JENSEITS DER STILLE

„Ich will micht nicht mehr verabschieden müssen. Ich hab‘ genug davon.“

Jenseits der Stille ~ D 1996
Directed By: Caroline Link

Lara (Tatjana Trieb) wächst als hörendes Kind ihrer zwei taubstummen Eltern Martin (Howie Seago) und Kai (Emmanuelle Laborit) auf. Trotz ihrer unüberbrückbaren Differenzen lebt die Familie sehr harmonisch zusammen, wobei Martin seiner Tochter die Fähigkeit des Hörens insgeheim neidet. Früh lernt Lara, die Behinderung ihrer Eltern auch als Chance für sich selbst zu begreifen, indem sie etwa als naseweise Dolmetscherin fungiert. Ein alter, schwelender Konflikt zwischen Martin und seiner Schwester Clarissa (Sibylle Canonica) kocht indes schließlich wieder hoch, als die sich als Bohèmienne exponierende, selbst kinderlose Clarissa ihrer Nichte zu Weihnachten eine Klarinette schenkt. Rasch lernt Lara unter Clarissas wachsender Einflussnahme die Liebe zum Instrument und zur Musik kennen, zum heimlichen Leidwesen ihres später infolge eines tragischen Unfalls verwitweten Vaters. Als junge Erwachsene (Sylvie Testud) plant Lara, am Konservatorium in Berlin zu studieren. Hier lernt sie auch ihre erste große Liebe, den Lehrer Tom (Hansa Czypionka), kennen, ebenso wie die Schattenseiten der insgeheim doch fragilen Clarissa. Martin durchbricht derweil ganz sachte seine Sturköpfigkeit…

Das von Luggi Waldleitner mitproduzierte Langfilmdebüt der damals 31 Jahre jungen Caroline Link weist in vielfacher Hinsicht den Weg, den die Filmemacherin hernach einschlagen sollte: Geschichten um Kinder, das Aufwachsen unter nicht alltäglichen Bedingungen, Biographisches, aber auch der Umgang von Menschen miteinander in Grenzsituationen treiben sie um. „Jenseits der Stille“, der aus einer Zeit stammt, in dem das deutsche Kino kommerziell vornehmlich von dullen Yuppie- und Beziehungskomödien zehrte und ernste oder bewegende Themen abseits von Vergangenheitsbewältigung im Mainstream eine Ausnahmeerscheinung darstellten, bildete, gewiss auch derart kalkuliert, damals ein warmes Leinwandlichtlein im Winter- und Weihnachtsgeschehen 96 (mein erstes Semester) und zeigte, dass auch mit emotional mitreißenden Geschichten – und dazu zählt „Jenseits der Stille“ mit seinen vielen (nicht immer wirklich befriedigend konkludierten) durchrüttelnden Momenten ohne Zweifel – hierzuland noch zu rechnen war. Mit der kraftvollen, teils geradezu explosiven Darstellung des US-Schauspielers Howie Seago in der Rolle des Martin landete Link einen veritablen Glückstreffer, ebenso mit der sinnlichen Sibylle Canonica, die die innere Zerrissenheit Clarissas zwischen sensationshungriger Lebefrau und garstiger, verletzter Ränkeschmiedin grandios interpretiert. Czypionka und Matthias Habich, der Clarissas langmütigen Gatten Gregor spielt, sehe ich jeweils immer gern und seit diesem Film ohnehin noch mehr.
Ich hatte „Jenseits der Stille“ mittlerweile lange nicht geschaut und muss einräumen, dass er mir nicht mehr ganz so uneingeschränkt gut gefiel wie noch vor vielleicht zwanzig Jahren – man bemerkt dann doch den einen oder andere  kleineren dramaturgischen Schnitzer oder einzelne Dialogsequenzen, die sich mit etwas mehr Mut zur Konsequenz oder Elaboration vielleicht noch wesentlich prägnanter hätten lösen mögen. Dennoch bleibt eine über weite Strecken schön finalisierte, ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte, die eben insbesondere von ihrer formidablen Besetzung zehrt.

8/10

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