JOHNNY GOT HIS GUN

„What is democracy?“ – „Well it’s never bright clear on myself. Like any other kind government it’s got something to do with young men killing each other I believe.“

Johnny Got His Gun (Johnny zieht in den Krieg) ~ USA 1971
Directed By: Dalton Trumbo

Der junge Amerikaner Joe Bonham (Timothy Bottoms) wird auf einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs von einer Granate getroffen. Als er im Krankenhaus erwacht, dämmert ihm erst nach und nach, was mit ihm passiert ist. Joe hat alle vier Gliedmaßen und sein Gesicht verloren, ist also faktisch sämtlicher Sinne und Kommunikationsmittel beraubt. Die behandelnden Ärzte glauben, dass er auch komatös sei, kein Bewusstsein mehr besäße und halten ihn als medizinisches Kuriosum am Leben. Immer wieder lässt Joe in einem undefinierbaren Zustand aus klaren Momenten und drogeninduzierten Traumzuständen Augenblicke seines Lebens und seiner Phantasie an sich vorüberziehen. Irgendwann erinnert er sich an das Morsealphabet und beginnt, die Außenwelt auf sich aufmerksam zu machen.

Nachdem der wegen der HUAC-Affäre lange Jahre unter Pseudonymen arbeitende Autor Dalton Trumbo wieder rehabilitiert war, entschloss er sich, seinen eigenen, 1939 überaus erfolgreich erstveröffentlichten Kriegsroman selbst für die Leinwand zu adaptieten und zu inszenieren. Das zunächst als Produktionsfirma involvierte Studio Warner Bros. schasste das Projekt bald, so dass es fünf Jahre bis zur Fertigstellung dauerte, die Trumbo dann weitgehend unabhängig durchboxte. Bis 1988 blieb der Film praktisch eine kaum gezeigte Rarität, was sich durch das berühmte Metallica-Video zu ihrem Song „One“, in dem Ausschnitte und Dialoge des Werks prominent gefeaturet werden, änderte.
Wie alle wichtigen, um diese Zeit entstandenen (New Hollywood-)Filme mit Kriegsbezug ist auch „Johnny Got His Gun“ trotz seiner ursprünglichen literarischen Provenienz vor allem eine leidenschaftliche Anklage an den damals lähmend exerierten, ungbremst andauernden US-Einsatz in Vietnam, allerdings gestaltet er sich auch sehr viel sperriger und zugleich verdichteter als mitunter boshaft-komisch konnotierte, sehr viel kanonisiertere Klassiker wie Altmans „MASH“ oder Nichols‘ „Catch-22“, die den satirischen Ansatz präferierten, das Wesen des Krieges als gewaltige Narretei zur Selbstdezimierung des Menschengeschlechts zu denunzieren. „Johnny Got His Gun“ wählt den umgekehrten Weg – er bricht den Krieg auf ein solitäres Individuum herunter, ein ultimatives Opfer, ein lebendes Gespenst. Mit dem Granateneinschlag fährt Joe Bonham gewissermaßen zur Hölle ohne dabei sterben zu dürfen – die albtraumhafte Vorstellung, nurmehr als obszöner Torso mit von außen gesteuerten Vitalfunktionen vor sich hin vegetieren zu können, inklusive. Außer in Bezug auf das via Off-Ansprachen und Mentalreisen adressierte Publikum gibt es zunächst keinerlei Mitteilungsmöglichkeit, bis schließlich nach einer weder für Joe noch uns messbaren Zeitspanne eine ihm zugetane Krankenschwester (Diane Varsi) registriert, dass Joe sich Morsezeichen bedient, indem er den Kopf bewegt. Doch selbst seine auf diesem Weg formulierten, letzten Wünsche werden ihm – aus strikt ethischen Gründen versteht sich – nicht erfüllt werden. Weder darf er als Freak und lebendes Mahnmal an die Öffentlichkeit gelangen, noch wird seinem alternativen Todeswunsch stattgegeben. Das einzige, was Joe bleibt als finaler, grotesker Trostspender sind seine inneren, gedanklichen Reisen in seine Vergangenheit und an die Schwelle des Jenseits, wo er seinem Vater (Jason Robards) und manchmal seiner ersten und einzigen Jugendliebe (Kathy Fields) begegnet. Gelegentlich versucht auch Jesus (Donald Sutherland, in von Luis Buñuel verfassten Szenen, ihn zu beschwichtigen. Doch selbst der Heiland hat irgendwann auf Joes Fragen nach Sinn und Zweck seines Schicksals keine Antworten mehr parat.
Dass Trumbo eigentlich kein Regisseur war, sondern ein Mann des geschriebenen Wortes, kann der Film nicht wirklich verhehlen und will dies wahrscheinlich auch gar nicht. Trumbos Inszenierungsstil bleibt schmucklos, drög und fahl; die Wechsel zwischen gegenwärtiger Realität und Gedankenwelt markiert er durch die Ablösung von schwarzweiß zu blasser Farbe. „Johnny Got His Gun“ positioniert sich somit denkbar weit von dem entfernt, was man als „konsumierbar“ bezeichnen würde, vielmehr gerät er auch zu einer Prüfung für sein Publikum, das die bittere Hoffnungslosigkeit dieses von stiller Anklage erfüllten Passionswegs sprachlos erdulden muss. Insofern einer der wenigen wirklich dieses Prädikat verdienenden Anti-Kriegsfilme, ein einzig durch seine schiere, grausame Ausweglosigkeit hartes, transgressives, nur sehr schwer erträgliches Pamphlet und dadurch zugleich so unendlich wertvoll.

10/10

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