JAHRESRÜCKBLICK 2015

Auf der im Frühjahr des Jahres leider geschassten, von mir immerhin knapp zehn Jahre lang mitbevölkerten Seite filmforen.de hatten wir User es uns zur Angewohnheit gemacht, Jahr für Jahr unsere annuale Revision in Kurzform zum Besten zu geben. Diese Tradition möchte in meinem Blog gern in der gewohnten Art und Weise beibehalten. Während in Kürze bei Hard Sensations noch eine Liste mit den ausschließlichen Highlights der Autoren, darunter auch meiner Wenigkeit, veröffentlicht werden wird, findet ihr vor Ort im Folgenden ausschließlich meine den letzten beiden Kalenderjahren entstammenden, gesammelten Privatpremieren mit nochmaliger qualitativ grober Einordnung.
Rückblickend ist mir wie eh und je vor allem aufgefallen und bewusst geworden, dass ich etliche Filme, die mich noch interessiert hätten, darunter eine Menge, die bereits längst ihren Platz im heimischen Regal innehaben, noch nachholen muss. Der Hauptgrund dafür liegt vor allem darin, dass sich die bereits seit Längerem grassierende, persönliche Tendenz, Älteres aufzuarbeiten oder aufzufrischen, dessen Rezeption sich in vielerlei Hinsicht als deutlich befriedigender erweist, auch 2015 weiter manifestierte. So langte es lediglich zu achtzig aktuellen Titeln – angesichts des weltweiten filmischen Outputs eine verschwindend geringe Zahl. Doch: aufgeschoben heißt ja glücklicherweise nicht aufgehoben.

Kommentare der geschätzten Leserschaft sind ausnahmslos erwünscht.

Wohlan:

Gipfelstürmer:
Ant-Man
The Babadook
Blackhat
Das ewige Leben
Fury
The Hobbit: The Battle Of The Five Armies
The Homesman
Housebound
Mad Max: Fury Road
Maps To The Stars
Mr. Turner
Night Will Fall
Relatos Salvajes
Selma
Sicario
Straight Outta Compton
What We Do In The Shadows
Whiplash
Überm Strich:
The ABCs Of Death 2
American Sniper
Aux Yeux Des Vivants
Avengers: Age Of Ultron
Backcountry
Birdman Or: (The Unexpected Virtue Of Ignorance)
Bridge Of Spies
Cold In July
Cop Car
Crimson Peak
Dealer
The Drop
Eliza Graves
Escobar: Paradise Lost
Die Geliebten Schwestern
The Guest
Honeymoon
Inherent Vice
Interstellar
It Follows
Jersey Boys
John Wick
Kingsman: The Secret Service
Late Phases
Let Us Prey
Love & Mercy
Maggie
Mission Impossible: Rogue Nation
A Most Violent Year
Nightcrawler
Reach Me
The Salvation
Slow West
Southpaw
Spectre
Star Wars: The Force Awakens
Starry Eyes
Tusk
Vacation
The Walk
Welp
Auf dem Strich:
Altman
De Behandeling
Child 44
Demonic
Exists
Exodus: Gods And Kings
Get Hard
Grizzly
I Spit On Your Grave III: Vengeance Is Mine
The Judge
Jurassic World
Pixels
The Ridiculous 6
Terminator: Genisys
V/H/S: Viral
Unterm Strich:
Dracula Untold
Fantastic Four
Insidious: Chapter 3
Open Windows
Sinister 2
The Town That Dreaded Sundown

WER STIRBT SCHON GERNE UNTER PALMEN

„Der dreht noch vollkommen durch…“

Wer stirbt schon gerne unter Palmen ~ BRD 1974
Directed By: Alfred Vohrer

Bei einem Segeltörn vor Ceylon sinkt die Yacht des wohlhabenden Playboys Werner Becker (Thomas Hunter). Dieser kann sich als Einziger auf ein einsames Eiland retten, bleibt dort jedoch nicht lange allein: Fast zeitgleich stürzt ein Flugzeug ab, an dessen Bord sich der bärbeißige Polizist Cerdan (Glauco Onorato) und seine Gefangene, die unter dem Verdacht des Gattenmordes stehende Anna Pineaud (Maria Gudy) befinden. Die beiden landen auf derselben Insel wie Becker. Er und Anna verlieben sich bald ineinander und Anna kann Becker von ihrer Unschuld überzeugen. Cerdan hat derweil nur Verachtung für die beiden übrig, lässt sich nicht von seiner Mission, Anna der Gerichtsbarkeit auszuliefern, abbringen und wird dabei zusehends aggressiver. Auf dem Festland spüren derweil Annas Jugendfreund Heller (Sieghardt Rupp) und Cerdans Kollege (Robin Fernando) dem wahren Mörder von Pineaud nach…

Diese Verfilmung des gleichnamigen, in den Frühsiebzigern in mindestens jedem zweiten bundesdeutschen Bücherregal auffindbaren Erfolgsromans von Heinz G. Konsalik, entledigte sich auch noch der letzten Reste existenzialistischer Schwermut der Vorlage und wurde unter Vohrer zum nochmals leichter konsumierbaren Abenteuerkrimi umgebaut. Im Buch ist Werner Bäcker (mit ‚ä‘) ein Aussteiger, der sich mit seiner Familie nach Polynesien zurückgezogen hat und bei dem Schiffbruch seine Frau und zwei Kinder verliert. Daraus entspinnt sich dann zunächst die tragische, einsame Robinsonade eines Lebensmüden, dessen Geister sich nurmehr langsam wieder regenieren und sich mit der Ankunft von Polizist und Gefangener neuen Tragödien ausgesetzt sehen. Der von Thomas Hunter gespielte Film-Bäcker hat erst gar keine Familie, die er betrauern müsste und gibt sich entsprechend frohgemut und gut drauf. Die zusätzliche Einführung des von Sieghardt Rupp gespielten Hobby-Detektivs, der später dabei hilft, Annes Unschuld zu beweisen, ist nötig, um dem im Roman bestenfalls tertiär bedeutsamen Krimi-Subplot Gewicht zu verleihen. Kongenial erhalten bleibt indes die sowieso interessanteste Figur des fanatischen Polizisten Paul Cerdan (im Buch ‚Shirley‘), ein ruppiger, obrigkeitshöriger Zeitgenosse, der irgendwann den Verstand und darüberhinaus das Leben verliert. Vohrers Film reduziert sowohl diese triviale Kolportagegeschichte als auch ihre besonders einprägsam beschriebenen, naturalistischeren Momente auf einen harmlosen Unterhaltungsrahmen, bleibt jedoch durchweg ansehbar. Als die adäquatere (und bessere) mediale Transponierung erweist sich dennoch das alte Europa-Hörspiel mit Uwe Friedrichsen, Gottfried Kramer und Karin Eickhold, das mittlerweile nicht mehr ganz billig zu haben ist, sich aber dennoch, zumal im Vergleich mit Vohrers Film, sehr lohnt – vor allem, so man sich verständlicherweise nicht gleich den ganzen Roman (nebst Fortsetzung, die gibt’s nämlich auch noch) antun möchte.

6/10

THE RIDICULOUS 6

„That is some mystical shit!“

The Ridiculous 6 ~ USA 2015
Directed By: Frank Coraci

Als weißer Waisenjunge bei den Apachen aufgewachsen, erinnert sich White Knife (Adam Sandler) nurmehr an den gewaltsamen Tod seiner Mutter (Catharine Pilafas), als er noch klein war. Nun, viele Jahre später, sucht ihn sein ihm bislang unbekannter leiblicher Vater Frank Stockburn (Nick Nolte) auf – wie sich herausstellt, ein ziemlicher Hallodri, der aber in der Klemme sitzt, weil der Desperado Cicero (Danny Trejo) Franks gesammelte Rauberträge verlangt. White Knife, der eigentlich Tommy Dunson heißt, macht sich auf, seinen Dad auszulösen, was bedeutet, dass es an ihm ist, just die erforderliche Summe zusammenzuklauen. Glücklicherweise gibt es im Westen genug böse Zeitgenossen, die man auf moralisch unbedenklichem Wege um ihr Bestes erleichtern kann. Auf seiner Reise begegnet Tommy dann gleich noch seinen fünf Halbbrüdern (Rob Schneider, Taylor Lautner, Jorge Garcia, Terry Crews, Luke Wilson), die ihn bei seinem Vorhaben redlich unterstützen.

Nicht einen, gleich fünf Schritte rückwärts vollzieht der Sandman mit dieser hemmungslos albernen Westerncomedy, deren humorige Ebene sich irgendwo zwischen „The Waterboy“ und „Little Nicky“ platziert, wobei die Nähe zu letztgenanntem als Genreparodie sich besonders dicht ausnimmt. Nach der capraesk geratenen Entwicklung der letzten Jahre, in denen Adam Sandler ja vor allem die amerikanische Mittelklassefamilie nebst ihren Minimalkrisen und vor diesem Hintergrund die akute Weigerung des Frühvierzigers, sich dem Älterwerden zu stellen, vivisezierte, orientiert er sich im Falle „The Ridulous 6“ schamlos regressiv. Furz- und Genitalwitze kommen da im Trommelfeuerakkord, über Dicke und Behinderte wird sich herzlich amüsiert, die feuchten Flatulenzen des Esels Burro, der die lächerlichen Sechs sozusagen als inoffizielles, siebtes Mitglied „anreichert“, erübrigen Stoff gleich für mehrere Schoten. Eine ganze Reihe Gaststars, darunter etliche altgediente (Steve Buscemi, John Turturro, David Spade, Jon Lovitz), geben sich in Minirollen ebenso die Ehre, wie andere, die sich dem Kanon neu einreihen (Luke Wilson, Nick Nolte). Harvey Keitel spielt einen ewig grinsenden Gauner, dessen dekapitiertes Haupt sogar immer noch grinst, Vanilla Ice gibt einen rappenden Mark Twain, Steve Zahn pult sich selbst ein Auge aus der Höhle, weil er zu einer idiotischen Outsider-Gang gehören will und so fort. Pietäts- und Geschmacksgrenzen kennt der Film nicht und unter anderem diese Tatsache hätte ihm wohl beinahe die Existenz versagt. Mittlerweile gilt der nichtsdestotrotz vielbeschäftigte Sandler nämlich selbst in Hollywood als ziemlich unfehlbarer Megaflop-Garant, weswegen ihm selbst seine früheren Kollaborateure bei Sony oder Paramount die Unterstützung verweigerten und nunmehr schließlich Netflix im Rahmen eines Vier-Filme-Pakets für den Vertrieb von „The Ridiculous 6“ sorgt. Ob der Film nun nichts mehr denn waschechter Bahpfui-Klamauk ist oder doch ein fürstliches Geschenk für den Sandman-Liebhaber früherer Stunden, das mag ein jeder für sich selbst entscheiden. Liebenswert an ihm ist in jedem Falle, dass er seine Sache rigoros durchzieht. Eine gutgemeinte Warnung an jedweden potenziellen Betrachter möchte ich dennoch nicht unausgesprochen wissen.

6/10

SPECTRE

„I just need one more thing.“

Spectre ~ UK/USA 2015
Directed By: Sam Mendes

Ein Einsatz in Mexiko, in dessen Zuge James Bond (Daniel Craig) den Terroristen Sciarra (Alessandro Cremona) erledigt, führt den Agenten zunächst zu Sciarras Witwe (Monica Bellucci) und dann zu dessen Verbindungsleuten, der geheimen Verbrecherorganisation SPECTRE. Deren Vorsitzender wiederum, ein gewisser Franz Oberhauser (Christoph Waltz), ist ein alter Bekannter Bonds – war es doch einst Oberhausers Vater, der den als Kind verwaisten James in seine Obhut genommen hatte. Während Bond zugleich die von Oberhauser aufs Korn genommene Madeleine Swann (Léa Seydoux), die Tochter von Bonds früherem Widersacher Mr. White (Jesper Christensen), beschützen muss, gilt es gleichermaßen, Oberhausers neuesten Plan zu vereiteln: Die Infiltrierung aller großen Geheimdienste der Welt und damit die Verfügbarmachung der wichtigsten, globalen Informationsressourcen.

Erwartungsgemäß kein umwerfender Bond-Film und auch auf dem enger umrissenen Sektor der Craig-Beiträge zur Reihe gewiss keine Epiphanie, kann man „Spectre“ dennoch seine spezifischen Meriten bescheinigen. Diese liegen vor allem darin, sich in weithin gekonnter Form auf die ursprünglichen Qualitäten der Reihe zu kaprizieren, aus dem sich zuletzt manifestierenden, relativ drögen Spionage-Einerlei wieder mehr pulpige Superheldenphantasie herauszuholen und dabei auch wieder mehr Sinn für die gebotene Selbstironie von dereinst an den Tag zu legen. Endlich hat es wieder einen überlebensgroßen, larmoyanten Widersacher zwischen Sadismus und Allmachtsphantasien, der sich zudem als heimlicher Strippenzieher im Hintergrund herausstellt und ja, auch als genau der, von dem es zuvor von offizieller Seite stets hieß, der sei er nicht. Christoph Waltz macht das ziemlich gut und erinnert freilich vor allem an den grandiosen, inoffiziellen Schurken (und Waltzens Landsmann) Klaus Maria Brandauer in „Never Say Never Again“. Dazu gibt es gleich noch den (theoretisch) unfällbaren, stummen henchman Mr. Hinx (Dave Bautista) in der Tradition von Odd-Job, Jaws und all den anderen, der, mit seinem zugigen Ableben die Ahngalerie von Robert Shaw und Julius W. Harris fortsetzend, leider etwas früh scheiden muss.
Wenngleich die „Mission: Impossible“-Filme mit Tom Cruise in gegenwärtigen Tagen längst die bessere Agentenserie repräsentieren, so kann sich Bond zumindest weiterhin als international konkurrenzfähig behaupten. Der Zuschauer erhält ein paar exquisit arrangierte, kernige Actionsequenzen, pompöse Explosionen, Sinn für Exotik, eine nette Gespielin sowie eine Kernstory, die immerhin nicht ganz so egal ist wie die der letzten Filme zuvor. Dem gegenüber steht zwar ein höchst enervierender Titelsong, der gleich nach dem Madonna-Stück „Die Another Day“ auf den untersten Plätzen rangiert, aber damit kann man zähneknirschend leben.
Ob „Spectre“ als Ende der Ära Craig begriffen werden will, lässt sich aus dem Ende nicht recht ersehen, möglich wäre es wohl. Man hörte ja sowohl Craig als auch Mendes zuletzt ziemlich lautstark jammern ob der Strapazen, die so ein Bond-Dreh beinhalte. Am Ende entscheidet darüber wohl wenig mehr denn die Angebotshöhe. Einer sollte aber mindestens noch kommen, denn dann hätte Craig die unliebsamste Phase des Franchise, nämlich die zwischen 1995 und 2002, zu guter Letzt auch in quantitativer Hinsicht überboten.

7/10

SOUTHPAW

„You can’t control shit.“

Southpaw ~ USA 2015
Directed By: Antoine Fuqua

Nachdem seine geliebte Frau Maureen (Rachel McAdams) durch einen Unfall erschossen wird, ist der Halbschwergewichtsweltmeister Billy Hope (Jake Gyllenhaal) nurmehr ein Wrack. Er flüchtet sich in Drogen und selbstzerstörerisches Verhalten, das schließlich mit dem Ende seiner Karriere und dem Verlust seiner kleinen Tochter Leila (Oona Lawrence), die in die Obhut der Jugendfürsorge überstellt wird, endet. Um Leila, die sich auch emotional enttäuscht von ihrem Vater abwendet, wiederzugewinnen, bleibt Billy Hope nur eine Wahl: Er muss zurück nach oben, an die Spitze des Boxsports. Dies bedeutet einen Kampf gegen niemand Geringeren als Miguel Escobar (Miguel Gomez), jenen Mann, aus dessen Gefolge der tödliche Schuss auf Maureen abgegeben wurde. Sein Training absolviert Billy bei dem albgehalfterten Jugendcoach Tick Wills (Forest Whitaker).

Falls Antoine Fuqua im Sinn gehabt haben sollte, seine Version der just durch ein neues Kapitel erweiterten „Rocky“-Saga aufs Tapet zu bringen, ergänzt natürlich durch etliche Elemente aus anderen prominenten Boxsport-Filmen von „The Champ“ bis „Raging Bull“, dann wäre dies nicht weiter verwunderlich, denn genau so riecht „Southpaw“, und das sogar bei starkem Gegenwind. Den Aufstieg des vielsagend Billy Hope benamten Protagonisten erspart uns der Film, wir steigen gleich bei seinem letzten erfolgreichen Titelkampf ein. Der Junge aus der Gosse, von eher schlichtem Gemüt und mit der lauernden Aggressivität des auf der Straße Aufgewachsenen ausgestattet, hat in materieller Hinsicht alles, was sich ein Mann seines Horizontes wünschen kann: Erfolg, Geld, Protzwerte und vor allem eine reizende Familie. Was dann jedoch geschieht, besitzt absoluten Soap-Charakter: Ausgerechnet aus der Richtung von Billys großmäuligem Konkurrenten erfolgt eine öffentliche Provokation, die der Champ nicht auf sich sitzen lassen kann, die dann aber das Leben seiner Frau kostet. billy trägt eine nicht unerhebliche Mitschuld an Maureens Tod und just diese Gewissheit treibt ihn in die sukzessive Selbstzerstörung. Dass da noch ein bezauberndes kleines Mädchen ist, das seinen Vater gerade jetzt dringender denn je benötigt, vergisst der Boxer in seinem überbordenden Selbstschmerz. Er muss erst alles verlieren, um zurück an die Spitze zu kommen: das Herz des Löwen, das Auge des Tigers… wir kennen das. Daran, dass Fuqua ein begnadeter Regisseur ist, wird „Southpaw“ niemanden zweifeln lassen. Kurt Sutters Script allerdings trieft so dermaßen über vor den mehr oder weniger gut abgehangenen Klischees des Boxerfilms, das man meint, einem Déjà-vu nach dem anderen anheim zu fallen. Welche das sind, muss nicht extra aufgezählt werden, kennt sie doch ohnehin jeder. Gut, dass Jake Gyllenhaal, der nach offensichtlich beinharten Trainings-Sessionen jetzt mehr aussieht wie Scott Adkins denn wie Donnie Darko, viel Herz und Kunst in die Waagschale wirft und dass die Chemie zwischen ihm und der putzigen Oona Laurence nochmal Vieles rettet. Diese beiden ziehen den Kahn mit vereinten Kräften dann doch noch auf die gute Seite.

6/10

BRIDGE OF SPIES

„Would it help?“

Bridge Of Spies ~ USA/D/IN 2015
Directed By: Steven Spielberg

New York, 1957: Zunächst eher unfreiwillig nimmt Anwalt James Donovan (Tom Hanks) das Mandat zur Verteidigung eines sowjetischen Spions an, den das FBI verhaftet hat. Dass Rudolf Abel (Mark Rylance) als Kommunist die Todesstrafe verdient, scheint dabei jedem klar, nur Donovan nicht. Dieser verteidigt Abel nach bestem Wissen, Gewissen und mit stichhaltigen Argumenten und schlägt so schließlich eine Gefängnisstrafe für ihn heraus. Kurze Zeit später erweist sich dies als höchst weitsichtig. Der Spionagepilot Francis Powers (Austin Stowell) wird über russischem Staatsgebiet abgeschossen und inhaftiert, fast zeitgleich gerät der US-Student Frederic Pryor (Will Rogers) in Stasi-Gefangenschaft. Donovan wird als Unterhändler nach Berlin entsandt und bewerkstelligt über einige Umwege den Austausch von Abel gegen Powers und Pryor.

Routinekino aus altmeisterlicher Fabrikation. Spielberg will ganz offensichtlich niemandem mehr etwas beweisen und nurmehr unbehelligt sein Handwerk ausüben. So lang dabei noch immer Sehenswertes wie „Bridge Of Spies“ herauskommt ist dagegen nichts zu haben. Allerdings muss die antizipatorische Haltung entsprechend sein: Wirklich umwerfendes Kino darf man aus dieser Richtung kaum mehr erwarten. Seinem aktuellen Film zugrunde liegt ein historisch interessanter Stoff, der von Spielberg mit den nach wie vor großen Augen des nach wie vor überraschten Unterhaltungs-Chronisten aufbereitet wird. Auf der Habenseite stehen demzufolge geflissentliche Spannungsmomente, formaler Perfektionismus, eine nette Lehrstunde zum Kalten Krieg, gute Darstellerleistungen und insgesamt ein Film, dem gewiss niemand böse sein kann. Dem gegenüber befindet sich allerdings eine klaffende Innovationslücke, die im Grunde niemanden überraschen dürfte, der sich mit geschichtlich konnotierten Politdramen aus Hollywood insbesondere der letzten Jahre auch nur ein wenig eingehender befasst.
Angesichts all dessen stellt sich die Frage, ob einem das genügt und man sich mit dem Gebotenen zufrieden geben mag, oder ob man sich von der bald rigorosen Weigerung eines Filmemachers, auf seine alte Tage noch unentflammte Feuer zu schüren, enttäuschen lässt. Glücklicherweise ist ja niemand zu nichts gezwungen, so auch nicht, sich „Bridge Of Spies“ anzusehen. Ob man ihn dann im Nachhinein als eher bereichernd oder auch als redundant einzuordnen geneigt ist, liegt im jeweiligen Betrachterauge. Beides wäre wohl verständlich.

7/10

BAD SANTA

„Fuck me, Santa!“

Bad Santa ~ USA 2003
Directed By: Terry Zwigoff

Jedes Jahr zu Weihnachten lässt sich der versoffene Safeknacker Willie T. Stokes (Billy Bob Thornton) von seinem kleinwüchsigen Kumpan Marcus (Tony Cox) für einen Kaufhaus-Coup anheuern. Der Plan ist jedesmal derselbe: Willie und Marcus arbeiten vor Ort als Weihnachtsmann und Wichtel und räumen dann irgendwann kurz vorm Fest den prall gefüllten Tresor leer. Doch in diesem Jahr ist etwas anders: Der höchst verschrobene, dicke Zehnjährige Thurman Merman (Brett Kelly) begegnet Willie und erweicht, ganz gemächlich und unversehens, das Herz des bösen Zynikers…

Ich oute mich jetzt mal als erklärter Nichtfan dieser allzu offensichtlichen, in Wahrheit keineswegs „bösen“, sondern sich im Gegenteil sogar als höchst philanthropisch deklarierenden Weihnachtskomödie. Mal ganz ehrlich: Wenn man plant, einen Film über einen ausgesprochenen Arschloch-Weihnachtsmann herzustellen, dann kann man sich allerlei unappetitlichen, wirklich hundsföttischen Schabernack einfallen lassen – oder auf Nummer Hundertpro gehen und ein bombensichers Lehrbuchscript wie dieses zur Hand nehmen. Es beginnt schon damit, dass Thornton nicht böse ist, sondern bloß ganz normal lässig. Jesses, der Mann flucht, säuft, vögelt und hasst die Welt – was soll daran Anstoß erregen in Zeiten, die Mafiosi, Killer, Dealer und Serienmörder zu liebenswerten Film- und TV-helden deklarieren?
Ach, man kann sich eigentlich kurz fassen: Da dies ein Weihnachtsfilm ist – und, ich kann mich da nur wiederholen, gewiss keiner, der nicht etwa im Geiste sämtlicher klassischen, amerikanischen Weihnachtsgeschichten seit anno dunnemals stünde – wird der fiese Möpp schlussendlich natürlich geläutert und darf bald seine lustige, neue Patchworkfamilie in die Arme schließen. Das ist kein Weihnachts-Antidot und keine zynische, oder gar böse Anarchokomödie, sondern just das Gegenteil von alldem: eine brave, biedere Spießerausgeburt nämlich, klammheimlich schmalzig und kleingeistig und damit so ziemlich das Gegenteil von dem, was mir die meisten Leute in ihm zu sehen glauben.

5/10

DON’T OPEN TILL CHRISTMAS

„I have a reasonable suspicion!“

Don’t Open Till Christmas (Fröhliche Weihnacht) ~ UK 1984
Directed By: Edmund Purdom

Ein maskierter Irrer streift durch das weihnachtliche London und bringt wahllos jeden als Weihnachtsmann verkleideten Zeitgenossen um, dessen er habhaft wird. Die junge Kate Briosky (Belinda Mayne), deren Vater (Laurence Harrington) zu den Opfern des Killers zählt, macht sich auf, Scotland Yard bei der Tätersuche zu unterstützen. Dabei kommt sie einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur…

Ein Film, an dem so ziemlich alles sonderbar bis wunderlich ist. Von eher italienisch anmutender Provenienz beseelt, würde man eigentlich zu keiner Sekunde erwarten, hier einer englischen Produktion ansichtig zu werden – und doch, auch die Briten verließen hier und da die hochnäsigen Pfade ihrer im Regelfalle kultivierteren Kinofabrikation, um dann einmal so richtig die Sau durchs Dorf zu treiben. Exemplarisch geschehen im Falle dieses vollranzigen Exploiters, der einzigen Regiearbeit des vom vielversprechenden Nachwuchs-Hollywoodstar auf Euro-Abwege geratenen Edmund Purdom. Von Mankiewicz über Curtiz und Thorpe bis hin zu Aristide Massaccesi und Sergio Martino führte seine illustre Filmkarriere – und bis zu diesem zweifelhaften Höhepunkt der buchstäblichen Selbstinszenierung. So erklärt sich die Genese des Films immerhin zumindest ansatzweise: Joe D’Amato hat Edmund Purdom hypnotisiert und nicht mehr aufwachen lassen!
Das Script zu „Don’t Open Till Christmas“ ist ein Musterexempel an Brüchen und Fehlerbehaftung; teilweise wird der Zuschauer mit absolutem Nonsens konfrontiert, den er dann rigoros zu schlucken gezwungen ist. Der Schmier tropft aus allen Ritzen und irgendwie erweisen sich diese ganzen vollkommen versoffenen und notgeilen Weihnachtsmänner dann auch als so widerwärtig, dass man dem Mörder nurmehr alles Gute wünscht beim Großreinemachen. Wie Caroline Munro als Sängerin einer Popgruppe mit einer einzigen Dialogzeile sich zu ihrem Gastauftritt überreden ließ, wäre dann noch zu klären. Oder auch nicht.
Dass jedenfalls soviel exorbitanter Schund gar nicht anders kann, denn sich bald als liebenswertes Artefakt seiner Zeit zu erweisen, muss kaum gesondert erwähnt werden. Seien Sie dabei! Mindestens so deliziös wie eine madenverseuchte, schimmlige Weihnachtsgans aus dem Römertopf! Sehen, hören, staunen!

5/10

YOU BETTER WATCH OUT

„But if you’re bad boys & girls, your name goes in the ‚Bad Boys & Girls‘ book, and I’ll bring you something… horrible!“

You Better Watch Out (Teuflische Weihnachten) ~ USA 1980
Directed By: Lewis Jackson

Seit er als kleiner Junge (Gus Salud) mitansehen musste, wie sein als Weihnachtsmann verkleideter Vater (Brian Hartigan) seiner Mom (Ellen McElduff) in unmittelbarer Nähe des geschmückten Baumes einen gepflegten Cunnilingus verabreichte, ist Harry Stadling (Brandon Maggart) nachhaltig traumatisiert. 33 Jahre später bricht sich seine Neurose dann Bahn: Als Santa Claus ausstaffiert fährt Harry durch seine weihnachtliche Heimatstadt und schickt sich an, seine ihm auferlegte Mission zu erfüllen – die Braven zu beschenken und die Bösen zu bestrafen…

Lewis Jacksons arriviertes Indie-Schmuckstück hat sich zu einem kleinen Dauerbrenner des 42nd-Street-Cinema entwickelt, und dies durchaus berechtigt. Ähnlich wie die ebenfalls um diese künstlerisch überaus fruchtbare Zeit entstandenen, kantigen Loner-Porträts „The Exterminator“, „Maniac“ und „Ms. 45“, die wiederum allesamt Scorseses großmächtiger Großstadtstudie „Taxi Driver“ verpflichtet sind, kreist auch der tiefschwarzhumorige „You Better Watch Out“ um einen mental angegriffenen Zeitgenossen, der dem Wahn anheim fällt, gewisse, schiefgelaufene Dinge wieder gerade rücken zu müssen. In Harry Stadlings Fall ist dies die verlorene Unschuld des Weihnachtsfests. Seit er ehedem feststellen musste, dass dieses mitnichten als kinderzentrierte Veranstaltung in den Herzen der Menschen wohnt, hat sich bei ihm eine Schraube gelöst. Als Erwachsener nun bietet er all seine Kraft auf, Weihnachten seine ursprüngliche Altehrwürdigkeit zurückzuerobern. Er schläft im Weihnachtsmann-Kostüm, arbeitet in einer Spielzeugfabrik, führt sorgsam Buch über die Kinder der Nachbarschaft. Umso ungelegener kommen da ein dreister Kollege (Joe Jamrog), der Harry seine Schicht aufs Auge drückt oder ein Nachwuchsmanager, der sich mit der angeblichen Karitativität der Firma schmückt. Harrys Sicherungen brennen endgültig durch und er wähnt sich fortan als Santa Claus nebst mörderischer Agenda. Als ein solcher beschenkt er ebenso freudestrahlende Kinder wie er mit Schnittwerkzeug auf versnobte Erwachsene losgeht.
Harry Stadling entpuppt sich im Laufe des Films als alter ego Lewis Jacksons. Auch diesen wurmte offensichtlich der verlorene Geist der Weihnacht und die sich ausweitende Ironisierung des Fests, die proportional zum Alter der Beschenkten ansteigt. Was an dieser Stelle fehlt, ist ein Mann mit mehr denn handfesten Argumenten und ein solcher erwächst in Harry Stradling. Jener findet sich am Ende sogar rückhaltlos mythifiziert – nachdem sein ihn seit eh und je heimlich hassender Bruder (Jeffrey DeMunn) Harry erwürgt hat, fährt auf wundersame Weise neues Leben in den vermeintlich Verblichenen und er braust mit seinem alten Van hoch in die Lüfte, vermutlich gen Nordpool. Auch wenn es einige Menschenleben gekostet hat: Der Weihnachtsmann ist wieder da und auch im nächsten Jahr wird mit ihm zu rechnen sein…

7/10

A ROOM WITH A VIEW

„A young girl, transfigured by Italy! And why shouldn’t she be transfigured?“

A Room With A View (Zimmer mit Aussicht) ~ UK 1985
Directed By: James Ivory

Auf einer Bildungsreise nach Florenz lernt die gutem Hause entstammende, junge Engländerin Lucy Honeychurch (Helena Bonham Carter) den libertinen Freigeist George Emerson (Julian Sands) kennen und verliebt sich in ihn. Ein leidenschaftlicher Kuss während eines Ausfluges in die Provinz wird jedoch als allseits unpassend erachtet, so dass Lucy George spätestens nach ihrer Heimreise nach Surrey dem Vergessen anheim stellt. Doch wie der Zufall es will, mietet Georges Vater (Denhom Elliott) ein leerstehendes Haus in der Nachbarschaft, so dass schon bald die schicksalhafte Wiederbegegnung folgt. Dabei hat Lucy bereits den weitaus standesgemäßeren Heiratsantrag des versnobten Cecil Vyse (Daniel Day-Lewis) angenommen…

James Ivorys E.M. Foster-Verfilmungen stehen schon seit langem auf meiner Wunschliste. „A Room With A View“ nun erfüllt meine Erwartungen an ihn überraschend exakt. In edwardianischem Ambiente spielend, ermöglicht er Ivory vor allem die ausufernd prächtig ausgestattete Inszenierung einer ehern traditionsverhafteten, strikt britischen Romanze, die es tatsächlich bewerkstelligt, sich wie ein Fenster in eine achtzig Jahre zurückliegende Ära auszunehmen. Aus heutiger Warte betrachtet wirken deren Protagonisten nurmehr wie bemitleidenswerte Sozialfossilien. Strengstmöglichem Standesdünkel unterworfen, negieren sie wie selbstverständlich Leidenschaft und Emotion, führen ein bis ins kleinste Detail durchkontrolliertes Leben zwischen Verhaltenskodex und Verklemmtheit. „A Room With A View“ berichtet nun von einer dringlichst notwendigen, sittlichen Zäsur, einem Aufbegehren gegen das zuvor stets Gehörige. DieLiebe zwischen Lucy und George scheint daher von vornherein zum Scheitern verurteilt; jener verschroben wirkende, junge Mann, der Leben und Freiheit bereitwillig in beide Arme schließt, kann für eine Dame von Miss Honeychurches Zuschnitt, die ihre dereinst zugeknöpfte Rolle als künftige Gattin eines „gleichwertigen“ Gentleman längst internalisiert hat, kaum der Richtige sein. So bedarf es erst vieler Lügen, Irrnisse, Wirrnisse und Zufallsmomente, um aus Lucy endlich den Part einer selbstbestimmten, dem Glück zugetanen Frau zu destillieren. Nicht ohne den für eine viele Dekaden später erfolgende Adaption gebührlichen, subtilen Humor nimmt sich Foster diese überaus umständliche Liebesgeschichte her und führt sie zu ihrem krönenden Abschluss, der endlich das entspannte Paar in glücklicher Zweisamkeit zeigt, für das seine Zeit eigentlich kein Verständnis gehabt hätte.

8/10