silver Lake“ allerdings zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht. Mag sein, dass sich das irgendwann ändert.

8/10

L’ASSASSIN HABITE… AU 21

Zitat entfällt.

L’Assassin Habite… Au 21 (Der Mörder wohnt in 21) ~ F 1942
Directed By: Henri-Georges Clouzot

Ein Raubmörder, der bei seinen Opfern stets eine Visitenkarte mit dem Namen „Monsieur Durand“ hinterlässt, macht Paris unsicher. Für den ermittelnden Inspecteur Vorobietchik (Pierre Fresnay), genannt „Wens“, erhöht sich mehr und mehr der Druck durch das Kommissariat, denn es gab bislang bereits fünf Opfer. Der zufällige, aber glaubwürdige Hinweis eines kleinen Gauners (Raymond Bussières)  führt Wens zur Avenue Junot Nr. 21, der Adresse einer kleiner Pension. Wens steigt dort in cognito als Geistlicher Lester ab und lernt umgehend die obskure Bewohnerschaft des von der Pfeife rauchenden Madame Point (Odette Talazac) geleiteten Hauses kennen: Den Puppenmacher Collin (Pierre Larquey), den Zauberkünstler Triquet (Jean Tissier) alias Professor Lalah-Poor, die altjungfräuliche Romancière Mademoiselle Cuq (Maximilienne), den Kriegsveteranen und Mediziner Dr. Linz (Noël Roquevert) und den erblindeten Boxer Kid Robert (Jean Despeaux) nebst seiner Pflegerin Vania (Huguette Vivier). Einer von ihnen muss der Mörder sein. Mit dem nächtlichen, gewaltsamen Tode Mademoiselle Cuqs sinkt die Verdächtigenzahl, jedoch nicht Wens‘ Konfusion. Mithilfe seines kriminalistischen Geschicks und der seiner etwas vorlauten Freundin Mila (Suzy Delair), gelingt es ihm aber schließlich doch, den vertrackten Fall zu lösen.

Henri-Georges Clouzots dritte Regiearbeit nach einer achtjährigen Pause, entstanden im besetzten Paris, wird gemeinhin als frühes Meisterwerk des Filmemachers gefeiert, das bereits hinreichend dessen umfassende Könnerschaft illustriert. Meine Erwartungshaltung, die, zumal in Kenntnis der späteren Arbeiten Clouzots, einen düsteren Serienkiller-Noir Marke Robert Siodmak antizipierte, wurde dabei allerdings sanft überbügelt: „L’Assassin Habite… Au 21“ entpuppt sich nämlich primär als überaus launige Kriminalkomödie, deren humorige Inszenierung dem Thema und der oftmals tatsächlich in der Nacht und bei expressionistischer Beleuchtung angesiedelten Szenerie diametral gegenübersteht und die gewisse Analogien zur „Thin Man“-Reihe aufweist. Der Held Inspecteur Wens ist ein wortgewandter, gewitzter Schelm, seine Geliebte und Muße eine penetrante, laute, aber liebenswerte Chaotin. „L’Assassin“ bildete nebenbei bereits den zweiten Filmauftritt des Duos nach Georges Lacombes ein Jahr zuvor entstandenem „Le Dernier Des Six“, für den Clouzot das Script vorlegte. Die Schurkenschaft (am Ende entpuppt sich „der“ gesuchte Mörder als Trio vormaliger Studien-Kommilitonen, die aus rein gewinnsüchtigen Motiven auf geschickte Weise zusammenarbeiteten undsich so immer wieder wechselseitig Alibis zuschustern jonnten – ein später immer mal wieder aufgegriffenes Motiv in der Kriminalliteratur) besteht aus spitzbübischen, höchst intelligenten, aber eben doch jeweils narzisstischen Lumpen, denen man trotz ihrer Niedertracht und Gewaltaffinität nicht wirklich böse sein mag – eine Allegorie auf die – im ebenfalls von der deutschen Continental-Produktionsgesellschaft cofinanzierten Nachfolgefilm „Le Corbeau“ noch weitaus schärfer angegriffenen – Okkupanten möglicherweise?
Interessanterweise gibt es, wohl infolge der entsprechenden Produktionsägide, auch eine speziell für das deutschsprachige Kinopublikum erstellte Parallelversion, in der unter anderem Wolfgang Staudte auf Fresnay zu hören ist und die deutsche Namensschilder, Briefe oder Texttafeln direkt alternativ in die jeweiligen, alternativ gefilmten Szenen integriert. Mittlerweile sind erfreulicherweise beide Fassungen in exzellenter Restauration verfügbar.

9/10

HIT LIST

„Where’s my kid?“

Hit List (Mörderischer Irrtum) ~ USA 1989
Directed By: William Lustig

Nachdem Frank DeSalvo (Leo Rossi), einer der vielen Handlanger des Mafiabosses Vic Luca (Rip Torn), nebst seinem Filius Joey (Felice Orlandi) dem FBI in die Hände gefallen ist, versteckt Agent Tom Mitchum (Charles Napier) Vater und Sohn in einem Vorstadt-Bungalow. Mitchums Ziel ist es, DeSalvo als Kronzeugen im just laufenden Prozess gegen Luca zu gewinnen, doch dieser weigert sich beharrlich zu „plaudern“. Luca ist derweil nicht untätig und lässt alle potenziellen Gefährder von seinem brutalen Hitman Caleek (Lance Henriksen) beseitigen. Auch Frank und Joey stehen auf Lucas Liste, doch Caleek sucht infolge eines dummen Zufalls die falsche Adresse auf: Er attackiert die Familie des gerade abwesenden Jack Collins (Jan-Michael Vincent), tötet dabei dessen besten Freund (Harold Sylvester) und entführt Collins‘ Sohn Kenny (Junior Richard). Mitchum bekommt Wind von der misslungenen Aktion und will Collins vorsorglich in Haft nehmen, doch dieser greift sich DeSalvo und spürt Kenny mit dessen Hilfe auf eigene Faust nach.

Leider ist William Lustigs (von zwei Pornos in den Siebzigern abgesehen) vierte Regiearbeit im Laufe der Jahre überaus unberechtigterweise zur Fußnote im Gesamtschaffen des sympathischen Filmemachers geworden. Bis heute gibt es kein offizielles digitales Home-Release von „Hit List“, dabei ist ja gerade Lustig bekannt dafür, auf diesem Sektor weit über sein eigenes Œuvre hinaus Pionierarbeit geleistet zu haben.
Die Gründe dafür mögen vielfältig sein – möglicherweise verfügt Lustig nicht über die Rechte an dem Film (er wurde weltweit von großen Majors verliehen), möglicherweise verbindet er auch einfach unerfreuliche Erinnerungen mit ihm. Im exzellenten Interview-Band „Dark Stars“ etwa lässt sich, zumal im Vergleich zu „Maniac“, merklich wenig von ihm über „Hit List“ entlocken, mit Ausnahme des Faktums, dass der ja unlängst verstorbene Jan-Michael Vincent zu jener Zeit höchst unzuverlässig gewesen und permanent sturzbetrunken gewesen sei. Zudem war der Film der erste, für den Lustig das vertraute Umfeld seiner vormaligen, geliebten Spielwiese New York verließ und an die Westküste tingelte und dort, unter Beschwerden über die Wetterlage, häufig von einer Limousine aus Regie führte. So oder so – alles Mutmaßungen.
Man muss jedenfalls ein wenig Aufwand betreiben, um eine ansehbare Version des Films zu erhalten, doch dieser zahlt sich umgehend aus: „Hit List“ ist ein rundum sympathischer filmischer Repräsentant seiner Entstehungszeit, dem man, auch wenn es diverse Animositäten gab (und zu geben scheint), selbige nicht anmerkt und der Lustig als auch in kommerzieller Hinsicht grundsätzlich durchaus tragfähigen Regisseur ausweist, dem der verdiente Erfolg leider nicht hold genug war. Gut, der einen nicht unbedingt einfallsreichen Hybriden aus Gangster- und Actionfilm präservierende Plot mag keine Originalitätsmedaille ergattern, aber dafür ist die Ausführung umso sauberer. Die vorzüglich besetzten Darsteller legen durchweg großen Enthusiasmus und Spielfreude an den Tag (gut, Vincent wirkt stellenweise tatsächlich etwas langsam, aber wer wirklich besoffene On-Screen-Auftritte sehen möchte, der sollte eher zu manchen Performances von Dino Martin oder Richard Burton tendieren), es gibt ein paar kernige Actionsequenzen (insbesondere natürlich die im Parkhaus, bei der Vincent und Rossi sich in mühevoller Kleinarbeit des unverwüstlich scheinenden Henriksen entledigen) und die offenkundige Sympathie des Scripts für den zu Beginn des Films als kriecherischen villain eingeführten, von Lustigs künftigem standard actor gespielten Kleingangster DeSalvo nimmt sich unerwartbar, dafür aber umso liebenswerter aus. Zudem überrascht das Finale, mit dem sich zuvor nicht unbedingt rechnen lässt.
Ein wirklich schöner Film, dem ich unbedingt noch eine gerechtere Zukunft wünschen möchte.

8/10