LA PROMESSE

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La Promesse (Das Versprechen) ~ BE/F/LUX/TU 1996
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Igor (Jérémie Renier) ist 15 und schraubt am liebsten an allem herum, was fährt und einen Motor hat. Doch weder dafür, noch für irgendwelche anderen Alltagsaktivitäten eines Jungen in seinem Alter bleibt ihm hinreichend Zeit. Igor muss seinem kriminellen Vater Roger (Olivier Gourmet) nämlich rund um die Uhr zur Verfügung stehen, wenn es um die Organisation von dessen Machenschaften geht. Roger beherbergt in einer Schrottimmobilie illegale Migranten aus aller Herren Länder, manche nur im Transit, andere auf unbestimmte Zeit. Zu ebenjenen gehört auch der aus Burkina Faso stammende Amidou (Rasmané Ouédraogo), dessen deutlich jüngere Frau Assita (Assita Ouédraogo) mitsamt dem gemeinsamen Baby soeben nachgekommen ist. Igor fasziniert die selbstbewusste Afrikanerin nebst all ihrer exotischen Brauchtumspflege. Als Amidou bei einer Überraschungsvisite der Einwanderungsbehörde von einem Baugerüst stürzt, verwehrt ihm Roger aus Angst aufzufliegen jedwede Hilfe, lässt ihn verbluten und zementiert den Leichnam danach ein. Zuvor nimmt Amidou Igor jedoch noch das Versprechen ab, sich um Assita und das Baby zu kümmern. Während er Assita vorlügt, er wisse nicht, wo Amidou sich aufhalte, gibt sich Igor ganz zum wachsenden, in Gewaltausbrüchen mündenden Zorn Rogers alle Mühe, Assita zu helfen und sie zu Verwandten in Italien zu schaffen. Bald muss er sich endgültig zwischen seiner eigenen Zivilcourage und der väterlichen Dominanz entscheiden…

Mit „La Promesse“, ihrem dritten Spielfilm, erschienen das belgische Bruder- und Autorengespann Dardenne auf der cineastischen Landkarte und ist seither nicht mehr davon wegzudenken. Seither Stammgäste in Cannes, konnten sie schon mehrfach eminente Preise abräumen und blieben sowohl der Auswahl ihrer Sujets als auch ihrem Inszenierungsstil stets treu. Jene Mixtur könnte man gewissermaßen als Verquickung der sozialrelevanten Themen der Briten Ken Loach und Mike Leigh auf der einen sowie der strengen, formalen Kargheit von Dogma 95 auf der anderen Seite kategorisieren. Dabei vollzieht bereits „La Promesse“ scheinbar mühelos die emotionale Affizierung des Publikums, allein durch sein 16mm-Format, die ruppige, dokumentarisch anmutende Handkamera und die permanenten Close-ups der extrem naturalistisch interpretierten Hauptfiguren. Unter gänzlichem Verzicht auf eine Musikspur, exaltierte Requisiten, Kostüme oder Atelieraufnahmen bleibt „La Promesse“ wie viele seiner Nachfolger daher permanent realitätsverpflichtet und entwickelt gerade dadurch seinen tiefen Sog. Gefilmt in maroden Verfallsbauten des winterlichen Seraing, einer dem Strukturwandel zum Opfer gefallenen Arbeiterstadt nahe Lüttich, präserviert der Film einen sich nicht selten höchst unangenehm ausnehmenden Einblick in das kleinkriminelle Prekariat vor Ort, gekoppelt mit dem hoffnungslos anmutenden Los der von Roger ausgenommenen Illegalen. Dennoch steht der an einen existenziellen Scheideweg geführte Igor – bravourös gespielt von dem damals tatsächlich erst fünzehnjährigen Renier – im permanenten Zentrum des Geschehens. Rasch entwickelt man tiefes Mitgefühl mit dem so intelligenten, lebensfitten Jungen, der vom eigenen Vater, der in seiner nicht selten an ähnlich gefärbte, literarische Vaterfiguren und Ausbeuter wie Dickens‘ Fagin oder Stevensons Long John Silver erinnert, verraten und im Prinzip emotional auf das Schlimmste missbraucht wird. Kaum eine Minute für Igor, in der er einmal ganz bei sich sein, den kriminellen Alltagswust, in den Roger ihn stante pede reißt, vergessen kann. Ständig muss er Rogers Anweisungen wie ein unmündiger Adlatus Folge leisten, sogar die Ausbildungsstelle kostet Igor seine autoritätsmächtige Hörigkeit. Regungen von Gewissen und Menschlichkeit quittiert Roger mit diversen Sanktionen von Liebesentzug bis Prügel; fadenscheinig glückselig anmutende Momente sind Rogers eigener, naiver Vorstellung selbiger geschuldet. Dass Igor am Ende in einem ungeheuren emanzipatorischen Kraftakt den Mut aufbietet, sich mit aller Konsequenz gegen den Vater und seine Machenschaften zu positionieren, verabreicht „La Promesse“ dann nochmal einen gehörigen Energieschub.

9/10

3 Gedanken zu “LA PROMESSE

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