OCCHIALI NERI

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Occhiali Neri (Dark Glasses – Blinde Angst) ~ I/F 2022
Directed By: Dario Argento

Der Serienkiller Matteo (Andrea Gherpelli), dessen Beuteschema teure Luxusprostituierte vorsieht, der stets mit einem Van unterwegs ist und seine Opfer mit Vorliebe stranguliert, macht Rom unsicher. Schließlich gerät auch das Callgirl Diana (Ilenia Pastorelli) an den Wahnsinnigen, die versucht, ihm mit dem Auto zu entkommen. Dabei kommt es zu einem Unfall mit einer chinesischen Familie, den nur der kleine Chin (Andrea Zhang) überlebt. Diana selbst erblindet aufgrund einer schweren Kopfverletzung. Mithilfe der empathischen Trainerin Rita (Asia Argento) und der Blindenhündin Nerea fasst Diana ganz allmählich neues Selbstvertrauen. Als sie Kontakt zu dem im Heim untergebrachten Chin aufnimmt, flüchtet sich dieser aus Angst, in eine Pflegefamilie zu müssen, zu ihr in die Wohnung. Matteo bleibt jedoch nicht untätig und will zu Ende bringen, was er einmal angefangen hat. Gemeinsam versuchen die Blinde und das Kind verzweifelt zu überleben…

After the eclipse: Meine persönliche Argento-Lücke ist zu meiner Schande mittlerweile recht umfangreich und spart sämtliche Regiearbeiten der letzten 21 Jahre aus. Da es ohnehin längst an der Zeit ist, dem Abhilfe zu leisten, warum nicht gleich bei seinem aktuellen Werk „Occhiali Neri“ ansetzen? Vorwegzunehmen wäre, dass dessen Betrachtung insbesondere auch dem nicht berufsmäßigen Argento-Apologeten mancherlei abverlangt. Logik und inhaltliche Kohärenz zählten nie zu den vorrangigen Interessen des Maestro und daran hat sich auch jenseits seines achtzigsten Lebensjahres nichts geändert. Vielmehr begeistert er sich ungebrochen für Topoi, Chiffren und Kausalitäten, die andere stirnrunzelnd als redundant beiseite schieben würden. Was man gemeinhin als dramaturgische Fettnäpfchen erachtete, bildet bei Argento zudem und au contraire die Bedienung steter werkimmanenter Motive (Dunkelheit und Licht, Raumkonstruktion, An- und Abwesenheit von Farbspektren, körperliche und/ oder psychische Versehrtheit, Außenseitertum, Angstfacetten, brave und mörderische Tiere als Erfüllungsgehilfen etc.). Die Zeit bleibt seit eh und je stehen mit und bei ihm, was gleichfalls bedeutet, dass er auch anno 2022 keinerlei Zugeständnisse an Entwicklungsprozesse in Medium oder Genre vollzieht und ganz in sich selbst ruht, ungeachtet dessen, dass es damit nahezu ausgeschlossen ist, sich ein unerfahrenes Publikum außerhalb seiner getreuen Rezeptionshemisphären zu erschließen. Ein vergleichsweises mediales Novum wie ein Smartphone für Blinde wirkt da fast wie ein postfuturistisches Artefakt, das in Argentos Welt eigentlich keinen Platz hat und, seiner diegetischen Funktion einmal entledigt, auch keine weitere Rolle mehr spielt. Ferner befreit sich der Filmemacher von scheinbar obsolet gewordenem Ballast wie einer Mörder-Psychologisierung. Zählten früher noch ein gewisses (wenn auch selten luzides) Profiling oder gar Whodunit-Elemente zu seinen obligatorischen Script-Bestandteilen, bedarf es heuer auch dieser nicht mehr. Der Killer wird ohne große Umschweife oder Mysterien bereits im ersten Drittel nebst Gesicht und Namen vorgestellt; warum er tut, was er tut, erfährt man de facto nicht. Das Incel-Motiv Misogynie erscheint mir jedenfalls etwas weit hergeholt – Matteos Charakterisierung beschränkt sich darauf, dass er nämlich im Grunde durchaus nicht unattraktiv ist, körperhygienisch jedoch ziemlich verwahrlost, in einer Baracke außerhalb der Stadt haust, große Hunde entführt und illegal weiteverkauft und mit Vorliebe kokst. Ein nachgerade unsympathisches Individuum also, was soweit genügen muss. Wenn es überhaupt ein personelles Interesse gibt, dann liegt dies in der Beziehung zwischen Diana und Chin, die als zwei einsame, gehandycapte Seelen auf kognitiver Augenhöhe durch das Schicksal aneinandergekettet werden und damit klarzukommen haben. An dieser Stelle erklimmt der oberflächliche Kriminalplot bereits eindeutig die Schnittstelle zur Symbolhaftigkeit. Und natürlich gelingt Argentos dp Matteo Cocco in dessen erster Zusammenarbeit mit dem Altmeister noch eine oftmals poetische Bebilderung; man denke nur an die Laughton-Hommage, eine fabelhafte Sequenz, in der die hoffnungslos verirrte, auf sich gestellte Diana aus dem finsteren nächtlichen Wald auf eine sternenerleuchtete Lichtung hinausstolpert. Die MakeUp-F/X von Sergio Stivaletti geben sich betont old school und finden sich, auch das gewiss ein altehrwürdiges Kontinuum, genüsslich ausgekostet.
Summa summarum manifestiert sich in diesem Alterswerk das reduzierte, bald reaktionäre Ethos des arrivierten Künstlers, der keinerlei nachvollziehbare Gründe darin sieht, sich oder der Welt noch irgend etwas zu beweisen. „Occhiali Neri“ gleicht insofern eher dem alljährlichen, harmonischen Familientreffen, auf dem der liebenswerte, zunehmend gebrechlich werdende Uropa seine alten Geschichten auspackt. Man hört zwar weiterhin interessiert zu, lächelt insgeheim jedoch Jahr für Jahr ein bisschen milder in sich hinein – vielleicht auch bloß ein Signium barer Arroganz.

6/10

NON HO SONNO

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Non Ho Sonno (Sleepless) ~ I 2001
Directed By: Dario Argento

Siebzehn Jahre nachdem in Turin der sogenannte „Zwergenkiller“ sein Unwesen trieb, der mehrere Frauen auf dem Gewissen hatte, beginnt eine neue Mordserie nach analogem Muster. Der mittlerweile retirierte Polizeibeamte Moretti (Max von Sydow), der den von ihm untersuchten, damaligen Fall abgeschlossen glaubte und mit einer beginnenden Demenz sowie Herzproblemen zu kämpfen hat, nimmt sich eher zum Unwohlsein der Offiziellen erneut an. Gemeinsam mit dem jungen Giacomo (Stefano Dionisi), dessen Mutter (Francesca Vittori) zu den einstigen Opfern des Mörders zählt, kommt er dem offenbar mitnichten toten Gewaltverbrecher immer dichter auf die Fersen.

Sein erster Film im neuen Jahrtausend führte Dario Argento wieder weg vom barocken Überschwang seiner zuletzt inszenierten Leroux-Verfilmung „Il Fantasme Dell’Opera“ und zurück zu alten Giallo-Leisten, wie sie ihm in den siebziger Jahren, so etwa im Zuge seiner „Tier-Trilogie“, seine mit erfolgreichsten Meriten eintrugen. Entsprechend vielleicht seiner eigenen, wachsenden Anzahl an Lebensjahren zentriert Argento als Haupthelden einen körperlich wie geistig etwas angeschlagenen Kriminaler, den Max von Sydow absolut maßgeschneidert als leicht kauzigen, grauen Fuchs mit Papagei als privatem Ansprechpartner und Lebensgefährten interpretiert. Das übrige Darstellerpersonal lässt sich derweil relativ problemlos vernachlässigen, wie auch die gewohntermaßen etwas umständliche (und, seien wir ehrlich: mäßig interessante) Auflösung, die von Sydows Charakter leider erst gar nicht mehr miterleben darf, kein unbedingtes Qualitätstopping markiert.
Doch, und auch das hat bei Argento Tradition, ist ohnedies der Weg das eigentliche Ziel: Der ruchlos-brutale Aktionismus des Killers, gleich mehrere psychologische Aufarbeitungen der Vergangenheit, ein zu Unrecht beschuldigter Haupttäter. Für das anno 01 im Vergleich zu den Siebzigern deutlich langweiliger ausfallende Zeitkolorit kann Signore Argento nichts, damit hat er sich ebenso zu arrangieren wie sein Publikum. Dass derweil zahlreiche seiner glühendsten Verehrer den Maestro nach „Non Ho Sonno“ bereits abzuschreiben gedachten, mag ich nicht begreifen. Urplötzlich erging man sich in akribischer Suche nach Logiklöchern, monierte Zähig- und Beliebigkeiten, als sei Argento in der Vergangenheit der ungeschlagene Schwergewichtsweltmeister plausibler Narration gewesen. Vor Meisterwerken wie „Tenebre“ müsse „Non Ho Sonno“ zu Staube kriechen, hieß es da etwa – was ich für keine faire Einordnung halte, sondern lediglich als einen weiteren Beweis dafür erachte, dass gerade die selbsternannten „größten Genrefans“ oftmals Ewiggestrige sind.

7/10

LA SETTA

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La Setta (The Sect) ~ I 1991
Directed By: Michele Soavi

Auf dem Nachhauseweg fährt die junge Hessener Grundschullehrerin Miriam Kreisl (Kelly Curtis) beinahe einen alten Mann (Herbert Lom) an, der mitten auf der Straße steht. Sorgenvoll nimmt sie den mysteriösen Alten mit zu sich nach Hause, wo er augenscheinlich bald stirbt. Jedenfalls kann Miriams eilends herbeigerufener Nachbar, der junge Arzt Frank (Michel Adatte), auch nurmehr den Tod des zerzausten Herrn feststellen. Zeitgleich mehren sich seltsame Ereignisse: Miriam empfängt einen merkwürdigen Traum, enteckt im Keller ihres Hauses einen verborgenen Raum mit einem tiefen Brunnen, in dem leuchtend-blaues Wasser steht und eine Kollegin (Mariangela Giordano) Miriams stirbt auf höchst unerwartete Weise einen gewaltsamen Tod. Dass diese Begebenheiten nur Vorboten einer sehr viel schrecklicheren Wahrheit sind, wird Miriam bald schmerzlich bewusst…

Auf den vergleichsweise wilden, etwas konfus aufbereiteten Dämonen-Horror „La Chiesa“ ließ der seinerzeit vielversprechende Michele Soavi zwei Jahre später „La Setta“ folgen, eine umgearbeitete Version der aus „Rosemary’s Baby“ bekannten Geschichte um eine junge Frau, die realisieren muss, dass sie in die Fänge einer Satanssekte geraten ist, deren Pläne vorsehen, sie zur irdischen Mutter des inkarnierten Antichristen zu machen. Wie Soavi und sein Autor Gianni Romoli diese Story renovieren, das hat durchaus Hand und Fuß und ist stellenweise geschickter umgesetzt als im großen Vorbild: Miriams komplette Biographie erweist sich als von den Satansjüngern arrangiert; kein einiger Tag in ihrem bisherigen Leben war dem Zufall überlassen. Bei dem alten Mann, der offenbar die Identität des als verschollen geltenden Satanistengurus Moebius Kelly besitzt, handelt es sich ferner um Miriams leiblichen Vater, der ihree Geschicke seit jeher aus der Entfernung steuert.
Es ist Soavis Verdienst, das Naheliegendste umgangen und darauf verzichtet zu haben, eine effektvolle, grelle Geisterbahnfahrt vom Kaliber eines Lucio Fulci vom Stapel zu lassen. Der Bluteffekte hat es für ein italienisches Genrewerk tatsächlich nur höchst wenige, stattdessen setzt Soavi vornehmlich auf die Kreierung einer rätselhaft-irrealen Stimmung sowie auf die ungeheuer ausdrucksstarke Bildsprache seines vollendet arbeitenden dp Raffaele Mertes, mit dem er leider nur dieses eine Mal zusammenarbeitete. Soavi zeigt sich von einem ganzen Fundus übernatürlicher Schriften und Ereignisse beeinflusst; seine (literarische) Reise führt ihn von Poe über Gustav Meyrink und Lovecraft bis hin eben zu Ira Levin und reale Gestalten wie Crowley, LaVey und sogar Charles Manson, den er beinahe ebenbildlich von Tomas Arana spielen lässt. Aus diesem großen Inspirationspool also keltert der leider so spärlich für das Kino arbeitende Regisseur sein schönes Werk, das (trotz der Namensnennung des Meisters) nicht ganz der halluzinatorisch geprägten Transzendentallogik der übernatürlich geprägten Argento-Filme folgt, gerade darum jedoch seine Eigenständigkeit verteidigt. Der versöhnliche Abschluss, der uns mit der Gewissheit aus dem Film entlässt, dass selbst die Essenz des Bösen im Kern ein gutes Herz besitzt, rundet „La Setta“ nochmal adäquat ab. Dass Soavi mit dem bald darauf folgenden Meisterwerk „Dellamorte Dellamore“ seinen persönlichsten, endgültigen Horrorfilm inszenierte, erscheint angesichts solch seltener Geschlossenheit nurmehr konsequent. Den chronologischen Patzer betreffs des eingehenden Einsatzes von Americas „A Horse With No Name“ (das Stück wurde anno 72 veröffentlicht und konnte somit 1970 nicht gespielt werden) verzeihe man nachsichtig.

8/10

LA CHIESA

Zitat entfällt.

La Chiesa (The Church) ~ I 1989
Directed By: Michele Soavi

Über einem bereits seit dem Mittelalter existenten Massengrab, voll von den toten Mitgliedern einer paganistischen Kultgemeinschaft, errichteten die für das Massaker zuständigen Ritter einst eine Kirche. In der Gegenwart öffnet der neugierige Bibliothekar Ewald (Tomas Arana) mithilfe eines zuvor von der Restauratorin Lisa (Barbara Cupisti) entdeckten Pergaments ein im Keller des Gemäuers befindliches Siegel, womit das unter ihm lauernde Böse freie Bahn erhält und umgehend von Ewald Besitz ergreift. Zugleich versperrt ein Automatismus sämtliche Türen der Kirche, so dass die momentan darin anwesenden Personen, darunter eine Schulklasse und eine Hochzeitsgesellschaft, eingeschlossen und mit den Mächten der Finsternis konfrontiert werden. Während die dämonischen Kräfte einem Virus gleich immer mehr der Gefangenen infizieren, gibt es für den alten Dompropst (Feodor Chaliapin Jr.) nurmehr die letzte Option, das vormalige Gotteshaus komplett zum Einsturz zu bringen, um die Ausbreitung des Bösen zur Außenwelt hin zu verhindern.  Ein junger Priester (Hugh Quarshie) tut derweil alles, um die Menschen in der Kirche zu retten.

Als offizielles Zweitsequel zu Lamberto Bavas „Dèmoni“ hat „La Chiesa“ mit diesem und dem ersten Nachfolger nicht mehr allzu viel gemein. Zu nennen wären da vielleicht die Mitwirkung Dario Argentos als einer Art grauer Eminenz im Hintergrund und Ideenlieferant, eine deutsche Großstadt als Handlungsort sowie eher zufällig freigesetzte Höllenmächte, die nach Weiterverbreitung streben. Darin erschöpfen sich bereits die Parallelen. Zumindest Argento-Eleve Michele Soavi, der vormals auch bei Joe D’Amato als 2nd-Unit-Director unter dem bärigen Pseudonym „Mike Soft“ gearbeitet hat, dürfte aber ohnehin als Letztes im Sinn gehabt haben, irgendeine fremdinstallierte Grundidee fortzuführen. Leider zerfällt sein Film, dem man die ihm innewohnende Ambition dennoch zu jeder Sekunde anmerkt, in zahllose kleine Splitter, die am Ende zu einem recht unförmigen Ganzen zusammengeleimt wurden. Laut der imdb haben nicht weniger als acht Autoren am Script zu „La Chiesa“gewerkelt, in der Regel kein gutes Zeichen. Dass Soavi selbst darunter noch nichtmal aufgeführt ist, lässt sich nicht minder ernüchternd an. Und tatsächlich schert sich der Film bald nicht mehr um atmosphärische Stringenz oder so etwas wie einen kompakten Anstrich; er löst sich, ebenso wie die von ihm verhandelte Realität innerhalb der Kirche, mehr und mehr auf und zerfasert in diverse, kleine Baustellen, die die Kognition des Zuschauers zusehends ignorieren und schließlich gänzlich erlahmen lassen. Stattdessen folgen Szenenmontage und Diegese willkürlichen Assoziationsketten und ziemlich selbsträsonistisch angelegten Bewusstseinstranszendierungen; der Rezipient wird darüberhinaus irgendwann im nebulösen Stich gelassen. Das ist speziell in diesem Falle besonders schade, denn so Vieles stimmt an „La Chiesa“, von dem titelgebenden, unheimlichen Sakralbau (die St.-Nikolai-Kirchenruine in Hamburg) über Soavis Geschick, Plätze und Kulissen zu inszenieren bis hin zum erlesenen Score und zur grandiosen Effektarbeit. Das entstandene Missverhältnis gilt es, zähneknirschend hinzunehmen, hieße es andernfalls doch, einen der interessantesten italienischen Genrebeiträge der Spätachtziger zu verbrämen.

6/10