BATTLE IN SEATTLE

„Please! Don’t arrest me!“

Battle In Seattle ~ USA/CAN/D 2007
Directed By: Stuart Townsend

Seattle, Ende November 1999. Bürgermeister Jim Tobin (Ray Liotta) ist stolz darauf, dass die Ministerialkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), unter gewaltigem internationalen Medienecho als „Milleniumrunde“ angekündigt, in seiner Stadt ausgerichtet wird. Mit dem internationalen Gästeaufmarsch kommen jedoch auch viele unterschiedliche Gruppierungen von DemonstrantInnen, die das ausbeuterische neoliberale Treiben der Globalisierungsinstitution scharf verurteilen. Eine Gruppe, die sich durch friedlichen, aber ebenso aufsehenerregenden Protest Gehör zu verschaffen plant, wird von dem passionierten Jay (Martin Henderson) angeführt, der seinen Bruder einst bei einer Anti-Abholzungsdemo verlor. Während die Taktik von Jay und seinen Leuten durchaus aufzugehen scheint, beginnt eine autonome Fraktion blindwütig zu randalieren, was wiederum die Polizei zu einem deutlich verschärften Vorgehen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken sowie wahllosen Verhaftungen veranlasst. Derweil müssen ein leidenschaftlich für die Lieferung von Medikamenten an Entwicklungsländer vorsprechender MSF- Repräsentant (Rade Serbedzija) und ein afrikanischer Minister (Isaach De Bankolé) die bittere Erfahrung machen, dass ihnen der gezielte Lobbyismus der WTO kein Forum zu bieten gedenkt…

Stuart Townsends Regiedebüt „Battle In Seattle“, der sich – zumindest ideologisch – wiederum in der langen Tradition von Haskell Wexlers New-Hollywood-Meilenstein „Medium Cool“ wiederfindet, antizipiert doch recht deutlich den unlängst geschauten „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“, wobei gewiss weder der zugrunde liegende historische Kontext noch die Ambitioniertheit der filmischen Umsetzung gegeneinander aufzuwiegen sind. Was jedoch beide Filme unbedingt eint, sind ihr Motor und ihr Herz. Beide Autoren setzen klare, politische Zeichen ganz im Sinne ihrer friedlich demonstrierenden ProtagonistInnen; sie zeigen auf, mit welch korrumpierten, fadenscheinigen Selbstverständnis die Wirtschaftspolitik der Weltmächtigen nicht nur gemacht, sondern durch medienwirksame Gipfeltreffen wie die der WTO oder der G-8 auch noch verlogen und selbstbeweihräuchernd inszeniert werden. Agitprop? Mag sein. Dennoch: auch Seattle ’99 demonstriert bereits kurze, faschistische Blitzeinschläge – als Reaktion auf ein paar versprengte, vermummte Unruhestifter werden 500 friedliche AktivistInnen ohne jedwede Grundlage festgenommen und ohne Anklage inhaftiert. Weil sie sich weigern, ihre Personalien preiszugeben, hält man ihnen weitere Grundrechte, wie den telefonischen Ruf eines Rechtsbeistands, vor. Da die US-Regierung Clinton jedoch kein Berlusconi-Italien war (spätestens seit 2016 sähe die Sache auch hier gewiss anders aus), blieb es bei diesen noch halbwegs überschaubaren Repressalien, und es konnte infolge der Protestaktionen und der öffentlichen Reaktion darauf immerhin ein wichtiges Fanal gesetzt werden: Diverse Politiker aus Entwicklungsländern wurden wahlweise gezielt ignoriert oder erst gar nicht angehört und verweigerten, in Wechselwirkung mit dem Geschehen auf den Straßen, schließlich ihre Kooperation, so dass der gesamte Gipfel nach nur drei Tagen abgesagt und vertagt werden musste.
Wie später Daniele Vicari zeigt auch Townsend das Ganze im Stil eines multiperspektivischen Ensemblefilms und ebenfalls unter Einflechtung vor Ort entstandenen, authentischen Filmmaterials. Besonders augenfällig ist, dass bei einem recht geringen Budget und dabei ohne Beteiligung eines einzigen größeren Studios eine beträchtliche Riege von Hollywoodgrößen aufgefahren werden konnte, die die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, sich im Sinne dieses wichtigen Themas politisch zu positionieren. So gibt es wunderbare bis prägnante Auftritte etwa von Woody Harrelson als Bereitschaftspolizist, dessen im fünften Monat schwangere Frau (Charlize Theron) von einem seiner Kollegen völlig grundlos so geprügelt wird, dass sie ihr Baby verliert und urplötzlich auch in ihrem uniformierten Mann das Böse zu erkennen wähnt. Oder der kroatische Darsteller Rade Serbedzija. Eigentlich für sein ewiges type acting als südosteuropäischer Bösewicht in Actionfilmen berüchtigt, gibt er hier einen kurzen, aber umso sympathischeren Auftritt als gegen Windmühlen kämpfender, zusehends verzweifelnder MSF-Mediziner.
Dass Townsend inszenatorisch noch wenig Erfahrung hatte, zeigt sich hier und da in Anbetracht mancher redundanter Regiemanierismen. Er vertraute offenbar nicht zur Gänze auf die innere Zug- und Sprengkraft seines Sujets und befleißigte sich unnötig hektischer Wackelkameraspiele und Montagen, die eher an irgendwelche C.S.I.-Episödchen erinnern und ziemlich eindeutig auf die Nervosität des formalistischen Greenhorns schließen lassen. Auch das eine oder andere dramaturgische Klischee hätte gern umschifft werden dürfen. Derlei sehe ich „Battle In Seattle“ allerdings gern nach in Anbetracht dessen, was von ihm bleibt: Der seltene Status eines tatsächlich als „wichtig“ zu etikettierenden Films.

8/10

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