LE ORME

Zitat entfällt.

Le Orme (Spuren auf dem Mond) ~ I 1975
Directed By: Luigi Bazzoni

Die Simultandolmetscherin Alice Cespi (Florinda Bolkan) erwacht eines Morgens nach einem beklemmenden Traum, der ihr einen vor Jahren gesehenen, einprägsamen Science-Fiction-Film ins Gedächtnis zurückruft. Sie fällt aus allen Wolken, als sie bemerken muss, dass ihr die letzten drei Tage zuvor einfach „fehlen“. Offenbar ist sie zu Beginn der Woche mitten während der Arbeit verschwunden und hat kurzfristig eine Insel namens „Garma“ bereist, worauf sie nur wenige materielle Bruchstücke hinweisen. Um sich ein klares Bild zu verschaffen, fliegt Alice abermals nach Garma und trifft dort diverse Personen, die sie bereits zu kennen scheinen, darunter die seltsame kleine Paola (Nicoletta Elmi). Alice habe sich letzten Dienstag als „Nicole“ vorgestellt, lange rote Haare gehabt und sei auf der Flucht vor ein paar Männern gewesen. Zudem habe sie verzweifelt nach einem Haus im Wald gesucht. Sukzessive verfolgt Alice fortan jede Spur, die ihr alter ego Nicole hinterlassen hat und trifft bald auf ihre längst vergessene Jugendliebe Henry (Peter McEnery), just in jenem ominösen Haus im Wald. Henry scheint mehr zu wissen, als er preisgibt…

Whatever happened last Tuesday: Mit „Le Orme“ legte Luigi Bazzoni ein formvollendetes Meisterwerk des Mysteriösen vor, eine opulent bebilderte Reise in einen fragilen, seelischen Abgrund, an dessen Ende der Zuschauer sich selbst genötigt findet, die ihm zuvor präsentierten Puzzleteile in eine halbwegs stringente Ordnung zu bringen – wobei der Interpretationsrahmen dennoch großzügig bleibt. „Le Orme“ lebt in allererster Linie von seiner Bildmagie, die niemand Geringerem als dem großen Vittorio Storaro zu verdanken ist. Ich wusste nicht recht, welchen Ursprungsjahres „Le Orme“ ist, musste mich dann im Nachhinein gleich zweimal versichern: Es wirkt, als habe der Film eine Reise in die zehn Jahre entfernte Zukunft unternommen; statt nach den Siebzigern sieht alles nach der Mitte der Achtziger aus, sowohl die Form, die visuelle Sprache, als auch die Requisiten. Dies lässt Bazzonis Film gleich nochmal so merkwürdig und entrückt wirken als sein bloßer Inhalt ihn ohnehin schon dastehen lässt. Mit Beginn von „Le Orme“ hebt man ab; eine zeitliche oder lokale Anbindung hält die Geschichte uns von Anfang an vor. Jene merkwürdige Insel namens „Garma“ existiert tatsächlich auf keiner Landkarte und es dürfte unmöglich sein, ein reales Pendant zu ihr zu finden. Da gibt es Relikte abend- und morgenländischer Kultur; es läuten Kirchenglocken, nachdem der Muezzin zum Gebet in der Moschee gerufen hat. Strand, Hotel und Gäste wirken wie aus einem altehrwürdigen, mitteleuropäischen Seebad hertransferiert. Gedreht wurde wohl zu Teilen in der Türkei, zu Füßen des Taurus, wo sich noch etliche Fährten der Antike zeigen. Dabei ist das eklektisch anmutende, widersprüchliche Garma doch lediglich ein Spiegel der Wirrnis, die Alice Cespi umfängt. Tatsächlich ist ihre Reise hierher keine, die ihr am Ende die ersehnte Aufklärung beschert, sondern die sie ihrer tragischen Bestimmung entgegenführt, die offenbar die Ausformung einer sich manifestierenden Psychose beinhaltet. Welche Rolle die Flashbacks jenes titelgebenden Science-Fiction-Films spielen, in dem ein unglückseliger Astronaut im Zuge einer Mondlandung zum Opfer eines von Kinski dargestellten Wissenschaftlers wird, bleibt ebenso Teil einer irrealen Grauzone, wie die Antwort auf die Frage danach, ob Alice nun wirklich bloß das Opfer einer schweren mentalen Störung ist oder doch das einer wie auch immer gearteten Verschwörung, die nachträglich ihren Geist pulverisiert. Weder auf die innere noch auf die äußere Schönheit dieses famosen Films haben diese letzten Endes der Marginalität des Logischen überantworteten Entscheidungen einen allzu vordringlichen Einfluss. „Le Orme“ bleibt, so rätselhaft er dastehen mag, ein Exempel des erlesenen Geschmacks.

9/10

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