DARLIN‘

„There can be no after without a before.“

Darlin‘ ~ USA 2019
Directed By: Polyanna McIntosh

Jahre nachdem die kleine Darlin‘ Cleek den Klauen ihres perversen Vaters entkommen konnte und in der von ihm gekidnappten Frau (Polyanna McIntosh) aus den Wäldern ihre Ersatzmutter gefunden hat, wird sie, nunmehr selbst ein Teenager (Lauryn Canny), von der Frau zu einem Hospital geleitet. Dort kümmert sich zunächst der homosexuelle Krankenpfleger Tony (Cooper Andrews) rührend um das verwilderte Mädchen, muss seine wohlausgefüllte Verantwortung jedoch erzwungenermaßen bald an den eine katholische Mädchenschule namens ‚St. Philomena’s‘  leitenden Bischof (Bryan Batt) abgeben. Dieser verspricht sich von der (sorgsam dokumentierten) Resozialisierung Darlin’s eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit. Nach und nach adaptiert sich Darlin‘ an die strengen Erziehungsmethoden der Schule und des Bischofs, blickt jedoch alsbald hinter dessen saubere Fassade. Der daraus folgende, innere, seelische Widerstreit zwischen (forciertem) christlichem Gewissen und den blutigen Erinnerungsfetzen an das frühere Leben harrt seiner Entscheidung, derweil die Frau sich auf die Suche nach ihrer „verschleppten“ Darlin‘ macht…

„Darlin'“ bildet nach zehn Jahren den (vorläufigen) Abschluss einer Trilogie um eine aus einer verwilderten Kannibalensippe New Englands stammende, von Polyanna McIntosh gespielte Frau und ihre seltsamen Berührungspunkte mit einer hoffnungslos entmenschlichten „Zivilisation“. Die literarischen Wurzeln der Geschichte gehen auf den 1981 erstveröffentlichten Roman „Off Season“, das Debüt des vor rund zwei Jahren verstorbenen Horrorautors Dallas William Mayr alias Jack Ketchum, zurück. Darin wird eine Gruppe New Yorker Wochenenurlauber zu Opfern jenes in Maine beheimateten Kannibalenstamms. Ketchum schrieb bis 2010 noch zwei Fortsetzungen, „Offspring“ und „The Woman“, die im Gegensatz zum Auftaktroman beide 2009 bzw. 2011 adaptiert wurden. Letzterer der beiden Filme, inszeniert von Lucky McKee, avancierte zu einem Genre-Meisterwerk, einer tiefschwarzen, feministischen Groteske, einem buchstäblich wilden Pamphlet gegen das patriarchalische Selbstverständnis unserer gobalen Sozietät. Nachdem es nach dem recht zufriedenstellenden Showdown jenes wilden Ritts vorübergehend still um die titelgebende Frau und ihre neuadoptierte Familie wurde, nahm sich Polyanna McIntosh höchstselbst ein weiteres Mal ihres Erzählkosmos an und schrieb und inszenierte, unter produzierender Flankierung der früheren Mitstreiter Andrew van den Houten, McKee und Ketchum (dessen Andenken „Darlin'“ erwartungsgemäß gewidmet ist), ein Coming-of-Age-Drama. Vom letzthin übriggebliebenen Personal sind nurmehr die Frau und Darlin‘ übrig, letztere vor allem in der Funktion als Stammhalterin. Die junge Frau ist nämlich schwanger und dies zugleich der Grund, warum überhaupt die Geschichte um ihre Konfrontation mit der Kirche stattfinden kann. Das Baby soll nämlich unter sanitär-hospitalitären Umständen zur Welt kommen, aber dann verläuft alles doch ganz anders. Darlin‘ landet nämlich beim Bischof, einem weiteren Widerling maskuliner Austriebe, dem sein theologisches Gewissenspolster lediglich als Feigenblatt für die eigene, tiefverwurzelte Niedertracht fungiert. „Darlin'“ reitet also wiederum zu Kreuze, diesmal gegen den Klerus und sein (glücklicherweise) ohnehin im Bröckeln befindliches Antlitz. Das macht ihn schonmal nachgerade und wesentlich sympathisch. Die transgressive Kraft von „The Woman“ kann das Quasi-Sequel indes nicht mehr präservieren, daran ist ihm aber auch nicht gelegen. Der Plot dient McIntosh vielmehr dazu, ihre (ja nun doch sehr karriereeminenten) Geschichte als wilde Frau mit der ihr offenbar dräuenden Agenda der Kirchenkritik zu polstern. Das Resultat entspricht in etwa einer Melange aus „The Woman“ und Schraders „First Reformed“, der vor allem dem angemessen groben Finale bewusst oder unbewusst Pate steht. Als Regiedebüt beachtlich, solitär betrachtet sehens- und als conclusio seiner losen Trilogie anerkennswert.

7/10

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