STROSZEK

„Eva, was ist das für ein Land, das dem Bruno seinen Beo beschlagnahmen tut?“

Stroszek ~ BRD 1977
Directed By: Werner Herzog

Bruno Stroszek (Bruno S.) kommt aus der Strafanstalt, wohin ihn ein paar unter Alkoholeinfluss begangene Fehltritte gebracht haben. Wieder draußen genehmigt sich Bruno ein Bier und stößt auf seine große, alte Liebe, die Hure Eva (Eva Mattes), um die sich ein paar Luden streiten. Eva zieht zu dem sich als Straßenmusikant verdingenden Bruno und seinem braven Beo, doch die Zuhälter lassen die beiden nicht in Ruhe und drangsalieren sie bei jeder Gelegenheit. So fasst man den Plan, zusammen mit Brunos Nachbarn, dem alten Herrn Scheitz (Clemens Scheitz) nach Amerika auszuwandern, wo dessen Neffe (Scott McKain) schon auf ihn wartet. Allen Widerständen zum Trotz gelangt das Trio an sein Ziel. Das herbstliche Wisconsin entpuppt sich jedoch bald als karger und ungemütlicher denn erwartet und das eilends erworbene Fertighaus kommt rasch wieder unter den Hammer. Die frustrierte, zwischenzeitlich als Kellnerin jobbende Eva prostituiert sich wieder und geht mit ein paar Truckern nach Kanada. Bruno deklariert sich daraufhin selbst kurzerhand zum Outlaw, beendet seine Irrfahrt durch die Provinz jedoch bald und zieht den Freitod vor.

„Stroszek“ ist ein bewegter und bewegender Film.
Nachdem Werner Herzog mit dem Sozialfall und Amateurdarsteller Bruno S. bereits „Jeder für sich und Gott gegen alle“ inszeniert hatte, versprach ihm der Regisseur, ihn für noch einen weiteres Projekt zu engagieren. Dies sollte ursprünglich „Woyzeck“ sein, was Herzog jedoch glücklicherweise noch rechtzeitig als künstlerische Fehlentscheidung erkannte. Das Büchner-Projekt wurde daher aufgeschoben und später mit Kinski realisiert. Eigens für Bruno S. schrieb Herzog im Folgenden binnen weniger Tage das Script zu „Stroszek“, das diverse authentische Bezüge zu S.‘ eigenem Leben aufweist. Man muss den Film daher als unmittelbar verknüpft mit seinem Hauptdarsteller begreifen. Bruno S., geboren und aufgewachsen in Berlin, war lange Zeit eine Art „misfit of society“, ein Einzelgänger, Außenseiter und Sonderling, der als uneheliches Kind einer Prostituierten lange Jahre in Heimen und Anstalten verbrachte, bis er sich wiederum über einen immensen Zeitraum als Tagelöhner und Straßenmusiker verdingte. Herzog wurde auf Bruno S. durch eine Dokumentation von Lutz Eisholz aufmerksam und bekam in ihm seinen idealen Kaspar Hauser. Das Besondere an S. war wohl, dass er im Grunde über weite Strecken sich selbst interpretierte und vorgefasste Dialogzeilen entweder stark gestelzt oder souffliert einsprach. Dies versah sein „Spiel“ gleichfalls mit zwingend authentischen wie ebenso komischen und dramatischen Nuancen, was Herzog natürlich zum Anlass nahm, seine Geschichte um Bruno Stroszek zu einer Traverse über soziale Zwänge und existenzielles Scheitern auszubauen. Stroszek ist eine tragische Figur, weil er nie das Leben führen kann, das er eigentlich führen will bzw. das ihm zukäme. Man gönnt ihm sein Bier nicht, er wird von widerlichen Loddeln erniedrigt und misshandelt, seine Eva gar von ihnen zusammengeschlagen. Als Straßenmusiker soll er nicht gehen, weil das kein anerkennenswerter Beruf ist. In Amerika nimmt man ihm zuallererst seinen geliebten Vogel weg, dann begegnet ihm das vermeintlich pardiesische Land der unbegrenzten Möglichkeiten als kalte Einöde, in der Nachbarn sich mit Gewehren bedrohen, Serienmörder umherziehen und das soziale Netz noch sehr viel grobmaschiger ist als daheim, in der Alten Welt. Als Bruno schließlich allein da steht, im Wissen, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt, tritt er freiwillig von der Bühne des Lebens ab, auf der Seilbahn einer unfassbaren Menagerie mit Kleingetier, in der Herzog einmal mehr einen seiner obskuren Globalfunde machen konnte und diesen natürlich vorzüglich in seine Parabel einwebt.
Joy Division-Sänger Ian Curtis hat „Stroszek“ unmittelbar vor seinem Selbstmord geschaut. Welch wahnwitzige Rückschlüsse und Bezüge ergeben sich daraus…

10/10

Hinterlasse einen Kommentar