AMERICA AMERICA

„In America I will be washed clean.“

America America (Die Unbezwingbaren) ~ USA 1963
Directed By: Elia Kazan

Anatolien, kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende. Der junge Stavros (Stathis Giallelis), Sohn des kappadokischen Griechen Odysseus Topouzoglou (Salem Ludwig), beobachtet mit wachsender Sorge die imperialistischen Freiheiten, die die Türken sich gegenüber den armenischen und griechischen Minderheiten herausnehmen. Als Stavros‘ bester Freund, der Armenier Vartan (Frank Wolff) im Zuge eines Pogroms der Türken ermordet wird, ist Stavros endgültig klar: Befreiung von diesen Zuständen gibt es nur im fernen Amerika. Mit dem hart erworbenen Segen seines Vaters und dem gesamten Wertbestand der Familie, darunter ein Esel, macht sich Stavros auf den beschwerlichen Weg ins ferne Konstantinopel. Während der Reise lernt er den schlitzohrigen Türken Abdul (Lou Antonio) kennen, der sich zunächst bei Stavros anbiedert, um ihn dann auf tückische Weise um seine Habe zu erleichtern. Rachsüchtig ersticht Stavros den bösen Nepper. Völlig mittellos am Bosporus angelangt, setzt Stavros‘ Cousin Isaac (Harry Davis), ein armer Teppichhändler, den Jungen als Faktotum ein. Doch Stavros will schleunigst das Geld für die Überfahrt in die Neue Welt zusammenbringen und verdingt sich lieber als Tagelöhner – ohne Erfolg. Wegen seiner Träumereien verpasst ihm sein Freund Garabet (John Marley) den Spitznamen ‚America America‘. Nachdem er als vermeintlicher Untergrundkämpfer beinahe erschossen wird, hört Stavros endlich auf Isaacs Rat, sich bei dem reichen Teppichimporteur Aleko Simnikoglou (Paul Mann) anzubiedern, der dringend einen Schwiegersohn und Ehemann für seine älteste Tochter Thomna (Linda Marsh) sucht. Von der Mitgift plant Stavros das heißersehnte Ticket zu erwerben und sich aus dem Staube zu machen. Der liebenswerten Thomna kann er sein Vorhaben nicht verschweigen und sie unterstützt ihn dabei. Kurz vor der Passage lernt Stavros das reiche Ehepaar Kebabian kennen, das mit dem nächsten Schiff zurück in die Staaten will. Während der Überfahrt hält sich Mrs. Kebabian (Katharine Balfour) Stavros als Gigolo, doch als ihr Mann (Robert H. Harris) davon Wind bekommt, sorgt er dafür, dass Stavros die Einreise in die Staaten verweht wird. Jetzt kann ihn nur noch ein Wunder retten…

„My name is Elia Kazan. I am a Greek by blood, a Turk by birth and an American because my uncle made a journey.“ So empfängt der höchstpersönlich eingesprochene Voiceover des Regisseurs das Publikum zu seinem intimsten (und liebsten, wenngleich nicht seinem „besten“, wie er selbst im Interview konstatiert) Film, der Geschichte seines eigenen Onkels und dessen Odyssee, die Kazan als kleinem Jungen schließlich selbst die Migration nach Amerika ermöglichte. Mit „America America“ emanzipiert der große Filmemacher sich endgültig als Künstler von kosmopolitischem Rang. Mit epischer Breite, großer Melancholie und emotional wuchtig erzählt, vor Ort gedreht, auf Stars und äußeren Pomp verzichtend und doch von einem Hollywood-Studio (Warner) flankiert, nimmt dieses Werk nicht nur in Kazans Œuvre eine Ausnahmestellung ein, sondern weist zudem bereits recht früh auf die sich gemächlich ändernde Windrichtung im vom Rost befallenen System der großen Filmmogule hin.
Die kreative Freiheit, die Kazan genießen durfte, sorgt dafür, dass „America America“ sich kaum mehr als Hollywood-Produktion identifizieren lässt, sondern wie Weltkino eines Filmemachers vom Schlage Pasolini oder Buñuel daherkommt. In einer längst der Farbe anheim gefallenen Filmwelt lässt Kazan seinen Einmal-dp Haskell Wexler, von dem er später sagen wird, es sei zwar der beste Kameramann, mit dem er je hat arbeiten dürfen aber zugleich auch der einzige, den er kein zweites Mal für eine Kollaboration akzeptiert hätte, ein expressionistisch-kontrastreiches Schwarzweiß-Bild entwerfen, das einen auf unglaublich empathischem Wege direkt hineinkatapultiert in Zeit und Region. Die unverbrauchten Darsteller – Stathis Giallelis‘ Gesicht nebst Mimik erinnert nebenbei vehement an das von Oliver Reed – sorgen außerdem für eine deutlich umweglosere Identifikation und für eine völlige Akzeptanz des Geschehens als Abbildung realer Vorkommnisse als es üblicherweise bei amerikanischen Filmen, und gerade solchen aus jener Filmperiode, der Fall ist. So entwickelt sich Stavros Topouzoglous Reise von seinem kleinen Bergdorf am Fuße des Erciyes bis nach Ellis Island, wo er seinen neuen, amerikanischen Namen Joe Arness erhalten wird, gleichfalls zu einer Expedition in die menschliche Seele. Von der Abgründigkeit bis hin zur Verzweiflung, von der Misanthropie bis hin zur bedingungslosen Liebe, vom besten Freund bis zum ärgsten Feind lernt Stavros etliche Facetten humaner Befindlichkeiten und Verortungen kennen. Aus dem naiven Bauernjungen wird ein Weltbürger. Und aus Kazan spätestens mit dieser Arbeit ein Hauptgott für den Kinoolymp.

10/10

2 Gedanken zu “AMERICA AMERICA

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