NEVER TAKE SWEETS FROM A STRANGER

„This isn’t an ordinary crime.“

Never Take Sweets From A Stranger (Vertrau keinem Fremden) ~ UK 1960
Directed By: Cyril Frankel

Peter Carter (Patrick Allen) zieht mit Frau Sally (Gwen Watford) und der neunjährigen Tochter Jean (Janina Faye) nach Nova Scotia, um dort in einer Kleinstadt den Posten als Schulleiter anzutreten. Nach einem herzlichen Empfang folgt rasch der Schock: Jean und ihre neuen Freundin Lucille (Frances Green) waren im Haus des hiesig als pädophil bekannten, alten Clarence Olderberry (Felix Aylmer), der sie um die Belohnung von ein paar Süßigkeiten veranlasst hat, nackt vor ihm zu tanzen. Die kleine Jean zeigt sich zeitnah traumatisiert von den Ereignissen und die Carters sind fest entschlossen, den zudem senilen Olderberry gerichtlich zu belangen und so weitere Taten dieser Art zu verhindern. Der Haken: Die Olderberrys sind die erste und mächtigste Familie am Platz, die gesamte Stadt konnte einst allein wegen ihrer hier gegründeten Fabrik prosperieren. Olderberrys Sohn (Bill Nagy) kündigt erbost an, die nahende Verhandlung mit allen mitteln für sich zu entscheiden und tatsächlich wird die Anzeige, nachdem Lucilles für die Olderberrys arbeitender Vater (Robert Arden) eingeknickt ist und der Verteidiger (Niall McGinnis) Jean vor Gericht rücksichtslos ins Kreuzverhör nimmt, fallengelassen. Die Carters wollen die Stadt daraufhin umgehend wieder verlassen, doch zuvor treffen die Mädchen im Wald abermals auf den Alten…

Diese leider weitgehend übersehene und vergessene Produktion der britischen Hammer zählt zu den bestechendsten, spannendsten und engagiertesten Arbeiten des Studios. Der Horror rekurriert hier ausnahmsweise einmal nicht aus den Auftritten übernatürlicher Monster oder konspirativer Intriganten, sondern aus einer zwar furchtbaren, im Grunde jedoch alltäglichen Tragödie: Sexueller Missbrauch von Kindern im Verbund mit sich pathologisch äußernder Pädophilie sind die vor allem in Anbetracht der Entstehungszeit herausfordernden Themen des wie bei Hammer üblich in knappster Erzählzeit und dabei kompakt abgehandelten Dramas, das Cyril Frankel mit ebenso schmuckloser wie vorbildlicher Kompetenz inszenierte.
Eine zusätzliche, jedoch geschickt umschiffte Klippe erwächst aus der Darstellung des Täters (wobei hier wiederum zugleich die vielleicht einzige relevante Schwäche der Handlung erwächst): Der altehwürdige englische Akteur Felix Aylmer spielt den alten, schwerkranken Mann ohne jedwede Dialogzeile und mit der analog dazu umso diffizileren Aufgabe, ihn als bar jeder Sinne und somit auch Sozialkompetenz, Mündigkeit und Selbstverantwortung darzustellen, ohne ihn zu dämonisieren. Gewiss macht das Script es sich hier streckenweise relativ leicht, wenn es als letztmögliche Lösung das komplette Fortsperren des alten Olderberry wähnt („eine Therapie“, so wird einmal gesagt, sei „in seinem Falle sowieso nicht mehr möglich“). Umso aufrüttelnder gestaltet es sich in der Zeichnung der bürgerlichen Korruption; letzten Endes üben nicht die Staatsgewalten die Macht in der kanadischen Kleinstadt aus, sondern die Reichen, die Gründerväter, von deren Wohlmeinen alles andere vor Ort abhängt. Die eigentlich Schuldigen sind demnach nicht der längst verwirrte Greis, sondern einerseits sein Sohn, der Skandal und Schande scheut und den Dingen somit ihren schlussendlich katastrophalen Hergang erst ermöglicht, sowie die allgemein vorherrschende Korrumpiertheit der bourgeoisen Kleinstädter.

9/10

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