CYPHER

„Just some reading to pass the time.“

Cypher ~ USA/CA 2002
Directed By: Vincenzo Natali

Morgan Sullivan (Jeremy Northam) ist vermutlich der langweiligste Mensch der Welt. Von Beruf Schwiegersohn verdankt er das Kleinvermögen, das ihm ein entsetzlich gleichförmiges Häuschen auf einer uniformierten Vorstadtparzelle beschert, ausschließlich der Familie seiner ihn entsetzlich bevormundenden Frau (Kristina Nicoll). Eine Stelle bei dem Marketing-Analysten „Digicorp“ soll etwas Farbe in seinen monotonen Alltag bringen. Sein Aufgabenfeld besagt, unter einer Scheinidentität wiederum furchtbar öde Firmenkongresse auszuspionieren. Dabei trifft er eines Tages die schöne Rita (Lucy Liu), die mehr über ihn zu wissen scheint als er selbst. Mit ihrer Hilfe findet Sullivan heraus, dass man an ihm und seinen Kollegen während der Tagungen unbemerkt Gehirnwäschen vornimmt. Er beginnt, für den Digicorp-Konkurrenten „Sunways“ als Doppelagent zu arbeiten. Bald taucht der Name von „Sebastian Rooks“ auf, einer mysteriösen Hacker-Legende, für die auch Rita tätig ist. Für Rooks, der für ihn die letzte Möglichkeit personifiziert, aus dem Spionage-Karussell auszubrechen, ergattert Sullivan unter Einsatz seines Lebens eine streng geheime Datei unbekannten Inhalts. Nun gilt es, Rooks von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, was außer Rita bislang niemand überlebt hat…

Ganze fünf Jahre nach seinem Aufsehen erregenden Langfilmdebüt „Cube“ konnte der Kanadier Vincenzo Natali sein zweites Kinostück realisieren – immerhin mit monetärer Rückendeckung von den Gebrüdern Weinstein, was ihm ein um das rund Zwanzigfache angehobenes Budget sowie die Möglichkeit, einige bekanntere Darsteller zu verpflichten, bescherte. Aus den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen schuf Natali dann auch einen denkwürdigen Film, indem er den filmischen Archetypen des schnittigen Superspions in ein vollkommen kafkaeskes Szenario beförderte. Anders als James Bond, Jason Bourne oder Ethan Hunt agiert der amnesische Sebastian Rooks nicht auf der globalen Spielwiese konkurrierender Geheimdienste oder international vernetzter Terroristen, sondern auf dem überaus langweiligen Feld der Produkt- und Marketing-Analysen. Seine Aufträge führen ihn nicht etwa nach Übersee und zu exotischen Schauplätzen mit unaussprechlichen Namen, sondern in miese Provinznester in Idaho oder Wichita. Vor diesem Hintergrund sucht Morgan Sullivan verzweifelt nach maskuliner Exklusivität: Er beginnt, edle Zigaretten zu rauchen, trinkt teuren Scotch und interessiert sich plötzlich für Golf. Welche Bedeutung die seltsamen Nackenschmerzen und die ihn ständig heimsuchenden Flashbacks haben, soll sich in diesem Zusammenhang erst später auflösen.
Der Plot von „Cypher“ schickt uns zusammen mit dem unbedarften Protagonisten Sullivan zunächst durch ein im Hinblick auf die finale Auflösung eher verwirrendes Vexierspiel – zwei konkurrierende Industrie-Spionage-Firmen und deren leitende Köpfe (Nigel Bennett, Timothy Webber) werden nacheinander vorgestellt, erweisen sich jedoch bald als von eher sekundärer Bedeutung. Ihre etwas dystopisch anmutenden Mitarbeiter-Traktierungen, nebenbei ein Fest für Verschwörungstheoretiker und Paranoiiker gleichermaßen, nehmen ebenfalls eine für den Plot nebensächliche Position ein. Hier ist ausnahmsweise nicht der Weg das Ziel, sondern tatsächlich das Endresultat, die letzte, erfolgreich durchgeführte Aktion – aus aufrichtiger Liebe zudem.
Mit „Cypher“, geradezu ein Ausbund an stilistischer und formaler Geschlossenheit, erlesen fotografiert und von ebenso genießerisch-schwelgender wie unbehaglich-kühler Ästhetik, ist Natali seine wie ich finde bislang schönste, trefflichste Arbeit gelungen. Möge er daran nochmal anschließen können.

8/10

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