WOYZECK

„Ein guter Mensch hat keine Courage. Nur ein Hundsfott hat Courage.“

Woyzeck ~ BRD 1979
Directed By: Werner Herzog

Der kleine Gefreite Franz Woyzeck (Klaus Kinski) lebt und leidet still unter der Knute des preußischen Militärwesens. Für den Hauptmann (Wolfgang Reichmann) ist er Laufbursche, für einen renommeesüchtigen Arzt (Willy Semmelrogge) Versuchskaninchen. Mit der lotterhaften Marie (Eva Mattes) hat er einen kleinen Sohn und lebt mit ihr in wilder Ehe zusammen. Woyzecks schizophrene Episoden werden zunehmend intensiv. Er hört Stimmen und grübelt über den Zerfall der Natur und was wäre, wenn die Welt plötzlich in ewiger Nacht dastünde. Die vom Doktor verordnete Diät, die ausschließlich aus Erbsen besteht, verursacht bei ihm noch zusätzliche Mangelerscheinungen und verschlimmert seinen Gesundheitszustand. Als Woyzeck, der es zunächst nicht wahrhaben will, einsehen muss, dass Marie mit einem Tambourmajor (Josef Bierbichler) anbendelt, ermordet er sie am Ufer des nahegelegenen Sees mit einem Messer.

„Woyzeck“ entstand fünf Tage nach dem Drehende von „Nosferatu: Phantom der Nacht“. Herzog entschied sich spontan, das ihm schon lange im Kopf herumspukende Projekt nach Büchners fragmentarischem Drama, die, wie der Regisseur selbst sagt, stärkste literarische Veräußerung deutscher Sprache, kurzerhand aus dem Boden zu stampfen. Der Grund war im Prinzip rein ökonomischer Natur: Herzog war mit seinem Team vor Ort in der Tschechoslowakei, um die Transsylvanienszenen für „Nosferatu“ zu fertigen. Er hatte zuvor lange und mit viel bürokratischem Aufwand für eine Drehgenehmigung kämpfen müssen und fand nun in dem kurz hinter der Grenze liegenden Städtchen Telč das nach seiner Auffassung ideale Setting für seinen „Woyzeck“. So verkaufte er den Behörden die Arbeiten daran kurzerhand als zum vorhergehenden Projekt gehörig. Kinski, zu jener Zeit offenbar in einer vergleichsweise ausgeglichenen Gemütsverfassung, konnte erneut für die Titelrolle gewonnen werden und binnen zweieinhalb Wochen erwuchs so die dritte Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Hauptdarsteller. Herzog selbst subsummiert den Film mittlerweile als Schlussstück einer langen Werksphase. Tatsächlich bildete „Woyzeck“ nach dem bereits in den bald folgenden Abschnitt weisenden „Nosferatu“ seinen letzten, rein deutsch produzierten Spielfilm, bevor er begann, sich global zu öffnen und für seine weiteren „fiktionalen“ Arbeiten internationale Produzenten und Darsteller hinzuzuziehen.
„Woyzeck“, jene Fallstudie eines marionettisierten, kleinen Windlichts im preußischen  Machthierarchie-Gefüge, das an sozialem Umfeld, Einsamkeit und Obrigkeit zerbricht und schließlich ganz dem Irrsinn anheimfällt, wurde nicht nachsynchronisiert, sondern mit Originalton aufgeführt, was ihm bereits eine wesentlich unmittelbare Stimmung verleiht. Lange Einstellungen und Plansequenzen verweisen auf die theatralische Herkunft des Stoffes und wieder einmal liegen Tragik und absurder Humor recht nah beieinander. So findet sich die von Reichmann und Semmelrogge Sr. gespielten Figuren des Offiziers und des Doktors oftmals jenseits der Karikaturisierung wieder. Kinski indes ist so hochkonzentriert wie selten und liefert einen seiner fabelhaftesten Filmauftritte, wenngleich eine vielzitierte Kritik Richard Rouds, derzufolge des Hauptdarstellers „beherrschende“ Präsenz es nahezu unmöglich mache, ihn, wie von Büchner vorgesehen, als psychich versagenden, irrlichternden Spielball der Oberen zu zeigen, nicht von der Hand zu weisen ist. Dennoch verraten sein diffus-panikerfüllter Blick und die pulsierenden Schläfenadern eine beinahe schon beängstigende Interaktion zwischen Akteur und Rolle.

8/10

2 Gedanken zu “WOYZECK

Hinterlasse einen Kommentar