THE RIVER

„You made it real. I didn’t want it to be real.“

The River (Der Strom) USA/F/IND 1951
Directed By: Jean Renoir

Mit der Ankunft des innerlich wie äußerlich kriegsversehrten, beinamputierten Soldaten John (Thomas E. Breen) beginnt für drei westlichstämmige Mädchen, die in behüteten Verhältnissen am Ufer des Ganges aufwachsen, der Weg in die Erwachsenenwelt: Harriet (Patricia Walters) lebt in einer Welt der romantischen Märchen und Mythen und pflegt ihre Gefühle beim Tagebuchschreiben auszudrücken. Valerie (Adrienne Corri) ist etwas älter, wilder und ungestümer als Harriet und bekundet ihre Gefühle für „Captain“ John in deutlich aggressiverer Art und Weise; Melanie (Radha) schließlich, deren Mutter, eine Einheimische, bereits verstorben ist, müht sich noch, ihre Identität zwischen den Welten zu finden. John schließlich profitiert von dieser „femininen Dreifaltigkeit“, indem er den Weg ins Leben zurückfindet.

Renoir hat sein spätes Meisterwerk, zudem seine erste Farbregie, im Alter als seinen liebsten, wichtigsten Film bezeichnet. Der Grund ist einleuchtend: „The River“ ist definitives Kino, ‚a movie to end all movies‘. Mit nichts weniger als dem Lebenszyklus selbst beschäftigt sich die nach (und mit der Unterstützung von) Rumer Godden entstandene Geschichte, dem ewigen Kommen und Gehen. Die Menschen von Bengalen leben am Fluss, mit und von ihm; für sie ist er existenzielles Symbol und Kraft zugleich. Harriet, obschon eben erst in der Pubertät angelangt, begreift dieses Kausalitätsschema bereits auf ihre eigene, spätkindlich-poetische Art, profitiert doch ihr Vater (Esmond Knight) selbst als Fußmattenfabrikant, der Jute weiterverarbeitet, von dem Fluss und „seinen“ Menschen (was ihn jedoch keinesfalls zum kolonialistischen Ausbeuter stempelt; er ist im Gegenteil ein absoluter Philanthrop). Hier, am Strom, folgt seit Jahrtausenden alles dem unumstößlichen Regelwerk der Natur, unbelastet von weltlichen Problemen wie Politik und Ökonomie. In einem umfangreichen, unbedingt sehenswerten Videoessay berichtet Jean Collet, Renoir habe sich geleistet, „sich irgendwann nicht mehr für Politik interessieren zu müssen“: obwohl Indien zu jener Zeit immense strukturelle Umwälzungen zu durchleiden hatte, bleibt in „The River“ alles am Platze und gehorcht basalsten Daseinsregeln. Für jeden Tod entsteht ein neues Leben und jeder Verlust ist zugleich ein Neubeginn. Dabei plätschert der Film sanft, sacht und magisch dahin, kommt, getragen von geheimnisvoller Sitarmusik einer hypnotischen, bald bewusstseinserweiternden Erfahrung gleich. Mittels minimalster Aktion wird alles gesagt, was es zu sagen gibt und ergibt alles ein vollendetes Ganzes. Symbol- und Bedeutungsebene verschmelzen bis hin zur vollkommenen, wechselseitigen Identifikation und am Ende bleibt ein Film, kostbar und reichhaltig wie das Leben selbst.

10/10

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