LA TUA PRESENZA NUDA!

„He’s not an infant!“

La Tua Presenza Nuda! (Diabolisch) ~ UK/E/I/BRD 1972
Directed By: James Kelley/Andrea Bianchi

Elise (Britt Ekland), die junge, frischverheiratete, zweite Gattin des verwitweten Autors Paul Bezant (Hardy Krüger), wartet in der andalusischen Finca ihres Angetrauten auf dessen Rückkehr. Überraschend stößt zuvor noch Pauls zwölfjähriger Sohn Marcus (Mark Lester) zu ihr, der angeblich wegen eines Windpockenausbruchs eine Woche früher aus seinem Internat in die Sommerferien entlassen wurde. Marcus benimmt sich für einen Jungen seines Alters überaus untypisch; er hat keine gleichaltrigen Freunde, interessiert sich vornehmlich für Naturwissenschaften und Philosophie und macht Elise zudem unangenehme Avancen. Während der bald zu ihnen stoßende Paul seinen Filius unentwegt in Schutz nimmt und dessen Verhalten auf ein durch den Tod seiner Mutter (Colette Jack) hervorgerufenes Trauma schiebt, fügt sich für die eigenmächtig recherchierende Elise nach und nach ein gänzlich anderes Bild von Marcus zusammen: Das eines teuflisch durchtriebenen Psychopathen…

James Kelleys zweite und leider schon letzte Regiearbeit nach dem erst noch vor einigen Monaten von mir genossenen „The Beast In The Cellar“ entstand wie viele vornehmlich kommerziell ausgerichtete Werke der Ära unter internationaler europäischer Produktionsägide. Je nach Veröffentlichungsland fand sich Co-Regisseur Andrea Bianchi wahlweise gar nicht oder unter dem naheliegenden Pseudonym „Andrew White“ kreditiert; seinem künstlerischen Einfluss allerdings, der sich bereits zeitgenössisch in Grundzügen des Plots sowie ein paar semiskandalösen Nuancen in der Beziehung zwischen Elise und Marcus abzeichnete, lässt sich recht eindeutig nachspüren.
Ein (oder mehrere) Kind(er) und somit die zumindest qua Gesellschaftsvertrag unantastbar scheinendste Manifestation von moralischer und natürlich auch sexueller Unschuld als treibende, diabolische Kraft in einem psychologischen Vexierspiel einzusetzen, bildete 1972 noch eine relative Rarität, die in den Folgejahren jedoch immer mal wieder zum motivischen Hauptgegenstand innerhalb der Horror-/Thriller-Gattung erhoben wurde. Als wesentliche Pionierarbeit auf dem Sektor jenes Subgenres darf man wohl Mervyn LeRoys „The Bad Seed“ betrachten, wobei auch Henry James‘ damals bereits mehrfach filmisch adaptierte Novelle „The Turn Of The Screw“ entsprechende Avancen andeutete. Ibáñez-Serradors „¿Quién Puede Matar A Un Niño?“ war dann einer der Filme, die diesen Topos konkretisierten, ohne die zum Sinistren tendierende Persönlichkeit der minderjährigen Protagonisten direkt durch einen parapsychologischen oder sonstwie widernatürlichen Einfluss zu erklären. Doch auch „La Tua Presenza Nuda!“ darf in dieser Hinsicht als Schlüsselstück gelten. Das Engagement von Hauptdarsteller Mark Lester, der als Titelheld in Carol Reeds Dickens-Musical „Oliver!“ für Furore gesorgt und damit zum Kinderstar (mit wie üblich rasch in Drogenschwaden verpuffendem Ruhm) geworden war, bildete nicht zuletzt insofern einen kleinen Besetzungscoup. Wie sich sein Marcus Bezant im Verlaufe des Films als durch und durch boshafter Charakter erweist, der am Ende, nachdem er als ebenso durchtriebener wie pathologischer Lügner, Dieb, Spanner, Tierfolterer und -Mörder entlarvt wurde, den Mord an seiner zuvor fremdgegangenen Mutter gestanden hat, eine Therapeutin (Lili Palmer) genarrt und seine Stiefmutter in die Psychiatrie gebracht hat, schließlich auch noch die Ermordung seines Vaters plant um dessen (mittlerweile offiziell gesundete) Frau für sich zu gewinnen, das ist schon eine diskutable Breitseite, die, so möchte ich meinen, zumindest in der gebotenen Form heutzutage kaum mehr durchginge. So dürften ein paar besonders deftige Sequenzen, speziell jene, in denen sich die verbotene sexuelle Spannkraft zwischen Marcus und Elise bebildert findet, in ihrem dezidiert grenzgängerischen Impetus vor allem Bianchi zuzuschreiben sein. In jedem Fall ein in mehrfacher Hinsicht spannender, diskursfreudiger Film von einigem Nachhall.

8/10

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