MEIN LIEBSTER FEIND

„Und irgendwie brauchten wir uns doch: Er mich, ich ihn.“

Mein liebster Feind ~ D/UK/USA 1999
Directed By: Werner Herzog

Mit dieser Dokumentation versuchte Werner Herzog, acht Jahre nach Klaus Kinskis Tod in Kalifornien, die sonderbare Beziehung zwischen sich und seinem meistbesetzten Hauptdarsteller – fünfmal hatte Kinski zwischen 1972 und 1988 Titelrollen für Herzog gespielt – die sonderbare Beziehung zwischen sich selbst und jenem so frequent tobenden Wüterich zu ergründen. Was vielleicht nicht allzu bekannt ist, steht gleich zu Beginn der Reise des Regisseurs in die Vergangenheit: Herzog hatte bereits während einer kurzen Jugendphase in München „Bekanntschaft“ mit Kinski geschlossen: Als er mit seinen zwei Brüdern und seiner Mutter in den Fünfzigern in einer Kleinpension in der Elisabethstraße lebte, bewohnte auch Kinski ein Zimmer darin. Schon seit damals ist der Akteur infolge seine exzessiven Ausbrüche fest in Herzogs Kopf verankert. Später bereist Herzog dann einige wichtige Stationen und Drehorte, die für ihn wesentliche Bezugspunkte darstellen. In Peru besucht er einige der damaligen Settings von „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“, in Tschechien die von „Woyzeck“. ZeitzeugInnen wie Eva Mattes, Claudia Cardinale, Justo González oder der Fotograf Beat Presser berichten ergänzend dazu und Herzog im Regelfalle bestätigend von Kinskis Unberechenbarkeit, jedoch auch von seinen liebenswerten Seiten. Die vielen, häufig unglaublichen Geschichten, die sich ehedem zugetragen und teils längst legendäre Berühmtheit erlangt haben, passieren auf durchaus komische Weise nochmals Revue. Dabei exponiert Herzog sich selbst vereinzelt als Getriebener und mithin phasenweise auch hilfsbedürftig, bewusst oder unbewusst. Dass er Kinski, als dieser wegen einer Lappalie den „Aguirre“-Dreh verlassen wollte, androhte, zuerst ihn und danach sich selbst zu erschießen, dürfte bekannt sein. Dass Herzog später mehrfach nächtens Kinskis Haus mit ihm darin anzünden wollte, weniger. Vor allem die Ausschnitte aus Les Blanks wunderbarem Drehbericht zu „Fitzcarraldo“, „Die Last der Träume“ sind aufschlussreich: Wenn der damalige Herzog in einer Mischung aus Hass und Ekel über den Urwald als Hort des Todes und der Zersetzung spricht, den er wider besseres Wissen dennoch liebe, dann sagt das viel über die häufig disparaten Zustände des Filmemachers aus.
Welche schauspielerische Kraft Kinski entfesseln konnte, zeigt indes ein beeindruckender, ungeheuer vielsagender Szenenvergleich: Zunächst sehen wir Jason Robards und Mick Jagger auf dem Glockenturm von Iquitos und wie sie von oben hinabschreien, dass sie ihre Oper wollen, im direkten Anschluss kommt dann die analoge Sequenz mit Kinski, wie sie nunmehr im fertigen Film zu sehen ist. Eine sprachlos machende Parallelisierung. Sehr schön gewählt auch die Klammer des Films, die das Verhältnis Kinski – Herzog absolut treffend umreißt. Zu Beginn sieht man Kinski bei seiner berserkernden Publikumsbeschimpfung während der „Jesus Christus Erlöser“-Tour, die den Mann wie kaum eine andere als keifenden Derwisch denunziert und am Ende während einer Drehpause versonnen mit einem Schmetterling spielend. Es bedarf schon viel Zärtlichkeit und Zuneigung, um sich von einem Menschen so in Beschlag nehmen zu lassen.

9/10

2 Gedanken zu “MEIN LIEBSTER FEIND

  1. Ich finde eigentlich nicht, dass Kinski in JESUS CHRISTUS ERLÖSER berserkert, und statt „Publikumsbeschimpfung“ würde ich das allenfalls als „Teilpublikumsbeschimpfung“ bezeichnen. Herzog hat sich da schon die „schönsten“ Momente rausgepickt und aus dem Kontext gerissen. Meine ausführlichen Eindrücke von diesem denkwürdigen Auftritt stehen hier. Aber ansonsten hast Du meine volle Zustimmung, und zwar zur ganzen Herzog/Kinski-Reihe. Sehr schön!

    Gefällt 1 Person

    1. Herzlichen Dank für deine Einlassung, lieber Manfred.
      Natürlich betrifft meine Umschreibung nur just diesen berüchtigten Teil der Autorezitation mit „Jesus“, der „Peitsche“ und der „Fresse“ und natürlich dem „Scheißgesindel“, das da vor ihm rumort. Darüber, wie die Situation sich entwickelte und über Kinskis Reaktionen darauf kann man sicher ausführlich diskutieren. Dass er immer wieder auf die Bühne zurückkehrte, um seine Performance doch noch zu Ende zu bringen, am Schluss ja sogar in der von dir beschriebenen, relativ intimen Atmosphäre, kann man ihm natürlich in unterschiedlicher Weise auslegen. In jedem Fall war er wohl froh, sein Programm im kleinen Kreise doch noch durchziehen zu können.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar