TCHAO PANTIN

Zitat entfällt.

Tchao Pantin (Am Rande der Nacht) ~ F 1983
Directed By: Claude Berri

Lambert (Coluche) beackert die Nachtschicht an einer kleinen Total-Tankstelle in Paris. Seine einsamen Stunden verbringt er mit Saufen und Spiegeleierbraten. Eines Nachts lernt er den jungen Youssef Bensoussan (Richard Anconina) kennen, der in der Nachbarschaft wohnt und in Bars Rauschgift für den arabischen Pusher Rachid (Mahmoud Zemmouri) vertickt. Lambert und Youssef freunden sich an, derweil der Junge versucht, bei der Punkergöre Lola (Agnès Soral) zu landen. Als Youssefs geheimes Drogendepot geplündert wird und er mit einer hohen Summe bei Rachid in der Kreide steht, nimmt sich dessen Gorilla Mahmoud (Mohamed Ben Smaïl) den Jungen vor, der daraufhin in Lamberts Armen stirbt. Dieser begibt sich auf einen privaten Rachefeldzug, derweil Lola ihm nicht mehr von der Seite weichen mag.

Selten war Paris im Film schmutziger, verwaschener und hoffnungsloser als in Berris zugleich doch so romantischem neo noir. Kaum ein Sonnenstrahl scheint jemals den verregneten, grauen Putz der maroden Häuserfronten zu passieren, die urbane Welt von Belleville wirkt wie ein Präludium zur Apokalypse. Inmitten dieses desolaten Betondschungels führt uns Berri ganz allmählich und bedachtsam an seine drei nicht minder prekären Helden heran, allesamt entwurzelte outcasts, die dem Tod näher als dem Leben stehen. Erst im späteren Verlauf der Geschichte offenbaren sich die Gründe für Lamberts väterliche Sympathie für Youssef: Einst Inspecteur bei der Polizei hatte er seinen eigenen Sohn an das Heroin verloren, danach den Dienst quittiert und wurde von der Frau verlassen. Seither treibt er als einsames, stilles Nachtphantom zwischen Tankstelle, Kneipe und Wohnung. In Youssef, der eigentlich doch vieles repräsentiert, was Lamberts reaktionärem Bild junger Großstädter seine Antipathie verleiht (er verdient seine paar Kröten als krimineller Tagelöhner und Kleinstdealer, raucht selbst Joints und ist zu allem Überfluss arabischer Herkunft), schließt er den Jungen als Ersatzsohn ins Herz, nur um ihn gleich darauf wieder zu verlieren. Nach dieser abermaligen Existenzzäsur wird Lambert nicht abermals resignieren, sondern ganz auf eigene Faust zur Waffe greifen und schließt dabei gleich noch mit seinem eigenen Leben ab, weiß er doch aus hinlänglicher Erfahrung, dass irgendwo weiter oben in der Gangsterhierarchie jemand sein Spiel nicht mitspielen wird. Die Polizei, repräsentiert durch den lethargischen Flic Bauer (Philippe Léotard), lässt Lamberts Selbstjustiz nicht nur heimlich gewähren, sondern gibt ihm noch einen entscheidenden Tipp und die deutlich jüngere Lola ihrerseits verliebt sich in den traurigen, unattraktiv scheinenden Hampelmann (dt. für „pantin“) Lambert und schenkt ihm ein paar erfüllte letzte Stunden, bevor die entfesselte Gewaltspirale auch ihn mit sich reißt.
Berri ist mit „Tchao Pantin“ ein wunderschöner Genrefilm am Bruch zu den gentrifizierten, chiquen, von Aerobic und Yuppies bevölkerten (vielleicht auch ein wenig entseelten) Folgeachtzigern gelungen, einfach und konzentriert in seiner Charakterzeichnung und doch so mitreißend und packend. Die Page-Adaption sieht sich zudem als Polar in der Tradition der Vorgängerdekade, bar jedweden Humors und konsequent fatalistisch, derweil Belmondo die Gattung immer weiter zur großpublikumsaffizierenden Stuntshow umformte. Sensationell natürlich insbesondere das viel zu früh verstorbene, menschliche Gesamtkunstwerk Coluche, der sich mit dieser ausnahmsweise (dafür aber richtig) ernsten Performance noch drei Jahre vor seinem Tod ein besonders formidables schauspielerisches Monument zu setzen vermochte.

9/10

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