ONE EIGHT SEVEN

„The only thing you respect is stupidity.“

One Eight Seven (187 – Eine tödliche Zahl) ~ USA 1997
Directed By: Kevin Reynolds

Rund ein Jahr nachdem der High-School-Lehrer Trevor Garfield (Samuel L. Jackson) an seinem New Yorker Arbeitsplatz von einem seiner Schüler (Method Man) hinterrücks mit einem Eispickel attackiert wurde und dabei fast das Leben ließ, begibt er sich an der anderen Seite der Staaten, im San Fernando Valley, zurück an den Kriegsschauplatz Schule. Dabei besitzt die John Quincy Adams High kaum mindere Albtraumqualitäten. Die Mitglieder der hiesigen Chicano-Gangs leben mit Armut und Gewalt und tragen ihren Frustrationsstau mit sich herum. Das bekommt vor allem auch das Lehrpersonal zu spüren. In seinem Schüler César Sanchez (Clifton Collins Jr.) und dessen Anhang findet Garfield alsbald neuerliche Intimfeinde. Sanchez ahnt jedoch zunächst nicht, dass Garfield durch seinen furchtbaren „Unfall“ von vor einem Jahr nicht bloß gravierende physische Narben zurückbehalten hat. Der Konflikt zwischen ihnen schaukelt sich mehr und mehr hoch und entlädt sich schließlich in einer furchtbaren Katastrophe.

Filme über Individuen, die am sozialen Mikrokosmos Schule zerbrechen oder über sich hinaus wachsen, ob Lehrer oder Schüler, ob infolge renitenter Mit-Eleven oder infolge systemischer Mängel, bekleiden eine stolze Kinotradition. Richard Brooks‘ mittlerweile sechzig Jahre alter, ungebrochen großartiger „The Blackboard Jungle“ begründete jenes dramatische Subgenre, das mit Tony Kayes „Detachment“ einen jüngsten, wiederum bedrückenden Eintrag fand.
Mit „One Eight Seven“, von Kevin Costners zeitweiligem Hausregisseur Kevin Reynolds inszeniert und von Mel Gibsons Icon Films produziert, enterte 1997 einer der schwärzesten, bedrückendsten Beiträge zu diesem Sujet auf der Leinwand. Basierend auf einem Script des vormals selbst mehrere Jahre im Schuldienst tätigen Scott Yagemann dringt der nach dem kalifornischen Polizeicode für Mord betitelte Film in die zerrüttete Psyche eines vormals idealistischen Pädagogen vor. Trevor Garfield widmet sein ganzes Leben und seine ganze Leidenschaft seiner Berufung; er kann und will nichts anderes als den Kids mit seinem anschaulich gestalteten Chemieunterricht Weltwissen und Elementarbildung vermitteln. Doch die disparate Lebenswirklichkeit, mit der seine Schülerklientel außerhalb des Klassenzimmers zurechtzukommen hat, ist weitaus erbarmungsloser. Hier geht es um alltäglichen Existenzkampf und viel mehr noch um die Unmöglichkeit, sich diesem durch Vernunft oder Ignoranz zu entziehen. Unterschiedliche Lehrer gehen mit der Situation unterschiedlich um. Garfields Kollegin Ellen Henry (Kelly Rowan) ist noch jung und voller gesundem Idealismus, der ihr den ewigen Kampf gegen Windmühlen noch erfolgreich verschleiert, Dave Childress (John Heard) hingegen sublimiert seinen Frust in ätzendem Zynismus, heimlicher Misanthropie und Alkoholmissbrauch und fühlt sich nur deshalb sicher, weil er stets eine Waffe bei sich trägt. Garfield indes ist bereits innerlich zerschmettert ohne es zu zeigen und sucht dabei nach jedem sich bietenden Strohhalm heraus aus der ihn innerlich zersetzenden Misere führen könnte. In seiner Schülerin Rita (Karina Arroyave), der er private Nachhilfe erteilt, meint er, einen Hoffnungsschimmer zu erkennen, doch auch sie lässt ihn bald fallen, eingeschüchtert durch Sanchez. Dabei sind Panikattacken, Atemnot, Zitteranfälle und depressive Schübe nicht die einzigen Probleme, die Garfield seit seinem traumatischen Erlebnis mit sich herumträgt. Er ist wie ein schwer kriegsversehrter Veteran, der freiwillig mitten ins Krisengebiet zurückkehrt, weil er nichts anderes kann und der darüber hinaus wahnsinnig wird. Reynolds geht dabei einen stilistisch ungewöhnlichen Weg. Anstatt seinem Film das gebotene, hysterische Flair zu verleihen, inszeniert er ihn flächig und eben in goldgelbener Schwüle, kein treibender Rap läuft auf der Soundtrack-Spur, sondern tiefenentspannter Trip-Hop. Wie bei Garfield brodelt das Chaos tief unter der Oberfläche und zeigt sich in kurzen, hefigen Eruptionen.
Wer „One Eight Seven“ als reaktionär oder konservativ aburteilt, hat ihn nicht begriffen. Die Botschaft, die der Film transportiert, ist überdeutlich lesbar alles andere als antiliberal, wenngleich von einer zutiefst pessimistischen Haltung geprägt. Doch wer kann ihm das verübeln? Reynolds‘ bewegendes, ja, eminentes Werk zeigt lediglich, wohin die vielen, allgegenwärtigen Missstände im Bildungssystem in Einzelfällen führen können, wenn man ihnen weiterhin so halbherzig und hilflos gegenübertritt, wie es gegenwärtig der Fall ist. Die Zustände sind prekär, aber nicht hoffnungslos. Das können sie auch nie sein, denn der Nachwuchs – egal, wie und wo er allmorgendlich die Klassenräume dieser Welt betritt – das ist die Zukunft.

9/10

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